BSG, Urteil vom 25.02.2015 - B 3 P 6/13 R
Fundstelle
openJur 2015, 11586
  • Rkr:
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit steht die Feststellung, ob der Klägerin das zuerkannte Pflegegeld weiter zu gewähren ist, wenn sie sich für länger als sechs Wochen in der Türkei aufhält.

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige und bei der beklagten Pflegekasse über ihren Ehemann familienversichert. Sie bezieht Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Ihren Antrag, dieses für die Dauer eines für vier Monate geplanten Aufenthaltes in ihrem Heimatland weiter zu gewähren, lehnte die Beklagte ab. Sie wies den Widerspruch als unzulässig zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.3.2011), weil kein Verwaltungsakt, sondern lediglich eine Auskunft und - wegen des Bezugs von Pflegegeld - derzeit auch keine Beschwer vorliege. Der Widerspruch sei außerdem unbegründet, weil das Pflegegeld nach § 34 Abs 1 Nr 1 SGB XI bei einem Auslandsaufenthalt nur bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr weiter zu gewähren sei.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile vom 15.12.2011 und vom 15.5.2013). Nach Auffassung des LSG ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig, weil in der Ablehnung des Antrags der Klägerin ein Verwaltungsakt liege. Die Klägerin habe ihre Absicht, sich mit ihrem Ehemann als Pflegeperson länger als sechs Wochen in der Türkei aufzuhalten, hinreichend konkret dargelegt, und die Reise könne ihr ohne vorherige Klärung dieser Rechtsfrage nicht zugemutet werden. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil bei einem länger als sechs Wochen dauernden Auslandsaufenthalt ein Anspruch auf Pflegegeld gemäß § 34 Abs 1 Nr 1, Abs 1a SGB XI nur in Betracht komme, wenn sich der Versicherte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU), einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder der Schweiz aufhalte. Für einen länger als sechs Wochen dauernden Aufenthalt in der Türkei ergebe sich ein Anspruch auf Pflegegeld weder aus einer Überlagerung dieser Regelung durch Europarecht noch durch das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei geschlossene Sozialversicherungsabkommen. Dieses erfasse nur die Kranken-, nicht die Pflegeversicherung.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin insbesondere geltend, von dem im Sozialversicherungsabkommen verwendeten Begriff "Krankenversicherung" werde entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) auch das Pflegegeld erfasst. Dieses müsse als Teil der Krankenversicherung angesehen werden, da die Pflegeleistungen bis zur Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 durch die Krankenversicherung abgedeckt worden seien.

Die Klägerin beantragt,die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Mai 2013 und des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Dezember 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 zu ändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei einem Aufenthalt in der Türkei über einen Zeitraum von sechs Wochen hinaus Pflegegeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidungen des SG und des LSG für zutreffend.

Gründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin bei einem länger als sechs Wochen dauernden Aufenthalt in der Türkei keinen Anspruch auf Pflegegeld hat.

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist nach § 54 Abs 1 Satz 1 iVm § 55 SGG zulässig. Die berufungsgerichtliche Auslegung, dass die ablehnende Ausgangsentscheidung der Beklagten einen Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X darstellt, ist rechtsfehlerfrei und zutreffend. Die mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ablehnungsentscheidung auf einen konkreten Antrag der Klägerin war schon der äußeren Form nach ein Verwaltungsakt (vgl hierzu Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 25), und sie war von der Empfängerin als Maßnahme zur Regelung des Einzelfalls und nicht als bloßer Hinweis zu verstehen. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass ihr der Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI weiterhin zusteht, wenn sie sich für länger als sechs Wochen in die Türkei begibt. Zwar ist der Antritt eines so lange dauernden Aufenthaltes der Klägerin in der Türkei bisher - auch wenn sie sich zwischenzeitlich bereits dort aufgehalten haben sollte - noch nicht ersichtlich. Eine Klage auf Feststellung eines zukünftigen Rechtsverhältnisses ist aber zulässig, wenn dieses hinreichend bestimmt und überschaubar ist, und alle für die streitige Rechtsbeziehung erheblichen Tatsachen bis auf den Eintritt einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung vorliegen (BSGE 92, 113, 116 f = SozR 4-2600 § 46 Nr 1 RdNr 18; vgl hierzu auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 8b mwN). Das ist der Fall, weil die Klägerin, die derzeit Pflegegeld erhält, hinreichend konkret dargelegt hat, dass sie sich für vier Monate in ihr Heimatland begeben möchte. Die weitere Gewährung des Pflegegeldes hängt daher nur davon ab, ob der Anspruch auch bei einem entsprechenden Aufenthalt in der Türkei besteht. An dieser Feststellung hat sie ein berechtigtes Interesse, weil es ihr nicht zuzumuten ist, die streitige Frage zu dieser ihren Pflegebedarf absichernden Leistung erst nach Antritt eines solchen Aufenthaltes zu klären.

2. Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch weder aus innerstaatlichem Recht (hierzu a.) noch aus Unionsrecht (hierzu b.) oder aus dem zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Sozialversicherungsabkommen (hierzu c.) ableiten. Das innerstaatliche Recht verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht (hierzu d.).

a. Der Anspruch ergibt sich nicht aus deutschen Rechtsvorschriften. Für die in Deutschland wohnhafte und hier pflegeversicherte Klägerin gelten die Vorschriften des SGB XI (§§ 30 Abs 1, 37 Satz 1 SGB I). Danach hat die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf Pflegegeld iS des § 37 Abs 1 SGB XI nach der Pflegestufe II. Der Anspruch auf Leistungen ruht jedoch gemäß § 34 Abs 1 Nr 1 Satz 1 SGB XI, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält. Bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt von bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr ist das Pflegegeld nach § 37 SGB XI weiter zu gewähren (§ 34 Abs 1 Nr 1 Satz 2 SGB XI). Außerdem ruht der Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI nicht, wenn sich der Versicherte in einem Mitgliedstaat der EU, einem Vertragsstaat des Abkommens über den EWR oder der Schweiz aufhält (§ 34 Abs 1a SGB XI). Da die Türkei nicht zu den genannten Staaten gehört, ruht der Anspruch der Klägerin auf Pflegegeld, wenn sie sich länger als sechs Wochen in der Türkei aufhält.

b. Die nationale Rechtsordnung kann zwar durch vorrangige Regelungen des supranationalen Rechts überlagert oder ergänzt werden (vgl § 30 Abs 2 SGB I, § 6 SGB IV); das dargestellte nationale Recht verstößt aber nicht gegen europäisches Primärrecht, also die zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen Verträge, und wird auch nicht durch europäisches Sekundärrecht überlagert, das auf der Grundlage des Primärrechts von den Organen der EU erlassen wird.

aa. Für die Klägerin, die ausschließlich die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, gilt weder das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art 18 Abs 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) noch die innerhalb der Union gewährleistete Freizügigkeit für Arbeitnehmer gemäß Art 45 AEUV. Beide Vorschriften gelten grundsätzlich nur für Unionsbürger (bzgl Art 18 Abs 1 AEUV vgl EuGH Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13, NZS 2015, 20, 21 - RdNr 59 ?Dano?; zu Art 45 AEUV vgl Langer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013, Art 45 RdNr 5) dh für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates (Art 20 Abs 1 Satz 2 AEUV).

bb. Auf die auf der Grundlage des Primärrechts erlassene Verordnung - VO - (EG) Nr 883/2004 kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Denn nach Art 2 Abs 1der VO (EG) Nr 883/2004 gilt diese Verordnung nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Zu diesem Personenkreis gehört die Klägerin nicht. Darüber hinaus gilt die Verordnung (sowie die VO <EG> Nr 987/2009) auch für Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter den Anwendungsbereich dieser Verordnungen fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und ihre Hinterbliebenen, wenn sie ihren rechtmäßigen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und sich in einer Lage befinden, die nicht ausschließlich einen einzigen Mitgliedstaat betrifft. Dies ergibt sich aus Art 1 der VO (EU) Nr 1231/2010. Danach finden die dort genannten Verordnungen keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich Verbindungen zu einem Drittstaat und einem einzigen Mitgliedstaat haben (vgl Erwägungsgründe Nr 12 der VO (EU) Nr 1231/2010). So liegt es bei der Klägerin, die neben der Türkei als Drittstaat ausschließlich Verbindungen zu einem einzigen Mitgliedstaat, der Bundesrepublik Deutschland, hat. Durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs im Wesentlichen auf die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörige mit Bezug zu wenigstens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten werden die davon ausgeschlossenen Personen nicht unionsrechtswidrig diskriminiert, weil diese Abgrenzung dem Unionsrecht immanent ist.

cc. Die Klägerin kann auch aus dem von der Republik Türkei und der Gemeinschaft sowie deren Mitgliedstaaten am 12.9.1963 in Ankara unterzeichneten Assoziierungsabkommen (im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt durch Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23.12.1963 <ABl 1964, Nr 217, S 3685> auf der Grundlage von Art 238 des EWG-Vertrags <jetzt Art 217 AEUV>) einschließlich des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970 (im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligt und bestätigt durch die Verordnung <EWG> Nr 2760/72 des Rates vom 19.12.1972 <ABl 1972, L 293, S 1>) keine Rechte oder Rechtswirkungen ableiten, die einem Ruhen ihres Anspruchs entgegenstehen. Nach Art 39 Abs 1 des Zusatzprotokolls erlässt der Assoziationsrat auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Bestimmungen für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in Gemeinschaft wohnende Familien. Dabei muss nach Art 39 Abs 4 des Zusatzprotokolls für Alters-, Hinterbliebenen- und Invaliditätsrenten die Möglichkeit einer Ausfuhr in die Türkei bestehen. Diese Bestimmung entfaltet keine unmittelbaren Rechtswirkungen; ihr kommt lediglich Programmcharakter zu. Bei dem Abkommen einschließlich des Zusatzprotokolls handelt es sich um eine völkerrechtliche Verpflichtung als Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH Urteil vom 30.9.1987 - C-12/86 - Slg 1987, I-3719 RdNr 7 ?Demirel?). Bestimmungen eines solchen - aufgrund der Beteiligung von Union und Mitgliedstaaten gemischten (EuGH Urteil vom 30.9.1987 - C-12/86 - Slg 1987, I-3719 RdNr 9 ?Demirel?) - Abkommens der Gemeinschaft mit Drittländern sind als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht von dem Erlass eines weiteren Aktes abhängen (EuGH Urteil vom 30.9.1987 - C-12/86 - Slg 1987, I-3719 RdNr 14 ?Demirel?). Durch Art 39 Abs 1 des Zusatzprotokolls wird aber ausdrücklich dem Assoziationsrat die weitere Umsetzung dieser Aufgabe übertragen; ohne diesen Umsetzungsakt können aus dem Abkommen und dem Zusatzprotokoll unmittelbar keine Rechte abgeleitet werden.

