OLG Hamburg, Beschluss vom 10.02.2015 - 3 U 16/13
Fundstelle
openJur 2015, 9684
  • Rkr:
Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20.12.2012, Aktenzeichen 327 O127/12, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der kostenlosen Abgabe von Arzneimitteln an Apotheker auf Unterlassung in Anspruch.

Bei den Parteien handelt es sich um pharmazeutische Unternehmen, welche Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Arzneimitteln sind.

Die Beklagte gab unaufgefordert und kostenlos Verkaufspackungen der Größe N1 der apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel „AM 1“, „AM 2“ sowie „AM 3“ an Apotheker ab. Die Verkaufspackungen waren jeweils mit einem Aufkleber „ad usum proprium“ versehen. Das Arzneimittel „AM 1“ ist zugelassen für die Behandlung von Schmerzen und Entzündungen und hat in der Packungsgröße N1 gemäß Lauer-Taxe einen Apothekeneinkaufspreis von € 3,10 und einen Apothekenverkaufspreis von € 5,97. Das Präparat „AM 2“ ist zugelassen zur Behandlung von Fußpilz und hat in der Größe N1 einen Apothekeneinkaufspreis von € 8,43 sowie einen Apothekenverkaufspreis von € 14,98. Bei dem Arzneimittel „AM 3“ handelt es sich um ein Präparat zur Kurzzeitbehandlung von Heuschnupfen, welches in der Größe N1 einen Apothekeneinkaufspreis von € 3,10 und einen Apothekenverkaufspreis von € 9,10 aufweist.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die kostenlose und unaufgeforderte Abgabe dieser Arzneimittel an Apotheker verstoße sowohl gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 47 Absätze 3 und 4 AMG sowie gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 7 Abs. 1 HWG. Apotheker gehörten nicht zu dem in § 47 Abs. 3 AMG genannten Personenkreis und die Abgabe sei nicht im Sinne von § 47 Abs. 4 „auf schriftliche Aufforderung“ erfolgt. Zudem fehle die vorgeschriebene Kennzeichnung („Unverkäufliches Muster“). Es liege auch ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 HWG vor, weil es sich bei den abgegebenen Arzneimitteln nicht um Gegenstände von geringem Wert im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG handele und sie auch nicht zur Verwendung in der pharmazeutischen Praxis im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG bestimmt seien.

Die Klägerin hat beantragt,

es der Beklagten bei Vermeidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu verbieten,

in geschäftlichen Handlungen gegenüber Apothekern für die Arzneimittel

a) „AM 1“ und/oder

b) „AM 2“ und/oder

c) „AM 3“

zu werben und/oder werben zu lassen mit der kostenlosen Abgabe dieser Arzneimittel in der Packungsgröße N1 an Apotheker zum Zwecke des Eigengebrauchs („ad usum proprium“), insbesondere wenn dies wie nachstehend eingeblendet geschieht

Es folgen Einblendungen der Arzneimittelverpackungen, jeweils versehen mit dem Aufkleber „ad usum Proprium“ und im Antrag jeweils mit „und/oder“ verbunden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass durch die Abgabe der Arzneimittel an Apotheker weder ein Verstoß gegen § 47 Abs. 3 AMG noch ein solcher gegen § 7 Abs. 1 HWG vorliege. Zwar sei es richtig, dass Apotheker nicht zu dem in § 47 Abs. 3 AMG genannten Personenkreis zählten. Daraus folge jedoch nicht automatisch, dass man an Apotheker deshalb überhaupt keine Arzneimittel abgeben dürfe. Es bestehe bei ihnen nämlich das gleiche vom Gesetzgeber grundsätzlich als legitim angesehene Interesse, Entscheidern im Bereich der Abgabe von Arzneimitteln die Möglichkeit einer sachgerechten Erprobung konkreter Arzneimittel zu verschaffen. Die Arzneimittelmuster-Abgabe sei auch unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit geregelt worden, da nicht auszuschließen sei, dass die nicht in § 47 Abs. 3 AMG genannten Personen Arzneimittel-Muster nicht ordnungsgemäß lagern, kontrollieren, abgeben oder sich ihrer entledigen. Dies alles treffe auf Apotheker nicht zu, da diese insoweit strenge apothekenrechtliche Vorgaben einhalten müssten. „Ad-usum-proprium-Arzneimittel“ unterfielen ebenso wie Arzneimittelproben, die in Apotheken oder im sonstigen Arzneimittelhandel zum Zwecke der Werbung unentgeltlich an Verbraucher verteilt würden, nicht der Regelung des § 47 AMG, sodass insoweit nur die Vorschrift des § 7 Abs. 1 HWG maßgeblich sei. Von einer Geringwertigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG sei auszugehen, weil jedenfalls hinsichtlich der Arzneimittel „AM 1“ und „AM 3“ der Einkaufspreis unter der gemäß den FSA-Leitlinien maßgeblichen € 5,00-Schwelle liege. Der Einkaufspreis sei maßgeblich, weil dies der Preis sei, den der Apotheker zu bezahlen hätte, wenn er sich die fraglichen Produkte zum Zwecke des Erkenntnisgewinns kaufte. Aufgrund des Zwecks der persönlichen Erprobung der Arzneimittel zur Beurteilung ihrer Eigenschaften im Beratungsalltag der Apotheke sei davon auszugehen, dass eine Bestimmung zur Verwendung in der pharmazeutischen Praxis vorliege.

