VG Köln, Beschluss vom 14.10.2015 - 20 L 2453/15
Fundstelle
openJur 2015, 20248
  • Rkr:
Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage - 20 K 5847/15 - des Antragstellers gegen die Versammlungsverbotsverfügung des Antragsgegners vom 28.09.2015 wird bzgl. des Verbots der angemeldeten Kundgebung wiederhergestellt. Dem Antragsgegner bleibt nachgelassen, Auflagen bzgl. der angemeldeten Kundgebung (z. B. bezüglich des Ablaufs, des Ortes und der Dauer der Kundgebung sowie des Unterlassens von verunglimpfenden Äußerungen) anzuordnen.

Im Übrigen (betr. das Verbot des angemeldeten Aufzuges) wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und der Antragsgegner je zur Hälfte.

2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage (20 K 5847/15) gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 28.09.2015 wiederherzustellen,

ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen ist er unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht nach Anordnung der sofortigen Vollziehung belastender Verwaltungsakte die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers am Aufschub der Durchsetzung der angegriffenen Verfügung das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Vorliegend fällt bei Überprüfung der angegriffenen, auf § 15 Abs. 1 VersG gestützten Maßnahme die anzustellende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stellen sind, teilweise zu Gunsten, teilweise zu Lasten des Antragstellers aus.

Bei ihrer Entscheidung orientiert sich die Kammer an den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG im Einzelnen ausgeführt hat,

vgl. u.a. Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 und 1 BvR 341/81 -, BVerfGE, 69, 315 ff.; Beschluss vom 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, 834; vom 21.04.2000 - 1 BvQ 10/00 -; vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00 -; vom 18.08.2000 - 1 BvQ 23/00 -, NJW 2000, 3053; vom 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 sowie 1 BvQ 9/01 -; vom 26.03.2001 - 1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, 1411; vom 01.05.2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078; vom 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004,90; Senatsbeschluss vom 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, NJW 2004,2814; Beschluss vom 16.08.2005 - 1 BvQ 25/05 -; Beschluss vom 26.01.2006 - 1 BvQ 3/06 -; Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 -; Beschluss vom 10.05.2006 - 1 BvQ 14/06 -, NVwZ 2006, 1049; Beschluss vom 26.06.2007 - 1 BvR 1418/07 -, NVwZ-RR 2007, 641 sowie Beschluss vom 07.11.2008 - 1 BvQ 43/08 -.

Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) folgt indes, dass nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ein Verbot oder eine Auflösung der Versammlung rechtfertigt.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner die Verbotsverfügung darauf gestützt, dass bei Durchführung der unter dem Motto "Köln 2.0 - friedlich und gewaltfrei gegen islamischen Extremismus" angemeldeten Versammlung - und zwar sowohl im Hinblick auf den Aufzug als auch die vorgesehene Kundgebung - angesichts der gewalttätigen Ereignisse anlässlich der HoGeSa-Demonstration am 26.10.2014 in Köln mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit aus der Versammlung heraus Gewalttaten gegen Menschen und Sachen zu erwarten seien, die in Form von Landfriedensbrüchen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen Straftatbestände erfüllen und im Übrigen Verletzungen mindestens gleichwertiger Rechtsgüter Dritter darstellen würden.

Was das Verbot des angemeldeten Aufzuges angeht, teilt die Kammer angesichts der sich bietenden Erkenntnislage die vom Antragsgegner getroffene Gefahrenprognose. Der Antragsgegner hat erkennbare Umstände dargelegt, aus denen sich insoweit die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ergibt.

Allein das Motto "Köln 2.0 - friedlich und gewaltfrei gegen islamischen Extremismus" bietet zwar keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Verlauf des Aufzuges, wenn auch die Formulierung "Köln2.0" deutlich und so auch beabsichtigt zum Ausdruck bringt, dass es sich bei der Veranstaltung um eine Wiederholung derjenigen vom 26.10.2014 handeln soll; entsprechend hat der Antragsteller in dem Kooperationsgespräch mit dem Antragsgegner am 14.07.2015 geäußert, dass die Veranstaltung vom gewählten Datum und Versammlungsort her als "Jahrestag" bzw. "Hommage" betrachtet werde.

Es spricht auch Nichts dafür, dass der Antragsteller als Versammlungsleiter nicht gewillt sei, auf einen friedlichen Verlauf der Versammlung hinzuwirken, wenn auch eine eindeutige und klare Distanzierung seinerseits von den aus der Versammlung vom 26.10.2014 heraus sowie im Anschluss an deren Auflösung begangenen Gewalttaten nicht festgestellt werden kann. Soweit er allerdings seine Versammlungsleitung bei der HoGeSa-Versammlung am 20.09.2015 in Essen als Beispiel dafür anführt, dass er willens und auch in der Lage sei, einen friedlichen Versammlungsverlauf zu gewährleisten, ist die Essener Veranstaltung bereits von der Anzahl der Teilnehmer (220) und auch der Gegendemonstranten, nämlich 260, in keiner Weise vergleichbar (vgl. Pressemitteilung der Polizei Essen vom 20.09.2015).