Unmittelbare Rechtswirkungen können sich daher erst aus den auf der Grundlage von Art 39 des genannten Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen erlassenen Umsetzungsakten, insbesondere aus Art 3 Abs 1 und Art 6 Abs 1 des Beschlusses des Assoziationsrates Nr 3/80 vom 19.9.1980 ergeben (ABl 1983, C 110, S 60; zur unmittelbaren Wirkung vgl EuGH Urteil vom 4.5.1999 - C-262/96 - Slg 1999, I-2685 RdNr 74 = SozR 3-6935 Allg Nr 4 S 45 <Sürül> - bezüglich Art 3 Abs 1 des Beschlusses des Assoziationsrates Nr 3/80 vom 19.9.1980 und EuGH Urteil vom 26.5.2011 - C-485/07 - Slg 2011, I-4499 RdNr 67 ff - bezüglich Art 6 Abs 1). Durch den Beschluss sollen die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten koordiniert werden, damit türkische Arbeitnehmer, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft beschäftigt sind oder waren, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen Leistungen in den herkömmlichen Zweigen der sozialen Sicherheit beziehen können. Zu diesem Zweck wurden die Bestimmungen dieses Beschlusses im Wesentlichen aus einigen Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 übernommen (EuGH Urteil vom 26.5.2011 - C-485/07 - Slg 2011, I-4499 RdNr 15). Soweit die Normen des Beschlusses Nr 3/80 unmittelbare Geltung entfalten, finden zwar dem entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften keine Anwendung (EuGH Urteil vom 26.5.2011 - C-485/07 - Slg 2011, I-4499 RdNr 74 ff), indes widerspricht die hier maßgebliche Ruhensanordnung des nationalen Gesetzgebers den Regelungen dieses Beschlusses nicht.

Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 entspricht nach seinem Wortlaut weitgehend dem des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und setzt das in Art 9 des Assoziierungsabkommens verankerte allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit um (vgl EuGH Urteil vom 4.5.1999 - C-262/96 - Slg 1999, I-2685 RdNr 64 = SozR 3-6935 Allg Nr 4 S 43 ?Sürül?; EuGH Urteil vom 14.3.2000 - C-102/98, C-211/98 - Slg 2000, I-1287 RdNr 36 = SozR 3-6940 Art 3 Nr 1 S 9 ?Kocak und Örs?; EuGH Urteil vom 28.4.2004 - C-373/02 - Slg 2004, I-3605 = SozR 4-6940 Art 3 Nr 2 RdNr 49 ?Öztürk?; EuGH Urteil vom 26.5.2011 - C-485/07 - Slg 2011, I-4499 RdNr 98). Art 9 des Assoziierungsabkommens geht daher insoweit vor (vgl nur EuGH, Urteil vom 14.3.2000 - C-102/98, C-211/98 - Slg 2000, I-1287 RdNr 37 = SozR 3-6940 Art 3 Nr 1 S 9 ?Kocak und Örs?). Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 gibt den Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die dieser Beschluss gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates, wie Staatsangehörigen dieses Staates. Die hier maßgeblichen nationalen Regelungen des § 34 SGB XI knüpfen die Ruhensanordnung bei einem länger als sechs Wochen dauernden Auslandsaufenthalt jedoch nicht an die Staatsangehörigkeit. Die Ruhensanordnung trifft jeden Leistungsempfänger in gleicher Weise, entscheidend ist nur ein Auslandsaufenthalt für mehr als sechs Wochen außerhalb der EU und der anderen in § 34 Abs 1a SGB XI genannten Staaten. Eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit iS von Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 liegt damit nicht vor.

Durch die Ruhensanordnung in § 34 Abs 1 Nr 1 SGB XI bei einem länger als sechs Wochen dauernden Auslandsaufenthalt kommt es nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung, auch wenn Personen anderer Staatsangehörigkeit möglicherweise häufiger umziehen bzw in ihr Heimatland zurückziehen, als solche, die im Land ihrer Staatsangehörigkeit wohnen. Der Beschluss Nr 3/80 bezweckt nicht, die Vorschriften der EWG-Verordnung über den territorialen Bereich der Mitgliedstaaten hinaus auch auf die Türkei anzuwenden. Der Beschluss ist schon dem Namen nach auf "die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige" bezogen und nicht auf die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die Türkei. Es geht in diesem Beschluss daher nicht darum, die Regelungsinhalte der EWG-Verordnung in territorialer Hinsicht auf die Türkei zu übertragen, sondern nur darum, den türkischen Arbeitnehmern und deren Familienangehörige dieselben Rechte einzuräumen, die auch die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten haben. Türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige können das Pflegegeld ebenso wie die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates in andere Mitliedstaaten exportieren, aber nicht in die Türkei. Im territorialen Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften sind die türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gleichgestellt.

Art 6 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 entspricht Art 10 der VO (EWG) Nr 1408/71 und verbietet grundsätzlich Wohnortklauseln in Bezug auf die dort aufgeführten Leistungen der sozialen Sicherheit, namentlich für Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene, für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten sowie für Kapitalabfindungen, die im Falle der Wiederverheiratung an den überlebenden Ehegatten gewährt werden, der Anspruch auf Hinterbliebenenrente hatte. Leistungen der Pflegeversicherung sind weder ausdrücklich von Art 6 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 erfasst noch handelt es sich um Leistungen, die den im Normtext genannten Leistungen gleichzustellen wären. Insbesondere kann das Pflegegeld nicht mit Geldleistungen bei Invalidität gleichgestellt werden (eine Gleichstellung hat der EuGH etwa für einen Zuschlag zur Invalidenrente bejaht: EuGH Urteil vom 26.5.2011 - C-485/07 - Slg 2011, I-4499 RdNr 77). Der Begriff der Invalidität ist weder in der VO (EWG) Nr 1408/71 noch in der VO (EG) Nr 883/2004 definiert und wurde seitens des EuGH nur dahingehend konkretisiert, dass ein Bezug zur Erwerbsfähigkeit vorliegen muss (EuGH Urteil vom 16.11.1972 - C-14/72 - Slg 1972, 1105 RdNr 8 ?Heinze?; EuGH Urteil vom 16.11.1972 - C-15/72 - Slg 1972, 1127 RdNr 8 ? Land Niedersachsen ?; EuGH Urteil vom 16.11.1972 - C-16/72 - Slg 1972, 1141 RdNr 8 ? Allgemeine Ortskrankenkasse Hamburg ?). Invalidität iS von Art 4 Abs 1 Buchst b VO (EWG) Nr 1408/71 und Art 3 Abs 1 Buchst c VO (EG) Nr 883/2004 wird daher in Anlehnung an das deutsche Rentenversicherungsrecht als Risiko der Minderung oder Aufhebung der Erwerbsfähigkeit definiert, die in der Regel zu Einkommensminderungen führt (Fuchs in ders, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013, Art 3 VO <EG> Nr 883/2004 RdNr 12). Die koordinationsrechtliche Zuordnung der Pflegebedürftigkeit war lange Zeit streitig, ein spezifischer Zusammenhang zu der Erwerbsfähigkeit im vorgenannten Sinne wurde indes überwiegend verneint (Igl, Pflegeversicherung als neuer Gegenstand sozialrechtlicher Regulierung in Sieveking <Hrsg>, Soziale Sicherung bei Pflegebedürftigkeit in der Europäischen Union, 1998, S 19, 32 f; Langer, Künftige rechtliche Koordinierung der Pflegeversicherung in Europa in Sieveking, aaO, S 251, 255, die den Zusammenhang als "fraglich" ansieht; aA Zuleeg, Die Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die deutsche Pflegeversicherung in Sieveking, aaO, 159, 169 f, der die Pflegebedürftigkeit dem Risiko der Invalidität und der Krankheit zuordnete). Mit Urteil vom 5.3.1998 (C-160/96 - Slg 1998, I-843 RdNr 28 ff = SozR 3-3300 § 34 Nr 2 S 16 ff ?Molenaar?) hat der EuGH koordinationsrechtlich eine Zuordnung des Risikos der Pflegebedürftigkeit zu dem Risikobereich der Krankheit iS von Art 4 Abs 1 Buchst a VO (EWG) Nr 1408/71 (jetzt Art 3 Abs 1 Buchst a VO <EG> Nr 883/2004) vorgenommen (seither stRspr, vgl mit Blick auf die deutsche Pflegeversicherung: EuGH Urteil vom 8.7.2004 - C-31/02, C-502/01 - Slg 2004, I-6483 RdNr 19 ff = SozR 4-3300 § 44 Nr 2 RdNr 19 ff ?Gaumain-Cerri und Barth?; EuGH Urteil vom 16.7.2009 - C-208/07 - Slg 2009, I-6095 RdNr 40 = SozR 4-6050 Art 19 Nr 3 RdNr 40 ?Chamier-Glisczinski?). Desgleichen hat der EuGH in Bezug auf Leistungen der sozialen Sicherheit anderer nationaler Systeme entschieden, dass Leistungen, die objektiv aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt werden und die darauf abzielen, den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern, als "Leistungen bei Krankheit" iS von Art 4 Abs 1 Buchst a der VO (EWG) Nr 1408/71 zu betrachten sind (vgl EuGH Urteil vom 8.3.2001 - C-215/99 - Slg 2001 I-1901 RdNr 28 = SozR 3-6050 Art 10a Nr 1 S 7 ?Jauch?; EuGH Urteil vom 21.2.2006 - C-286/03 - Slg 2006 I-1771 RdNr 38 ?Hosse?; EuGH Urteil vom 18.10.2007 - C-299/05, Slg 2007, I-8695 RdNr 61 ? Kommission/Parlament und Rat ?). Der EuGH hat den Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit insbesondere wegen ihrer regelmäßig dauerhaften oder zumindest lange Zeiträume betreffenden Gewährung einen "Sondercharakter" zugeschrieben, der eine Nähe zu den Leistungen wegen Invalidität und Alter aufweise, koordinationsrechtlich das von der Pflegeversicherung abgedeckte Risiko jedoch ausschließlich dem Risiko der Krankheit zugeordnet (EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - Slg 2011, I-5737 RdNr 48 = SozR 4-6050 Art 15 Nr 2 RdNr 48 ? da Silva Martins ?). Das hier in Rede stehende Pflegegeld ist daher keine Leistung bei Invalidität, und die Ruhensanordnung des nationalen Gesetzgebers steht nicht im Widerspruch zu Art 6 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80.

Art 11 des Beschlusses Nr 3/80, der möglicherweise ebenfalls unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet, verweist für die Gewährung von Leistungen auf die Art 19 bis 24, Art 25 Abs 3 und Art 26 bis 36 der VO (EWG) Nr 1408/71. Diese Vorschriften gewährleisten den Export von Leistungen der sozialen Sicherheit innerhalb der Gemeinschaft. Wie bereits zu Art 3 des Beschlusses Nr 3/80 dargelegt, wird aber der territoriale Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften nicht erweitert.

c. Ein Anspruch der Klägerin auf den Export des Pflegegeldes in die Türkei lässt sich schließlich nicht aus dem zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Sozialversicherungsabkommen ableiten.

aa. Die Rechtsvorschriften über die Pflegeversicherung sind von dem Sozialversicherungsabkommen vom 30.4.1964 (Zustimmung des Parlaments durch Gesetz zu dem Abkommen vom 30.4.1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 13.9.1965 - BGBl II 1965 S 1169, 1170, im Folgenden: SVA), in der Fassung des Zusatzabkommens vom 2.11.1984 (Zustimmung des Parlaments durch Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 2.11.1984 zum Abkommen vom 30.4.1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung vom 2.11.1984 zur Durchführung des Abkommens vom 11.12.1986 - BGBl II 1986 S 1038, 1140; im Folgenden: SVA idF des ZA) nicht erfasst. Gemäß Art 2 Abs 1 Nr 1 SVA idF des ZA bezieht es sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf die deutschen Rechtsvorschriften über a) die Krankenversicherung sowie den Schutz der erwerbstätigen Mutter, soweit sie die Gewährung von Geld- und Sachleistungen durch die Träger der Krankenversicherung zum Gegenstand haben, b) die Unfallversicherung, c) die Rentenversicherung und die hüttenknappschaftliche Zusatzversicherung, d) die Altershilfe für Landwirte, e) das Kindergeld für Arbeitnehmer. Die Vorschrift ist nicht dahingehend auszulegen, dass mit "Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung" auch die Vorschriften über die Pflegeversicherung gemeint sind.

bb. Ein sozialversicherungsrechtliches Abkommen ist als völkerrechtlicher Vertrag grundsätzlich nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (vgl Art 31 Abs 1 Wiener Vertragsrechtskonvention - WVK vom 23.5.1969 - BGBl II 1985 S 927). Denn bei dieser in Art 31 WKV verschriftlichten Auslegungsregel handelt es sich um eine völkergewohnheitsrechtlich geltende Bestimmung (Graf Vitzthum in ders/Proelß, Völkerrecht, 6. Aufl 2013, 1. Abschnitt RdNr 123 mwN aus der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs). Der völkerrechtliche Vertrag ist - anders als Unionsrecht, dessen Auslegung sich an den Zielen und der Tätigkeit der Union (EuGH Urteil vom 9.2.1982 - C-270/80 - Slg 1982, 329 RdNr 16 ?Polydor/Harlequin?) orientiert - folglich zunächst aus sich heraus und vorrangig ausgehend von dem Wortlaut auszulegen, dem die "gewöhnliche" Bedeutung der gebrauchten Worte (sog ordinary meaning-rule) beizumessen ist. Die Bestimmungen sind ferner in ihrem "Zusammenhang" zu sehen. Das bedeutet, sie sind insbesondere unter Berücksichtigung von anlässlich des Vertrages abgefasster Urkunden, Übereinkünfte und Übungen zwischen den Parteien auszulegen (vgl Art 31 Abs 2, 3 WVK), so dass im Ergebnis der jeweils aktuelle Parteienkonsens ermittelt werden soll (vgl Graf Vitzthum in ders/Proelß, aaO, 1. Abschnitt RdNr 123). Zielt ein internationales Abkommen zudem auf die langfristige Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten auf einem bestimmten Sektor - wie vorliegend dem Sektor der sozialen Sicherheit -, und ist es damit auf Dauer angelegt, hat dies zur Folge, dass die Auslegung im Lichte des Vertragszieles und dessen dauernder Förderung, also "dynamisch" vorzunehmen ist (BSG SozR 3-6960 Teil II Art 8 Nr 1 S 5 mwN).

