LG Landshut, Teilurteil vom 21.06.2013 - 54 O 3457/10
Fundstelle
openJur 2017, 5
  • Rkr:
Tenor

1. Der Zweitbeklagte ist der Klägerin dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet.

2. Die Klage gegen die Erstbeklagte wird abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Erstbeklagten. Die Kostenentscheidung im Übrigen bleibt der Endentscheidung Vorbehalten.

4. Das Urteil ist für die Erstbeklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

5. Der Streitwert beträgt 120.000 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche - aus eigenem und abgetretenem Recht - wegen der Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts.

Die Klägerin ist eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten, die für diese Veranstaltungen über eine Erlaubnis - auch für das vorliegend streitgegenständlich Geschäftsjahr 2007 (Anlage Kl: 01.03.2006 bis 28.02.2007; K 15: 01.03.2007 bis 28.02.2008) - der Behörden in Gibraltar verfügt. Die Klägerin hat die von ihr veranstalteten und auch im Freistaat Bayern angebotenen Sportwetten im Internet und über stationäre Wettshops vertrieben. Die Wettshops wurden von selbstständigen Geschäftsbesorgern betrieben. Ein solcher Geschäftsbetreiber war auch der Zedent H... T... P..., der seit Ende März 2005 unter anderem in der S... Str. 4, ... L... a.d. I... einen Wettshop betrieben hat, in dem auch für die Klägerin Sportwetten vermittelt wurden (Vertrag vom 26.11.2004, K 2). Die Beklagte zu 1) hat durch Unterlassungsverfügung vom 07.07.2005 gegenüber dem Zedenten die Vermittlung von Sportwetten untersagt und die sofortige Vollziehung der Untersagung nach § 80 II Nr. 4 VwGO angeordnet (K 3). Die Beklagte zu 1) stützt ihre Untersagungsverfügung auf § 5 II des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotteriestaatsvertrag), die Strafnorm des § 284 StGB (unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels) und der sicherheitsrechtlichen Generalklausel (Art. 7 LStVG). Auf den Widerspruch des Zedenten gegen diesen Bescheid vom 07.07.2005 hob die Beklagte zu 1) mit Bescheid vom 27.07.2005 die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, half dem Widerspruch im Übrigen aber nicht ab und legte den Vorgang dem Landratsamt D...-L... als der zuständigen staatlichen Widerspruchsbehörde vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2006 wies das Landratsamt den Widerspruch des Zedenten gegen den Bescheid der Beklagten zu 1) vom 07.07.2005 zurück und ordnete die sofortige Vollziehung des Ausgangsbescheids wieder an. Am 04.07.2006 erhob der Zedent Klage gegen die Beklagte zu 1) vor dem Verwaltungsgericht Regensburg und stellte mit einem am 05.07.2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz einen Antrag nach § 80 V VwGO mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 04.07.2006 wieder herzustellen bzw. anzuordnen. Mit Beschluss vom 07.07.2006 wies das Verwaltungsgericht Regensburg den Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab (K 4). Ende September 2006 schloss der Zedent seinen Wettshop in L.... Mit Beschluss vom 06.12.2006 wies der bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Zedenten gegen die Abweisung seines Eilantrags zurück (K 5). Das Verfahren ist in der Hauptsache noch rechtshängig.

Die Klägerin behauptet, dem Zedenten sei für das Jahr 2007 Gewinn in Höhe von 60.000 € entgangen. Diesen Anspruch, den der Zendent an die Klägerin abgetreten habe (K 6), macht die Klägerin als Zessionarin geltend. Durch die Schließung des Wettshops L... sei bei der Klägerin selbst außerdem entgangener Gewinn in gleicher Höhe zu vermerken. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten zu 1) und 2) hätten durch ihre Entscheidungen gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Dienstleistungsfreiheit, verstoßen. Die Voraussetzungen eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs lägen vor. Das vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2006 ausdrücklich als verfassungswidrig qualifizierte Sportwettenmonopol in Bayern stelle eine mit dem freien Dienstleistungsverkehr nicht zu vereinbarende Beschränkung dar, die auch nicht zu rechtfertigen sei. Die Ansprüche seien nicht verjährt.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin EUR 120.000 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

Beide Beklagte bestreiten den klägerseits behaupteten Schaden und wenden Verjährung ein.

Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, dass ein qualifizierter Verstoß gegen eine Gemeinschaftsrechtsnorm nicht gegeben sei. Außerdem habe sie auf den Widerspruch des Zedenten hin die sofortige Vollziehbarkeit ihres Bescheides aufgehoben; hiermit sei eine etwaige Kausalkette jedenfalls unterbrochen worden. Es liege außerdem kein grenzüberschreitender Sachverhalt vor.

Der Beklagte zu 2) bestreitet die Abtretung des Zedenten an die Klägerin. Ein erforderlicher qualifizierter Verstoß gegen eine Gemeinschaftsrechtsnorm, die der Anspruchsstellerin ein subjektives Recht verleihe, sei es der Klägerin selbst oder dem Zedenten, scheide aus. Zudem habe es die Klägerin unterlassen, primären Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, alle sonstigen Aktenbestandteile sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2010 verwiesen.

Wegen eines weiteren Verfahrens gleichen Rubrums, bei dem es - bei im Übrigen identischem Sachverhalt - um den Schaden der Klägerin und des Zedenten aus dem Jahr 2006 ging (54 O 30/10), hat das Gericht das vorliegende Verfahren zunächst ausgesetzt (Beschluss vom 07.02.2011, Bl. 49 d.A.). Nachdem das klageabweisende Urteil vom 30.11.2010 im genannten Parallelverfahren sowohl vom Berufungsgericht (OLG München, Urteil vom 15.07.2011 - 1 U 392/11) als auch vom Bundesgerichtshof (Urteil vom 18.10.2012 - III ZR 196/11, EuZW 2013, 194; zu einem weiteren Parallelverfahren siehe BGH, Urteil vom 18.10.2012 - III ZR 197/11) bestätigt wurde, wurde das vorliegende Verfahren trotz einer gegen die BGH-Entscheidung erhobenen Verfassungsbeschwerde (K 14) fortgesetzt (Verfügung vom 26.11.2012, Bl. 80).

Gründe

Die zulässige Klage ist gegenüber der Erstbeklagten unbegründet, gegenüber dem Zweitbeklagten dem Grunde nach begründet.

A.

Die klägerseits vorgetragene Abtretung der behaupteten Ansprüche des Zedenten an die Klägerin ist belegt durch die hierüber errichtete Urkunde K 6. Das diesbezügliche Bestreiten des Zweitbeklagten ist substanzlos und daher unbeachtlich. Insbesondere hat der Zweitbeklagte versäumt, inhaltlich zu bestreiten, dass es tatsächlich zu der in der Anlage K 6 dokumentierten Einigung der Vertragsparteien über den Übergang der genannten Ansprüche gekommen ist.

Die Klägerin ist daher gem. § 398 S. 2 BGB berechtigt, früher dem Zedenten zustehende Ansprüche nunmehr selbst geltend zu machen.

B.

Unzutreffend ist die Auffassung des Zweitbeklagten, die Klägerin habe es unterlassen, primären Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Unstreitig ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Gegenteil noch rechtshängig.

C.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Erstbeklagte besteht nicht.

I.

Es fehlt an einer hinreichend kausalen Verknüpfung eines (möglicherweise rechtswidrigen) Verhaltens der Erstbeklagten mit einem der Klägerin bzw. dem Zedenten möglicherweise entstandenen Schaden. Unstreitig hat die Erstbeklagte, nachdem sie die im Streit stehende Untersagungsverfügung vom 07.07.2005 erlassen hatte, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens des Zedenten gegen die Verfügung die zuvor ergangene Anordnung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung aufgehoben (Bescheid vom 27.07.05, im vorliegenden Verfahren nicht vorgelegt; auszugehen ist von einer Entscheidung zur Aussetzung der Vollziehung gem. § 80 IV 1 VwGO).

II.

Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, Anlass für die Schließung der Wettannahmestelle des Zedenten sei nicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung (in diesem Fall: nach deren Aufhebung erneut angeordnet durch das Landratsamt), sondern die angefochtene Ausgangsverfügung vom 07.07.2005 gewesen. Dies trifft formal betrachtet zu, ändert aber nichts daran, dass nach Einlegung des Widerspruchs und nach Aufhebung der sofortigen Vollziehung (§ 80 V 1 VwGO) der Zedent (und hiermit auch die Klägerin) zunächst nicht gehindert war, die inkriminierten Geschäfte fortzusetzen und hieraus Gewinn zu erzielen. Wäre es also im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nicht dazu gekommen, dass das Landratsamt nicht nur dem Widerspruch nicht abhilft, sondern zugleich auch noch die sofortige Vollziehung erneut anordnet, wäre der Zedent (und mit ihm auch die Klägerin) nicht gehindert gewesen, die Geschäfte fortzusetzen. Die Einstellung der Geschäfte hätte in diesem Fall allein auf dem Willensentschluss des Zedenten beruht. Dass es auf einen derartigen Willensentschluss des Zedenten im Ergebnis nicht ankam, liegt allein an der Entscheidung des staatlichen Landratsamtes, also des Zweitbeklagten, die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wiederherzustellen.

Eine diesbezügliche Verantwortlichkeit trifft die Erstbeklagte nicht; dies kann auch nicht dadurch überspielt werden, dass es ohne Erlass der Untersagungsverfügung durch die Erstbeklagte zur Frage, ob deren sofortige Vollziehung angeordnet wird oder nicht, nicht gekommen wäre. Zutreffend ist vielmehr, dass nach Ergreifen von Rechtsmitteln durch den Zedenten (nämlich Einlegung des Widerspruchs) die Erstbeklagte zur Schadensvermeidung (wenn auch nicht zur Herstellung rechtmäßiger Zustände) alles Erforderliche getan hat, indem sie die sofortige Vollziehung ausgesetzt und dem Zedenten damit das Weiterbetreiben der streitigen Geschäfte ermöglicht hat.

Die Klage gegen die Erstbeklagte ist daher abzuweisen.

D.

Die Klage gegen die Zweitbeklagte ist dem Grunde nach begründet; da zwischen den Parteien die Höhe des klägerseits entstandenen Schadens umstritten ist, und weil hierüber eine komplizierte und aufwendige Beweisaufnahme durchzuführen wäre, macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, insoweit ein Zwischenurteil über den Grund zu erlassen.

Der Anspruch der Klägerin gegen den Zweitbeklagten auf Schadensersatz folgt dem Grunde nach aus dem Rechtsinstitut des gemeinschaftsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruchs (siehe hierzu Grabitz/ Hilf - v. Bodandy/Jacob, Das Recht der Europäischen Union, Art. 340 AEUV Rn. 144 ff.). Es liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht (nunmehr: Unionsrecht) durch Organe des Beklagten, nämlich durch das Landratsamt D...-L..., das Verwaltungsgericht Regensburg und den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vor, der kausal zu dem geltend gemachten (freilich umstrittenen) Schaden in Form entgangenen Gewinns geführt hat. Hinsichtlich des Schadens reicht für den Erlass des hier vorliegenden Grundurteiles aus, dass hoch wahrscheinlich ist, dass ein noch nicht feststehender, aber feststellbarer Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist (Zöller/Vollkommer, 29. Aufl., § 304 ZPO Rn. 6). Dass ein durch die behördlicherseits erzwungene Schließung der Wettannahmestelle L... bedingter Entgang von Gewinn bei dem Zedenten bzw. bei der Klägerin eingetreten ist, ist in diesem Sinne wahrscheinlich.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht in zum Schadensersatz verpflichtender Weise "hinreichend qualifiziert", wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (siehe die Nachweise in dem Urteil des BGH v. 18.10.2012, III ZR 196/11, Rn. 16).

1.

Rechtsgrundlage für das behördliche und gerichtliche Vorgehen, das Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens des Zedenten gegen die Stadt L... und den Freistaat Bayern ist, ist der am 01.07.2004 in Kraft getretene Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland (Staatsvertrag). Als Vertragspartei dieses Staatsvertrages haftet der Zweitbeklagte für mögliche Verstöße gegen Unionsrecht: dass es sich hierbei um eine Haftung für legislatives Unrecht - also für gesetzgeberisches Handeln - handelt, steht der Haftung nicht entgegen (siehe hierzu Grabitz/ Hilf - v. Bodandy/Jacob, Das Recht der Europäischen Union, Art. 340 AEUV, Rn. 167).

