VG Köln, Urteil vom 19.09.2014 - 19 K 158/14
Fundstelle
openJur 2016, 10604
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 12 A 2145/14
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11. 12. 2013 verpflichtet, dem Kläger mit sofortiger Wirkung eine ganztägige Betreuung in einer wohnortnahen städtischen Kindertageseinrichtung zur Verfügung zu stellen, die nicht weiter als 5,0 km (Wegstreckenentfernung) vom Wohnort des Klägers entfernt liegt.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der am 00. 00. 0000 geborene Kläger beantragte am 24. 04. 2013 bei der Beklagten, ihm ab dem 01. 01. 2014 einen Betreuungsplatz in einer städtischen Kindertageseinrichtung (Kita) zur Verfügung zu stellen.

Mit Bescheid vom 11. 12. 2013 teilte die Beklagte den Eltern des Klägers mit, dass alle Betreuungsplätze in wohnortnahen städtischen Kindertageseinrichtungen belegt seien. Sie bot dem Kläger einen Platz in der Kindertagespflege an. Sie habe 5 Träger der freien Jugendhilfe beauftragt, freie Betreuungsplätze in der Kindertagespflege passgenau zu vermitteln.

Der Kläger hat am 19. 12. 2013 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er unter anderem vor, die Beklagte habe den ihm zustehenden Anspruch auf frühkindliche Förderung durch das Angebot von Betreuungsplätzen in der Kindertagespflege vom 11. 12. 2013 nicht erfüllt. Die Förderung in der Kindertagespflege sei nicht gleichwertig mit der Förderung in Kindertageseinrichtungen. Der Kläger habe ein Wahlrecht zwischen der Förderung in der Kindertagespflege und der Förderung in einer Kindertageseinrichtung, das auch im Falle erschöpfter Kapazitäten weiter bestehe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. 12. 2013 zu verpflichten, ihm mit sofortiger Wirkung eine ganztägige Betreuung in einer wohnortnahen städtischen Kindertageseinrichtung zur Verfügung zu stellen, die nicht weiter als 5,0 km (Wegstreckenentfernung) vom Wohnort des Klägers entfernt liegt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sie den Anspruch des Klägers auf frühkindliche Förderung bereits durch den Nachweis von Plätzen in der Kindertagespflege erfüllt habe. Die Betreuung in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege seien gleichwertige Betreuungsformen. Die angebotenen Tagespflegepersonen würden neben dem pauschalierten Kostenbeitrag nunmehr auch keine Zuzahlungen mehr verlangen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.

Dem Kläger steht gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung (SGB VIII n.F., BGBl. I 2008, 2403) ein Anspruch auf die Zuweisung eines Betreuungsplatzes in einer wohnortnahen städtischen Kindertageseinrichtung zu. Nach der genannten Bestimmung hat ein Kind, das wie der Kläger das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege.

Die Beklagte hat den Rechtsanspruch des Klägers auf frühkindliche Förderung nicht mit dem Hinweisschreiben vom 11. 12. 2013 erfüllt. In diesem Schreiben hatte sie darauf hingewiesen, dass sie sich bislang vergeblich bemüht habe, dem Kläger einen Platz in einer städtischen Kindertageseinrichtung anbieten zu können. Sie biete dem Kläger einen Platz in der Kindertagespflege an. Sie habe 5 Träger der freien Jugendhilfe beauftragt, freie Betreuungsplätze in der Kindertagespflege passgenau zu vermitteln. Es seien ausreichend Betreuungsplätze in der Kindertagespflege vorhanden.

Der in § 24 Abs. 2 SGB VIII n.F. geregelte Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege begründet ein Recht auf zwei nebeneinander bestehende Betreuungsformen, für die sich die Eltern stellvertretend für ihr Kind alternativ entscheiden können. Der öffentliche Träger der Jugendhilfe ist nicht befugt, die Personensorgeberechtigten gegen deren Willen auf einen Kindertagespflegeplatz zu verweisen,

vgl. Lakies, in : FK-SGB VIII, 7. Aufl., § 24 Rn. 67 f.; Rixen, NJW 2012, 2839, 2840 f.

Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG) gebieten es, den Eltern als Vertreter für ihr Kind das Bestimmungsrecht für die Wahl zwischen der Betreuung in einer Tageseinrichtung und der Tagespflege einzuräumen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte für die Wahl zwischen den für frühkindliche Förderung in Betracht kommenden Betreuungsformen ausschließlich der Wille der Eltern maßgeblich sein,

vgl. die Begründung der Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und SPD zu § 24 Abs. 2 SGB VIII n.F., BT-Drs. 16/9299, S. 15: "Dieser Rechtsanspruch wird entsprechend den Wünschen bzw. Bedürfnissen des Kindes und der Eltern sowohl in Tageseinrichtungen...als auch in der Kindertagespflege...erfüllt."; die damalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von der Leyen in der 2. Lesung des Bundestages, BT-PlPr. 16/180, S. 19236 (D): "...2013 wird jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kita oder in der Tagespflege haben... Wir unterstützen diesen Weg mit 4 Milliarden Euro; denn wir wollen mehr frühe Bildung und echte Wahlfreiheit für Eltern herstellen. Echte Wahlfreiheit heißt dabei für mich auch: Wir werden den Eltern nicht vorschreiben, wo und wie sie ihre Kinder betreuen und fördern. Sie sollen selbst organisieren, wie sie ihren Alltag mit Kindern leben, ob zu Hause, in einer altersgemischten Gruppe, einer Krippe oder der Kindertagespflege, ob wohnortnah oder betriebsnah. Wie immer sie ihren Alltag organisieren wollen, das liegt alleine im Ermessen der Eltern."

Der Auffassung des OVG NRW, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Personensorgeberechtigten gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII kapazitätsabhängig sei und deshalb seine Grenze finde, wenn keine Plätze in der gewünschten Betreuungsform mehr vorhanden seien,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.08.2013 - 12 B 793/13 -, juris,

folgt die Kammer nicht. Die Beschränkung des elterlichen Wunsch- und Wahlrechts auf die Kapazität vorhandener Plätze in der gewünschten Betreuungsform ließe außer Acht, dass der Gesetzgeber mit der zum 01.08.2013 in Kraft getretenen Neufassung des § 24 Abs. 2 SGB VIII einen subjektiven Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung für Kinder ab dem ersten Lebensjahr eingeführt hat. Dadurch dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 24 Abs. 2 SGB VIII für Kinder ab dem ersten Lebensjahr nicht nur eine objektivrechtliche Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe, sondern vielmehr einen einklagbaren subjektiven Alternativanspruch des Kindes begründet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass der Träger der Jugendhilfe sich nicht mit Erfolg auf eine Kapazitätserschöpfung berufen kann, sondern die erforderliche Kapazität an geeigneten Plätzen in den Betreuungsformen der frühkindlichen Förderung gem. § 24 Abs. 2 SGB VIII zu schaffen hat,

vgl. zum Rechtsanspruch der über dreijährigen Kinder Lakies, in: FK-SGB VIII, 7. Aufl., § 24 Rn. 26 ff. ; Georgii, NJW 1996, 686, 688.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr.3, 4 VwGO gegeben sind.