LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.06.2016 - 1/15
Fundstelle
openJur 2016, 7520
  • Rkr:
Tenor

Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller dadurch in seinen Rechten aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern verletzt, dass sie dessen Kleine Anfrage auf Landtagsdrucksache 6/4036 vom 16. Juni 2015 nicht vollständig beantwortet hat.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Antragsteller seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

Der Antragsteller gehört in der laufenden 6. Wahlperiode als Abgeordneter dem Landtag Mecklenburg-Vorpommern an und ist Mitglied der Fraktion der NPD. Gegenstand des vorliegenden Organstreitverfahrens ist die Frage, ob er in seinem parlamentarischen Frage- und Auskunftsrecht verletzt worden ist.

Im Rahmen einer Kleinen Anfrage zur „Asylkriminalität in Barth" (Kleine Anfrage auf Landtagsdrucksache 6/4036 vom 16. Juni 2015) erfragte der Antragsteller unter anderem auch Vorstrafen, Alter und Nationalitäten der Verdächtigen. Hintergrund waren Zwischenfälle in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber der Stadt Barth, in deren Rahmen es zu körperlichen Auseinandersetzungen und Straftaten unter den Bewohnern der Einrichtung gekommen sein soll.

Die Landesregierung antwortete mit Drucksache 6/4036 vom 16. Juni 2015, die Auskünfte zu Alter, Nationalität und Vorstrafen könnten nicht erteilt werden, "da datenschutzrechtliche Bestimmungen die Bekanntgabe solcher personenbezogenen Daten verbieten, die eine Identifizierung der betreffenden Personen ermöglichen würden. Dieses wäre anderenfalls jedoch wegen der geringen Anzahl an Sachverhalten bzw. tatverdächtigen Personen gegeben."

Der Antragsteller hat am 03. Juli 2015 das vorliegende Organstreitverfahren bei dem Landesverfassungsgericht anhängig gemacht. Er rügt, die Antragsgegnerin habe seine Kleine Anfrage nicht vollständig beantwortet.

Er beantragt,

festzustellen, dass die Antragsgegnerin das parlamentarische Fragerecht des Antragstellers aus Artikel 40 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern dadurch verletzt hat, dass sie die Kleine Anfrage des Antragstellers auf Landtagsdrucksache 6/4036 nicht vollständig beantwortet hat,

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

In ihrer Antragserwiderung vom 09. Oktober 2015 ergänzte die Antragsgegnerin ihre ablehnende Entscheidung mit Blick auf das Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht. Sie trägt neben umfangreichen weiteren Rechtsausführungen vor:

Die Preisgabe der Daten wäre datenschutzrechtlich nicht gerechtfertigt gewesen. Beschränkungen des Informationsrechts könnten sich aus den Grundrechten ergeben, wenn Informationen der Landesregierung Daten enthielten, deren Weitergabe schutzwürdige Interessen Einzelner beeinträchtigte. Eingriffe in Grundrechte könnten sich im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts im Zusammenhang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, welches auch als Datenschutzgrundrecht in Art. 6 Abs. 1 LV seine Ausprägung gefunden habe, sowie dem durch Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnis ergeben. Insoweit sei eine Abwägung erforderlich.

Die vollständige Beantwortung der Kleinen Anfrage hätte zur Preisgabe personenbezogener Daten geführt. Eine hinreichende Anonymisierung sei nicht möglich gewesen, denn in der Unterkunft habe es nur zwei bzw. eine Person der betreffenden Nationalität und des betreffenden Alters gegeben. Eingriffe in Grundrechte müssten nur hingenommen werden, wenn sie verhältnismäßig sind, d. h. wenn ein legitimer Zweck mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgt wird. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 des Landesdatenschutzgesetzes - DSG M-V - dürften Daten nur für den Zweck verwendet werden, für den sie erhoben sind, hier zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens. Sie sollten aber jetzt zur Erfüllung der Auskunftspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament gebraucht werden. Dies sei unzulässig.

Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

B.

Der Antrag im Organstreitverfahren ist zulässig.

Der Rechtsweg zum Landesverfassungsgericht ist für das vorliegende Organstreitverfahren gemäß Art. 53 Nr. 1 der Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern - LV -, § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern - LVerfGG - gegeben. Der Antragsteller ist als Mitglied des Landtages Mecklenburg-Vorpommern beteiligtenfähig. Er ist als Abgeordneter in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV und § 62 Abs. 1, § 64 der Geschäftsordnung des Landtages (GO LT) mit eigenen Rechten ausgestattet und damit "anderer Beteiligter” im Sinne von Art. 53 Nr. 1 LV und § 11 Abs. 1 Nr. 1 LVerfGG. Die Antragsgegnerin ist als oberstes Landesorgan (Art. 41 Abs. 1 LV) beteiligtenfähig.

Der Antragsteller ist nach § 37 Abs. 1 LVerfGG antragsbefugt. Danach ist der Antrag zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Landesverfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Hierzu trägt der Antragsteller vor, durch unzureichende Antworten der Antragsgegnerin auf seine Kleine Anfrage in seinen Rechten aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV verletzt zu sein. Danach erscheint eine Rechtsverletzung jedenfalls möglich.

Auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Im Antrag ist mit Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV die Bestimmung der Landesverfassung bezeichnet, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen worden sein soll (§ 37 Abs. 2 LVerfGG). Die Frist nach § 37 Abs. 3 LVerfGG ist gewahrt. Dem Antragsteller steht für die begehrte verfassungsgerichtliche Klärung auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite, das regelmäßig durch das Vorliegen der Antragsbefugnis indiziert wird (LVerfG M-V, Urt. v. 23. 01. 2014 - LVerfG 8/13 -, S. 7 m. w. N.). Alternative, in ihrer Wirksamkeit gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen für den Antragsteller nicht.

C.

Der Antrag erweist sich auch als begründet.

I.

Die verfassungsrechtliche Pflicht der Landesregierung, auf parlamentarische Anfragen unverzüglich, nach besten Wissen und vollständig Rede und Antwort zu stehen, ergibt sich grundsätzlich aus Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV. Diese Pflicht besteht gleichermaßen gegenüber allen frei gewählten Abgeordneten des Landtages, unabhängig davon, welcher Partei sie angehören (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 LV). Die Antworten sollen dazu dienen, dem Landtag und den einzelnen Abgeordneten die für ihre Tätigkeit, insbesondere für die Kontrolle der Verwaltung nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen. Die Landesregierung schafft so die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit innerhalb des Parlaments. Dabei gebietet gerade die starke Stellung der Regierung im Verfassungsgefüge eine Auslegung der Verfassung dahin, dass parlamentarische Kontrolle auch tatsächlich wirksam werden kann. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht und seine Kontrollpflicht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufklärung möglicher Rechtsverstöße und Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht (BVerfGE 139, 194, 223 Rn. 104 ff. mit zahlreichen w. N.).

Das demokratisch-parlamentarische Regierungssystem wird auch durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt. Die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung verwirklicht ferner den Grundsatz der Gewaltenteilung, der auch für die Landesverfassung ein tragendes Funktions- und Organisationsprinzip darstellt. Die Kontrollfunktion ist zugleich Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und gestaltet damit den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Dieser setzt voraus, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die Staatsorgane hat. Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird unter anderem durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung und durch den politischen Einfluss auf die Regierung hergestellt. Das Ausgehen aller Staatsgewalt vom Volke muss konkret erfahrbar und praktisch wirksam sein. Es muss ein hinreichender Gehalt an demokratischer Legitimität erreicht werden, denn nur das vom Volk gewählte Parlament kann den Organ- und Funktionsträgern der Verwaltung auf allen ihren Ebenen durch eine ununterbrochene Legitimationskette demokratische Legitimation vermitteln (BVerfGE 139, 194, 223 a.a.O.).