cc. Nach dem Willen der Parteien des SVA idF des ZA konnte mit dem Begriff "Krankenversicherung" weder zum Zeitpunkt der Vereinbarung des SVA im Jahre 1964 noch zur Zeit der Vereinbarung des ZA im Jahre 1984 bereits die Pflegeversicherung gemeint gewesen sein, denn diese wurde in der Bundesrepublik Deutschland erst durch das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26.5.1994 (BGBl I 1014) in das Sozialgesetzbuch eingefügt, und in der Republik Türkei hat sich, soweit ersichtlich, bis heute weder eine vergleichbare Pflegeversicherung als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung noch als Bestandteil eines anderen Zweiges etabliert (vgl insoweit die Erklärungen der Anstalt für Soziale Sicherheit der Republik Türkei zu dem türkischen sozialen Sicherheitssystem, abrufbar unter http://www.ssk.gov.tr, letzter Abruf am 28.1.2015). Auch die Vorschriften der §§ 53 ff SGB V, die bis zur Einführung der Pflegeversicherung Schwerpflegebedürftigen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf häusliche Pflegehilfe gewährten, sind erst nach der Vereinbarung des SVA einschließlich des ZA in das Sozialgesetzbuch eingefügt worden (mit Wirkung vom 1.1.1989 durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen - Gesundheits-Reformgesetz - GRG - vom 20.12.1988, BGBl I 2477). Vor Inkrafttreten der §§ 53 ff SGB V erhielten Versicherte gemäß § 185 Abs 1 Satz 1 RVO in ihrem Haushalt oder ihrer Familie neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch Krankenpflegepersonen mit einer staatlichen Erlaubnis oder durch andere zur Krankenpflege geeignete Personen, wenn Krankenhauspflege geboten, aber nicht ausführbar war, oder Krankenhauspflege dadurch nicht erforderlich wurde. Die sog "Hauspflege" wurde als besonders ausgestaltete Krankenpflege (§ 182 RVO) angesehen, die - entsprechend dem Wortlaut des § 185 Abs 1 Satz 1 RVO - nur als Ersatz für eine an sich gebotene Krankenhauspflege in Betracht kam (BSGE 30, 144, 146 = SozR Nr 1 zu § 185 RVO Aa 1; im Anschluss daran BSGE 44, 139, 140 = SozR 2200 § 185 Nr 1 S 1 f; BSGE 50, 73, 76 f = SozR 2200 § 185 Nr 4 S 10). § 185 RVO enthielt daher nicht eine den §§ 53 ff SGB V oder den heutigen Leistungen der Pflegeversicherung vergleichbare Leistung und knüpfte auch nicht an das Risiko der Pflegebedürftigkeit an. Vielmehr gewährte diese Vorschrift eine Leistung der Krankenversicherung vergleichbar der heute nach § 37 Abs 1 SGB V zu gewährenden häuslichen Krankenpflege als Krankenhausersatzpflege.

Die soziale Pflegeversicherung wurde als neuer und eigenständiger Zweig der Sozialversicherung etabliert (vgl auch § 1 Abs 1 SGB XI und in diesem Zusammenhang BT-Drucks 12/5262 S 88), weil die soziale Absicherung der Pflegebedürftigkeit als unbefriedigend angesehen wurde (BT-Drucks 12/5262 S 61). Die Träger der Pflegeversicherung wurden zwar organisatorisch unter dem Dach der Krankenkassen angesiedelt, die Pflegekassen waren jedoch immer selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 46 SGB XI). Die Schaffung eines neuen Versicherungszweiges, um ein bis Ende 1994 nur in Ansätzen abgedecktes Risiko zu erfassen, und die hierfür neu geschaffenen organisatorischen Strukturen zeigen, dass es bei der Einführung der Pflegeversicherung nicht nur um die Umorganisation eines dem Grunde nach bereits etablierten Systems ging. Im Ergebnis kann daher nicht unterstellt werden, dass die Vertragsparteien des SVA idF des ZA den Begriff Krankenversicherung in einem weiten, die Pflegeversicherung umfassenden, Sinne verstanden hätten.

dd. Zwar zielt das SVA idF des ZA auf eine langfristige Zusammenarbeit der Vertragsstaaten im Bereich der sozialen Sicherheit und ist daher dynamisch im Lichte des Vertragsziels auszulegen. Dabei muss es aber immer darum gehen, im Ergebnis den jeweils aktuellen Parteienkonsens zu ermitteln. Daher kann das Abkommen nicht so ausgelegt werden, dass die Pflegeversicherung seit ihrer Einführung in der Bundesrepublik Deutschland davon umfasst wäre. Für einen solchen Konsens der Vertragsparteien gibt es keine Anhaltspunkte.

