LAG Hamm, Urteil vom 19.02.2003 - 14 Sa 1972/02
Fundstelle
openJur 2011, 23211
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 Ga 1972/02

Eine Verletzung des Briefgeheimnisses liegt nicht vor, wenn eine Dienststelle (hier: IHK) im Rahmen ihrer Büroordnung an Mitarbeiter und zugleich an die Dienststelle adressierte Sendungen, welche nicht als persönlich oder vertraulich gekennzeichnet sind, öffnet und mit Eingangsstempel versehen an die/den betreffende(n) Mitarbeiterin/Mitarbeiter weiterleitet.

Tenor

hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm

auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2003

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Goerdeler

sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Brückner und Dau

f ü r Recht erkannt :

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 19.11.2002 1 Ga 25/02 abgeändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.) Die Klägerin verlangt im Wege der einstweiligen Verfügung, dass dem Beklagten die Öffnung und Kenntnisnahme bestimmter an sie gerichteter Postsendungen untersagt wird.

Der Beklagte leitet als Geschäftsführer die Abteilung Aus- und Weiterbildung bei der

I1xxxxxxx- und H3xxxxxxxxxxx in S3xxxx. Seit dem 01.10.2002 arbeitet die Klägerin in dieser Abteilung als Referentin für Weiterbildung. Diese Funktion hat sie schon länger inne, sie war jedoch vorher einige Jahre der Abteilung Außenwirtschaft zugeordnet, deren Leiter der jetzt in Ruhestand befindliche Geschäftsführer D1. W3xxx war. Bevor die Klägerin der Abteilung Außenwirtschaft zugeordnet wurde, war sie schon einmal in der vom Beklagten geleiteten Abteilung tätig. Dort war es jedoch, wie jetzt wieder, zu Reibungen zwischen den Parteien gekommen.

Anlass des vorliegenden Konflikts ist der Umstand, dass im Sekretariat des Beklagten die für die Klägerin bestimmte Post auch dann geöffnet wird, wenn in der Anschrift der Name der Klägerin erscheint, jedoch ein Vermerk "persönlich" oder "vertraulich" fehlt. Die Klägerin beanstandet diese Vorgehensweise und will das Öffnen solcher Post untersagt wissen.

Bei der I1xxxxxxx- und H3xxxxxxxxxxx S3xxxx existiert eine Dienst- und Büroordnung, in welcher Ziffer 50 das Öffnen und Verteilen der Eingangspost geregelt ist. Hierin heißt es, dass "Postsendungen, die nur mit persönlicher Anschrift versehen sind, den Empfängern ungeöffnet sofort zugestellt werden".

Die Klägerin sieht eingehende Post, die mit ihrem Namen adressiert ist, zugleich aber die I2x S3xxxx als Adresse angibt, als ihre Privatpost an, deren Öffnung ihr allein vorbehalten bleibe. Nachdem sie am 30.10. und 04.11.2002 derartig an sie adressierte Briefe an ihrem Arbeitsplatz erhalten hatte, die jedoch geöffnet waren, und nachdem der Beklagte sich darauf berufen hatte, dass er ein Recht zur Öffnung solcher Post habe, hat die Klägerin am 08.11.2002 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei dem Arbeitsgericht Siegen gestellt mit dem sie beantragt,

es dem Antragsgegner bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu untersagen, die an die Antragstellerin wie nachstehend wiedergegeben adressierte bei der I2x S3xxxx eingehende Post ohne Einwilligung der Antragstellerin zu öffnen bzw. öffnen zu lassen und vom Inhalt dieser Postsendungen Kenntnis zu nehmen:

Frau

B1xxxxxx F1xxxxx

I2x S3xxxx

K3xxxxxxx S4x. 13x

53xxx S3xxxx.

Der Beklagte hat beantragt,

den Verfügungsantrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, dass bei Post mit der fraglichen Adressierung es sich nicht um solche mit "persönlicher Anschrift" handle, die nach der Dienst- und Büroordnung der I2x ungeöffnet dem Adressat zuzustellen sei. Vielmehr handle es sich regelmäßig um Dienstpost, welche nach den Vorgaben der Dienst- und Büroordnung zu behandeln sei. Solche Post, die mit einem Persönlich- oder Vertraulichkeitsvermerk versehen sei, werde selbstverständlich ungeöffnet dem jeweiligen Adressaten ausgehändigt.