Die Prognose, der Aufzug werde einen unfriedlichen Verlauf nehmen, hat der Antragsgegner indes zu Recht auf Grund der Erfahrungen mit dem vergleichbaren Aufzug von HoGeSa mit der exakt gleichen Route am 26.10.2014 getroffen. Dieser Aufzug ist aus dem Teilnehmerkreis heraus gewalttätig verlaufen und schließlich um 15.58 Uhr vom Versammlungsleiter noch vor Erreichen des Abschlusskundgebungsortes am Breslauer Platz für beendet erklärt worden. Zwar hatte der Antragsteller seinerzeit nicht als Versammlungsleiter fungiert (er hatte die Versammlung aber angemeldet), jedoch richtet sich die nunmehr angemeldete Veranstaltung ganz erkennbar (und auch so beabsichtigt) mit vergleichbarer Thematik an dieselbe Zielgruppe; der für die Versammlung gewählte Ort ist identisch. Auch der erwartete Teilnehmerkreis wird - zumindest weitgehend - identisch sein; insbesondere ist zu erwarten, dass die Teilnehmerzahl auch (wiederum) beträchtlich sein und die in der Anmeldung angegebene Zahl von ca. 1000 Personen erheblich übersteigen wird. Diesbezüglich hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass sich allein auf der Facebookseite "Köln 2.0 - Jahrestag" bis zum 08.10.2015 (Stand: 12.00 Uhr) bereits 1705 Personen zur Teilnahme angemeldet hätten, weitere 566 Personen ihre Teilnahme als unsicher bezeichnet hätten; im Übrigen habe der Antragsteller für die Versammlung am 26.10.2014 die Teilnehmerzahl sogar nur mit ca. 300 angegeben, diese Zahl dann später auf 1.000 bis 1.500 korrigiert, während dann tatsächlich ca. 4.800 Teilnehmer erschienen seien.

Es ist daher auch für den 25.10.2015 mit einer hohen Teilnehmerzahl von jedenfalls über bzw. weit über 2.000 Personen zu rechnen. Soweit der Antragsteller geltend gemacht hat, dass wegen Differenzen/Abspaltungen in der Hooliganszene und deren Umfeld weit weniger Teilnehmer als 2014 erscheinen würden, ist diese Einschätzung nach Auffassung der Kammer nicht (mehr) aufrecht zu erhalten, nachdem der Antragsgegner vorgetragen hat, dass die zunächst für den Vortag, den 24.10.2015, vom Vorsitzenden von "Gemeinsam Stark Deutschland" erfolgte Versammlungsanmeldung mit einer vergleichbaren Zielgruppe (Motto: "Ein Bündnis für Deutschland") zurückgenommen worden ist mit der Begründung, "man wolle sich ganz auf den Sonntag konzentrieren".

Nach den Erfahrungen mit der Versammlung am 26.10.2014 und den im vorgelegten Verwaltungsvorgang befindlichen Internet-Auszügen zu der nunmehr angemeldeten Folgeversammlung hält die Kammer die Annahme des Antragsgegners für gerechtfertigt, dass sich unter der hohen Zahl der Aufzugsteilnehmer (wiederum) eine sehr hohe - wenn auch zahlenmäßig nicht genau zu erfassende - Anzahl von gewaltbereiten und gewaltsuchenden Personen befindet, die von der Versammlungsleitung nicht mit Erfolg an gewalttätigen Aktionen während des Aufzuges gehindert werden können, und dass dem auch nicht durch versammlungsrechtliche Auflagen (wie sie auch für die Versammlung am 26.10.2014 ergangen sind) hinreichend begegnet werden kann. Bezüglich der benannten Internet-Auszüge wird auf Bl. 79-93 des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Diese Einschätzung wird im Übrigen bekräftigt durch die Kommentare aus dem Kreis der der HoGeSa zugewandten Teilnehmer der Versammlung vom 26.10.2014, in denen diese Versammlung im Nachhinein unter wohlwollender Betrachtung der Unfriedlichkeit der Versammlung als "Wunder von Köln" gewürdigt wird.

Vgl. hierzu VG Hannover, Beschluss vom 13.11.2014 - 10 B 12882/14 -, Niedersächsisches Landesjustizportal, mit Wiedergabe von seinerzeitigen Kommentaren im Internet.

