LAG Hamm, Urteil vom 09.10.2014 - 16 Sa 711/14
Fundstelle
openJur 2015, 127
  • Rkr:

Verfällt der Urlaubsanspruch eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers nach 15 Monaten mit Ablauf eines 31.03. und scheidet der Arbeitnehmer am selben Tag aus dem Arbeitsverhältnis aus, so besteht kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 11.04.2014 - 2 Ca 855/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung.

Der Kläger war vom 02.01.1986 bis zum 31.03.2013 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der jeweils gültige Manteltarifvertrag für die Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen anzuwenden. Der Jahresurlaub des Klägers belief sich auf 30 Urlaubstage. Seit dem 07.02.2011 ist der Kläger schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Der Kläger war seit dem 18.11.2010 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Er bezieht seit dem 01.04.2013 eine Altersrente.

Für den aus den Kalenderjahren 2012 und 2013 resultierenden Urlaub leistete die Beklagte eine Abgeltung in Höhe von 10.965,50 €, wobei sie pro Urlaubstag einen Betrag von 250,64 € zugrunde legte. Einen weiteren Betrag von 62,66 € brutto für einen halben Urlaubstag aus dem Jahre 2013 erkannte sie im Verlaufe des Rechtsstreits an.

Mit seiner vorliegenden am 18.07.2013 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger Urlaubsabgeltung für weitere 35 Urlaubstage aus dem Jahre 2011 in Höhe von 8.835,06 € brutto. Durch Urteil vom 11.04.2014 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Sache KHS sei der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahre 2011 mit Ablauf des 31.03.2013, 24.00 Uhr, verfallen. Das Arbeitsverhältnis habe jedoch erst am 01.04.2013, 0.00 Uhr, geendet.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird und das dem Kläger am 29.04.2014 zugestellt worden ist, hat dieser am 19.05.2014 Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.07.2014 fristgerecht begründet hat.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG keine Regelung über eine zeitliche Reihenfolge zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Entstehen des Abgeltungsanspruchs enthalte. Es sei lediglich geregelt, dass der Urlaub abzugelten sei, wenn dieser aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden könne. Die Argumentation, dass sich der Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und des Ablaufs des Verfallzeitraums durch eine "juristische Sekunde" unterscheide, gehe fehl. Es handele sich hierbei lediglich um ein Denkgebilde, das zum Schutz von Rechten Dritter entwickelt worden sei und auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar sei. Der Europäische Gerichtshof habe entschieden, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub dadurch eingeschränkt werden könnten, dass ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorgesehen sei, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Urlaub erlösche. Insoweit bedürfe es einer korrigierenden Auslegung dahingehend, dass der Urlaubsanspruch erst nach Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlösche und nicht mit Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten. Dies gelte insbesondere auch vor dem Hintergrund der in Deutschland üblichen Kündigungsfristen. Für ältere und in der Regel auch länger beschäftigte Arbeitnehmer sei eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahres deutlich erschwert. Dieser Problematik müsse Rechnung getragen werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Minden vom 11.04.2014 - 2 Ca 855/13 - die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.835,06 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass aus § 7 Abs. 4 BUrlG folge, dass ein Gleichlauf von Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Entstehung des Abgeltungsanspruchs ausscheide. § 7 Abs. 4 BUrlG enthalte eine Ausnahme vom Abgeltungsverbot, wonach eine Zahlung anstelle der Urlaubsgewährung im laufenden Arbeitsverhältnis ausgeschlossen sei. Solange das Arbeitsverhältnis nicht beendet sei, könne es keinen Abgeltungsanspruch geben. Zu beachten sei auch, dass es sich bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch um einen Anspruch handele, der anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werde, woraus sich ergebe, dass das Arbeitsverhältnis sein tatsächliches Ende gefunden haben müsse, bevor der Urlaubsabgeltungsanspruch Wirkung entfalten könne.