Das Arbeitsgericht Siegen hat durch sein am 19.11.2002 verkündetes Urteil wie folgt erkannt:

Dem Antragsgegner wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten untersagt, die an die Antragstellerin wie nachstehend wiedergegeben adressierte, bei der I2x S3xxxx eingehende, Post ohne Einwilligung der Antragstellerin zu öffnen bzw. öffnen zu lassen und vom Inhalt dieser Postsendungen Kenntnis zu nehmen:

Frau B1xxxxxx F1xxxxx

I2x S3xxxx

K3xxxxxxx S4x. 13x

53xxx S3xxxx

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass sich der Verfügungsanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 202 StGB ergebe. Denn Briefe mit der streitbefangenen Adressierung seien an die Klägerin persönlich gerichtet und dürften daher vom Antragsgegner weder geöffnet werden noch habe er sie öffnen zu lassen. Ziffer 50 der Dienst- und Büroordnung sehe nämlich ausdrücklich vor, dass Postsendungen mit persönlicher Anschrift den jeweiligen Empfängern ungeöffnet auszuhändigen seien. Als "mit persönlicher Anschrift versehen" seien auch solche Sendungen anzusehen, die die I2x S3xxxx als zusätzliche Adressierung trügen. Nur wenn diese Dienststelle vor der adressierten Person stünde, handle es sich eindeutig um Dienstpost im Sinne der Dienst- und Büroordnung. Da der Beklagte sich somit für das Öffnen der an die Klägerin adressierten Post nicht auf

Ziffer 50 der Dienst- und Büroordnung der I2x S3xxxx berufen könne, handle er unbefugt und sei als Störer für das vorliegende Unterlassungsbegehren passivlegitimiert. Da sich der Beklagte darauf berufe, nach wie vor zum Öffnen der streitbefangen adressierten Post berechtigt zu sein, bestehe die Gefahr, dass er weiterhin in die Rechtstellung der Klägerin eingreife, weshalb zugunsten Letzterer von einem Verfügungsgrund auszugehen sei.

Wegen der Ausführungen des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihm am 10.12.2002 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 19.12.2002 Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel innerhalb der gerichtlich festgesetzten Frist am 10.01.2003 begründet.

Er meint, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beklagte durch das Öffnen der an die Klägerin adressierten Post den Tatbestand der Verletzung des Briefgeheimnisses nach § 202 StGB verwirklicht habe, weshalb die Klägerin berechtigt gewesen sei, die Unterlassung gemäß § 823 Abs. 2 BGB zu fordern. In Wahrheit stehe nämlich fest, dass die fraglichen Briefsendungen in den Gewahrsam der I2x S3xxxx gelangt seien und deshalb auch von deren bevollmächtigten Mitarbeitern geöffnet werden könnten. Die Absender der fraglichen Sendungen hätten jedenfalls nicht bestimmt, dass nur die Klägerin zum Öffnen der Post befugt sei. Falsch sei auch die vom Arbeitsgericht vorgenommene Auslegung der einschlägigen Ziffer 50 der Dienst- und Büroordnung. Es müsse nämlich richtig sehen werden, dass nur solche Sendungen, die ausschließlich mit der persönlichen Anschrift von Mitarbeitern versehen seien, diesen ungeöffnet ausgehändigt werden müssten. Eine solche Adressierung liege aber im Streitfall nicht vor, weil die I2x S3xxxx immer als zusätzlicher Adressat genannt sei und damit gekennzeichnet werde, dass es sich um eine dienstlich veranlasste Sendung handle.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und meint, dass die Zusatzadressierung "I2x S3xxxx" unter ihrem Namen lediglich klarstellen solle, wo sie zu erreichen sei. Damit habe der Absender keineswegs die I2x S3xxxx als Empfängerin der Sendung bestimmt, sodass das Öffnen der Post durch den Beklagten durchaus als Verletzung des Briefgeheimnisses im Sinne des § 202 StGB zu würdigen sei. Außerdem stelle ein solches Verhalten eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts sowohl des Absenders als auch des Adressaten dar.