Mit Urteil vom 20.12.2012, Az. 327 O 127/12, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf das angegriffene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und unter Bezugnahme sowie Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags begründet hat.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag dazu, dass § 47 Abs. 3 AMG auf Apotheker nicht anwendbar sei. Auch die Richtlinie 2001/83/EG entfalte insoweit keine Sperrwirkung. Bei der Nichtnennung der Apotheker als zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen in Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG handele es sich um ein Redaktionsversehen. Dies lasse sich Erwägungsgrund 51 der Richtlinie entnehmen, der ausdrücklich neben den zur Verschreibung Berechtigten auch die zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen als mögliche Adressaten von Gratismuster-Abgaben nenne. Auch im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen für eine Abgabe nach § 7 Abs. 1 HWG vorlägen, wiederholt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag. Von einer Verwendung für die pharmazeutische Praxis sei insbesondere auch deshalb auszugehen, weil es sich bei den streitgegenständlichen Arzneimitteln um solche zur Behandlung von „Allerwelts“-Erkrankungen handele, die im Laufe eines Jahres nahezu jeden Menschen einmal heimsuchten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20.12.2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags und vertritt die Auffassung, dass § 47 Abs. 3 AMG der Vorschrift des § 7 Abs. 1 HWG für die Abgabe von Arzneimittelmustern als speziellere Regelung vorgehe. Der Personenkreis, an den Arzneimittelmuster abgegeben werden dürfen, sei sowohl nach § 47 Abs. 3 AMG als auch nach Art. 96 der Richtlinie 2001/83/EG abschließend geregelt. Daran ändere angesichts der eindeutigen Entscheidung des Richtliniengebers bei der Formulierung des Art. 96 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG auch der von der Beklagten zitierte Erwägungsgrund 51 dieser Richtlinie nichts. Auch ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 HWG liege vor. Von einer Geringwertigkeit der Arzneimittel könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil nicht die Einkaufspreise, sondern die Verkaufspreise maßgeblich seien. Den abgegebenen Gratisarzneimitteln fehle es an dem erforderlichen Bezug zu der Tätigkeit des Apothekers, zumal von einem Selbsttest des Apothekers kein über die Angaben der Fachinformation oder der Packungsbeilage hinausgehender Erkenntnisgewinn zu erwarten sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil sowie die zwischen den Parteien gewechselten und zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zwar zulässig, aber zur Überzeugung des Senats offensichtlich unbegründet. Das Landgericht dürfte die Beklagten zu Recht und mit zutreffender Begründung antragsgemäß verurteilt haben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach den §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG zu.

1. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen das mit dem landgerichtlichem Urteil ausgesprochene Verbot, in geschäftlichen Handlungen gegenüber Apothekern für die Arzneimittel „AM 1“ und/oder „AM 2“ und/oder „AM 3“ zu werben und/oder werben zu lassen mit der kostenlosen Abgabe dieser Arzneimittel in der Packungsgröße N1 an Apotheker zum Zwecke des Eigengebrauchs („ad usum proprium“), insbesondere wenn dies wie im Tenor eingeblendet geschieht. Dabei handelt es sich um das in zulässiger Weise abstrakt gefasste Verbot der kostenlosen Abgabe der genannten Arzneimittel, welches durch die eingeblendeten Verpackungen der drei Präparate lediglich beispielhaft konkretisiert wird, da das Verbot sich lediglich „insbesondere“ auf diese konkreten Gestaltungen bezieht. Das Verbot erfasst sowohl die kostenlose Abgabe schon eines einzigen der genannten Arzneimittel als auch die Abgabe mehrerer dieser Präparate an einen Apotheker.

2. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach den §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG zu.

a) Zu Recht und mit zutreffender Begründung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche kostenlose Abgabe der genannten Arzneimittel an Apotheker einen Verstoß gegen § 47 Abs. 3 AMG darstellt.

Nach § 47 Abs. 3 AMG dürfen pharmazeutische Unternehmer Muster eines Fertigarzneimittels nur an die in der Vorschrift benannten Empfänger – Ärzte, Zahnärzte oder Tierärzte (Nr. 1); andere Personen, die die Heilkunde oder Zahnheilkunde berufsmäßig ausüben, soweit es sich nicht um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt (Nr. 2); Ausbildungsstätten für Heilberufe (Nr. 3) – abgeben, wobei dies gemäß Absatz 4 der Vorschrift nur auf schriftliche Anforderung und nach Maßgabe der dort genannten Mengenbeschränkungen geschehen darf.

aa) Bei den von der Beklagten jeweils in der Packungsgröße N1 kostenlos an Apotheker abgegebenen Arzneimitteln „AM 1“, „AM 2“ und „AM 3“ handelt es sich jeweils um „Muster“ im Sinne von § 47 Abs. 3 AMG. Muster in diesem Sinne sind zugelassene oder registrierte Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 AMG, die durch pharmazeutische Unternehmer insbesondere zum Zwecke der Information und Erprobung abgegeben werden (vgl. Miller, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 47 Rn. 98). Zudem lässt sich dem Begriff des „Gratismusters“ in der Vorschrift des Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG entnehmen, welche auf dem vollharmonisierten Gebiet der Werbung für Arzneimittel durch die nationale Vorschrift des § 47 Abs. 3 AMG umgesetzt wird, dass auch die Kostenlosigkeit der Abgabe für das Vorliegen eines Musters begriffsbestimmend ist.

Da die Beklagte als pharmazeutische Unternehmerin die an die Apotheker kostenlos abgegebenen Fertigarzneimittel jeweils mit dem Hinweis „ad usum proprium“ versehen hat und diese nach eigenem Vortrag zum Gebrauch des Apothekers zwecks Erprobung zur Verbesserung der Beratung dienten, handelte es sich bei den Arzneimitteln in der Größe N1 unzweifelhaft um Muster in dem vorgenannten Sinne.

Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt hier insbesondere kein Fall vor, der mit den von § 47 Abs. 3 AMG nicht erfassten Arzneimittelproben vergleichbar wäre (vgl. zu „Arzneimittelproben“: Miller a. a. O. § 47 Rdnr. 66; Rehmann, AMG, 4. Aufl. 2014, § 47 Rdnr. 16, Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Losebl., Stand: 2011, § 47 Anm. 53). Dabei handelt es sich nämlich um Proben, die in Apotheken oder im sonstigen Einzelhandel zum Zwecke der Werbung für das betreffende Arzneimittel an Verbraucher unentgeltlich verteilt werden (Kloesel/Cyran a. a. O.), wobei diese im Gegensatz zum Muster in der Regel in kleineren als der kleinsten für den Verkehr zugelassenen Packungsgröße abgegeben werden (Miller a. a. O.). Es kann dahinstehen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen die Abgabe solcher Proben mit Blick auf § 11 Nr. 14 HWG zulässig ist, da die betreffende Konstellation (Abgabe von Apotheker an Verbraucher) mit der hier vorliegenden (Abgabe durch den pharmazeutischen Unternehmer an Apotheker) nicht vergleichbar ist. Wie der Wortlaut des § 47 Abs. 3 AMG zeigt, wird darin allein die Arzneimittelabgabe durch „pharmazeutische Unternehmer“ begrenzt. Es findet sich darin jedoch keine Regelung über das Verhältnis von Arzt oder Apotheker zum Verbraucher. Auch die weiteren Anforderungen an die Musterabgabe in § 47 Absätze 3 und 4 AMG sowie in Art. 96 Abs. 1 AMG der Richtlinie 2001/83/EG zeigen, dass damit das Verhältnis vom pharmazeutischen Unternehmer zu den dort geregelten Fachkreisen in den Blick genommen wird. Dies lässt sich etwa an den Bestimmungen zur erforderlichen schriftlichen Anforderung in § 47 Abs. 4 AMG bzw. Art. 96 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG erkennen, welche zwar auf die Musterabgabe an Fachkreise passen, nicht aber an die Abgabe einer Probe durch solche Fachkreise an den Verbraucher.

