FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.10.2014 - 5 K 5092/14
Fundstelle
openJur 2015, 3105
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

Die in Polen ansässige Klägerin unterhält in B… eine Betriebsstätte. Im Ergebnis einer bei dieser durchgeführten Betriebsprüfung erließ der Beklagte geänderte Bescheide zur Umsatzsteuer 2003-2006. Die Änderung betraf insbesondere eine Vorsteuerkürzung aus diversen Eingangsrechnungen, die nach der Auffassung des Prüfers mit der Empfängerbezeichnung „C…“ oder „D…“unzureichend adressiert waren, da die Klägerin eine Sp.z.o.o (GmbH polnischen Rechts) sei und unter derselben Anschrift eine Schwestergesellschaft der Klägerin, die E… GmbH, ansässig sei. Auf Textziffer 39 des Prüfungsberichts vom 15.7.2010 wird Bezug genommen. Am 17.12.2010 reichte die Klägerin in 2008 und 2009 berichtigte Rechnungen für die beanstandeten Rechnungen der Streitjahre ein. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte mit Bescheiden vom 26.1.2011 die Umsatzsteuerfestsetzungen, soweit sie auf einer Schätzung von Vorsteuerkürzungen beruhten, entsprechend den zwischenzeitlich berichtigten Umsatzsteuererklärungen der Klägerin und wies mit Entscheidung vom 3.4.2012 den Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin geltend, die (verbleibende) Kürzung der Vorsteuerbeträge sei rechtswidrig, da sich aus den streitigen Rechnungen der Name und die Anschrift ihres - der Klägerin - Unternehmens eindeutig und leicht nachprüfbar feststellen lasse. Eine Verwechselungsgefahr mit der unter derselben Anschrift ansässigen deutschen GmbH sei nicht gegeben. Die deutsche GmbH habe keine vertraglichen Beziehungen zu den Vertragspartnern der Klägerin gehabt, die die streitigen Rechnungen ausgestellten hätten. Dem Rechnungsaussteller mit dem größten Umsatzanteil, der F…, sei die E… GmbH überhaupt nicht bekannt gewesen, wie sich aus deren als Anlage VI beigefügtem Schreiben vom 25.11.2009 ergebe. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30.4.2009 (V R 15/07) dürften die Anforderungen an die Rechnungstellung nicht über das hinausgehen, was erforderlich sei, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Finanzverwaltung zu sichern und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Im Streitfall seien keine Anhaltspunkte für eine erschwerte Erhebung oder Überprüfung der Umsatzsteuer oder für einen steuerlichen Schaden erkennbar, zumal die leistenden Unternehmen die geschuldeten Umsatzsteuerbeträge nachprüfbar abgeführt hätten.

Unabhängig davon seien die streitigen Rechnungen in Abstimmung mit der Betriebsprüfung in der Zeit von November 2008 bis Februar 2009 berichtigt worden. Nach der neuen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15.7.2010 (C-368/09 – Pannon Gep) sei der Rechnungsberichtigung Rückwirkung beizumessen mit der Folge, dass die Vorsteuerkorrektur in den Streitjahren vorzunehmen sei. Dies gelte nach den Urteilsausführungen jedenfalls dann, wenn – wie hier - der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Erlass ihrer Entscheidung über die Versagung des Vorsteuerabzugs eine berichtigte Rechnung zugeleitet habe.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,die Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2006 vom 26.1.2011 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 3.4.2012 dahingehend zu ändern, dass weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von 59.467,17 € für 2003, 107.881,83 € für 2004, 110.237,19 € für 2005 und 60.107,37 € für 2006 berücksichtigt werden,hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die in Rede stehenden ursprünglichen Rechnungen entsprächen nicht der ständigen Rechtsprechung des BFH zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Adressierung, insbesondere bestehe im Hinblick auf die unter der gleichen Adresse ansässige Schwestergesellschaft eine erhöhte Verwechslungsgefahr.