2.

Dieser Staatsvertrag verstößt - wie zwischen den Parteien nicht streitig ist - in seiner damaligen Fassung gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht, nämlich gegen die Dienstleistungsfreiheit (damals: Art. 49 EG; jetzt: Art. 56 AEUV). Zur Begründung wird im Einzelnen verwiesen auf die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes in den im Urteil des BGH vom 18.10.2012 (a.a.O., Rn. 23) genannten Entscheidungen vom 08.09.2010 (siehe hierzu auch Grabitz/Hilf-Randelzhofer/Forsthoff, Das Recht der Europäischen Union, Art. 56 AEUV Rn. 116). Auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist jedenfalls seit diesen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs davon auszugehen, dass der Staatsvertrag einer unionsrechtlichen Prüfung nicht standhäit.

3.

Diesbezüglich ist auch von einem hinreichend qualifizierten Verstoß bayerischer Organe gegen das Unionsrecht auszugehen, selbst wenn - nach Auffassung des Bundesgerichtshofes - der EuGH erst durch die Entscheidungen vom 08.09.2010 seine Auffassung von der Unionsrechtswidrigkeit des Staatsvertrages klar zum Ausdruck gebracht haben sollte.

a) Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28.03.2006 (1 BVR 1054/01, NJW 2006, 1261) darauf hingewiesen, dass die Prüfungsmaßstäbe für die Rechtfertigung eines Eingriffs in die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsfreiheit einerseits, in die nationalverfassungsrechtliche Berufsfreiheit andererseits "parallel" laufen. "Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen damit denen des Grundgesetzes" (a.a.O., Rn. 144). In Verbindung mit der Feststellung, dass das streitgegenständliche Wettmonopol mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar sei (a.a.O., Rn. 145), stellt dies die unmissverständliche Aussage dar, dass das Sportwettenmonopol auch gemeinschaftsrechtlich betrachtet nicht zu rechtfertigen war. Freilich ist das Bundesverfassungsgericht, wie es selbst ausführt, im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG nicht dazu berufen, die Verletzung Europäischen Gemeinschaftsrechts zu prüfen (a.a.O., Rn. 77; vgl. hierzu auch Beyerbach EuZW 2013, 199, 200). Dies ändert aber nichts daran, dass die Anwendung und somit Auslegung Europäischen Gemeinschaftsrechts als in Deutschland anwendbaren Rechtes Sache aller deutschen Gerichte ist, somit selbstredend auch des Bundesverfassungsgerichts.

b) Dass die Aussage des höchsten deutschen Gerichtes, der Staatsvertrag sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar, Beachtung verdient, kann nicht ernstlich zweifelhaft sein. Die Kammer sieht daher davon ab, diese Frage dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV vorzuiegen. Denn es ist nach Auffassung des EuGH Sache des nationalen Gerichts, hier also der entscheidenden Kammer, zu beurteilen, ob im konkreten Einzelfall ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt (siehe hierzu Grabitz/Hilf-v. Bodandy/Jacob, Das Recht der Europäischen Union, Art. 340 AEUV, Rn. 166). Daher ist die Darstellung der Klägerseite im Schriftsatz vom 14.06.2013 (Bl. 3), deutsche Gerichte hätten "Schwierigkeiten" bei der Anwendung der Kriterien der gemeinschaftsrechtlich begründeten Staatshaftung, ebenso zutreffend wie unbehelflich. Maßgeblich ist die - nicht vom EuGH zu leistende - Anwendung der Kriterien auf den Einzelfall.

c) Unbehelflich ist auch das Vorbringen des Zweitbeklagten (Schriftsatz vom 14.06.2013, Bl. 2), den nationalen Rechtsanwendern sei selbstverständlich bekannt, dass Prüfungsmaßstab für das Bundesverfassungsgericht ausschließlich das Grundgesetz sei, nicht aber gemeinschaftsrechtliche Normen. Dies trifft zu, soweit es um den Prüfungs maßstab geht, ändert aber nichts daran, dass - wie dargestellt - auch das Bundesverfassungsgericht Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht als in Deutschland anwendbares Recht anzuwenden hat, beispielsweise wenn es um die Feststellung der in Deutschland geltenden Rechtslage geht.