Zum weiteren Sachvortrag der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Abgeltung der im Jahre 2011 erworbenen Urlaubsansprüche. Einen solchen Anspruch kann er weder auf § 7 Abs. 4 BUrlG noch auf § 11 Abs. 3 EMTV Metallindustrie NRW stützen. In beiden Fällen steht einem möglichen Anspruch des Klägers entgegen, dass sein im Jahre 2011 erworbener Urlaubsanspruch mit Ablauf des 31.03.2013 erloschen ist. Damit scheidet die Abgeltung des Urlaubsanspruchs aus.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und stellt eine auf eine finanzielle Vergütung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Arbeitszeitrichtlinie gerichtete reine Geldforderung dar (BAG vom 04.05.2010, 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011; vom 09.08.2011, 3 AZR 365/10, NZA 2011, 1421; vom 08.04.2014, 9 AZR 550/12, NZA 2014, 882 jeweils m.w.N.). Voraussetzung für das Entstehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs ist jedoch, dass der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall, da mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahre 2011 zugleich erloschen ist.

Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Andernfalls erlischt er. Ist ein Arbeitnehmer jedoch aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen seine gesetzlichen Urlaubsansprüche aufgrund unionrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (BAG vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10 NZA 2012, 1216).

Nach § 188 Abs. 1 und 2 BGB endet eine Frist mit Ablauf des letzten Tages der Frist. Der Zeitpunkt des Ablaufs einer Frist gehört rechtlich jedoch noch zu diesem Tag und damit zu der Frist, in die der Tag fällt. Unter einer Frist eine abgegrenzte, genau bestimmte oder doch bestimmbare Zeiteinheit zu verstehen, zu der feste Anfangs- und Endzeitpunkte gehören. Bei einem Fristende, das sich wie § 188 BGB regelt, auf den Ablauf des Tages bezieht, fällt das rechtliche Ereignis innerhalb, nicht außerhalb des zeitlichen Geschehens. Der Ablauf des Tages und damit das Fristende kann damit nur der größeren zeitlichen Einheit des Tages bzw. der jeweiligen Frist zugerechnet werden. Die Frist läuft damit regelmäßig um Mitternacht ihres letzten Tages ab (MK-Grothe, 6. Aufl. 2012, BGB § 188, Rdnr. 1-2; Staudinger/Repgen, Neubearbeitung 2014, BGB § 188 Rdnr. 2-3; speziell zum Urlaubsrecht BAG vom 16.06.1966, 5 AZR 521/65, NJW 66, 2081 jeweils m.w.N.). Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in den auch vom Arbeitsgericht herangezogenen Entscheidungen, in denen die vertretene Ansicht freilich nicht weiter begründet wird. Es ist anzunehmen, dass das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, dass sich seine Auffassung, wie es teilweise in der Kommentarliteratur auch vertreten wird, "aus der Natur der Sache" ergibt (vgl. BAG vom 08.04.2014, 9 AZR 550/12, NZA 2014, 852; vom 07.08.2012, 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216; vom 12.03.2013, 9 AZR 292/11, NZA 2014, 51 Rdnr. 14; Staudinger/Repgen, aaO.).

Ist damit der Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2011 mit Ablauf des 31.03.2013 erloschen und ist der Kläger zum selben Zeitpunkt ausgeschieden, so hat zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein noch abzugeltender Urlaubsanspruch bestanden. Dieses Ergebnis ist europarechtlich nicht zu beanstanden. Nach Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie unterliegt der Anspruch auf Jahresurlaub nationalen Regelungen. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 22.11.2011 (C-214/10, KHS NZA 2011, 1333) für die vorliegende Fallgestaltung eine Frist von 15 Monaten ab Ende des Urlaubsjahres gebilligt. Diese ist auf § 11 des auch auf das vorliegende Arbeitsverhältnis Anwendung findenden einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie NRW vom 18.12.2003 zurückzuführen. Wenn mit Ablauf dieser Frist der Urlaubsanspruch erlischt, so ist dies nicht zu beanstanden.

Der Berufung ist nicht darin zu folgen, dass durch den Verfall der Ansprüche mit Ablauf von 15 Monaten bei Ausscheiden zum selben Zeitpunkt ältere und langjährig beschäftigte Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt werden, da sie längere Kündigungsfristen einzuhalten haben. Nach § 622 Abs. 2 BGB beträgt die längste Kündigungsfrist bei einem Arbeitsverhältnis, das 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. Dies entspricht auch der tariflichen Kündigungsfrist des § 20 Abs. 3 EMTV Metallindustrie NRW. Damit ist es einem Arbeitnehmer ohne weiteres möglich, das Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt zu beenden, bei dem der Verfall des Urlaubsanspruchs nicht eintritt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich.