BPatG, Beschluss vom 10.11.1998 - 24 W (pat) 145/97
Titel
POURELLE / ELLE
Fundstelle
openJur 2015, 17608
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Marke

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ist unter der Nummer 467 446 international registriert für die folgenden Waren der Klasse 3:

"Produits cosmétiques, crèmes de beauté, parfumerie, savons, huiles essentielles, lotions pour les cheveux; dentifrices; préparations pour blanchir et autres substances pour lessiver; préparations pour nettoyer, polir, dégraisser et abraser".

Der Schutz dieser Marke soll auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erstreckt werden.

Dagegen ist Widerspruch eingelegt worden aus der Marke DD-IR R 292 472

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die ua für folgende Waren der Klassen 3 und 5 im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Schutz genießt:

"03
Préparations pour blanchir et autres substances pour lessiver; préparations pour nettoyer, polirr, dégraisser et abraser; savons; parfumerie, huiles essentielles, cosmétiques, lotions pour les cheveux; dentifrices et tous articles entrant dans cette classe.
05
Produits pharmaceutiques et vétérinalres, produits chimiques pour l’hygiéne; produits diététiques pour enfants et malades; emplâtres, matériel pour pansements; matières pour plomber les dents et pour empreintes dentaires; désinfectants; préparetions pour détruire les mauvaises herbes et les animaux nuisibles et tous articles entrant dans cette classe".

Die Markenstelle für Klasse 3 IR des Deutschen Patentamts hat diesen Widerspruch mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist mit der Begründung zurückgewiesen, daß keine Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG bestehe, weil sich die beiden Marken nicht verwechselbar nahe kämen.

Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Sie hält beide Marken für so

ähnlich, daß sie iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG verwechselt werden könnten. Sie beantragt sinngemäß,

die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 3 IR des Deutschen Patentamts vom 27. Februar 1995 und vom 20. Februar 1997 aufzuheben und der IR-Marke 467 446 den Schutz zu verweigern.

Der Markeninhaber beantragt,

die Beschwerde der Widersprechenden zurückzu weisen.

Er hat die Benutzung der Widerspruchsrrtarke für die Waren der Klassen 3 und 5 bestritten und hält die beiden Marken außerdem für so unterschiedlich, daß sie nicht iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG verwechselt werden könnten.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, aber nicht begründet; denn - wie bereits die Markenstelle für Klasse 3 IR des Deutschen Patentamts in den angegriffenen Beschlüssen zutreffend festgestellt hat - kommen die beiden Marken einander nicht iSv §§ 9 Abs 1 Nr 2, 42, 107, 114, 116 MarkenG verwechselbar nahe.

Es stehen sich die Marken "ELLE" und "POURELLE" gegenüber. Die wenigen Bildelemente beider Marken beschränken sich ganz auf die Gestaltung des jeweiligen Schriftzuges. Daher wird der Gesamteindruck der Marken von dem jeweiligen Wortbestandteil wesentlich geprägt und der Verkehr wird beide Marken als Wartmarken behandeln.

Ein entscheidungserheblicher Anteil der Verkehrsteilnehmer wird beide Markenwörter nur nach Maßgabe des Deutschen lesen und begreifen. Bei dieser Lesart scheiden klangliche oder schriftbildliche Verwechslungen aus, obwohl die angegriffene Marke das prioritätsältere Markenwort vollständig enthält. Denn im Unterschied zur Wtderspruchsmarke beginnt die angegriffene Marke mit der Silbe "POUR-" und erst danach folgen die vier Buchstaben des Markenwortes der Widerspruchsmarke. Die Silbe "POUR-" stellt bei deutscher Lesart eine reine Phantasieschöpfung ohne begriffliche Bedeutung dar, deren Buchstabenfolge außerdem für das Deutsche atypisch ist. Die Gestaltung dieser zusätzlichen Silbe, ihre Stellung am Anfang des Markenwortes und der Umstand, daß die angegriffene Marke dadurch doppelt so lang wird wie die Widerspruchsmarke, begründen so starke Unterschiede zwischen beiden Marken, daß damit klangliche oder schriftbildliche Verwechslungen ausgeschlossen werden.

Aus diesen Gründen handelt es sich auch nicht um eine Parallele zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Fall der Marken "Salvent/Salventerol" (vgl. BGH GRUR 1993, 924). Die in diesem Fall der Widerspruchsmarke "salvent" hinzugefügten Silben "-erol" standen auslautend am Ende des Markenwortes und waren im übrigen typisch für den - für diesen Fall - einschlägigen Bereich der pharmazeutischen Erzeugnisse aus der Warenktasse 5. Vorliegend stellt die Silbe "POUR-" dagegen - jedenfalls aus der Sicht der nur deutschsprachigen Verkehrsteilnehmer im Bereich der Warenklasse 3 - eine ungewöhnliche und atypische Ergänzung dar, die außerdem am Wortanfang steht und damit besonders in Erscheinung tritt.

Aus denselben Gründen ist auch eine klangliche oder schriftbildliche Prägung des Gesamteindrucks der Widerspruchsmarke durch den mit der Widerspruchsmarke identischen Wortbestandteil "ELLE" ausgeschlossen. Denn die Silbe "POUR” entwickelt aufgrund ihrer sprachlichen Gestaltung und ihrer Stellung am Wortanfang ein so starkes Gewicht daß ihre Bedeutung zumindest nicht hinter dem nachfolgenden Wortbestandteil "ELLE" zurücktritt.

Ein anderer, ebenfalls entscheidungserheblicher Verkehrsanteil wird beide Markenwörter französisch lesen und verstehen. Auch bei dieser Betrachtungsweise läßt sich eine Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG nicht feststellen.

Das Marken wog "ELLE" der Widerspruchsmarke ist das französische Pronomen für die weibliche Einzahl, für das im Deutschen "sie" steht. Die zusätzliche Silbe "POUR" in der angegriffenen Marke bedeutet auf Deutsch "für". Beide Wörter gehören zum französischen Grundwortschatz. Die Reihenfolge beider Wörter in der angegriffenen Marke ist sprachregelmäßig. Sprachlich nicht korrekt ist lediglich die Zusammenschreibung; denn "für sie" wird auch im Französischen getrennt geschrieben - "pour elle". Diese Umstände sind für jeden, der über Grundkenntnisse im Französischen verfügt, ohne weiteres erkennbar.

Bei französischer Lesart beider Marken scheiden klangliche oder schriftbifdliche Verwechslungen aus, obwohl die angegriffene Marke das Markenwort der Widerspruchsmarke vollständig enthält. Denn die zusätzliche, vorangestellte Silbe "POUR" führt zu so deutlichen klanglichen und schriftbildlichen Veränderungen, daß es auf dieser Ebene zu keinen Verwechslungen kommen kann.

Die angegriffene Marke wird auch nicht von dem Wertbestandteil "-ELLE" geprägt; denn im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Waren dieser Marke ist das französische Pronomen "elle" aus der Sicht der französisch sprechenden Verkehrsanteile kennzeichnungsschwach und entwickelt innerhalb des Gesamteindrucks van der Marke "POURELLE” kein so starkes Gewicht, daß der Wortbestandteil "POUR-" dahinter zurücktreten würde. In diesem Warenbereich gibt es herkömmlicherweise eine breite Produktpalette, die typischerweise für Frauen als Endabnehmer bestimmt ist. Eine Marke, die diese Bestimmung unmittelbar, anspricht hat starke beschreibende Anklänge iSv § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG und ist deswegen kennzeichnungsschwach.

Insoweit kann sich die Widersprechende auch nicht auf eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke berufen. Es mag sein, daß die Widerspruchsmarke für die unter dieser Marke international aufgelegte Frauenzeitschrift "ELLE" bei den Verkehrsteilnehmern eine erhöhte Kennzeichnungskraft entwickelt hat. Diese würde jedoch an erster Steile nur für die Benutzung der Widerspruchsmarke für die Zeitschrift "ELLE" gelten. Sie könnte noch auf eng verwandte Waren ausstrahlen, würde jedoch mit wachsendem Warenabstand abnehmen und keinesfalls den gesamten Bereich der Warenähnlichkeit umfassen (vgl. Althammer/Ströbele, Markengesetz, 5. Aufl, § 9 Rdn 117). Eine Ausstrahlung auf die in Rede stehenden Waren der Klassen 3 und 5 wäre in jedem Falle ausgeschlossen.

Bei einer Prüfung, ob die angegriffene Marke "POURELLE" von dem Wortbestandteil "-ELLE" wesentlich geprägt wird, ist aber nicht nur die festgestellte Kennzeichnungsschwäche dieses französischen Pronomens zu berücksichtigen. Es kommt hinzu, daß zusammen mit dem vorangehenden Wortbestandteil "POUR-" ein ohne weitere Analyse erkennbarer, sprachregelmäßig gebildeter französischer Gesamtbegriff entsteht, der "für sie" bedeutet. Unter diesen Voraussetzungen tritt der Wortbestandteil "POUR-" im Gesamteindruck der angegriffenen Marke zumindest nicht hinter dem zweiten Wortbestandteil "ELLE" zurück (vgl. hier auch Althammer/Ströbele, aaO, § 9 Rdn 160 ff).

Auch eine durch gedankliche Verbindung hervorgerufene Verwechslungsgefahr ist zu verneinen. § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG enthält insoweit keinen eigenen, über die Verwechslungsgefahr hinausreichenden Markenverletzungstatbestand. So stellt der Begriff der Gefahr des gedanklichen Inverbindungbringens keine Alternative zur Verwechslungsgefahr dar, sondern bestimmt nur deren Umfang näher. Bereits nach ihrem Wortlaut ist diese Bestimmung daher nicht anwendbar, wenn für die angesprochenen Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr nicht besteht (vgl EuGH GRUR 1998, 387, 389 "Springende Raubkatze"; vgl auch BGH GRUR 1998, 932. 934 "MEISTERBRAND"; GRUR 1998, 927, 929 "COMPO-SANA”; GRUR 1999, 240, 241 "STEPHANSKRONE I"; GRUR 1999, 241, 244 "Lions"). Eine derartige Verwechslungsgefahr kann vorliegend auch nicht mittelbar unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens angenommen werden. Dieser Tatbestand ist nur dann zu bejahen, wenn die Marken in einem Bestandteil übereinstimmen, den der Verkehr als Stamm mehrerer Zeichen eines Unternehmens ansieht und deshalb andere Marken, die einen wesensgleichen Stamm aufweisen, dem gleichen Inhaber zuordnet. Voraussetzung für die Eignung eines Markenelements als Stammbestandteil ist also, daß bereits dieser Markenteil vom Verkehr afs Hinweis auf die betriebliche Herkunft und deshalb als Stamm einer Zeichenserie verstanden wird (vgl BGH GRUR 1996, 200, 202 "Innovadiclophlont"; aaO "COMPO-SANA"; aaO "STEPHANSKRONE I"; vgl auch Althammer/Ströbele, aaO, § 9 Rdn ISO). Der für die Annahme einer mittelbaren Verwechslungsgefahr erforderliche Hinweischarakter ist insbesondere kennzeichnungsschwachen Markenteilen abzusprechen (vgl BGH aaO "COMPO-SANA"; aaO "STEPHANSKRONE I", Althammer/Ströbele: aaO, §9 Rdn 186 mwNachw), wovon - wie dargelegt - bei dem Bestandteil "ELLE" auszugehen ist. Außerdem führt die gesamtbegriffliche Bedeutung des Ausdrucks "POURELLE" von der Vorstellung weg, es könnte sich hier um eine Serienmarke mit dem Stammbestandteil "ELLE" handeln (vgl Althammer/Ströbele, aaO, § 9 Rdn 191).

Mit Rücksicht auf diese Umstände läßt sich eine Ähnlichkeit zwischen beiden Marken, die zu Verwechslungen i$v § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG führen könnten, nicht feststellen. Die Beschwerde der Widersprechenden ist daher nicht begründet und muß zurückgewiesen werden.

Auf die Frage einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke kam es daher nicht an.

Kosten werden nicht auferlegt (§ 71 Abs 1 Satz 1 MarkenG).