AGH Celle, Urteil vom 25.01.2016 - AGH 11/15
Fundstelle
openJur 2016, 2434
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung wird mit der Maßgabe verworfen, dass gegen den Rechtsanwalt eine Geldbuße in Höhe von 1.000,00 € verhängt wird.

Der Rechtsanwalt hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Angewendete Vorschriften: §§ 43, 43 a , 113, 197 BRAO

Gründe

I.

Die 1. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer  ...  hat gegen den Rechtsanwalt mit Urteil vom 29.04.2015 (Bl. 106 – 1012 d.A.) einen Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 1.000,00 € verhängt. Sie hat ihn schuldig gesprochen, gegen seine Berufspflicht als Rechtsanwalt verstoßen und sich in der Berufsausübung unsachlich verhalten zu haben. Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt durch seinen Verteidiger am 05. Mai 2015 Berufung eingelegt.

Die Berufung ist zulässig (§ 143 BRAO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

II.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Rechtsanwalts hat der Senat Folgendes festgestellt.

Der am  ...  in  ... geborene Rechtsanwalt bestand 1980 die zweite juristische Staatsprüfung. Nach einer Tätigkeit bei der Finanzverwaltung wurde er als Rechtsanwalt beim Amtsgericht  ...  und Landgericht  ...  im September 1983 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seit 1984 führt er die Bezeichnung Fachanwalt für Steuerrecht. Im Jahr 2002 wurde er bei dem Oberlandesgericht in  ...  zugelassen. Im Herbst 2002 betrieb der Rechtsanwalt die Verlegung seinen Kanzleisitzes nach  ...  bzw.  ...  und wurde am 16.10.2002 beim Amtsgericht in  ...  und Landgericht in  ...  zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Derzeit unterhält der Rechtsanwalt seinen Kanzleisitz nach eigenen Angaben in  ... .

Der Rechtsanwalt ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, von denen der ältere  ... , sein Verteidiger, eine Rechtsanwaltskanzlei in  ...  führt. Seine Einkommensverhältnisse betragen nach Angaben des Rechtsanwalts 1.500,00 € monatlich.

III.

Ausweislich der Beiakte  ...  Amtsgericht  ...  -  ...  – erhob der Rechtsanwalt am 20.01.2009 Klage vor dem Amtsgericht  ...  gegen den Wasserversorgungsverband  ...  auf Wiederherstellung der Wasserlieferungen zum Hausgrundstück „ ...  in  ...  sowie auf eine weitere Feststellung. Als den durch den Rechtsanwalt vertretenen Kläger führte der Rechtsanwalt in der Klageschrift vom 12.01.2009 (Bl. 1 ff der o.a. Beiakte) seinen bereits am 19.05.2008 verstorbenen Vater,  ... , an. Der Rechtsanwalt trug zur Begründung der Klage im Wesentlichen vor, der Beklagte habe rechtswidrig am 06.01.2009 die Wasserzufuhr zu dem Hausgrundstück „ ...  in  ... “, dessen Eigentümer der Kläger sei, unterbrochen. Die Tatsache, dass der Kläger rund 8 Monate vorher am 19.05.2008 verstorben war (Bl. 166 der o.a. Beiakte), verschwieg der Rechtsanwalt gegenüber dem Amtsgericht  ... .

Mit Schriftsatz vom 18.05.2009 (Bl. 55 der o.a. Beiakte) an das Amtsgericht  ...  überreichte der Rechtsanwalt zum Nachweis der Eigentümerstellung des Klägers einen Grundbuchauszug.

Im Verhandlungstermin vor dem Zivilrichter des Amtsgerichts  ...  am 19.06.2009 (Bl. 88  f der o.a. Beiakte) erklärte der Rechtsanwalt, der Kläger habe erst über Mitteilung seiner Mieter erfahren, dass das Wasser dort abgedreht worden sei.

Mit Schriftsatz vom 30.07.2010 (Bl. 159 d. o.a. Beiakte) trug die Beklagtenseite in diesem Zivilverfahren vor dem Amtsgericht  ...  vor, dass der Kläger bereits am 19.05.2008, und damit bereits rund 8 Monate vor Klageerhebung, verstorben sei. Der Zivilrichter holte von Amtswegen eine Sterbeurkunde ein (Bl. 166 der o.a. Beiakte).

Mit Schriftsatz vom 19.9.2011 (Bl. 170 der o.a. Beiakte) erwiderte der Rechtsanwalt auf diesen Tatsachenvortrag des Beklagten, nämlich dass der Kläger bereits am 19.05.2008 verstorben sei, wie folgt:

„… hat die beklagte Partei die Urkunden vorzulegen, die die Behauptung tragen.

Die behauptete Tatsache ist nicht gerichtsbekannt.