4.

Im Ausgangspunkt zu Recht weist der Bundesgerichtshof im Parallelverfahren (a.a.O., Rn. 17) darauf hin, dass - um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegt - alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind.

Zu diesen Gesichtspunkten gehört nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (siehe die Nachweise im Urteil des BGH a.a.O., Rn. 17) insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen bzw. zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden.

Die Erwägungen, die der Bundesgerichtshof sodann anstellt, und die ihn zu dem Ergebnis führen, ein hinreichend qualifizierter Verstoß liege nicht vor, vermögen die Kammer nicht zu überzeugen:

5.

Zutreffend ist es zwar, dass - da dem Zweitbeklagten keine über den bloßen Vollzug der getroffenen Regelungen hinausgehenden Verstöße vorzuwerfen sind - die Prüfung sich auf die Frage der Vereinbarkeit der in Bayern im maßgeblichen Zeitraum geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht zu beschränken hat (BGH a.a.O., Rn. 20). Auch mag zutreffen, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs bis zum 08.09.2010 eine klare Aussage hinsichtiich der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Staatsvertrages vermissen lassen, insbesondere, weil offengeblieben war, inwieweit die durch die Mitgliedstaaten angeführten Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit zu überzeugen vermögen.

Verfehlt wäre es aber, in dieser Rechtsprechung ein "Verhalten eines Gemeinschaftsorgans" (BGH a.a.O., Rn. 17) zu sehen, das dazu beigetragen haben könnte, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden. Dies verkennt die Reichweite des Vorabentscheidungsverfahrens (damals: Art. 234 EG). Aufgabe des Europäischen Gerichtshofes ist es in diesem Zusammenhang nämlich ausschließlich, Aussagen zur (Gültigkeit und) Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu treffen, nicht aber, die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen (siehe hierzu Grabitz/ Hilf - Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union Art. 267 AEUV Rn. 33). Dies entspricht seit Bestehen des Europäischen Gerichtshofs der ständigen Rechtsprechung dieses Gerichts, insbesondere in Übereinstimmung mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen einschlägigen Gemeinschaftsrechtsnorm (im Ausgangspunkt: Art. 177 EWGV).

Dass der Europäische Gerichtshof somit eine Aussage über die Unvereinbarkeit des Staatsvertrages mit der Dienstleistungsfreiheit nicht getroffen hat, ist kein Verhalten eines Gemeinschaftsorgans, das dazu beigetragen haben könnte, dass gemeinschaftsrechtswidrige nationale Maßnahmen aufrechterhalten werden; diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist vielmehr Befolgung des ihm erteilten eingeschränkten Rechtsprechungsauftrages. Nicht vorstellbar und durch den Zweitbeklagten auch nicht dargestellt ist, dass hierüber ein Rechtsirrtum bei dem Zweitbeklagten bestehen konnte.

6.

Der Bundesgerichtshof erkennt an (a.a.O., Rn. 27), dass die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur dahingehend ausgelegt werden kann, dass das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertritt, dass das bayerische Sportwettenmonopol nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt habe, um als kohärent und systematisch, also als unionsrechtmäßig eingestuft werden zu können. Zutreffend führt der BGH insoweit aus: "Damit konnte für die Rechtsanwender in der Judikative und der Exekutive sowie für den Gesetzgeber auch der europarechtliche Status quo nicht mehr zweifelhaft sein."

Dem tritt die Kammer bei.

7.

