VG München, Beschluss vom 04.11.2014 - M 16 S 14.50549
Fundstelle
openJur 2015, 57
  • Rkr:
Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... September 2014 wird angeordnet.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die am ... 1986 geborene Antragstellerin zu 1) ist iranische Staatsangehörige. Sie reiste zusammen mit ihrem Ehemann, einem afghanischen Staatsangehörigen und drei Kindern, den Antragstellern zu 2) bis 4), am 12. April 2014 in das Bundesgebiet ein. Die Antragsteller zu 2) bis 4) sind in den Jahren 2006, 2009 und 2013 im Iran geboren.

Am 28. April 2014 stellten die Antragsteller bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Am selben Tag erfolgte durch das Bundesamt ein persönliches Gespräch mit der Antragstellerin zu 1) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens. Diese gab dort unter anderem an, sie hätten sich ca. September/ Oktober 2013 in Bulgarien und ca. März 2014 in Ungarn aufgehalten.

Am 30. April 2014 fand zudem eine Erstbefragung der Antragstellerin zu 1) durch die Regierung von ... statt. Dort gab sie unter anderem an, sie hätten den Iran im sechsten Monat 1392 verlassen. Sie seien über die Türkei nach Bulgarien gereist. Dort seien sie festgenommen worden und hätten vier Monate in Bulgarien verbracht. Sie seien dort in drei verschiedenen Gefängnissen gewesen. Danach seien sie dann nach Serbien und nach Ungarn weitergereist.

Mit Bescheid vom ... September 2014, zugestellt am 10. September 2014, lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei am 26. Juni 2014 ein Übernahmeersuchen nach der sog. Dublin-III-VO an Bulgarien gerichtet worden. Die bulgarischen Behörden hätten mit Schreiben vom 28. August 2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO erklärt. Die Asylanträge seien gem. § 27a AsylVfG unzulässig, da Bulgarien auf Grund der dort bereits erfolgten illegalen Einreise gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im bulgarischen Asylverfahren lägen nach Auffassung des Bundesamts nicht vor. Daher würden die Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Bulgarien als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Am 15. September 2014 erhoben die Bevollmächtigten der Antragsteller Klage mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamts vom ... September 2014 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, neu zu verbescheiden. Sie beantragten zudem,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor, es lägen hinsichtlich Bulgariens systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor. Die Antragsteller hätten sich in der Einrichtung „...“ befunden, wo sie nur unzureichend mit Basisleistungen wie Nahrungsmitteln versorgt worden seien. Des Weiteren sei die Aufnahmeeinrichtung deutlich überbelegt gewesen. Daher habe keinerlei Privatsphäre bestanden und es hätten extrem schlechte hygienische Bedingungen geherrscht, so dass eine Gefährdung der Gesundheit bestanden habe.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 16. September 2014 die Akte vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren M 23 K 14.50548 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.

Mit der am 6. September 2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBL. I S. 3474) ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO im vorliegenden Fall statthaft. Der Antrag wurde auch innerhalb der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Frist von einer Woche nach Bekanntgabe gestellt.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem sich aus der Regelung des § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des ablehnenden Bescheids und dem Interesse des jeweiligen Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier zu Gunsten der Antragsteller aus, da nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom ... September 2014 zumindest als offen anzusehen sind.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Solche Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft im Sinne von § 27a AsylVfG finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin-III-VO), die gemäß ihres Art. 49 Abs. 1 am 30. Juni 2013 in Kraft getreten ist. Gemäß ihres Art. 49 Abs. 2 Satz 1 ist die Dublin-III-VO auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die – wie hier – ab dem 1. Januar 2014 gestellt wurden.

Es bestehen vorliegend hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Prüfung des Asylanträge der Antragsteller möglicherweise aus Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin-III-VO ergibt. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich als unmöglich erweist, den Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta – EU-GR-Charta – mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel 3 der Dublin-III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

Der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO liegt die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union betreffend die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. L 50 S. 1) – Dublin-II-VO – zugrunde (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 7). Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – Slg. 2011, I-13905 Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. Rn. 86 und 94). Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11NVwZ 2014, 129 Rn. 30; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 7). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung (vgl. Art. 26 f. Dublin-III-VO) vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Dublin-II-Verordnung (vgl. Art. 13 Dublin-II-VO) niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH, U.v. 10.12.2013 – Abdullahi, C-394/12NVwZ 2014, 208 Rn. 60; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 7).

Für das in Deutschland – im Unterschied zu anderen Rechtssystemen – durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 27.4. 2010 –10 C 5.09BVerwGE 136, 377 Rn. 22) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – Slg. 2011, I-13905 Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung bzw. Dublin-III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).

Vorliegend liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Unterbringung und Versorgung von Familien mit Kleinkindern in Bulgarien möglicherweise derartige systemische Mängel aufweist, so dass es derzeit jedenfalls als offen anzusehen ist, ob eine Überstellung der Antragsteller nach Bulgarien im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO möglich wäre. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Dublin-III-VO ist das Wohl des Kindes in allen Verfahren nach dieser Verordnung eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten.