Die Korrektur der Rechnungen, die in den Jahren 2008 und 2009 erfolgt sei, wirke nach der Rechtsprechung des BFH nicht auf den Zeitpunkt des erstmaligen Vorsteuerabzugs zurück. Für eine Abweichung von diesen Grundsätzen bestehe auch nach dem Urteil des EuGH vom 15.7.2010 kein Anlass. Der EuGH habe in diesem Verfahren die Frage nach dem Zeitpunkt der Gewährung des Vorsteuerabzugs gar nicht gestellt. Er habe die Fragen des vorlegenden Gerichts erkennbar so aufgefasst, dass zu klären sei, ob die formellen Voraussetzungen des ungarischen Rechts an die berichtigte Rechnung mit der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) vereinbar seien. Im Übrigen sei der EuGH weder auf die Vorschrift des Art. 179 MwStSystRL, die den verfahrensrechtlichen Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs regele, noch auf seine einschlägige Rechtsprechung im Urteil vom 29.4.2004 (C-152/02 Terra Baubedarf) eingegangen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der geltend gemachte Vorsteuerabzug ist in den Streitjahren nicht zu gewähren.

10Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die Beschränkung des Vorsteuerabzugs auf die materiell-rechtlich geschuldete Steuer ergibt sich nach der vor 2004 gültigen Gesetzesfassung aus der Rechtsprechung von BFH und EuGH (Urteil des BFH vom 2.4.1998 V R 34/97, BStBl II 1998, 695 unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 13.12.1989 C-342/87 -Genius Holding-, Slg. 1998, 4227). Die Rechnung muss u. a. den Namen und die Anschrift des Leistungsempfängers ausweisen (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 UStG, ab. 1.1.2004 § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG). Die vollständige und korrekte Bezeichnung des Leistungsempfängers ist wesentlicher Bestandteil einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung.Die erforderlichen Angaben müssen eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des Namens und der Anschrift des jeweiligen Unternehmers ermöglichen. Hieraus folgt, dass die unzutreffende Angabe der Rechtsform des Leistungsempfängers zum Verlust des Vorsteuerabzugs führt, wenn bei Angabe einer inländischen anstelle einer ausländischen Rechtsform eine erhöhte Verwechselungsgefahr in Bezug auf die Person des Leistungsempfängers besteht (Beschluss des BFH vom 8.10.2009 V B 45/09, BFH/NV 2010, 261).

11Bezogen auf den Streitfall bedeutet dies, dass die in den ursprünglichen Rechnungen unstreitig fehlerhafte Angabe der Rechtsform der Klägerin (GmbH anstatt Sp.z.o.o.) in Verbindung mit der verkürzten Namensangabe („G…“ anstatt „H…“) geeignet war, eine Verwechselung mit der unter derselben Anschrift ansässigen deutschen Schwester-GmbH hervorzurufen. Da die Gefahr einer Verwechselung aus der Sicht Dritter, insbesondere der Finanzverwaltung, zu beurteilen ist, kommt es nicht darauf an, ob dem Rechnungsaussteller die Schwester-GmbH der Klägerin bekannt war oder nicht. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob der Rechnungsaussteller den berechneten Umsatzsteuerbetrag abgeführt hat, da sich Vorsteuerabzug und Umsatzsteuerzahlung nicht gegenseitig bedingen. Außerdem stünde die Prüfung der Umsatzsteuerzahlung gerade der mit der leicht nachprüfbaren Empfängerbezeichnung beabsichtigten Vereinfachung der Vorsteuerabzugsgewährung entgegen. Da die (ordnungsgemäße) Rechnung den Empfänger zum sofortigen Vorsteuerabzug berechtigt, stellen die Anforderungen an die Eindeutigkeit und Vollständigkeit der Rechnung keinen Selbstzweck dar und somit keinen reinen Formalismus. Der Beklagte hat den Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen daher zu Recht versagt.

12Der Vorsteuerabzug ist in den Streitjahren auch nicht aus den korrigierten Rechnungen zu gewähren, da die Rechnungskorrektur nach Auffassung des Senats keine Rückwirkung entfaltet.

13Der EuGH hat mit Urteil vom 29.4.2004 (C-152/02 -Terra Baubedarf-, Slg. 2004, 5583) entschieden, dass Artikel 18 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern so auszulegen ist, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden dort genannten erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dass nämlich die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und dass der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann. Die Voraussetzung des Besitzes einer Rechnung, die auch in der ab 2004 gültigen Fassung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG enthalten ist, schließt den Vorsteuerabzug zu einem Zeitpunkt, in dem eine (ordnungsgemäße) Rechnung (noch) nicht vorliegt, aus. Dies ist von der anschließenden Rechtsprechung des BFH bestätigt worden (vgl. Urteile vom 01.07.2004 V R 33/01, BStBl II 2004, 861; vom 30.04.2009 V R 15/07, BStBl II 2009, 774; Beschluss vom 3.8.2009 XI B 32, 33/09, juris).