Aus diesen Ausführungen folgt die herausragende Bedeutung des Frage- und Informationsrechts des Landtages und seiner Abgeordneten gegenüber der Landesregierung. Die Erteilung der Informationen muss der Normalfall, die Verweigerung darf nur die seltene Ausnahme sein.

II.

Dem trägt insbesondere auch die Landesverfassung durch eine ausdrückliche Regelung in Art. 40 LV Rechnung. Dieses Recht, das wie dargelegt in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung steht, gehört zu den grundlegenden Rechten jedes (Landtags-) Abgeordneten. Mit ihm kann die Landesregierung gleichsam als Mittel der Fremdinformation in die Pflicht genommen werden. Mit dem Fragerecht korrespondiert grundsätzlich eine Antwortpflicht der Landesregierung. Diese verfügt als Spitze der Landesverwaltung über die Mittel für eine umfassende Sammlung, Sichtung und Aufbereitung der für die Staatsaufgaben erforderlichen Informationen. Ihr steht es grundsätzlich nicht zu, die Zielrichtung, Notwendigkeit oder gar Zweckmäßigkeit von Fragen der Abgeordneten zu beurteilen oder zu hinterfragen. Vielmehr müssen Abgeordnete selbst darüber befinden können, welcher Informationen sie für die verantwortliche Erfüllung ihrer Aufgaben bedürfen. Die Verweigerung von Auskünften wegen eines Missbrauchs des Fragerechts kommt nur ausnahmsweise und nur dann in Betracht, wenn die Landesregierung dies durch greifbare Tatsachen belegen kann (LVerfG M-V, Urt. v. 23.01.2014 - LVerfG 8/13 -, S. 8 f. m. w. N.;SächsVerfGH, Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 67-I-15 -, juris Rn. 53; Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 63-I-15 -, juris Rn. 45 ff.).

Nach bestem Wissen vollständig im Sinne von Art. 40 Abs. 1 Satz 1 LV ist die Antwort, wenn die Landesregierung alle Informationen, über die sie verfügt oder mit angemessenem Aufwand verfügen könnte, lückenlos mitteilt und nichts, was bekannt ist oder mit zumutbarem Aufwand hätte in Erfahrung gebracht werden können, verschweigt (vgl. schon LVerfG M-V, Beschl. v. 19.02.2002 - LVerfG 5/02 -, LVerfGE 13, 284, 296 m. w. N.; BayVerfGH, Entsch. v. 20.03.2014 - Vf. 72-IVa-12 -, juris Rn. 76). Nicht vollständig ist auch eine ausweichende Antwort. Es müssen alle Tatsachen und Umstände mitgeteilt werden, die für das Verständnis und den Inhalt der Antwort von wesentlicher Bedeutung sind. Soweit sich der parlamentarische Informationsanspruch auf länger zurückliegende Vorgänge erstreckt, die etwa den Verantwortungsbereich früherer Regierungen betreffen, können die Landesregierung im Rahmen des Zumutbaren Rekonstruktionspflichten treffen. Bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Erteilung einer vollständigen Auskunft verbleibt dem Abgeordneten grundsätzlich ein Anspruch auf eine Teilantwort, soweit einer solchen nicht ihrerseits Verweigerungsgründe entgegen stehen (LVerfG M-V, Urt. v. 23.01.2014 - LVerfG 8/13 -, S. 8).

III.

Die beschriebenen Pflichten der Landesregierung bestehen allerdings nicht ausnahmslos (vgl. Art. 40 Abs. 3 LV). Danach kann die Landesregierung die Erteilung von Auskünften dann ablehnen, wenn dem Bekanntwerden des Inhalts gesetzliche Vorschriften oder Staatsgeheimnisse oder schutzwürdige Interessen einzelner, insbesondere des Datenschutzes, entgegenstehen. Letzteres käme hier theoretisch in Betracht, im Übrigen sind die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Weigerung der von der Landesregierung gegebenen Begründung zumindest nicht zu entnehmen. Denn für ein Staatsgeheimnis oder einen Verstoß gegen zwingendes Recht durch die Auskunft ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.

Aus der verfassungsrechtlich verankerten Antwortpflicht folgt aber zugleich, dass die Landesregierung Hinderungsgründe substantiiert und nachprüfbar darlegen muss (LVerfG M-V, Urt. v. 23.01.2014 - LVerfG 8/13 -, S. 8, 12 m. w. N.). Dies ist unentbehrliche Grundlage für eine verfassungsgerichtliche Kontrolle. Ein Recht auf Verweigerung der verlangten Information ist schlüssig zu begründen. Verweigert die Landesregierung ganz oder teilweise die Beantwortung von Fragen eines Abgeordneten, muss sie die von ihr für maßgeblich erachteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte darlegen. Eine Begründung darf nicht inhaltsleer sein, sondern muss eine Sachaussage enthalten. Sie darf nicht formelhaft sein, sondern muss spezifischen Einzelfallbezug haben, und sie muss nachvollziehbar sein, also überprüfbare Anknüpfungstatsachen benennen. Der bloße Hinweis auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe, die dem Fragerecht Grenzen setzen, oder seine Wiederholung genügt in keinem Fall (LVerfG M-V, Urt. v. 23.01.2014 - LVerfG 8/13 -, a.a.O.).

Es sind in einer für den Fragesteller nachvollziehbaren Weise plausible Gründe für die Verweigerung darzulegen, damit diese nachvollziehbar wird und es dem anfragenden Abgeordneten möglich ist, Tragfähigkeit sowie Plausibilität zu prüfen und gegebenenfalls „nachzubessern“, in eine politische Auseinandersetzung über die Verfahrensweise einzutreten oder ein Organstreitverfahren einzuleiten. Die Verweigerung von Auskünften kommt nur dann in Betracht, wenn die Landesregierung die Ablehnung durch greifbare Tatsachen unterlegen kann. Nicht alle Abgeordneten sind Juristen. Dem hat die Begründung Rechnung zu tragen. Die Verweigerung einer Antwort in der Sache ist nur dann verfassungsgemäß, wenn die von der Landesregierung hierfür angeführte Begründung die Antwortverweigerung rechtfertigt. Dies setzt voraus, dass die wesentlichen Gesichtspunkte benannt werden, die eine Antwortverweigerung objektiv tragen. Hierzu muss die Landesregierung alle wesentlichen Gesichtspunkte, die eine Antwortverweigerung stützen, benennen und in ihre Überlegungen einbeziehen (LVerfG M-V, Urt. v. 23.01.2014 - LVerfG 8/13 -, S. 8; SächsVerfGH, Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 63-I-15 -, juris Rn. 47 f.; Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 81-I-15 -, juris Rn. 17; Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 67-I-15 -, juris Rn. 53 und Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 68-I-15 -, juris Rn. 53; VerfGH NRW, Urt. v. 15.12.2015 - VerfGH 12/14 -, juris Rn. 127 m. w. N.; BayVerfGH, Entsch. v. 20.03.2014 - Vf. 72-IVa-12 -, juris Rn. 86 ff.).

IV.