Die Beklagte mag die Sterbeurkunde vorlegen, wenn sie die Behauptung aufstellt,…“

Durch Urteil vom 12.10.2011 wies das Amtsgericht  ...  die Klage als unzulässig mangels Existenz der klägerischen Partei ab und bürdete dem Rechtsanwalt persönlich die Kosten des Rechtsstreits auf.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft  ...  hat die Strafrichterin des Amtsgerichts  ...  gegen den Rechtsanwalt wegen versuchten Prozessbetruges am 16.12.2011 einen Strafbefehl erlassen. Auf dessen Einspruch ist der Rechtsanwalt zunächst durch Urteil vom 10.04.2012 freigesprochen worden. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ist das Strafverfahren im Hauptverhandlungstermin vor der Berufungskammer des LG  ...  am 12.09.2013 gemäß § 153a Abs. 2 StPO mit der Auflage, € 2.700,00 an die Landeskasse zu zahlen, zunächst vorläufig und nach Auflagenerfüllung mit Beschluss des Landgerichts  ...  vom 29.10.2013 endgültig eingestellt worden.

Der Rechtsanwalt hat sich in der Hauptverhandlung dahin gehend eingelassen, er sei bereits zu Lebzeiten seines Vaters mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Wasserversorgungsverband beauftragt worden. Daran habe sich durch dessen Tod nichts geändert. Sein Vater habe ihm eine außergerichtliche und gerichtliche Vollmacht unterschrieben, in der es ausdrücklich hieße, dass diese auch über den Tod hinaus gelte. Darüber hinaus hält der Rechtsanwalt eine anwaltsgerichtliche Ahndung seines Verhaltens wegen der Einstellung des Strafverfahrens vor dem LG  ...  gemäß § 153 StPO unter Hinweis auf § 115b Satz 1, 1. und 2. Halbsatz BRAO für ausgeschlossen.

IV.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Rechtsanwalts in der Hauptverhandlung sowie den in der Hauptverhandlung verlesenen Schriftstücken.

V.

Auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts hat sich der Rechtsanwalt einer Pflichtverletzung gemäß §§ 43, 43a III BRAO schuldig gemacht, da er gegen seine Berufspflicht als Rechtsanwalt verstoßen und sich in der Berufsausübung unsachlich verhalten hat.

Gemäß §§ 43, 43a III 2 BRAO darf der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht bewusst die Unwahrheit verbreiten. Dieses sich aus § 43a III 2 BRAO ergebende Verbot zu lügen ist Ausfluss des Sachlichkeitsgebotes des § 43a III BRAO und eine der Grundpflichten des Rechtsanwalts (vgl. Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 43a Rn 137). Die Rechtspflege leidet schweren Schaden, wenn der Rechtsanwalt nicht bei der Wahrheit bleibt und man seinem Wort nicht vertrauen kann. Im Ergebnis entspricht die berufsrechtliche Grundpflicht des § 43a III BRAO der zivilprozessualen Wahrheitspflicht der Partei gemäß § 138 I ZPO (vgl. Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 43a Rn 137). Wer aber eine vom Gegner aufgestellte Behauptung, deren Wahrheit er kennt, bestreitet, verletzt die nach § 43 a III BRAO gebotene Wahrheitspflicht (Feuerich / Weyland § 43 a BRAO Rn 40).

Mit der Klageerhebung im Namen seines bereits am 19.05.2008 verstorbenen Vaters mit Klageschrift vom 12.01.2009 und insbesondere mit seinen Ausführungen in seinem Schriftsatz an das Amtsgericht  ...  vom 19.09.2011, mit dem der Rechtsanwalt die Behauptung der Beklagten, sein Vater sei bereits vor Klageerhebung verstorben, prozessual bestritten hat, hat der Rechtsanwalt gegen die Grundpflicht des Rechtsanwalts nach § 43a III BRAO verstoßen, da er hierdurch bewusst die Unwahrheit verbreitet hat. Zivilprozessual stellen die Ausführungen des Rechtsanwalts in seinem Schriftsatz vom 19.09.2011 ein Bestreiten des Vortrags des Beklagten, nämlich dass der Vater des Rechtsanwalts bereits bei Klageerhebung verstorben sei, dar. In jedem Fall wäre der Rechtsanwalt spätestens nach Erhalt des maßgeblichen Schriftsatzes der Gegenseite vom 30.07.2010 verpflichtet gewesen, dem Gericht mitzuteilen, dass sein Vater bereits vor Klageerhebung verstorben war.

