LG Bonn, Urteil vom 29.07.2015 - 5 S 20/15
Fundstelle
openJur 2016, 11060
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 02.02.2015 (109 C 338/14) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von dem beklagten Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht Ersatz restlicher Sachverständigenkosten aus einem Verkehrsunfall.

Die Klägerin ist eine Einzugsstelle, unter anderem für KfZ-Sachverständigenhonorar. Sie finanziert in Rechnung gestellte Sachverständigenkosten abzüglich einer vereinbarten Gebühr vor und bekommt im Gegenzug die aus dem Unfallereignis entstandenen Forderungen der Unfallgeschädigten abgetreten.

Nach einem Verkehrsunfall, bezüglich dessen die volle Einstandspflicht des Unfallverursachers außer Streit steht, beauftragte der Geschädigte das Kfz-Sachverständigenbüro K mit der Erstellung eines Gutachtens zur Feststellung des aus dem Unfall resultierenden Schadens. Zu diesem Zweck unterzeichnete der Unfallgeschädigte am 29.10.2014 ein Auftragsformular (Anlage K3, Bl. ... GA), in dem es unter dem Abschnitt "Abtretung und Zahlungsanweisung" auszugsweise heißt:

"Zur Sicherung des Sachverständigenhonorars in der o. g. Angelegenheit trete ich meine Ansprüche gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs in Höhe des Honoraranspruchs zzgl. Fremdkosten einschließlich der Mehrwertsteuer des SV für die Erstellung des Beweissicherungsgutachtens erfüllungshalber an den SV ab. Die Abtretung erfolgt in der Reihenfolge: Sachverständigenkosten, Wertminderung, Nutzungsausfallentschädigung, Nebenkosten, Reparaturkosten. Dabei wird eine nachfolgende Position nur abgetreten, wenn die zuvor genannte Position nicht ausreicht, um den gesamten Honoraranspruch des SV zu decken. Sollte die Abtretung der Ansprüche den tatsächlichen Honoraranspruch übersteigen, erfolgt die Abtretung dergestalt, dass hinsichtlich der zuletzt abgetretenen Anspruchsposition ein erstrangiger Teilbetrag in Höhe des restlichen Sachverständigenhonorars abgetreten wird. [...]"

Unter "Weiterabtretung zur Geltendmachung an Verrechnungsstelle" bot der Sachverständige die vorstehend vereinbarte Forderung sodann - unter Verzicht auf den Zugang einer Annahmeerklärung - der Klägerin zur Abtretung an.

Dieses Abtretungsformular wird in vergleichbarer Form in einer Vielzahl von Fällen, auch von anderen Kunden der Klägerin, im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Klägerin verwendet.

Für die Erstellung des Gutachtens stellte der Sachverständige dem Geschädigten am 30.10.2014 einen Betrag in Höhe von 485,28 Euro in Rechnung. Die Beklagte zahlte darauf einen Betrag in Höhe von 327,13 Euro. Eine weitergehende Zahlung lehnte sie ab.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 80,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat im ersten Rechtszug beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch das den Parteien am 03.02.2015 zugestellte Urteil vom 02.02.2015 hat das Amtsgericht Bonn die Klage abgewiesen. Die Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs in Höhe des Honoraranspruchs einschließlich Mehrwertsteuer sei mangels Bestimmtheit und Bestimmbarkeit der Abtretungsvereinbarung unwirksam. Der erste Satz der Vereinbarung beschränke die von der Abtretung erfasste Forderung zwar der Höhe nach, sei ansonsten jedoch allumfassend auch hinsichtlich im Folgenden nicht aufgeführter Forderungen. Ausdrücklich beziehe sich die Abtretung auf sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche. Hieran ändere auch die später erfolgte Rangfolgebestimmung nichts. Unter diese fielen nicht all jene Ansprüche, die der Geschädigte unter Satz 1 abgetreten habe. Die Auflistung von einigen Schadenspositionen des Geschädigten solle lediglich die Reihenfolge der Abtretung und nicht den Umfang der materiellrechtlichen Ansprüche erfassen. Die Abtretung sei daher wegen der nicht aufgeführten weiteren Ansprüche trotz Beschränkung auf die Höhe nicht bestimmt und bestimmbar.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24.02.2015 eingelegten und begründeten Berufung. Sie ist der Auffassung, die Abtretungserklärung sei hinreichend bestimmt und damit wirksam. Die streitgegenständliche Abtretungsvereinbarung müsse als einheitliche Regelung gesehen werden. Der der Abtretung in Satz 1 nachfolgende Satz 2 betreffend die Reihenfolge der Abtretung beziehe sich ausdrücklich auf die vorher in Satz 1 erklärte Abtretung und konkretisiere diese. Damit entspreche die Abtretungserklärung den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zu der Frage der Bestimmtheit einer Abtretung von Forderungsmehrheiten aus einem Unfallgeschehen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 02.02.2015 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Bonn, Az. 109 C 338/14, die Beklagte zu verurteilen, an sie 80,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und ist mit dem Amtsgericht der Ansicht, dass der Umfang der Abtretung nicht hinreichend bestimmt sei.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus abgetretenem Recht auf Zahlung der geltend gemachten weiteren Sachverständigenkosten, §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, 398 BGB. Der Klägerin fehlt es an der erforderlichen Aktivlegitimation.