Um die Erfüllung der Antwortpflicht nach Art. 40 Abs. 1 LV unter Berufung auf den Datenschutz verfassungskonform verweigern zu können, muss die Landesregierung zunächst den rechtlichen Rahmen des Datenschutzes prüfen und dann gegebenenfalls eine fehlerfreie, detaillierte und nachvollziehbare Abwägung zwischen den verfassungs- und den datenschutzrechtlichen Belangen durchführen (LVerfG LSA, Urt. v. 25.01.2016 - LVG 6/15 -, juris Rn. 78; Urt. v. 17.09.2013 - LVG 14/12 -, LVerfGE 24, 445, 463 f.; BayVerfGH, Entsch. v. 20.03.2014 - Vf. 72-IVa-12 -, juris Rn. 84 m. w. N.). Dabei sind die einschlägigen Bestimmungen zumindest genau zu bezeichnen, wenn nicht sogar (in schwierigeren Fällen wie hier) der Sachverhalt ordnungsgemäß subsumiert werden muss. Wenn die Exekutive sich auf Rechte Dritter beruft, muss sie diese in einer für die Abgeordneten nachvollziehbaren Weise darlegen. Die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Beurteilungen und die in die Abwägung eingestellten Gesichtspunkte des parlamentarischen Fragerechts hat sie dem Parlament bzw. seinen Abgeordneten vollständig mitzuteilen (SächsVerfGH, Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 81-I-15 -, juris Rn. 17; LVerfG LSA, Urt. v. 25.01.2016 - LVG 6/15 -, juris Rn. 77 f.). In aller Regel führt die Beeinträchtigung von Grundrechten Dritter nicht zu einem Informationsverweigerungsrecht der Landesregierung, sondern nur zu einem Gebot, die Veröffentlichung einzuschränken, erforderlichenfalls auszuschließen oder weitergehende Schutzvorkehrungen nach der Geheimschutzordnung zu treffen (Zapfe in: Classen/Litten/Wallerath, LVerf M-V, 2. Aufl., Art. 40 Rn. 42 f., 54 f.). In geeigneten Fällen mag sich auch eine Verständigung mit dem anfragenden Abgeordneten über Möglichkeiten einer vertraulichen Information anbieten.

Um die Nichtbeantwortung parlamentarischer Fragen mit dem Datenschutz begründen zu können, muss die Landesregierung die geforderte Datenübermittlung unter die Übermittlungsverbote und die Übermittlungsbefugnisse des anwendbaren Datenschutzrechts subsumieren. Auch die übrigen zur Erfüllung ihrer Antwortpflicht erforderlichen Vorgänge muss sie in das System der Verbote und Befugnisse einordnen. Bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen, die sich auf Daten aus ihrem Verantwortungsbereich richten, wird die Landesregierung dabei nicht in der Funktion als Datenschutzbehörde tätig, sondern in ihrer originären verfassungsrechtlichen Funktion als parlamentarisch verantwortliche Regierung. (vgl. ausführlicher LVerfG LSA, Urt. v. 25.01.2016 - LVG 6/15 -, juris Rn. 77 f.; Urt. v. 17.09.2013 - LVG 14/12 -, LVerfGE 24, 445, 463 f.; vgl. auch BayVerfGH, Entsch. v. 20.03.2014 - Vf. 72-IVa-12 -, juris Rn. 86 f. betr. parlamentarische Anfragen zum Verfassungsschutz).

V.

Diesen Anforderungen genügt die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Antragstellers nicht. Sie ist schon deshalb zu beanstanden, weil sie nicht individualisiert auf die Anfrage ausgerichtet ist, sondern die begehrten weiteren Auskünfte pauschal schlagwortartig nur durch Nennung des gesetzlichen Ausnahmetatbestandes abgelehnt werden (vgl. SächsVerfGH, Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 81-I-15 -, juris Rn. 17; BayVerfGH, Entsch. v. 20.03.2014 - Vf. 72-IVa-12 -, a.a.O.). Der allgemeine Verweis auf "datenschutzrechtliche Bestimmungen" reicht bei weitem nicht aus. Er bezeichnet nicht die angewendeten Vorschriften und gibt damit nicht einmal zu erkennen, ob die Landesregierung Bundes- oder Landesdatenschutzrecht für einschlägig hält. Eine Abwägung mit den verfassungsrechtlichen Pflichten lässt die Auskunft nicht erkennen und damit auch nicht, ob die Landesregierung die oben dargestellte herausragende Bedeutung des Auskunfts- und Fragerechts der einzelnen Parlamentarier erkannt und hinreichend berücksichtigt hat.

