OLG Bamberg, Beschluss vom 11.11.2015 - 1 Ws 585/15
Fundstelle
openJur 2015, 18945
  • Rkr:

Eine konkludente, eine spätere Nichtannahmeentscheidung ausschließende Berufungsannahme im Sinne von § 313 StPO kann im Einzelfall bereits vor Bestimmung des Termins zur Berufungshauptverhandlung in der zu deren Vorbereitung an die Verteidigung gerichteten gerichtlichen Aufforderung zur Abgabe näherer Erklärungen zu Berufungsziel und einer etwaigen Rechtsmittelbeschränkung liegen mit der Folge, dass die spätere Nichtannahme analog § 322 Abs. 2 StPO mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann (Fortführung u.a. von OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17.04.2002 - 1 Ws 167/02 = NStZ-2002, 245; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2011 - 3 Ws 402/11 = NStZ-RR 2011, 382 und OLG Celle, Beschluss vom 06.07.2011 - 2 Ws 180/11 = StraFo 2011, 403).

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts vom 30.09.2015 aufgehoben.

II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

1. Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom 13.01.2015 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen a 60,00 € verurteilt. In der Hauptverhandlung verzichtete der verteidigte Angeklagte auf eine Rechtsmittelbelehrung. Er hat gegen dieses Urteil mit am 20.01.2015 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag „Rechtsmittel“ eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil mit Verfügung vom 13.01.2015 Berufung eingelegt. Die schriftlichen Urteilsgründe wurden dem Angeklagten am 22.01.2015, seinem Verteidiger am 23.01.2015 zugestellt. Die Akten wurden der Vorsitzenden der Berufungskammer am 19.02.2015 vorgelegt. Die Vorsitzende der Berufungskammer hat dem Verteidiger des Angeklagten mit Verfügung vom 24.02.2015 folgende Mitteilung zukommen lassen:

„Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung und im Hinblick auf die zu veranlassenden Ladungen wird aus Kostengründen - auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme 1. Instanz und der Berufung der Staatsanwaltschaft - um Mitteilung des Berufungsziels und ggf. in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft um Überprüfung der Möglichkeit einer Berufungsrücknahme, zumindest -beschränkung gebeten.“

Die Staatsanwaltschaft erhielt hiervon keine Kenntnis. Eine Frist zur Stellungnahme wurde dem Verteidiger nicht gesetzt.

2. Mit Beschluss vom 19.03.2015 hat die Vorsitzende der Berufungskammer ohne weitere Hinweise oder Mitteilungen die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 13.01.2015 unter Bezugnahme auf § 313 Abs. 2 StPO nicht angenommen. Beide Berufungen seien offensichtlich unbegründet, deshalb nicht anzunehmen und als unzulässig zu verwerfen.

3. Ebenfalls am 19.03.2015, 16.14 Uhr, ging eine Stellungnahme des Verteidigers zur Verfügung der Vorsitzenden vom 24.02.2015 ein, in welcher dieser das Ziel der Berufung mitteilte.

4. Auf die gegen den Beschluss vom 19.03.2015 eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten hat der Senat - dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend - mit Beschluss vom 03.06.2015 die Sache ohne Entscheidung an die Vorsitzende der Berufungskammer des Landgerichts zur Entscheidung über die Anhörungsrüge des Angeklagten gegen den Beschluss vom 19.03.2015 zurückgegeben. Die Vorsitzende der Berufungskammer gab nunmehr dem Verteidiger und dem Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Annahmeberufung und nahm die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 13.01.2015 mit Beschluss vom 30.09.2015 erneut nicht an.

5. Gegen diesen - formlos versandten und am 06.10.2015 bei dem Verteidiger eingegangenen - Beschluss hat der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 13.10.2015, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt und hierbei u.a. ausgeführt, dass der Nichtannahmebeschluss der Vorsitzenden der Berufungskammer vorliegend anfechtbar sei, weil er eine unzulässige Rücknahme der in der Verfügung vom 24.02.2015 konkludent erklärten Annahmeentscheidung beinhalte. Zu den Ausführungen in der Zuleitungsverfügung der Generalstaatsanwaltschaft vom 23.10.2015, die beantragt hat, die sofortige Beschwerde des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen, hatte jener rechtliches Gehör.

II.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist vorliegend statthaft und auch im Übrigen zulässig, da form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO).

1. Zwar sind Beschlüsse, mit denen gemäß § 322 a StPO die Nichtannahme der Berufung beschlossen wird, gemäß § 322 a Satz 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar. Dies gilt jedoch nach allgemeiner Meinung nur dann, wenn tatsächlich ein Fall des § 322 a StPO vorliegt (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt StPO 58. Aufl. § 322a Rn. 8 m.w.N.). Insoweit hat der Angeklagte vorgetragen, seine Berufung sei bereits ohne gerichtliche Annahmeentscheidung zulässig, weil sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 13.01.2015 mit der formlosen Einziehung sichergestellter Gegenstände (Betäubungsmittel) einverstanden erklärt hatte. Dies ergibt sich indessen nicht aus der gesetzlichen Regelung des § 313 Abs. 1 StPO und auch nicht aus der von dem Verteidiger zitierten Entscheidung des OLG Hamburg vom 17.09.1998 - 2 Ws 246/98 (= OLGSt StPO § 313 Nr. 6 = JR 1999, 479 = StV 2001, 333). Denn im dort entschiedenen Fall hatte das Amtsgericht neben der Verhängung einer Geldstrafe die Einziehung von Gegenständen (§ 74 Abs. 1 StGB) im Urteil angeordnet. Dies ist vorliegend gerade nicht geschehen; der Angeklagte hat sich vielmehr in der Hauptverhandlung mit der formlosen außergerichtlichen Einziehung des bei ihm sichergestellten Betäubungsmittels einverstanden erklärt. Folgerichtig hat das Amtsgericht allein eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen verhängt, weshalb ein Fall des § 313 Abs. 1 StPO vorliegt.