a)

Die dem Anspruch zu Grunde liegende Abtretungsvereinbarung ist nicht hinreichend bestimmt oder bestimmbar und daher unwirksam (anders mit abweichender Begründung etwa LG Oldenburg, Urt. v. 31.07.2014, 4 S 108/14; LG Hannover, Urt. v. 16.03.2015, 19 S 44/14; LG Köln, Urt. v. 23.04.2015, 6 S 199/14). Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Rechtslehre ist eine Abtretung aus Gründen der Rechtssicherheit nur wirksam, wenn die Forderung, die Gegenstand der Abtretung ist, bestimmt oder wenigstens bestimmbar ist (BGH, Urt. v. 25.10.1952, I ZR 48/52; BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10; Grüneberg in: Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 398 Rn 14 m.w.N.). Gegenstand und Umfang einer Forderung müssen im Wege der Auslegung so genau zu bestimmen sein, dass feststeht, wer Inhaber der jeweiligen Forderung ist; dabei muss sich auch der Schuldner in zumutbarer Weise Gewissheit darüber verschaffen können, ob und in welcher Höhe seine Verpflichtung von der Abtretung erfasst ist (vgl. BGH, Urt. v. 22.09.1965, VIII ZR 265/63, juris [Rn.5]). Bei einer Mehrheit von Forderungen ist erforderlich, in der Abtretungserklärung den Umfang der von der Abtretung erfassten Forderungen der Höhe und der Reihenfolge nach aufzuschlüsseln (BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10, juris [Rn. 7 f.]). Aus der Abtretungsvereinbarung muss sich zweifelsfrei entnehmen lassen, ob eine konkrete Forderung von der Abtretung erfasst wird (vgl. BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10, juris [Rn. 6 f.]). Die Abtretung einer Forderungsmehrheit wird diesen Anforderungen nicht gerecht, wenn nicht erkennbar ist, auf welche (Teil-) Forderungen sich die Abtretung bezieht (vgl. BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10, juris [Rn. 7 f. m.w.N.]). Es ist deshalb unzulässig, von der Gesamtsumme der Forderungen aus und im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall nur einen summenmäßig bestimmten Teil abzutreten (BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10, juris [Rn. 7]). Genau dies ist hier jedoch geschehen. Von der Abtretung umfasst sind nach der offenen Formulierung des unter dem Abschnitt "Abtretung und Zahlungsanweisung" der Abtretungserklärung angeführten Satzes 1 einschränkungslos sämtliche Ansprüche gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs. Die Abtretungserklärung betrifft damit eine Vielzahl an Forderungen und nicht lediglich unselbstständige Positionen eines einheitlichen Anspruchs. Die Abtretung ist lediglich in der Summe bis zur Höhe der Sachverständigenkosten begrenzt. In dem sich daran anschließenden Satz 2 wird zwar in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10, juris [Rn. 7 f.]) hinsichtlich eines Teils aller denkbaren Schadenspositionen eine Rangfolge aufgestellt. Der Umfang der nach Satz 1 abgetretenen Ansprüche wird indes nicht auf diese Positionen beschränkt. Die Abtretung erfasst auch danach noch eine Mehrzahl selbstständiger Forderungen, und zwar auch solche, die über die in Satz 2 konkret benannten Forderungen hinausgehen - etwa Schmerzendgeldansprüche, Verdienstausfall, Mietwagenkostenersatzansprüche etc.. Hinsichtlich der nicht konkret benannten, von der Abtretung nach Satz 1 jedoch erfassten Forderungen fehlt es an einer ausreichenden Aufschlüsselung der Höhe und der Reihenfolge nach.

