OLG Celle, Beschluss vom 11.01.2016 - 1 Ws 9/16
Fundstelle
openJur 2016, 9207
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit er den Zeitraum ab dem 19. August 2014 betrifft.

Es wird festgestellt, dass dem Antragsteller dem Grunde nach Entschädigung für die erlittene Freiheitsentziehung ab dem 19. August 2014 zusteht.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Gebühr für die Beschwerde wird jedoch um 1/2 ermäßigt. Im selben Umfang trägt die Landeskasse die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

Mit Antragsschrift der Staatsanwaltschaft vom 28. Juni 2012 wurde dem Antragsteller zur Last gelegt, am 1. April 2011 in H. die Schalterperson einer Sparkassenfiliale wiederholt als „Dreck“ bezeichnet und mit dem Abschneiden von Körperteilen sowie der Tötung bedroht zu haben. Zur Unterstreichung habe der Antragsteller aus einer Sporttasche ein Samuraischwert gezogen und in Richtung des bedrohten Zeugen gehalten. Aufgrund eines Sachverständigengutachtens, wonach bei dem Antragsteller eine chronifizierte schizomanische Störung sowie eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bestehe, ging die Anklagebehörde davon aus, dass eine Schuldunfähigkeit i. S. von § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden konnte und der Antragsteller sich bei der Tat in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit i. S. von § 21 StGB befand.

Während der laufenden Hauptverhandlung erschien der Antragsteller am 9. Dezember 2013 nicht zum Termin, weshalb die Kammer am selben Tag Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erließ. Der Antragsteller wurde am 10. Dezember 2013 festgenommen. Mit Urteil vom 8. Januar 2014 ordnete die Kammer die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus an und erließ zugleich Unterbringungsbefehl nach § 126 a StPO, der noch am selben Tag vollzogen wurde.

Auf die Revision des Antragstellers hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 19. August 2014 das Urteil der Kammer auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hannover zurück (3 StR 243/14). In dem Beschluss wird ausgeführt, dass die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtlicher Nachprüfung nicht stand halte. Zwar könne eine Bedrohung eine Straftat der mittleren Kriminalität darstellen, welche die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag. Nach den Feststellungen sei die Schwelle zur Erheblichkeit jedoch nur geringfügig überschritten. Den daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit würden die Darlegungen im Urteil nicht gerecht. Es sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sich nach dem Ausstoßen der Drohungen letztlich selbst wieder beruhigt und die Geschäftsräume ohne fremdes Zutun verlassen habe. Auch bei einem früheren Geschehen sei er über verbale Drohungen nicht hinausgegangen und habe sich aufgrund des Zuredens eines Polizeibeamten zum Aufgeben entschlossen. Seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Jahre 2015 habe die Krisenintervention überwiegend durch freiwillige Aufenthalte in Kliniken u. ä. stattgefunden. Zudem sei eine Heilung und deutliche Verbesserung des Zustandes des Antragstellers durch die Maßregel nicht mehr zu erwarten.

Diese Entscheidung wurde beim Bundesgerichtshof am 19. Januar 2015 abverfügt, sodass der Vorgang erst am 6. Februar 2015 bei der Staatsanwaltschaft und am 16. Februar 2015 beim Landgericht Hannover einging. Die Kammer hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft ohne weitere Begründung am 24. Februar 2015 den Unterbringungsbefehl aufgehoben.

Am 19. Oktober 2015 ist der Antragsteller wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 35 € verurteilt worden, nachdem aufgrund eines neuen Sachverständigengutachtens Schuldunfähigkeit sicher ausgeschlossen werden konnte. Von einer Maßregel nach § 63 StGB hat die Kammer aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgesehen.

Unter dem 29. Oktober 2015 hat der Antragsteller beantragt, wegen der erlittenen Untersuchungshaft und Unterbringung die Entschädigungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG dem Grunde nach festzustellen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Kammer den Antrag abgelehnt, weil der Antragsteller die Anordnung der vorläufigen Unterbringung gemäß § 126 a StPO vorsätzlich herbeigeführt habe, sodass eine Entschädigung ausgeschlossen sei (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG). Auch wenn der Antragsteller ein erhebliches Sonderopfer erbracht habe, sehe die Kammer keinen Grund, im Rahmen der Ermessensausübung vom Regelfall der Entschädigungsversagung abweichen. Denn die ursprünglich erkennende Kammer habe zunächst zu Recht von einer nicht ausschließbar aufgehobenen Steuerungsfähigkeit und dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB ausgehen müssen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung hätten nie vorgelegen. Zudem könne die Verzögerung, die durch die Abverfügung des Vorgangs beim Bundesgerichtshof erst am 19. Januar 2015 erfolgte, nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, da bereits kein Entschädigungstatbestand nach § 1 oder § 2 StrEG vorliege.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG) und teilweise auch begründet. Im Übrigen war ihr der Erfolg zu versagen.