bb) Durch die Abgabe von Mustern von Fertigarzneimitteln an Apotheker hat die Beklagte gegen § 47 Abs. 3 AMG verstoßen, da Apotheker nicht zu dem in der Vorschrift genannten Personenkreis gehören, an welche unter bestimmten Voraussetzungen Arzneimittelmuster abgegeben werden dürfen.

Die Vorschrift des § 47 Abs. 3 AMG regelt die Abgabe von Arzneimittelmustern abschließend und verbietet daher eine Abgabe an andere als in der Vorschrift genannte Personenkreise (Kloesel/Cyran a. a. O., § 47 Anm. 52; Miller, a.a.O., § 47 Rdnr. 65). § 47 Abs. 3 AMG ist also lex specialis zu § 47 Abs. 1 AMG für die Abgabe von Arzneimittelmustern (Kloesel/Cyran a. a. O.). Wie der Senat bereits mit Urteil vom 24.9.2014 (Az. 3 U 193/13, Magazindienst 2015, 16 ff. Tz. 23) ausgeführt hat, teilt er die von Kozianka und Dietel (PharmR 2014, 5) gegen diese Auffassung vorgebrachten Einwände nicht, wonach Wortlaut, Systematik, Gesetzeszweck der Vorschrift und das Gemeinschaftsrecht der Abgabe von Mustern an Apotheker nicht entgegenstünden, weil nach den §§ 43, 47 Abs. 1 AMG Arzneimittel an Apotheker abgegeben werden dürften, Muster ebenfalls Fertigarzneimittel seien und Erwägungsgrund 51 der RL 2001/83/EG davon spreche, Gratismuster von Arzneimitteln sollten nicht nur an die zur Verschreibung berechtigten Personen abgegeben werden können, sondern auch an die zur Abgabe berechtigten Personen. § 47 Abs. 3 AMG hat einen spezielleren Regelungsbereich als § 47 Abs. 1 AMG. Während in Absatz 1 allgemein die Abgabe von Fertigarzneimitteln durch pharmazeutische Unternehmer geregelt wird, die grundsätzlich gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG Apothekern vorbehalten ist, regelt Absatz 3 die Abgabe von Arzneimittelmustern durch pharmazeutische Unternehmen. Durch die mit dem Begriff des Musters verbundene Kostenlosigkeit der Abgabe entsteht eine Abgabekonstellation, die in dem Spannungsverhältnis der Möglichkeit der Erprobung und Information durch die betreffenden Fachkreise einerseits und dem Werbewert zugunsten des pharmazeutischen Unternehmens andererseits zu sehen ist. In Bezug auf diese Konstellation wird ein spezieller Fall der Arzneimittelabgabe geregelt, dessen Besonderheiten spezielle Vorkehrungen erfordern, wie sie der Gesetzgeber durch die Beschränkung des Adressatenkreises und die begrenzenden Verfahrensvoraussetzungen des § 47 Abs. 4 AMG getroffen hat. Die Abgabe von Arzneimittelmustern unterfällt vor diesem Hintergrund nicht der allgemeinen Vorschrift des § 47 Abs. 1 AMG, sondern allein der spezielleren des § 47 Abs. 3 AMG..

Soweit § 47 Abs. 3 AMG Apotheker nicht in den Kreis der Empfangsberechtigten von Mustern aufnimmt, ist dies gemeinschaftsrechtskonform. Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG schreibt ausdrücklich – und ebenso strikt auch in der englischen, französischen, spanischen und italienischen Sprachfassung (vgl. v. Czettritz/Strelow, PharmR 2014, 188, 189) – vor, dass Arzneimittelmuster nur „an die zur Verschreibung berechtigten Personen“, also Ärzte, abgegeben werden dürfen.