Unzutreffend ist indessen die Auffassung des Bundesgerichtshofes, die Bediensteten der Beklagten hätten annehmen dürfen, dass es bis zu der von dem Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegebenen Neuregelung des Wett- und Glückspielrechts, die spätestens zum 01.01.2008 erfolgen musste, auch mit dem materiellen Europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang stand, das Angebot von Sportwetten den bisherigen Monopolinhabern vorzubehalten (BGH a.a.O., Rn. 29). Für diese Auffassung des Bundesgerichtshofes gibt es keinen rechtlich belastbaren Anhaltspunkt.

a) Zwar trifft zu, dass das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung eine Übergangsfrist bis zum 01.01.2008 zugestanden hat, freilich allein im Hinblick auf den Verstoß gegen nationales Verfassungsrecht; zu Recht verweist auch der Bundesgerichtshof (a.a.O., Rn. 27) darauf, dass auch das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben hat, ihm fehle die Zuständigkeit, einen möglichen Verstoß gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht zu prüfen (BVerfG a.a.O., Rn. 77).

b) Ein Anhaltspunkt dafür, dass das Bundesverfassungsgericht den nationalen Rechtsanwendern eine Übergangsfrist für Verstöße nicht nur gegen nationales Recht, sondern auch gegen Gemeinschaftsrecht eingeräumt habe, ist der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung weder dem Wortlaut noch dem Gedanken nach zu entnehmen.

c)

Eine Übergangsfrist für den Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht stand, wie der Europäische Gerichtshof am 08.09.2010 (C-409/06, Winner-Wetten GmbH, NVwZ 2010, 1419) entschieden hat, den nationalen Rechtsanwendern nicht zu. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es jahrelanger gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entspricht, wie er in der zuletzt genannten Entscheidung bestätigt hat, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zustehenden Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar wäre (a.a.O., Rn. 56). Der nationale Rechtsanwender hat daher unmittelbar geltende Bestimmungen des Unionsrechts (hier: Art. 49 EG) zur Anwendung zu bringen und kann nicht daran gehindert sein, die genannten Vorschriften in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet zu lassen (a.a.O., Rn. 60).

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die bayerischen Behörden und Gerichte verpflichtet waren, Art. 49 EG anzuwenden und den entgegenstehenden Staatsvertrag unangewendet zu lassen.

Ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Union - auch dies entspricht jahrelanger gefestigter Rechtsprechung, siehe z.B. Urteil vom 06.03.2007, C-292/04, Rn. 34 ff m.z.w.N. (Meilicke) - hat die Befugnis, etwa im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren die zeitlichen Wirkungen seiner Entscheidungen einzuschränken. Würden nationale Rechtsanwender - hierzu gehört auch das Bundesverfassungsgericht - für sich in Anspruch nehmen, Unionsrecht auch nur zeitweise nicht zur Anwendung zu bringen, würde dies die Einheitlichkeit der Geltung und den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts aushebeln.

d) Dies konnte nicht ernstlich zweifelhaft sein. Auf die Erwägungen des Bundesgerichtshofes, ob die nationalen Rechtsanwender darauf vertrauen durften, dass bis zum Ende der Übergangsfrist der nationale Gesetzgeber eine verfassungskonforme und damit - nach der Prämisse des Bundesverfassungsgerichts betreffend die Parallelität von Verfassungs- und Unionsrecht - auch unionsrechtskonforme Rechtslage herzustellen, kommt es nicht an.

Maßgeblich war vielmehr, ob es irgendeinen belastbaren Anhaltspunkt dafür geben konnte, dass der nationale Rechtsanwender, dem durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts klar mitgeteilt wurde, dass die nationale Rechtslage nicht nur gegen Verfassungsrecht, sondern auch gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, darauf vertrauen durfte, die Übergangsfrist betreffe nicht nur Verstöße gegen das Verfassungsrecht, sondern auch gegen das Gemeinschaftsrecht.

Hierfür ist nichts ersichtlich. Dies folgt, wie dargestellt, zum einen daraus, dass das Bundesverfassungsgericht eine seine Entscheidung tragende Prüfung über die Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Rechtslage nicht angestellt hat, sondern im Gegenteil darauf hingewiesen hat, dass es im Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 a GG nicht zur Prüfung von Unionsrecht berufen sei. Weshalb das Bundesverfassungsgericht in diesem Verfahren dennoch eine Übergangsfrist für Verstöße gegen Unionsrecht gewähren sollte bzw. inwieweit bei einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft wie dem Freistaat Bayern ein - überdies entschuldbarer - Rechtsirrtum hierüber aufkommen können sollte, ist nicht erfindlich. Zum anderen wäre das Bundesverfassungsgericht zur Gewährung von Übergangsfristen (die - wie dargestellt - allein dem EuGH Vorbehalten ist) nicht befugt. Auch insoweit wäre ein Rechtsirrtum des Freistaats nicht nachvollziehbar.