Eine Änderung dieser Beurteilung aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 15.7.2010 (C-368/09) hält der Senat nicht für geboten (vgl. dagegen Anmerkungen zum EuGH-Urteil vom 15.7.2010 von Martin, BFH/PR 2010, 389 und Wäger, DStR 2010, 1478 sowie Sterzinger, UR 2010, 700). Gegenstand des dieser Entscheidung zugrunde liegenden Vorlagebeschlusses war die Frage, ob die nationalen ungarischen Rechtsvorschriften zu den erforderlichen Rechnungsangaben mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Dementsprechend hat sich der EuGH mit der Frage befasst, ob der Vorsteuerabzug nach nationalem Recht ausgeschlossen werden darf, wenn die Rechnung ursprünglich eine falsche Angabe enthielt, deren spätere Berichtigung nicht alle in den maßgeblichen nationalen Vorschriften enthaltenen Voraussetzungen erfüllt. Er hat klargestellt, dass die Mitgliedstaaten die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nicht nach eigenem Gutdünken von der Erfüllung von Voraussetzungen betreffend den Inhalt von Rechnungen abhängig machen dürfen, die in der Richtlinie 2006/112/EG nicht ausdrücklich vorgesehen sind. In Beantwortung der Vorlagefrage hat der EuGH alsdann festgestellt, dass der Vorsteuerabzug dann nicht ausgeschlossen werden dürfe, „wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, in der das zutreffende Datum des Abschlusses der genannten Dienstleistung vermerkt war, auch wenn diese Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift keine fortlaufende Nummerierung aufweisen.“

Hierzu ist Folgendes zu bemerken: Der EuGH hat in der Entscheidung vom 15.7.2010 an keiner Stelle explizit festgestellt, dass der Besitz einer berichtigten Rechnung den Vorsteuerabzug zu einem früheren Zeitpunkt gestattet. Erstmals im Tenor der Entscheidung -  und dort auch nur in einem Halbsatz - wird erwähnt, dass die berichtigte Rechnung vor der Entscheidung der Behörde vorgelegen hat. Auf sein entscheidendes Urteil vom 29.4.2004 zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs nimmt der EuGH nicht einmal Bezug. Dementgegen beschäftigt sich die Entscheidung vom 29.4.2004 ausschließlich mit der Vorlagefrage, für welchen Erklärungszeitraum das Vorsteuerabzugsrecht auszuüben ist, und beantwortet diese wie oben ausgeführt. Die Gegenüberstellung dieser beiden Urteile lässt nach Auffassung des Senats nur den Schluss zu, dass der EuGH mit seiner Entscheidung vom 15.7.2010 nicht zum Zeitpunkt/Erklärungszeitraum des Vorsteuerabzugs Stellung nehmen wollte und tatsächlich auch nicht Stellung genommen hat. Denn es ist davon auszugehen, dass der EuGH sich in diesem Fall mit Art. 179 der Richtlinie 2006/115/EG bzw. Art. 18 Abs. 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 77/388/EWG sowie seiner grundlegenden Entscheidung vom 29.4.2004 eingehend auseinandergesetzt hätte. Eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung in der Form eines schlichten Halbsatzes ist auszuschließen.

16Obgleich die Ausführungen des EuGH eine rückwirkende Anerkennung des Vorsteuerabzugs in dem konkreten Fall bedeuten, sind sie nach Ansicht des Senats aus den genannten Gründen nicht dahingehend zu verstehen, dass der Vorsteuerabzug nunmehr grundsätzlich rückwirkend zulässig sein soll und dass dies auch dann gilt, wenn – wie hier – die berechtigten Rechnungen nach Erlass des Umsatzsteuerbescheides eingereicht werden (so u. a. auch Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.9.2010 6 K 2089/10, UR 2010, 863). Eine andere Beurteilung ist schließlich auch nicht aufgrund des Beschlusses des BFH vom 20.7.2012 (V B 82/11, BStBl II 2012, 809) geboten.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.