Ein anderes Verständnis dieser eindeutigen Bestimmung ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht mit Blick auf den Erwägungsgrund 51 der Richtlinie 2001/83/EG geboten. Zwar heißt es darin, dass „Gratismuster von Arzneimitteln (..) unter Einhaltung bestimmter einschränkender Bedingungen an die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen abgegeben werden können“ sollten, „damit sich diese mit neuen Arzneimitteln vertraut machen und Erfahrungen bei deren Anwendung sammeln können“. Unklar ist bereits, ob der Richtliniengeber durch diese Vorschrift einen über die Vorschrift des Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG hinausreichenden Adressatenkreis beschreiben wollte, da Ärzte etwa zur Verschreibung und – unter bestimmten Voraussetzungen – zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sind. Es ist nicht ohne weiteres erkennbar, weder mit Blick auf die anderen Erwägungsgründe noch mit Blick auf die anderen Regelungen der Richtlinie, dass der Richtliniengeber entsprechend der Auffassung der Beklagten die Abgabe von Gratismustern an einen weiteren Empfängerkreis zulassen wollte als es in der Vorschrift des Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG unmissverständlich zum Ausdruck kommt.

Selbst wenn man mit der Beklagten davon ausginge, dass Erwägungsgrund 51 der Richtlinie zielgerichtet einen Adressatenkreis beschreibt, der auch Apotheker umfassen soll, ließe sich ein insoweit bestehender Widerspruch nicht dadurch auflösen, dass der eindeutige Wortlaut der Richtlinienvorschrift des Art. 96 Abs. 1 erweitert würde. Erwägungsgründe haben keinen eigenen Regelungsgehalt, sondern stellen die Beweggründe und Ziele des Richtliniengebers dar, wodurch dieser seiner aus Art. 296 AEUV (ex Art. 253 EG) folgenden Begründungspflicht nachkommt. Die Erwägungsgründe können zwar zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe der Richtlinie herangezogen werden, sie können allerdings eindeutige Vorschriften der Richtlinie grundsätzlich nicht verdrängen. Bei etwaigen Widersprüchen kommt der Wille des Richtliniengebers nämlich im Zweifel in der von ihm erlassenen Richtlinienregelung und nicht allein in dem bloßen Erwägungsgrund zum Ausdruck. Der Wortlaut einer Vorschrift bildet regelmäßig die Grenze möglicher Auslegungen. Der Adressatenkreis, an den nach Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG „nur“ und „ausnahmsweise“ – was eine restriktive Auslegung nahelegt – Gratismuster abgegeben werden darf, ist klar auf die zur Verschreibung von Arzneimitteln Berechtigten beschränkt. Dies hat zur Folge, dass für eine erweiternde Auslegung dahingehend, dass auch weitere Personen erfasst sein sollen, kein Raum bleibt.

Es kann entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG auf einem Redaktionsversehen beruht. Zunächst ließe sich schon nicht feststellen, ob ein solches Versehen den Erwägungsgrund oder den eindeutigen Richtlinienwortlaut beträfe, da die Beklagte weitere Anhaltspunkte für ein solches redaktionelles Versehen nicht vorträgt. Zudem ist dem Landgericht zuzustimmen, dass der Umstand, dass bereits in der Vorgänger-Richtlinie 92/28/EG ein entsprechender Widerspruch zwischen Erwägungsgrund und Richtlinie bestand und dieser in der Folge durch den Richtliniengeber bei Erlass der Richtlinie 2001/83/EG nicht durch Änderung (hier: Erweiterung) des Richtlinienwortlauts aufgelöst wurde, gegen ein solches Redaktionsversehen spricht.

Angesichts der bestehenden Vollharmonisierung im Bereich der Arzneimittelwerbung und dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift des Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG verbietet eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift des § 47 Abs. 3 AMG eine Erweiterung des Personenkreises, an den Gratismuster abgegeben werden dürfen. Auf die Erwägungen, welche die Beklagte dazu anstellt, dass auch Apotheker ebenso wie die in § 47 Abs. 3 AMG genannten berechtigten Empfänger mit Blick auf die Arzneimittelsicherheit dazu in der Lage wären zu gewährleisten, dass die Arzneimittel sicher gelagert, kontrolliert, abgegeben oder entsorgt werden, kann es de lege lata deshalb nicht ankommen.