Soweit der Antragsteller geltend macht, sofern es zu Gewaltanwendung am 26.10.2014 gekommen sei, sei dies allein auf Provokationen von Seiten Dritter zurückzuführen, muss erfahrungsgemäß gerade bei Aufzügen mit Anfeindungen Andersdenkender gerechnet werden. Auch verbale Angriffe und eventuelle Gewaltanwendung von außen berechtigt die Versammlungsteilnehmer jedenfalls nicht zur Ausübung von Gegengewalt, insbesondere auch nicht gegenüber den zum Schutz der Versammlungsteilnehmer berufenen Einsatzkräften der Polizei. Dafür, dass für die Gewaltanwendung am 26.10.2014 ein V-Mann der Sicherheitsbehörden verantwortlich gewesen sei, der die Menge der Demonstrationsteilnehmer radikalisiert hätten, wie der Antragsteller nunmehr unter Bezugnahme auf den vorgelegten Bericht von Spiegelonline geltend macht, sieht die Kammer bei einer vorläufigen Bewertung des Berichts gegenwärtig keine konkreten Anhaltspunkte; eine weitere Klärung der Angelegenheit muss gfls. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Jedenfalls vermag der Spiegel-Artikel die vom Antragsgegner für den 25.10.2015 konkret getroffene Gefahrenprognose bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht zu erschüttern.

Betreffend das auch für die angemeldete Kundgebung am Breslauer Platz ausgesprochene Versammlungsverbot hat der Antrag hingegen Erfolg.

Insoweit spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass die angefochtene Verfügung rechtswidrig, da unverhältnismäßig ist.

Ein Versammlungsverbot kommt im Lichte des Versammlungsgrundrechts aus Art. 8 GG als letztes Mittel nur in Betracht, wenn die von der Versammlungsbehörde angeführten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht durch Beschränkungen im Wege von Auflagen in hinreichendem Maße verringert werden könnten.

Letzteres ist vorliegend bezogen auf die angemeldete stationäre Versammlung im Hinblick auf die Ermöglichung der Grundrechtsausübung durch die friedfertigen Kundgebungsteilnehmer zu bejahen.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Antragsteller weder in der Anmeldung vom 15.05.2015 noch in der Folgezeit für die Kundgebung einen konkreten Ablaufplan mitgeteilt hat, insbesondere was die Redebeiträge und die vorgesehenen musikalischen Darbietungen anbetrifft. Es ist bislang u.a. völlig unklar, ob und welche Musiker bzw. Bands auftreten sollen.

Es ist allerdings nicht erkennbar, dass bei Klarheit über den Ablauf der Kundgebung nicht durch entsprechende Auflagen ein friedfertiger Verlauf der stationären Veranstaltung sichergestellt werden könnte. Von maßgeblichem Gewicht für diese Beurteilung ist die insoweit - anders als bei einem Aufzug - gegebene Möglichkeit, die Versammlungsteilnehmer einerseits und Gegendemonstranten bzw. potentielle Störer andererseits genügend weiträumig auseinanderzuhalten, um - gegenseitige - gewaltauslösende Provokationen zumindest weitestgehend zu verhindern. Soweit es trotz fehlender Provokationen von außen dennoch zu Gewaltanwendung von Personen aus dem Teilnehmerkreis kommen sollte, dürfte die Versammlungsleitung im Rahmen einer stationären Versammlung bei Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl von Ordnern von sich aus eher in der Lage sein, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung des friedlichen Ablaufes zu ergreifen; dies könnte gfls. auch unter Hilfeleistung der anwesenden Polizeikräfte erfolgen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass eine vergleichbare stationäre Kundgebung in Hannover am 15.11.2014 von 12.00 bis 16.00 Uhr (unter dem Motto: "Europa gegen den Terror des Islamismus") - soweit der Kammer bekannt - friedlich verlaufen ist.

Konkrete Beschränkungen der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung durch Auflagen waren bislang nicht Gegenstand des Kooperationsgesprächs zwischen den Beteiligten. Der Antragsteller hat insoweit allerdings erklärt, dass Versammlungsort und Versammlungsdatum nicht verhandelbar seien. In den gegenseitigen schriftsätzlichen Ausführungen hat der Antragsteller von sich aus zwar einige aus seiner Sicht mögliche Auflagen aufgeführt, hierzu hat der Antragsgegner indes auf die Nichteinhaltung entsprechender für die Versammlung am 26.10.2014 erteilter Auflagen hingewiesen. Er hat an dem insgesamt ausgesprochen Verbot festgehalten und daher nicht in den Blick genommen, inwieweit der Breslauer Platz von den örtlichen Gegebenheiten her als Kundgebungsort geeignet ist. Unter diesen Umständen hat das Gericht davon abgesehen, von sich aus Maßgaben zu beschließen. Vor allem sieht die Kammer keinen Anlass, im Rahmen ihrer Entscheidung im Eilverfahren von sich aus ein Konzept für den Ablauf der Versammlung zu entwickeln. Sie sieht sich mangels polizeilicher Fachkenntnis auch außerstande, die Notwendigkeit von Auflagen etwa für eine zeitlich oder örtlich abgeänderte stationäre Veranstaltung zu beurteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.