1. Zwar trifft zunächst zu, dass ein Entschädigungstatbestand nach § 1 oder § 2 StrEG nicht vorliegt, da die mit Urteil vom 8. Januar 2014 angeordnete Unterbringung nicht infolge eines Wiederaufnahmeverfahrens oder auf sonstige Art und Weise, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, fortgefallen oder gemildert wurde (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 StrEG) und der Antragsteller wegen der ihm vorgeworfenen Tat letztlich auch verurteilt worden ist (§ 2 Abs. 1 StrEG). Daneben kommt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 aber auch eine Entschädigung aus Billigkeitsgesichtspunkten in Betracht, wenn - wie hier - die Rechtsfolge im Urteil geringer ist als die erlittene Strafverfolgungsmaßnahme.

2. Hinsichtlich der erlittenen Untersuchungshaft stand jedoch der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 3 StrEG entgegen, weil der Antragsteller einer ordnungsgemäßen Ladung vor die Kammer nicht Folge geleistet hatte.

3. Hinsichtlich der erlittenen Unterbringung war zu differenzieren.

a) Gemäß § 5 Abs. 2 StrEG ist eine Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die erlittene Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Dieser Ausschlusstatbestand greift auch bei Gewährung einer Billigkeitsentschädigung nach § 4 StrEG durch (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 5 StrEG Rdnr. 1). Danach darf der Antragsteller den Erlass des Unterbringungsbefehls nicht durch sein eigenes Verhalten verursacht haben. Da der Kreis der möglichen Verhaltensweisen in § 5 Abs. 2 StrEG nicht näher beschränkt wird, kann das maßgebliche Verhalten in der Tat selbst, im Vor- und Nachtatverhalten oder im Prozessverhalten begründet sein (vgl. OLG Celle, StraFo 2011, 159).

Vorliegend hat die Tat selbst den Ausschluss einer Entschädigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG zunächst begründet. Diese Tat ist durch das Urteil der Kammer vom 19. Oktober 2015 auch bindend festgestellt. Dem Antragsteller musste bewusst sein, dass er im Fall der Bedrohung des Sparkassenmitarbeiters mit einem Samuraischwert damit rechnen musste, freiheitsentziehende Maßnahmen zu erfahren. Aus Sicht der Kammer lag dem Urteil vom 8. Januar 2014 folgend auch dringender Tatverdacht dafür vor, dass der Antragsteller in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Mit Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG war für eine Ermessensentscheidung, wie sie die Kammer vorgenommen hat, mithin kein Raum mehr.

b) Etwas anderes gilt für die Zeit, nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil vom 8. Januar 2014 aufgehoben hatte. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stellt insoweit eine Zäsur dar, durch die sich die Zurechnungsgrundlagen für die erlittene Freiheitsentziehung geändert haben. Ab diesem Zeitpunkt war nicht mehr das Verhalten des Antragstellers bei der Tat maßgeblich. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind nämlich genügend Hinweise darauf zu entnehmen, dass es voraussichtlich zu einer Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht kommen werde. Insoweit hat auch die Kammer nach Eingang der Akten, ohne zuvor ein neues Sachverständigengutachten eingeholt zu haben, den Unterbringungsbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben.

c) Mit Wegfall des Ausschlusstatbestandes des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG war demnach im Rahmen der Ermessensentscheidung dem Antragsteller Entschädigung dem Grunde nach zu gewähren. Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass das Verfahren nicht mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden ist. Erkenntnisse darüber, warum zwischen dem Zeitpunkt des Beschlusses und der Abverfügung des Vorgangs beim Bundesgerichtshof noch 5 Monate verstrichen sind, liegen nicht vor. Bei Beachtung des erforderlichen Beschleunigungsgrundsatzes wäre die Entscheidung der Kammer, den Unterbringungsbefehl aufzuheben, zeitnah zum Beschluss des Bundesgerichtshofs zu erwarten gewesen. Dies rechtfertigt es nach Ansicht des Senates, dem Antragsteller die Entschädigung ab dem 19. August 2014 zu bewilligen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.