b) Da die streitgegenständliche kostenlose Arzneimittelabgabe schon deshalb unzulässig ist, weil Apotheker nicht zum berechtigten Empfängerkreis zählen, kommt es vorliegend nicht mehr darauf an, dass die Arzneimittelabgabe entgegen § 47 Abs. 4 AMG auch nicht auf „schriftliche Anforderung“ des Empfängers erfolgt ist und entgegen § 10 Abs. 1 Nr. 11 AMG eine Kennzeichnung der abgegebenen Arzneimittel auf der Verpackung als „Unverkäufliches Muster“ unterblieben ist.

c) Da § 47 Abs. 3 AMG u. a. die Interessen der Mitbewerber schützt, handelt es sich dabei um eine das Marktverhalten regelnde Vorschrift im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG (Miller. a. a. O., § 47 Rdnr. 98). Diese Vorschrift ist auch nach Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken weiterhin auf die hier in Rede stehenden arzneimittelrechtlichen Vorschriften anzuwenden. Dies gilt schon deshalb, weil die Richtlinie 2005/29/EG nach deren Art. 3 Abs. 1 nur auf unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern anwendbar ist, mithin die Abgabe von Arzneimitteln an Apotheker durch pharmazeutische Unternehmen nicht erfasst. Im Übrigen gehen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG andere Rechtsvorschriften der Gemeinschaft vor, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln. Zu diesen Rechtsvorschriften zählt auch Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG, mit welchem § 47 Abs. 3 AMG – wie oben ausgeführt – im Einklang steht.

d) Der Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG ist auch spürbar im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG. Die Interessen der Mitbewerber werden beeinträchtigt, weil zu erwarten ist, dass die Beklagte durch die rechtswidrige Abgabe von Arzneimittelmustern gegenüber Mitbewerbern im Wettbewerb Vorteile erlangt.

3. Ob das Verhalten der Beklagten über den Verstoß gegen § 47 Abs. 3 AMG hinaus auch gegen die Anforderungen an zulässige Werbegaben nach § 7 Abs. 1 HWG verstößt, kann offen bleiben, da § 47 Abs. 3 AMG als lex specialis für den Bereich der Abgabe von Arzneimittelmuster durch pharmazeutische Unternehmer die Vorschrift des § 7 Abs. 1 HWG verdrängt. Soweit eine Werbegabe eines pharmazeutischen Unternehmers in der Abgabe eines Fertigarzneimittels besteht, regelt § 47 Abs. 3 AMG als Spezialgesetz einen Sonderfall der Werbegaben (vgl. Bülow/Ring/Artz/Brixius, HWG, 4. Aufl. 2012, § 7 Rdnr. 119). Der Gesetzgeber hat dadurch dem Umstand Rechnung getragen, dass die Abgabe von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen Werbegaben mit Blick auf die Volksgesundheit und die Arzneimittelsicherheit besondere Vorkehrungen erfordert, welche u. a. darin bestehen, den Empfängerkreis auf bestimmte Fachkreise einzuschränken. Dieses Vorrangverhältnis kommt auch in § 7 Abs. 1 Satz 3 HWG zum Ausdruck, der bestimmt, dass § 47 Abs. 3 AMG unberührt bleibt. Das Landgericht weist zutreffend darauf hin, dass dieses Spezialitätsverhältnis auch in den zugrundeliegenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck kommt: Während Art. 94 der Richtlinie 2001/83/EG allgemein die Gewährung von Vorteilen gegenüber Ärzten und Apothekern regelt, ist Regelungsgegenstand des Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG speziell die Abgabe von Gratismustern. Dieses Vorrangverhältnis von § 47 Abs. 3 AMG zu § 7 Abs. 1 HWG hat zur Folge, dass eine unzulässige Abgabe eines Arzneimittelmusters an eine Person außerhalb des Empfängerkreises des § 47 Abs. 3 AMG nicht dadurch zulässig wird, dass ein in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 HWG geregelter Fall einer ansonsten ausnahmsweise zulässigen Zuwendung oder sonstige Werbegabe vorläge. Vor diesem Hintergrund muss vorliegend weder entschieden werden, ob die abgegebenen Arzneimittelmuster die Geringwertigkeitsschwelle des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG unterschreiten, noch ob es sich dabei um solche handelt, die zur Verwendung in der pharmazeutischen Praxis im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 HWG bestimmt sind.

III.

Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Der Senat regt – auch aus Kostengründen – die Rücknahme der Berufung an.

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