Die Abtretungsvereinbarung kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass von Satz 1 der Erklärung lediglich die in Satz 2 genannten Schadenspositionen umfasst sind. Bei dem in einer Vielzahl von Fällen verwendeten Abtretungsformular handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Formularverträge sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines Durchschnittskunden objektiv und einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden wird (Ellenberger in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 133 Rn 26a; Grüneberg in: Palandt, 74. Aufl. 2015, § 305c Rn 16). Danach werden von der Abtretung einschränkungslos sämtliche Ansprüche gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs umfasst. Der Wortlaut ist eindeutig offen formuliert und umfasst generell alle Ansprüche aus dem Unfallereignis. Satz 2 wiederum regelt ausschließlich - unvollständig - die Reihenfolge, indes nicht den in Satz 1 bestimmten Umfang der Abtretung. Die dadurch weit gefasste Abtretung macht aus Sicht eines verständigen und redlichen Vertragspartners auch Sinn. Es erscheint nicht abwegig, dass die Klägerin sich zur Sicherung des Sachverständigenhonoraranspruchs möglichst umfassend die Ansprüche des Geschädigten abtreten lassen möchte. Im Übrigen gehen bestehende Unklarheiten bei der Auslegung zu Lasten der Klägerin, § 305c Abs. 2 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 07.06.2011, VI ZR 260/10, juris [Rn. 8]).

Die von der Klägerin vorgelegten Urteile anderer Gerichte, insbesondere des Landgerichts Köln vom 23.04.2015, 6 S 199/14, veranlassen keine anderweitige Beurteilung der Rechtslage. Die dortigen Entscheidungsgründe befassen sich zwar mit der Frage der Bestimmtheit der Abtretungsvereinbarung, setzen sich indes nicht mit der hier aufgeworfenen Problematik auseinander.

b)

Zudem ist die Abtretung auch wegen Verstoßes gegen das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelte Transparenzgebot unwirksam. Danach sind in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die jeweiligen Rechte und Pflichten möglichst klar, einfach und präzise darzustellen (Grüneberg, in: Palandt, 74. Auflage 2015, § 307 Rn. 21). Diesen Anforderungen entspricht die streitgegenständliche Abtretungserklärung nicht. Denn die Abtretungserklärung lässt aufgrund der Widersprüche in Satz 1 und Satz 2 jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit und damit möglichst klar und präzise erkennen, ob nunmehr alle Ansprüche abgetreten sind oder aber nur die in Satz 2 aufgelisteten. Eine eindeutige Regelung, die keinerlei vernünftige Zweifel aufkommen lässt, ist nicht gegeben. Der Unfallgeschädigte / Zedent kann angesichts der in Satz 1 und 2 auftretenden Unklarheiten in der Abtretungserklärung beispielsweise nicht mit hinreichender Sicherheit für sich in Anspruch nehmen, Forderungsinhaber eines etwaigen Verdienstausfallanspruchs zu sein. Bei der Geltendmachung eines solchen Anspruchs gegenüber dem Unfallgegner stünde nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass er diesen mit Erfolg für sich beanspruchen könnte. Ein solcher Verstoß gegen das Transparenzgebot führt zur Unwirksamkeit der Klausel (vgl. dazu Grüneberg, in: Palandt, 74. Auflage 2015, § 307 Rn. 24). Denn die Verletzung des Transparenzgebots begründet die Gefahr einer sachlichen Benachteiligung - wie das vorgenannte Beispiel bezüglich der Durchsetzung eines Verdienstausfallschadens zeigt.

2.

Mangels Begründetheit des Hauptanspruchs war die Klage auch bezüglich des als Nebenforderung geltend gemachten Zinsanspruchs als unbegründet abzuweisen.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4.

Die Revision war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die streitgegenständliche Abtretungserklärung wird in dieser oder vergleichbarer Form tagtäglich von Sachverständigen und anderen Dienstleistern im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Klägerin verwendet. Die Rechtsfrage, ob die Abtretungsvereinbarung den Bestimmtheitsanforderungen genügt, wird sich daher in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen künftiger Rechtsstreitigkeiten stellen und wirft mithin ein besonderes Interesse für die Allgemeinheit auf.

Die Revision war zudem zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO), dies im Hinblick auf die zu vergleichbaren Abtretungserklärungen ergangenen unterschiedlichen amts- und landgerichtlichen Entscheidungen.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 80,76 €.