2. Allerdings entspricht es ganz h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur, dass eine konkludente Annahme einer Berufung durch das Berufungsgericht eine nachfolgende Nichtannahmeentscheidung ausschließt; in diesen Fällen ist die Nichtannahmeentscheidung entgegen § 322 a Satz 2 StPO in analoger Anwendung von § 322 Abs. 2 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2011 - 3 Ws 402/11 = NStZ-RR 2011, 382; OLG Celle, Beschluss vom 06.07.2011 - 2 Ws 180/11 = StraFo 2011, 403; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17.04.2002 - 1 Ws 167/02 = NStZ-2002, 245; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 322 a Rn. 8; KK-Paul StPO 7. Aufl. § 322a Rn. 1; SK-Frisch StPO 4. Aufl. § 322a Rn. 11). Eine konkludente Annahme der Berufung soll danach jedenfalls dann vorliegen, wenn das Berufungsgericht Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Grund hierfür ist, dass die erste (konkludente) Annahmeentscheidung mit Blick auf ihre Unanfechtbarkeit (§ 323a Satz 2 StPO) zugunsten des Angeklagten Bestandsschutz entfaltet und die so erwirkte Position des Angeklagten in besonderen Maße schützenswert erscheint.

3. Zwar hatte die Vorsitzende vorliegend noch keine (ausdrückliche) Terminsbestimmung getroffen. Gleichwohl ist ihre Mitteilung vom 24.02.2015 an den Verteidiger einer solchen gleichzustellen, weil aus ihrem Wortlaut und Sinn ohne jeden Zweifel hervorgeht, dass der Entscheidungsprozess, die Berufung nicht anzunehmen oder diese anzunehmen und Termin zu bestimmen vom Adressaten vernünftigerweise nur im Sinne des Letzteren als abgeschlossen verstanden werden konnte: Bei der Frage, ob eine gerichtliche Entscheidung oder Äußerung eine konkludente Annahmeerklärung i.S.d. § 322 a StPO beinhaltet, ist vom Empfängerhorizont auszugehen, also davon, wie ein Angeklagter bzw. Verteidiger eine Erklärung des Berufungsgerichts verstehen darf. Danach kann die oben wiedergegebene vorbehaltlose Aufforderung der Vorsitzenden vom 24.02.2015 von einem Angeklagten und seiner Verteidigung verständiger Weise nur dahingehend gedeutet werden, dass das Berufungsgericht die Überprüfung der Annahmevoraussetzungen des § 313 Abs. 2 Satz 1 StPO bereits vorgenommen, diese Voraussetzungen abschließend bejaht hat und es im weiteren nur noch um die Frage der - möglichst kostengünstigsten und aufwandbeschränkenden - Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung geht, zumal in der Mitteilung mit keinem Wort die Vorschrift des § 313 StPO erwähnt wird. Anders als die Vorsitzende der Berufungskammer in ihrem Beschluss vom 30.09.2015 ausführt, steht der Hinweis auf die Möglichkeit der Prüfung einer Berufungsrücknahme in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einer noch vorzunehmenden Prüfung der Nichtannahme der Berufung. Vielmehr wird vorwiegend auf Kostengründe und auf die zu veranlassenden Ladungen für die Berufungshauptverhandlung abgestellt, zumal der ausdrückliche Hinweis auf eine mögliche Berufungsbeschränkung aufgenommen wurde. Die Mitteilung vom 24.02.2015 kann deshalb aus der maßgeblichen Empfängersicht nur so verstanden werden, dass sie der unmittelbaren Vorbereitung der für das Ausbleiben einer beidseitigen Berufungsrücknahme bereits beschlossenen Terminsbestimmung dienen sollte. Damit liegt aber wie im Fall der Terminsbestimmung selbst eine konkludente Annahme der Berufung (jedenfalls der des Angeklagten) i.S.d. § 322 a StPO vor. Für die getroffene Nichtannahmeentscheidung bestand demgemäß kein Raum mehr.

4. Die damit statthafte sofortige Beschwerde des Angeklagten führt zur Aufhebung des Nichtannahmebeschlusses vom 30.09.2015, der nach Nachholung rechtlichen Gehörs erging. Einer Aufhebung des ursprünglichen Beschlusses der Berufungskammer vom 19.03.2015 bedurfte es nicht mehr, weil nach Nachholung rechtlichen Gehörs erneut entschieden wurde. Das Landgericht wird daher nunmehr das Berufungsverfahren durchzuführen haben, soweit keine gegenseitige Berufungsrücknahme erfolgt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 473 Abs. 3, 467 Abs. 1 StPO.