8.

Im Ergebnis haben sich daher die Rechtsanwender des Zweitbeklagten jedenfalls im hier streitgegenständlichen Geschäftsjahr 2007 über die vom Bundesverfassungsgericht zum einen unmissverständlich, zum anderen zutreffend benannte Rechtslage hinweggesetzt, ohne dass ihnen hierbei ein Rechtsirrtum zuzubilligen wäre; sie haben damit einen hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß begangen.

II.

Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt. Insoweit beruft der Zweitbeklagte sich darauf, dass schadensverursachend das Verhalten bayerischer Behörden und Gerichte aus dem Jahre 2005 und 2006 sei, dass somit Verjährungsbeginn der 31.12.2006, Verjährungsende der 31.12.2009 gewesen sei, die vorliegende Klage aber erst am 29.12.2010 eingereicht worden sei.

1.

Dies trifft insoweit zu, als von einem einheitlichen Schaden auszugehen ist, der nicht etwa für jedes Geschäftsjahr neu entsteht mit der Folge, dass ein jeweils neuer Anspruch der Verjährung ausgesetzt wäre. Unzutreffend ist daher die Auffassung, der Schaden, der durch die Geschäftsuntersagung im Jahre 2007 entstanden ist, habe noch bis 31.12.2010 unverjährt geltend gemacht werden können. Zutreffend ist vielmehr, dass es sich trotz einer fortlaufenden Schadenserhöhung nur um einen einzelnen und einheitlich verjährenden Ersatzanspruch handelt (BGH, Urteil v. 05.05.11 - III ZR 305/09, Rn. 30 f; BGH, Beschluss v. 12.10.06 - IIIZR 144/05, Rn. 34). Entstanden ist der Anspruch im Sinne des § 199 BGB, wenn eine Klage hierzu möglich ist; bei - hier vorliegenden - Schadensersatzansprüchen genügt es für den Verjährungsbeginn, wenn dem Anspruchsinhaber zumutbar ist, eine Feststellungsklage zu erheben (BGH, Urteil v. 15.03.11 - VI ZR 162/10, Rn. 8). Dass der Klägerin ab 2006 nicht möglich gewesen sei, Feststellungsklage auf Erstattung der künftig eintretenden Schäden (also beispielsweise für das Jahr 2007) zu erheben, macht die Klägerin selbst nicht geltend.

2.

Die Verjährung ist aber unterbrochen durch Gebrauchmachen verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutzes durch die Klägerin.

In der Sitzung vom 09.04.2013 (Bl. 99 d.A.) ist zwischen allen Parteien unstreitig gestellt worden, dass gegen die ursprünglich streitgegenständliche Untersagungsverfügung der Erstbeklagten vom 07.07.2005 nach wie vor ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsstreit, nunmehr in der Hauptsache, anhängig ist, in dessen Zuge die den einstweiligen Rechtsschutz betreffenden streitgegenständlichen Entscheidungen K 4 und K 5 ergangen sind.

Dies hat zur Folge, dass durch diesen verwaltungsgerichtlichen Primärrechtsschutz - in alter Terminologie - die Verjährung unterbrochen ist (BGH, Urteil v. 13.10.05 - IIIZR 234/04, Rn. 12 zu § 209 Abs. 1 BGB a.F.). Die - nach neuer Terminologie - Hemmung der Verjährung endet analog § 204 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. erst 6 Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Erledigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die bislang unstreitig nicht eingetreten ist (BGH, Urteil v. 10.02.11 - III ZR 37/10, Rn. 35 zu § 204 BGB n.F.; ebenso MünchKomm-Grothe, 6. Aufl., § 204 Rn. 12).

E.

Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Erstbeklagten; die Kostenentscheidung im Übrigen war der Endentscheidung vorzubehalten.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 1 ZPO.

Der Streitwert folgt der Klageforderung.