OLG Hamm, Urteil vom 16.10.2014 - 5 U 83/14
Fundstelle
openJur 2014, 25802
  • Rkr:

Den Bewohnern und Mietern eines Hauses, dessen Eigentümer enteignet wird, ist im Rahmen einer Besitzeinweisung die Ausführungsanordnung der Enteignungsbehörde zuzustellen. Der unmittelbare Besitzer, dessen Rechtsstellung durch den Enteignungsbeschluss betroffen wird, ist ebenfalls Beteiligter im Sinne des § 117 Abs. 4 BauGB.

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten N und I wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 12.06.2014 abgeändert.

Die einstweilige Verfügung vom 28.04.2014 (Az.: 4 O 131/14) wird aufgehoben und der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass der einstweiligen Verfügung gegen die Verfügungsbeklagten N und I zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt die Verfügungsklägerin nach einem Streitwert von 60.000,00 €.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Die Verfügungsklägerin ist seit Dezember 2013 aufgrund eines Enteignungsverfahrens im Sinne der §§ 104 ff. BauGB Eigentümerin des Grundstücks X-Straße 18 in G (Gemarkung G, Flur 27, Flurstück ... und ...#, eingetragen im Grundbuch von G, Blatt ..., Gesamtgröße 4.477 qm) und der aufstehenden Gebäude. Sie will auf dem streitgegenständlichen Grundstück öffentliche Baumaßnahmen durchführen.

Die auf dem streitgegenständlichen Grundstück aufstehenden Gebäude werden von den Verfügungsbeklagten und den weiteren im ersten Rechtszug in Anspruch genommenen Antragsgegnern bewohnt.

Vor der Verfügungsklägerin war Prof. Dr. F Eigentümer des vorbezeichneten Anwesens und insoweit Rechtsvorgänger der Verfügungsklägerin.

Prof. Dr. F hatte im August 1994 über die vorbezeichneten Immobilie mit C, Inhaber der Firma Q Groß- und Einzelhandel, einen Mietvertrag geschlossen (vgl. Bl. 21 ff.). Ausweislich des § 2 des Mietvertrages vom 20.08.1994 erfolgte die Vermietung sowohl zu gewerblichen als auch zu Wohnzwecken. Eine Untervermietung wurde gestattet. Der monatliche Mietzins betrug ca. 4.000,00 €.

Der Antragsgegner B ist als Erbe seines inzwischen verstorbenen Vaters C in den vorbezeichneten Mietvertrag eingetreten. Er bewohnt seitdem bis heute mit seiner Ehefrau, der Antragsgegnerin U, und einem minderjährigen Kind die streitgegenständliche Immobilie.

Die Verfügungsbeklagten N und I gingen ebenso wie der Antragsgegner K mit dem Antragsgegner B ein Untermietverhältnis ein. Ebenso wohnen dort die drei minderjährigen Kinder der Eheleute N und I.

Bevor die Verfügungsklägerin durch Enteignung Eigentümerin des vorbezeichneten Anwesens wurde, kündigte Prof. Dr. F das Mietverhältnis gegenüber B mit Schreiben vom 06.08.2011 (vgl. Bl. 277 ff.) wegen Verzuges von Mietzahlungen in Höhe von ca. 208.000,00 €. In dem Kündigungsschreiben wurde B aufgegeben, das Anwesen bis zum 31.03.2013 zu räumen. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die bestehenden Untermietverhältnisse zu kündigen seien.

Am 04.07.2012 kam es zu einer teilweisen Einigung zwischen Prof. Dr. F und der Verfügungsklägerin (Bl. 7 ff.). Hierzu erging auf Antrag der Stadt G eine Ausführungsanordnung der Bezirksregierung Arnsberg vom 19.03.2013 (Bl. 11 ff.), die nach erfolglosem Antrag des Prof. Dr. F auf gerichtliche Entscheidung bestandskräftig wurde (Urteil LG Arnsberg vom 14.11.2013, Bl. 94 ff.).

Die Verfügungsklägerin erhob im Hauptsacheverfahren (Az.: 4 O 8/14 LG Hagen) mit Schriftsatz vom 11.07.2013 (Bl. 1 ff.) Klage gegen die Verfügungsbeklagten des vorliegenden Verfahrens auf Räumung und Herausgabe des Anwesens X-Straße 18 in G.

