VG Potsdam, Beschluss vom 21.04.2015 - 12 L 450/15
Fundstelle
openJur 2015, 9644
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin vom 17. April 2015,

im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegner zu verpflichten, das gesamte bei ihnen vorhandene die Antragstellerin betreffende Datenmaterial aus dem Zensus 2011 von den Datenlöschungen nach § 19 ZensG 2011 auszunehmen und weiter aufzubewahren bis über die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg vom 03.06.2013 (VG Potsdam 12 K 1996/14) rechtskräftig entschieden worden ist,

hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist als Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Danach kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der Antrag ist statthaft. Mit ihrem Antrag will die Antragstellerin die Löschung von Daten verhindern, die bei den Antragsgegnern gespeichert sind und die für die Entscheidung des Gerichts über die Rechtmäßigkeit des in dem Verfahren VG 12 K 1996/14 angefochtenen Bescheides des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg vom 3. Juni 2013 von Bedeutung sein könnten. Dieses Ziel ist im Wege der Sicherungsanordnung erreichbar.

Das angerufene Verwaltungsgericht Potsdam ist für die Entscheidung über den Antrag auch zuständig, denn hier ist die Hauptsache anhängig (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Maßgebliche Hauptsache ist die gegen den Bescheid vom 3. Juni 2013 unter dem Aktenzeichen VG 12 K 1996/14 erhobene Klage. Unerheblich ist, dass sich der Antrag nicht gegen den Beklagten des Hauptsacheverfahrens, sondern gegen zwei Behörden anderer Bundesländer richtet, denn diese sind innerhalb des Verfahrens des Zensus 2011 gemäß § 12 Abs. 7 des Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen vom 8. Juli 2009 (BGBl I, 1781 - ZensG 2011 -) im Rahmen der arbeitsteiligen Verarbeitung und Aufbereitung der Daten tätig, die (u.a.) den Gegenstand des Hauptsacheverfahrens bilden. Sie sind daher von der Regelung über die sachliche und örtliche Zuständigkeit in § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO erfasst.

Die Antragstellerin kann sich auf einen Anordnungsgrund berufen. Die Antragsgegner beabsichtigen in Umsetzung einer Verpflichtung aus § 19 Abs. 1 ZensG 2011 die von dem Antrag erfassten Datenbestände spätestens bis zum 9. Mai 2015 zu löschen. Damit steht eine Veränderung des bestehenden Zustandes, durch die die Verwirklichung der Rechte der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren erschwert werden könnte, unmittelbar bevor.

Die Antragstellerin hat aber das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Nach der in diesem Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Antragstellerin keinen Anspruch darauf, dass die von § 19 Abs. 1 ZensG 2011 erfassten Daten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens von der Löschung ausgenommen und aufbewahrt werden.

9Diesem Anspruch steht § 19 Abs. 1 ZensG 2011 entgegen. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZensG 2011 sind die Hilfsmerkmale von den Erhebungsmerkmalen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu trennen und gesondert aufzubewahren. Sie sind, soweit sich nicht aus § 22 Abs. 2 und § 23 ZensG 2011 etwas anderes ergibt, zu löschen, sobald bei den statistischen Ämtern die Überprüfung der Erhebungs- und Hilfsmerkmale auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit abgeschlossen ist. Nach § 19 Abs. 1 Satz 3 ZensG 2011 sind sie aber spätestens 4 Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen. Diese Frist läuft am 9. Mai 2015 ab.

10Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Dieser lässt keine Auslegung dahingehend zu, dass sich diese Frist, etwa in Form der Hemmung, verlängert, wenn Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen, die aus den Feststellungen der amtlichen Statistik folgen, eingelegt werden.

Auch eine Auslegung der Norm nach teleologischen oder historischen Gesichtspunkten führt zu keinem anderen Ergebnis. Sinn und Zweck der Verpflichtung in § 19 Abs. 1 Satz 3 ZensG 2011 ist es, durch eine Löschung der Hilfsmerkmale in §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 5, 8 Abs. 1 Nr. 2, 10 Abs. 4 Nr. 2 und 16 Nr. 2 ZensG 2011, die eine Identifizierung der betroffenen Personen und damit eine Zuordnung der Erhebungsmerkmale zulassen, die Grundrechte dieser Personen auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 - u.a., juris Rnr.163) zu schützen. Die Aufbewahrung personenbezogener Daten, auch in einem geschützten und abgeschotteten Bereich, birgt die latente und nicht gänzlich auszuschließende Gefahr, dass diese Daten Unbefugten bekannt werden. Nach der Begründung des Gesetzes wollte der Gesetzgeber die mit der Datenverarbeitung betrauten Stellen deshalb nicht nur zu einer Löschung der Daten verpflichten, sobald diese für die gesetzlich festgelegten statistischen Zwecke nicht mehr benötigt werden, weil die Überprüfung der Hilfs- und Erhebungsmerkmale auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit abgeschlossen ist (§ 12 Abs. 1 S. 1 Bundesstatistikgesetz - BStatG -), sondern davon unabhängig eine Höchstfrist zur Aufbewahrung der Hilfsmerkmale festlegen. Zweck des Gesetzes ist es also, den Schutz der informationellen Selbstbestimmung über die in § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZensG 2011 geregelten Schutzmechanismen zu erweitern.