(1) Bei der Einführung eines völlig neuen Sozialversicherungszweigs hätte es nahegelegen, das SVA idF des ZA entsprechend anzupassen und auf diesen Sozialversicherungszweig auszudehnen, wenn Konsens über eine Einbeziehung zwischen den Vertragsparteien bestanden hätte. Das ZA zeigt, dass nachträgliche Ergänzungen durchaus vorgenommen werden. So wurde der Anwendungsbereich des SVA durch das ZA bezüglich der Rechtsvorschriften in der Türkei erweitert. Seitdem werden nach Art 2 Abs 1 Nr 2 Buchst e SVA idF des ZA türkische Rechtsvorschriften über "andere Sozialversicherungsträger" ausdrücklich vom Anwendungsbereich erfasst, wenn sie durch die Sozialversicherungsgesetzgebung errichtet und in das Sozialversicherungssystem einbezogen werden. Da sich eine vergleichbare Regelung bezüglich der deutschen Rechtsvorschriften im SVA idF des ZA nicht findet, wäre bei einem entsprechenden Konsens der Vertragsparteien eine Anpassung des Abkommens notwendig gewesen.

(2) Aufgrund der konkreten Aufzählung der im Einzelnen erfassten Bereiche der sozialen Sicherheit in Art 2 Abs 1 Nr 1 SVA idF des ZA, zu denen die Pflegeversicherung nicht gehört, können sich allein aus der Präambel des SVA idF des ZA keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Einbeziehung der Pflegeversicherung ergeben. Dabei handelt es sich lediglich um eine geläufige Eingangsformulierung ("In dem Wunsche, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten im Bereich der Sozialen Sicherheit zu regeln, und in Anerkennung des Grundsatzes, dass die Staatsangehörigen der beiden Staaten bei Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften einander gleichstehen"), die sich in ähnlicher Form auch in anderen Sozialversicherungsabkommen (zB in denen mit Israel und Japan) findet, aus der sich aber eine vom Wortlaut nicht gedeckte Erweiterung des Abkommens auf einen neuen Sozialversicherungszweig ohne weitere Anhaltspunkte für einen entsprechenden Parteienkonsens nicht ableiten lässt.

(3) Ein solcher Parteienkonsens kann auch deshalb nicht ohne Weiteres ausgemacht werden, weil es in der Türkei bis heute kein Pendant zu der in Deutschland bestehenden Pflegeversicherung gibt. Das SVA idF des ZA setzt zwar nicht zwingend einen Gleichklang der Leistungen voraus, in Art 2 Abs 1 Nr 1 und 2 SVA idF des ZA werden jedoch im Wesentlichen die deutschen und die türkischen Rechtsvorschriften betreffend die Kranken- und Mutterschaftsversicherung, die Unfallversicherung und die Rentenversicherung erfasst, bei denen ein gegenseitiger Export von Leistungen möglich ist. Leistungen der Pflegeversicherung könnten dagegen nur einseitig von Deutschland in die Türkei mitgenommen werden. Daher würde die Umsetzung erhebliche Probleme aufwerfen, insbesondere wenn nicht nur Pflegegeld, sondern auch Pflegesachleistungen exportiert würden. Bei Anwendung der Vorschriften betreffend die "Versicherungen für den Fall der Krankheit und der Mutterschaft" nach Abschnitt II - Art 11 ff - SVA idF des ZA wären die Sachleistungen in der Türkei von der Arbeiterversicherungsanstalt nach den für den Träger des Aufenthaltsortes geltenden Rechtsvorschriften zu gewähren und zwar so, als wäre die Person bei dem Träger des Aufenthaltsortes versichert (Art 15 Abs 1 und 3 SVA idF des ZA). Mangels entsprechender Rechtsvorschriften in der Türkei kann diese Regelung nicht umgesetzt werden. Es ist auch nicht ersichtlich, auf welche Weise Sachleistungen der Pflegeversicherung ohne Anwendung dieser Vorschrift gewährt werden könnten, weil mangels Versicherung in der Türkei keine entsprechenden Versorgungsstrukturen vorhanden sind. Ein Konsens der Vertragsparteien, das Abkommen erfasse nur die Geldleistungen der Pflegeversicherung, kann nicht unterstellt werden.