Die Frage, ob in Bulgarien „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bzw. des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO vorliegen und ob eine Überstellung nach Bulgarien einen Verstoß gegen Art. 4 der EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK darstellt, wird in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unterschiedlich beantwortet (vgl. in diesem Sinne z.B. VG Oldenburg, B.v.1.7.2014 – 12 B 1387/14; VG Wiesbaden, B.v. 16.5.2014 – 7 L 458/14.WI.A; VG München, B.v. 14.4.2014 – M 7 S 14.50115; B.v. 16.7.2014 – M 24 S 14.50345; VG Regensburg, B.v. 20.3.2014 – RN 5 S 14.30284; VG Schwerin, B.v. 13.3.2014 – 3 B 230/14 As; VG Bremen, B.v. 4.3.2014 – 1 V 60/14 – alle juris; a.A. z.B. VG Hannover, B.v. 22.10.2014 – 13 B 12064/14; VG Ansbach, B.v. 13.5.2014 – AN 11 S 14.50036; VG Schwerin, B.v. 24.4.2014 – 5 B 391/14 As; VG Berlin, B.v. 1.4.2014 – 23 L 122.14A – alle juris). Dabei war Ausgangspunkt der zu berücksichtigenden Erkenntnislage allgemein zunächst der einschlägige Bericht des UNHCR vom 2. Januar 2014. Darin wurde damals die Einschätzung geäußert, dass Asylbewerber in Bulgarien aufgrund systematischer Defizite der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens dem tatsächlichen Risiko einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt seien, und es wurde empfohlen, Überstellungen nach Bulgarien einzustellen (vgl. UNHCR, „Bulgaria As a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“, 2.1.2014, S. 16). Aufgrund dieser Einschätzung des UNHCR lehnte die insbesondere im ersten Quartal 2014 ergangene erstinstanzliche Rechtsprechung überwiegend eine Rücküberstellung nach Bulgarien ab. Aufgrund des zwischenzeitlich aktualisierten Berichts des UNHCR („Bulgaria As a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“, April 2014), der signifikante Verbesserungen feststellte, erfolgte jedoch zwischenzeitlich vielfach eine Abkehr von dieser Rechtsprechung, wobei dies allerdings allgemein mit der Maßgabe gesehen wurde, dass es sich im konkreten Fall nicht um Antragsteller handelte, die zum Kreis besonders schutzbedürftiger Personen zählten (vgl. z.B. VG Düsseldorf, B.v. 12.9.2014 – 13 L 16/90/14.A; VG Augsburg, B.v. 25.8.2014 – Au / S 14.50199; VG Bremen, U.v. 16.7.2014 – 1 K 152/14; VG Berlin, B.v. 6.5.2014 – VG 9 L 147.14 A; VG Ansbach, B.v. 13.5.2014 – AN 11 S 14.50036; VG Schwerin, B.v. 24.4.2014 – 5 B 391/14 As; VG München, B.v. 7.5.2014 – M 11 S.14.50163; B.v. 6.5.2014 – M 7 S 14.5011 – alle juris). Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch bei den Antragstellern als Familie, insbesondere den drei Kindern im Alter von einem, fünf und acht Jahren um besonders schutzbedürftige Personen.

Auch UNHCR sieht weiterhin Defizite bei der erforderlichen Unterbringung von Familien und Schwierigkeiten, Personen mit besonderen Schutzbedürfnissen, (darunter Kinder) zu identifizieren und entsprechend zu versorgen. Vor diesem Hintergrund sieht UNHCR Gründe, in bestimmten Fällen bzw. bei bestimmten Gruppen von Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens abzusehen bzw. Einzelfallprüfungen vorzunehmen (vgl. UNHCR, „Bulgaria As a Country of Asylum – UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria“, April 2014; S. 7, 17).

Amnesty International kritisierte in einem Bericht vom 1. April 2014 nach einem Besuch von einigen Aufnahmezentren in Bulgarien weiterhin unzureichende Lebensbedingungen für Flüchtlinge ( Überbelegung, schlechte sanitäre Bedingungen und eine unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln) und forderte die europäischen Länder auf, keine Asylsuchenden nach Bulgarien zurück zu überstellen, bis das Land seine verheerenden Aufnahmebedingungen tatsächlich verbessert habe und die gravierenden Schwachstellen im Asylverfahren beseitigt seien (vgl. unter https://www.amnesty.de/2014/4/1/eu-staaten-duerfen-keine-asylsuchenden-nach-bul-garien-zurueck-ueberstellen). Ebenso bestätigte das „European Council on Refugees and Exiles – ECRE“ am 7. April 2014 die Forderung, Dublin-Überstellungen nach Bulgarien weiterhin auszusetzen (vgl. http://www.asylumineurope.org/news/07-04-2014/ecre-calls-european-countries-not-send-asylum-seekers-back-bulgaria). Der Bericht von „aida – Asylum Information Database“ vom 18. April 2014 („National Country Report Bulgaria“) verzeichnet Verbesserungen bei den Aufnahmebedingungen (vgl. unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/bulgaria). Nach einer Stellungnahme von „Proasyl“ vom 23. Mai 2014 ist die Versorgung von Babys und Kleinkindern von Flüchtlingen in Bulgarien nicht gewährleistet (vgl. http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/fluechtlinge_in_bulgarien_misshandelt_erniedrigt_im_stich_gelassen/). Nach dem am 7. Juli 2014 veröffentlichten Bericht von „bordermonitoring.eu“ („Trapped in Europe`s Quagmire: The Situation of Asylum Seekers and Refugees in Bulgaria“; S. 40) wird ebenfalls empfohlen, angesichts der im Zeitraum von März bis Juni 2014 festgestellten Umstände Dublin-Überstellungen an Bulgarien weiterhin auszusetzen (vgl. unter http://bulgaria.border-monitoring.eu/2014/07/07/trapped-in-europes-quagmire/).

Angesichts dieser aktuellen Erkenntnislage liegen im Rahmen der summarischen Prüfung konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die Aufnahmebedingungen für Familien insbesondere mit Kleinkindern so defizitär sind, dass die Annahme zu besorgen ist, dass den Antragstellern dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Eine abschließende Prüfung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Wegen der zumindest offenen Erfolgsaussichten in den Hauptsachen überwiegen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die privaten Interessen der Antragsteller, insbesondere im Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder, für die die Eltern Sorge zu tragen haben, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).