Der Beklagte sei auch für das vorliegende Verfahren passivlegitimiert, da er es gewesen sei, der sich unter Missachtung der geltenden Dienst- und Büroordnung für seine Abteilung das Recht vorbehalte, in die Rechtstellung der Klägerin einzugreifen.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Óbrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen, insbesondere die eingereichten eidesstattlichen Erklärungen, Bezug genommen. Bezug genommen wird auch auf die mündlichen Erklärungen im Berufungstermin vom 19.02.2003, soweit sie in der Sitzungsniederschrift vom 19.02.2003 wiedergegeben sind.

ENTSCHEIDUNGSGRÓNDE

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die auch rechtzeitig innerhalb der gesetzten Frist begründet wurde, musste in der Sache Erfolg haben. Im Einzelnen gilt Folgendes:

Die einstweilige Verfügung war aufzuheben, allerdings nicht schon deswegen, weil die Klägerin infolge der Kündigung nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz ist. Denn selbst, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wäre, wäre der Beklagte nicht berechtigt, an die Klägerin adressierte Privatpost zu öffnen oder öffnen zu lassen.

Der Verfügungsanspruch der Klägerin hat sich aber schon deshalb erledigt, weil jetzt eine Anordnung des Hauptgeschäftsführers der Industrie- und Handelskammer vom 20.11.2002 existiert, wonach Post, welche namentlich an die Klägerin gerichtet ist, nunmehr ungeöffnet an den Verwaltungsdirektor, Herrn F3xxxxxx, übergeben wird. Dieser entscheidet nach der Dienstanordnung vom 20.11.2002 "über die weitere Vorgehensweise". Das Öffnen oder Öffnenlassen von Post mit der streitbefangenen Adressierung liegt also jetzt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Der Streit hat sich somit in der Hauptsache erledigt.

Darüber hinaus war aber auch der Verfügungsantrag der Klägerin von vornherein nicht begründet. Die beantragte Unterlassung konnte sie nicht verlangen.

Soweit die Klägerin ihren Unterlassungsantrag damit begründet hat, der Beklagte verstoße durch das Öffnen der an sie adressierten Briefe gegen das Briefgeheimnis und verletze das Persönlichkeitsrecht, sodass gemäß § 823 BGB die Unterlassungsanordnung geboten sei, kann dem nicht gefolgt werden.

Eine Verletzung des Briefgeheimnisses im Sinne des § 202 StGB liegt nur vor, wenn der Täter einen verschlossenen Brief öffnet (oder öffnen lässt), der nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist. Die Bestimmung trifft regelmäßig der Absender (vgl. Lenckner in: Schönke/Schröder, Komm. zum StGB, 26. Aufl., § 202 Rn. 8).

Bei einer Adressierung wie sie im Streitfall vorliegt, geht der Absender regelmäßig davon aus, dass sein an die Dienststelle gerichteter Brief nach den dortigen Postgepflogenheiten behandelt wird, um dann an den Erstadressaten weitergeleitet zu werden. Zu den üblichen Gepflogenheiten von Behörden und Betrieben gehört es aber, dass die dort eingehende Post auf der zuständigen Poststelle geöffnet und mit einem Eingangsstempel versehen wird. Es sei denn, das betreffende Poststück enthält ausdrücklich eine persönliche Adressierung oder aus den sonstigen Umständen ist ersichtlich, dass der namentlich genannte Adressat privat oder persönlich gemeint ist. Dies kann durch den Zusatzvermerk "persönlich" oder "vertraulich" geschehen. Um solche Briefe geht es aber im vorliegenden Fall nicht. Die fraglichen Briefe an die Klägerin waren weder als Privatpost gekennzeichnet noch konnte aus dem Absender oder durch spezielle Vermerke ersehen werden, dass die I2x S3xxxx als Mitadressat vertreten durch die hierfür bevollmächtigten Mitarbeiter keine Kenntnis vom Inhalt dieser Briefe haben sollte.