(4) Schließlich ist Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a SVA idF des ZA auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zu Art 4 Abs 1 Buchst a VO (EWG) Nr 1408/71 (jetzt Art 3 Abs 1 Buchst a VO <EG> Nr 883/2004) so auszulegen, dass unter den Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung auch die Vorschriften über die Pflegeversicherung zu verstehen sind. Zwar hat der EuGH koordinationsrechtlich das Risiko der Pflegebedürftigkeit dem Risikobereich der Krankheit zugeordnet mit der Folge, dass die Begrifflichkeit "Leistungen bei Krankheit" iS von Art 4 Abs 1 Buchst a VO (EWG) Nr 1408/71 (jetzt Art 3 Abs 1 Buchst a VO <EG> Nr 883/2004) auch "Leistungen bei Pflegebedürftigkeit" erfasst (EuGH Urteil vom 5.3.1998 - C-160/96 - Slg 1998, I-843 = SozR 3-3300 § 34 Nr 2 ?Molenaar?). Dabei ist aber der unterschiedliche Wortlaut des SVA idF des ZA und der EWG-Verordnung/EG-Verordnung zu berücksichtigen. Letztere gilt nach deren Art 4 "für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen: a) Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft". Bei diesem Wortlaut stellt sich die Frage, ob die Leistungen der Pflegeversicherung ihrer Art nach auch Leistungen bei Krankheit sein können. Daher betont der EuGH, dass sich die Auslegung in erster Linie nach den Wesensmerkmalen der jeweiligen Leistung richtet (EuGH Urteil vom 16.7.1992 - C-78/91 - Slg 1992, I-4839 RdNr 14 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 5 S 12 ?Hughes?; EuGH Urteil vom 5.3.1998 - C-160/96 - Slg 1998, I-843 RdNr 19 = SozR 3-3300 § 34 Nr 2 S 14 ?Molenaar?). Diese Frage wirft der Wortlaut des SVA idF des ZA indes nicht auf. Denn das SVA idF des ZA bezieht sich nach dessen Art 2 Abs 1 Nr 1 "auf die deutschen Rechtsvorschriften über a) die Krankenversicherung". Dieser Wortlaut lässt insoweit keinen Auslegungsspielraum, denn die Rechtsvorschriften über die Krankenversicherung enthalten keine Leistungen der Pflegeversicherung. Dies muss insbesondere vor dem Hintergrund gelten, dass in dem bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei die Vorschriften und Leistungen, die vom sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens erfasst sein sollen, einer einfachen Aufzählung zugänglich sind, während bei unionsrechtlichen Regelungen die Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten regelmäßig nicht durch umfangreiche Auflistungen, sondern abstrakte Beschreibungen der Inhalte erfasst werden.

d. Die Ruhensanordnung nach § 34 Abs 1 Nr 1 Satz 1, Abs 1a SGB XI verstößt schließlich auch nicht gegen Verfassungsrecht. Selbst wenn der Pflegegeldanspruch als eigentumsähnliches Recht dem Schutzbereich des Eigentums des Art 14 GG unterfallen sollte - was der Senat ausdrücklich offenlässt - enthält die Reglung, dass dieser Anspruch bei einem länger als sechs Wochen dauernden Aufenthalt im Ausland (abgesehen von den in Abs 1a aufgeführten Staaten) ruht, lediglich eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG. Solche einschränkenden Bestimmungen zum Eigentum sind zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind (statt Vieler BVerfGE 70, 101, 111 = SozR 2200 § 1260c Nr 17 S 64; jüngst BVerfG, NJW 2014, 3634, 3635). So ist das Ruhen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung während eines Auslandsaufenthaltes (§ 16 SGB V) nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfGK 13, 406, 407 = SozR 4-2500 § 17 Nr 2 RdNr 4). Der Gesetzgeber darf sozial relevante Tatbestände im eigenen Staatsgebiet regeln. Die Dienst- und Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung können aber nur im Inland erbracht werden. Daher ist es sachlich gerechtfertigt die Leistungen der Krankenversicherung im Ausland von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen (BVerfGK 13, 406, 407 = SozR 4-2500 § 17 Nr 2 RdNr 4). Dies gilt auch für die Leistungen der Pflegeversicherung (vgl hierzu die Gesetzesbegründung BT-Drucks 12/5262 S 110 - zu § 30), denn unter Berücksichtigung einer gewissen Qualitätskontrolle liegen Gründe des Allgemeinwohls vor, zu deren Erreichung die grundsätzliche Beschränkung der Leistungen auf das Inland und die von § 34 Abs 1a SGB XI erfassten Staaten geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dies gilt nicht nur für die Pflegesachleistungen, sondern auch für das Pflegegeld, das nur zweckgebunden zur Sicherstellung der Pflege eingesetzt werden darf. Insoweit enthält auch der Anspruch auf Pflegegeld Qualitätsvorgaben, die nur im Inland laufend kontrolliert werden können.

3. Eine Vorlage an den EuGH kommt nicht in Betracht. Es geht nicht um die Auslegung der Verträge oder um Fragen im Zusammenhang mit Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (vgl Art 267 Abs 1 AEUV), weil weder Unionsverträge noch sekundäres Unionsrecht anwendbar sind. Auslegungsfragen betreffend das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei geschlossene SVA idF des ZA sind dem EuGH nicht vorzulegen, da es sich um ein rein bilaterales Abkommen und damit weder um ein allein durch die EU abgeschlossenes noch um ein gemischtes Abkommen handelt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.