VI.

Die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Beurteilungen hat die Landesregierung bereits dem Parlament bzw. seinen Abgeordneten vollständig darzulegen. Ein Nachtragen von weiteren Gründen im Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht kommt nicht in Betracht, da dies den Zweck des Begründungserfordernisses verfehlen würde (VerfGH NRW, Urt. v. 15.12.2015 - VerfGH 12/14 -, juris Rn. 127 m.w.N.; sinngemäß auch LVerfG LSA, Urt. v. 25.01.2016 - LVG 6/15 -, Rn. 58, 60 ff.). Auch nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist ein Nachschieben von Gründen im Verfahren unzulässig. Zu einem späteren Zeitpunkt vorgetragene - erstmalige oder ergänzende - Begründungen für die Verweigerung oder Unvollständigkeit einer Antwort bleiben bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung unberücksichtigt. Die Benennung von Ablehnungsgründen kann nicht in ein künftiges verfassungsgerichtliches Organstreitverfahren verlagert werden. Dies widerspräche der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, Streitigkeiten von Verfassungsorganen oder deren Teilen (Art. 53 Nr. 1 LV) zu entscheiden. Sie sollen nicht Forum für die Erfüllung von verfassungsrechtlichen Pflichten werden. Auch in der Antragserwiderung erstmals genannte Gründe können die Ablehnung einer Antwort nicht mehr rechtfertigen (LVerfG M-V, Urt. v. 23.01.2014 - LVerfG 8/13 -, S. 9 m.w.N.; BayVerfGH, Entsch. v. 20.03.2014 - Vf. 72-IVa-12 -, juris Rn. 87 m.w. N.). Daran ist festzuhalten. Die Landesregierung schuldet vollständige Information und Auskunft, hilfsweise eine ordnungsgemäße Begründung für eine etwaige berechtigte Weigerung bereits dem Parlament und seinen Abgeordneten, nicht erst dem Landesverfassungsgericht. Der Respekt, den Verfassungsorgane einander schulden, verbietet eine unvollständige, oberflächliche, demonstrativ kurze oder unsachliche Antwort auf parlamentarische Anfragen ebenso wie eine unbegründete Auskunftsverweigerung. Auf Überlastung kann sich die Landesregierung grundsätzlich nicht berufen, weil sie die erforderlichen personellen und sachlichen Mittel vorhalten bzw. vorrangig hierzu einsetzen muss (vgl.SächsVerfGH, Urt. v. 28.01.2016 - Vf. 81-I-15 -, juris Rn. 21).

VII.

Der gestellte Antrag im vorliegenden Organstreitverfahren erweist sich schon wegen des Verstoßes der Landesregierung gegen die Pflicht zur sorgfältigen Begründung als gerechtfertigt. Inwieweit die mit der Antragserwiderung vorgetragenen weiteren Gesichtspunkte geeignet gewesen wären, die Ablehnung der Auskünfte zu tragen, kann demnach dahinstehen.

Auch darauf, ob die unbestrittene und durch zwei entsprechende Landtagsdrucksachen nachgewiesene Behauptung, derartige Auskünfte seien durch die Landesregierung in der Vergangenheit ohne weiteres erteilt worden, zutrifft, kommt es nicht mehr an.

Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch ergeben sich nicht und sind insbesondere seitens der Landesregierung auch nicht geltend gemacht. Die Kleine Anfrage betrifft augenscheinlich einen Schwerpunkt der politischen Tätigkeit des Antragstellers und seiner Partei, für den die erfragten Tatsachen aus seiner Sicht durchaus von Bedeutung sein können.

VIII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 33 Abs. 1 LVerfGG. Der Ausspruch über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34 Abs. 1 LVerfGG. Die Erstattung der Auslagen erscheint sachgerecht, weil das Organstreitverfahren in vollem Umfang erfolgreich war.

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