Was die geltend gemachte Verletzung des Persönlichkeitsrechts angeht, so gilt hier auch das vorstehend Gesagte. Maßgebend wäre hier im Óbrigen, ob die fraglichen Briefe von ihrem Inhalt her dergestalt waren, dass durch die Kenntnisnahme Dritter, insbesondere des Beklagten, eine Beeinträchtigung der Individual-, Privat- oder Intimsphäre der Klägerin drohte oder eintrat. In dieser Beziehung ist jedoch von der Klägerin außerdem schlagwortartigen Begriff der Verletzung des Persönlichkeitsrechts nichts vorgetragen worden.

Soweit die Klägerin sich zur Begründung ihres Unterlassungsanspruchs auf die bei der I2x S3xxxx geltende Dienst- und Büroordnung beruft und deren Verletzung durch den Beklagten geltend macht, ist schon fraglich, ob Letzterer der für eine Unterlassungsverfügung richtige Adressat ist. Der Beklagte tritt in diesem Fall nicht als Privatperson auf, sondern nimmt Aufgaben seiner Arbeitgeberin wahr, sodass im Zweifelsfall diese die richtige Adressatin für eine Klage wäre mit dem Ziel, das nicht dienstgerechte Verhalten des Beklagten zu unterbinden.

Indessen bedarf es keiner vertieften Erörterung der Frage, ob für eine auf die Verletzung der Dienst- und Büroordnung gestützte Klage der Beklagte passivlegitimiert ist. Denn auch wenn diese Frage zu bejahen wäre, lag nach Meinung der Berufungskammer im Öffnen der Briefe vom 30.10.2002 und vom 04.11.2002 kein Zuwiderhandeln gegen Ziffer 50 der Dienst- und Büroordnung. Nach dieser Regelung werden Postsendungen, die nur mit persönlicher Anschrift versehen sind, den Empfängern ungeöffnet sofort zugestellt. Die fraglichen Briefe trugen aber keine persönliche Anschrift, vielmehr war die I2x S3xxxx als zusätzlicher Adressat benannt. Bei einer solchen Adressierung geht, wie schon erwähnt, der Absender davon aus, dass die Post zunächst an die Dienststelle gelangt und dort behördenmäßig behandelt an die jeweils genannte Person weitergeleitet wird. Eine persönliche Adressierung im Sinne der genannten Vorschrift läge nur vor, wenn der Brief einen Persönlichkeits- oder Vertraulichkeitsvermerk enthalten hätte oder allein die Klägerin als Empfängerin unter der Anschrift K3xxxxxxx S4x. 13x in 53xxx S3xxxx genannt wäre. Eine Adressierung wie im vorliegenden Fall besagt aber, dass die Klägerin gerade als Mitarbeiterin der I2x S3xxxx und nicht als Privatperson gemeint war.

Besteht schon nach alledem kein Verfügungsanspruch der Klägerin, so braucht auf die Frage des Verfügungsgrundes nicht näher eingegangen zu werden. Immerhin überrascht in diesem Zusammenhang, dass aus dem Vortrag der Klägerin nicht erkenntlich ist, ob sie sich überhaupt behördenintern, also gegenüber dem Hauptgeschäftsführer oder mit Hilfe der Personalvertretung um eine Postbehandlung in ihrem Sinne bemüht hat. Immerhin gehört es zu den Aufgaben des Personalrates "Anregungen und Beschwerden von Beschäftigten entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlungen mit dem Leiter der Dienststelle auf ihre Erledigung hinzuwirken" (§ 64 Ziffer 5 LPVG NW).

Da nach alledem das Rechtsmittel des Beklagten Erfolg haben musste, waren der Klägerin die Kosten des Verfahrens gemäß § 91 ZPO aufzugeben. Der Streitwert hat sich gegenüber der Vorinstanz nicht geändert.

Ein Rechtsmittel ist gegen diese Berufungsentscheidung nicht gegeben (§ 542

Abs. 2 ZPO).

gez. Goerdeler

Dr. Brückner

Dau

Hm.

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