Dabei kann sich der Rechtsanwalt in Bezug auf die Erhebung der Klage im Januar 2009 im Namen seinen bereits im Mai 2008 verstorbenen Vaters nicht auf eine durch seinen Vater erteilte transmortale Vollmacht berufen. Mit dem Tod des Vaters hat dieser seine Prozessfähigkeit verloren. Der Rechtsanwalt hätte die Klage im Namen der Erben seines Vaters erheben müssen, soweit diese nicht bekannt gewesen sein sollten, hätte er z.B. dafür Sorge tragen können, dass ein Nachlasspfleger eingesetzt wird, in dessen Namen das Verfahren dann betrieben werden kann. Jedenfalls verbreitet der Rechtsanwalt die Unwahrheit, wenn er im Namen eines Toten Klage erhebt, ohne den Umstand des Todes mitzuteilen. Daran ändert auch das Urteil des BGH vom 08.02.1993 – II ZR 62/92 – nichts, da nach diesem Urteil lediglich der Tod einer Partei vor Rechtshängigkeit einer Klage, aber nachdem sie eine wirksame Prozessvollmacht ausgestellt hat, der ordnungsgemäßen Erhebung einer Klage mit Wirkung der Prozesshandlungen für und gegen die partei- und prozessfähigen Erben nicht entgegen steht.

VI.

Gegen den Rechtsanwalt war wegen des Verstoßes gegen §§ 43. 43a III BRAO die anwaltsgerichtliche Maßnahme einer Geldbuße in Höhe von 1.000,00 € zu verhängen (§ 113 I i.V.m. § 114 I Nr. 3 BRAO).

Diese Ahndung hält der Senat aber auch für ausreichend.

Grundsätzlich eröffnet § 114 II BRAO die Möglichkeit der gleichzeitigen Verhängung eines Verweises sowie einer Geldbuße. Dabei sind im vorliegenden Fall sicherlich auch die Beharrlichkeit des von dem Rechtsanwalt begangenen Verstoßes und seine andauernde Uneinsichtigkeit zu berücksichtigen. Allerdings ist die Koppelung von Verweis und Geldbuße als selbstständige Maßnahme dann in Betracht zu ziehen, wenn eine erhebliche Pflichtverletzungen vorliegt (Feuerich / Weyland § 114 Rn 17). Dies soll insbesondere dann gelten, wenn ein begrenztes Vertretungsverbot nach § 114 Abs.1 Nr. 4 BRAO noch als zu hart erscheint (Feuerich / Weyland § 114 Rn 17). Davon ist der Sachverhalt aber doch einiges entfernt, so dass eine Maßnahme allein gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO, also die Geldbuße, als ausreichend, aber auch als notwendig erscheint.

Der Senat hat nicht darüber entscheiden müssen, ob die Auflage nach § 153a StPO gegen den Rechtsanwalt durch das Landgericht  ...  das Merkmal der anderweitigen Ahndung im Sinne des § 115b I BRAO erfüllt (Urteil des AGH Hamburg vom 16.02.2009 – I EVY 6/08, BRAK-Mitteilungen 2009, Seite 129 ff; Feuerich / Weyland § 115b Rn 14 ff) oder nicht erfüllt (vgl. Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 115b Rn 7; BGHSt 28, 174, NJW 1979, S. 770 ff), da § 115b 1.Satz, 3. Halbsatz BRAO zur Anwendung kommt. Eine anwaltsgerichtliche Maßnahme war zusätzlich erforderlich, um den Rechtsanwalt zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren. Im Vordergrund des strafrechtlichen Verfahrens vor dem LG  ...  stand der versuchte Straftatbestand des § 263 StPO im Zusammenhang mit dem gesamten Vorbringen des Rechtsanwalts in dem amtsgerichtlichen Verfahren vor dem AG  ... . Im Vordergrund der auszusprechenden Geldbuße gemäß § 114 Abs.1 Nr.3 BRAO wegen Verstoßes gegen §§ 43, 43a III BRAO steht die von dem Rechtsanwalt wider besseren Wissens erhobene Klage im Namen seines verstorbenen Vaters sowie die mit Schriftsatz vom 19.09.2009 bestrittene Tatsache, dass der Kläger bereits vor Klageerhebung verstorben ist. Unabhängig von der möglichen Erfüllung eines Straftatbestandes ist die Wahrheitspflicht eine der wichtigsten Säulen der Rechtspflege, deren Wahrung massiv zu verteidigen ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Rechtsanwalt sein Verhalten nach wie vor rechtfertigt, zeigt, dass der Rechtsanwalt nochmals ausdrücklich zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten ist und in Anbetracht des betroffenen Gutes, nämlich der Wahrheitspflicht, eine anwaltsgerichtliche Ahndung zur Wahrung des Ansehens der Rechtsanwaltschaft notwendig ist.

VII.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 197 Abs.2 S. 1 BRAO.

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