OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2015 - 16 E 105/15
Fundstelle
openJur 2015, 6129
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 21. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, aber doch fern liegt. Dabei dürfen die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder ?verteidigung mit Blick auf den aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit nicht überspannen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in der Hauptsache zugeführt werden können.

Std. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 ? 1 BvR 274/12 ?, juris, Rn. 13 f., mit weiteren Nachweisen.

Gemessen an diesen Maßstäben kann der Klägerin zugemutet werden, die Weiterverfolgung ihres Klagebegehrens aus finanziellen Gründen aufzugeben.

Die Klage, die auf die Aufhebung der Entziehungsverfügung des Beklagten vom 9. April 2014 gerichtet ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben. Der Beklagte durfte gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf das Fehlen der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei der Klägerin schließen, nachdem diese der Aufforderung des Beklagten, ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen, nicht nachgekommen ist. Der Beklagte war entgegen der Auffassung der Klägerin gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu der Begutachtungsanordnung berechtigt. Nach dieser Vorschrift ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens an, wenn "sonst" Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, womit in Abgrenzung zur 1. Alternative dieser Bestimmung diejenigen Fälle gemeint sind, in denen die Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch nicht aus einem vorab eingeholten ärztlichen Gutachten hervorgehen. Der Begriff des Alkoholmissbrauchs beschränkt sich dabei nicht auf die in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV umschriebenen Fallgruppen, sondern liegt allgemeiner dann vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können (Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Ein solcher Alkoholmissbrauch ist nach Nr. 3.11.1 der insoweit sachverständigen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen vom 1. Februar 2000 (insoweit unverändert auch Nr. 3.13.1 der aktualisierten, ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung, veröffentlicht unter www.bast.de unter "Häufig gesucht") insbesondere gegeben, (1) wenn ? ohne Berücksichtigung der Höhe der Blutalkoholkonzentration ? wiederholt ein Fahrzeug unter unzulässig hoher Alkoholeinwirkung geführt wurde, (2) nach einmaliger Fahrt unter hoher Alkoholkonzentration (ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung) oder (3) wenn aktenkundig belegt ist, dass es bei dem Betroffenen im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme zu einem Verlust der Kontrolle des Alkoholkonsums gekommen ist. Dabei geht aus der Formulierung "insbesondere" hervor, dass die dort genannten Fallgestaltungen nicht abschließend sind. Der begründete Verdacht auf Alkoholmissbrauch kann vielmehr auch aus anderen Tatsachen hergeleitet werden.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. November 2011 ? 16 A 1533/11 ?, Blutalkohol 49 (2012), 118 = juris, Rn. 6, sowie vom 5. Juni 2013 ? 16 E 60/13 ?, jeweils m. w. N.; Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs?Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl. 2005, S. 130 ff.

Das zugrunde gelegt spricht viel dafür, dass die Berechtigung zur Anordnung einer medizinischpsychologischen Begutachtung auch dann besteht, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber, wie vorliegend die Klägerin, nicht nur stark alkoholisiert im stehenden Fahrzeug angetroffen wird, ohne dass an Ort und Stelle leere Flaschen oder Ähnliches gefunden werden, sondern nach Abschluss der polizeilichen und medizinischen Feststellungen Anstalten macht, das Fahrzeug ungeachtet der fortbestehenden alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit (wieder) in Gang zu setzen. Ebendies ist dem Polizeibericht vom 25. März 2013 zu entnehmen, in dem es unter Nr. 8 heißt: "Anschließend [nach zweimaliger Blutentnahme] wurde die Besch. zurück zu ihrem Fahrzeug begleitet, um Einsicht in den Führerschein zu nehmen. Die Besch. setzte sich auf den Fahrersitz und verlangte den Fahrzeugschlüssel, damit sie weiterfahren könne." Der so zutage getretenen Neigung zur Fahrzeugbenutzung trotz hoher Alkoholbeeinträchtigung kann nicht mit dem Hinweis darauf die prognostische Relevanz abgesprochen werden, dass die Klägerin an jenem Tag zeitlich und örtlich nicht orientiert bzw. "im falschen Film" gewesen sei. Denn die Gefährlichkeit des gezeigten Verhaltensmusters besteht gerade darin, dass in einem Umfang Alkohol konsumiert wird, in dem die zu unterstellende grundsätzliche Bereitschaft, das Trinken und die Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr voneinander zu trennen, wegen der starken Trunkenheit aus dem Blick gerät. Bei wertender Betrachtung erweist sich somit die Gefahr zukünftiger Alkoholfahrten der Klägerin als nicht geringer als im Falle des nachweislichen Führens eines Kraftfahrzeuges unter (hohem) Alkoholeinfluss. Es besteht Anlass zu der durch eine medizinischpsychologische Untersuchung abzuklärenden Befürchtung, dass die Klägerin zu einem kontrollierten bzw. verkehrsrechtlich folgenlosen Alkoholkonsum nicht in der Lage ist und sie deshalb nicht die notwendige Gewähr für ein sicheres Trennen von Trinken und Fahren bietet.

Soweit die Klägerin die Vernehmung der protokollierenden Polizeibeamten für erforderlich hält, verdeutlicht sie nicht, inwiefern über das im Polizeibericht Festgehaltene hinaus ein Klärungsbedarf bestehen könnte. Erst recht trägt sie nichts vor, was Zweifel an der Richtigkeit des Protokollierten hervorrufen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).