Der dahingehende Wille des Gesetzgebers erschließt sich auch aus einem Vergleich mit dem Volkszählungsgesetz 1987. Es ist dabei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Regelung des § 15 Abs. 2 dieses Gesetzes einschließlich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 10/2814 S. 24) und der dazu ergangenen Rechtsprechung (VGH Mannheim, Beschluss vom 7. Dezember 1987 - Z 10 S 482/87 -, NJW 1988, 988) bekannt war. Danach waren die Erhebungsvordrucke einschließlich der Hilfsmerkmale zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens zwei Wochen nach Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl des Landes, zu vernichten. Nach der Begründung des Gesetzes sollte die amtliche Bevölkerungszahl erst dann vorliegen, wenn der Bescheid bestandskräftig, d.h. durch Rechtsbehelfe nicht mehr angreifbar sei (BT-Drs. 10/2814, a.a.O.). In Kenntnis des Umstandes, dass auch das Verfahren des Zensus 2011 der Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen dient (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 Zens 2011), hat sich der Gesetzgeber aber zu einer von dem Volkszählungsgesetz 1987 abweichenden Regelung entschlossen und einen festen Löschungszeitpunkt bestimmt. Damit scheidet eine Auslegung der Norm durch das Gericht entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut mit dem Ziel einer Verlängerung der Frist aus.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 3 ZensG 2011 bestehen nicht. Dabei ist nicht zu verkennen, dass eine Löschung der Hilfsmerkmale vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Verwirklichung der Rechte der Antragstellerin in diesem Verfahren beeinträchtigen könnte. Auch wenn sich die Antragstellerin deswegen nicht unmittelbar auf eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) berufen kann (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2006 - 2 BvR 575/05 -) und offen ist, ob ihr ein im Ergebnis gleich gelagerter Justizgewährungsanspruch zusteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 2 BvR 695/07 - und Beschluss vom 31. Februar 2008 - 1 BvR 1987/07 -), ist sie jedenfalls in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG i.V.m Art. 97 Verfassung des Landes Brandenburg (BbgVerf), das auch die Gewähr von Verfahrensrechten beinhalten dürfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1969 - IV C 215.65 -), betroffen. Diese Beeinträchtigung ist aber bei einer Abwägung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (dazu BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, a.a.O.) derjenigen Personen, die von der weiteren Aufbewahrung der Datenbestände betroffen sind, hinzunehmen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Überprüfung von möglichen Unrichtigkeiten des Ergebnisses einer Volkszählung durch das betroffene Persönlichkeitsrecht ohnehin Grenzen gezogen sind (vgl. VGH München, Urteil vom 21. Dezember 1994 - 4 B 93.244 -, juris Rn. 37; VGH Kassel, Urteil vom 19. September 1991 - 6 UE 2588/89 -, juris Rn. 40). Diese Grenzen sind hier umso mehr einzuhalten, weil den erhobenen persönlichen Daten bei der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl eine geringere Bedeutung zukommt als bei der Volkszählung 1987. Anders als bei dieser Volkszählung erfolgte in dem Zensusverfahren 2011 keine volle Erfassung der Einwohner einer Gemeinde, sondern eine Feststellung der Einwohnerzahl in einem registergestützten Verfahren, das eine Korrektur der amtlichen Melderegister durch eine Erhebung ausgewählter Daten in Verbindung mit deren statistischer Auswertung beinhaltet. Die amtliche Einwohnerzahl ist damit ein statistischer und kein objektiver Wert. Im Mittelpunkt der Überprüfung des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides steht daher, wie sich aus dem Klagevorbringen ergibt, die Beurteilung des Zensusverfahrens als solches (so auch VG Bremen, Urteil vom 6. November 2014 - 4 K 841/13 -, juris).

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die mit der Anordnung begehrte Untersagung der Löschung und die Verpflichtung zur weiteren Aufbewahrung der Hilfsmerkmale den Rechtsschutz der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren nicht verbessern könnte. In diesem Verfahren strebt sie an, mithilfe dieser Daten die Rechtmäßigkeit der Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl durch das Gericht überprüfen zu lassen. Mit Einführung der Daten in das Verfahren werden diese von dem Recht auf Akteneinsicht (§ 100 Abs. 1 VwGO) erfasst und können damit der Klägerin des Hauptsacheverfahrens als der das Melderegister führenden Behörde bekannt werden. Da das Verfahren des Zensus 2011 hinsichtlich der Feststellung der Einwohnerzahl der Korrektur der amtlichen Meldedaten dient und die Rechtmäßigkeit dieser Korrektur bezweifelt wird, wäre zudem ein Abgleich mit den Meldedaten erforderlich. Auch wenn dies lediglich dazu diente, mögliche Fehlerquellen zu identifizieren, wäre ein solcher Abgleich mit dem Recht der betroffenen Personen auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar (VG Bremen, Urteil vom 6. November 2014, a.a.O.; vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, a.a.O. Rnr. 196 ff. zum „Rückspielverbot“; VGH Kassel, Urteil vom 19. September 1991, a.a.O.).

Auch ein Verweis auf das Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO führt insoweit nicht weiter. Gegenstand dieses Verfahrens wäre nur die Verpflichtung zur Aktenvorlage. Sind die geschützten Daten aber, wie von der Antragstellerin letztlich begehrt, vorzulegen, sind diese auch Gegenstand des Klageverfahrens und unterliegen damit der Akteneinsicht (VG Bremen, Urteil vom 6. November 2014, a. a. O.).

Damit kommt es nicht darauf an, ob es an einem rechtlich geschützten Interesse der Antragstellerin an der begehrten einstweiligen Anordnung fehlen könnte, weil die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl angesichts des Umfangs der bereits nach § 19 Abs. 1 Satz 2 ZensG 2011 gelöschten Daten mit den noch vorhandenen Datenbeständen ohnehin nicht - mehr - hinreichend überprüft werden könnte.

Nach alldem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Angesichts der Vorläufigkeit des Verfahrens war der Auffangwert dabei zu halbieren, da der Antrag aber gegen zwei Antragsgegner gerichtet war, sodann zu verdoppeln.