Sodann hat sie mit Schriftsatz vom 04.04.2014 (Bl. 90 ff.) aus dem Hauptsacheverfahren heraus beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung gem. §§ 940, 940 a ZPO anzuordnen, dass die Antragsgegner das Grundstück X-Straße 18 in G (Gemarkung G Flur 27 Flurstück ... und ...#) mit den aufstehenden Gebäuden vollständig geräumt an sie herauszugeben haben.

Die Verfügungsbeklagten haben zunächst beantragt,

den Antrag der Verfügungsklägerin zurückzuweisen.

Das Landgericht Hagen hat am 28.04.2014 durch Beschluss die beantragte einstweilige Verfügung erlassen (vgl. Bl. 104 ff.).

Mit Schriftsatz vom 01.05.2014 (Bl. 136 ff.) haben die Verfügungsbeklagten N und I Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt und zudem beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss vom 28.04.2014 einstweiligen einzustellen.

Mit Beschluss vom 05.05.2014 (Bl. 114 ff.) hat das Landgericht die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss vom 28.04.2014 ohne Sicherheitsleistung einstweiligen eingestellt.

Die Verfügungsklägerin hat sodann beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hagen, Az. 4 O 131/14, vom 28.04.2013 aufrechtzuerhalten.

Die Verfügungsbeklagten N und I haben beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 28.04.2014 aufzuheben und den Antrag auf deren Erlass zurückzuweisen sowie

hilfsweise ihnen Räumungsschutz für wenigstens 6 Wochen ab Entscheidungsverkündung zu gewähren.

Die Verfügungsbeklagten haben die Auffassung vertreten, es läge keine Eilbedürftigkeit vor, da ausweislich verschiedener Pressemitteilungen die Verfügungsklägerin bereits seit nahezu 10 Jahren die Bebauung des streitgegenständlichen Grundstücks plane.

Zudem entfalte die Einweisung der Verfügungsklägerin in den Besitz ihnen gegenüber keine Wirkung, sondern sei nur dem vorherigen Eigentümer gegenüber wirksam. Ihr Verbleib auf dem streitgegenständlichen Grundstück stelle daher keine verbotene Eigenmacht dar. Mithin lägen schon die Voraussetzungen des § 940 a Abs. 1 ZPO nicht vor.

Auch könnten sie - die Verfügungsbeklagten - einem etwaigen Herausgabeanspruch der Verfügungsklägerin ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten, welches auf Entschädigungsansprüchen aus dem Enteignungsverfahren beruhe.

Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung vom 28.04.2013 aufrechterhalten. Der zulässige Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung sei gemäß §§ 940, 940 a Abs. 1 ZPO begründet.

Das Landgericht Hagen sei sachlich und örtlich zuständig.

Insbesondere liege keine Zuweisung der Streitigkeit an die Amtsgerichte gemäß § 23 Nr. 2 a GVG (Streitigkeit über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum) vor. Der Antrag der Verfügungsklägerin werde ausschließlich auf § 985 BGB gestützt, nicht aber, auch nicht hilfsweise, auf mietvertragliche Ansprüche. Mietvertragliche Beziehungen hätten zwischen der Verfügungsklägerin und den Verfügungsbeklagten nicht bestanden.

Die Verfügungsklägerin habe einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund gemäß §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.

Der Verfügungsanspruch ergebe sich aus §§ 861 Abs. 1, 863 BGB.

Die Verfügungsbeklagten hätten gegenüber der Verfügungsklägerin verbotene Eigenmacht begangen. Verbotene Eigenmacht gem. § 858 Abs. 1 BGB liege vor, wenn dem Besitzer ohne seinen Willen der Besitz entzogen werde. Besitzer im Sinne dieser Vorschrift sei der unmittelbare Besitzer. Dem unmittelbaren Besitzer stehe derjenige Besitzer gleich, der aufgrund einer baurechtlichen Vorschrift in den Besitz eingewiesen worden sei. Demnach werde der neue Eigentümer kraft Gesetztes zum Besitzer im Rechtssinne, ohne dass es einer Übergabe des Grundstücks zur Begründung des Besitzes nach § 854 BGB oder einer eigenständigen Besitzergreifung bedürfe. Diese Besitzstellung des eingewiesenen Besitzers bestehe nicht lediglich gegenüber dem vorhergehenden Besitzer, sondern vielmehr unbeschränkt. Der Eingewiesene habe mit dem im Beschluss festgesetzten Tag alle Rechte, die einem Besitzer nach § 854 BGB zustünden. Wehre sich der frühere Eigentümer gegen die tatsächliche Besitzergreifung, insbesondere dadurch, dass er das Grundstück nicht räume, so stelle dies eine verbotene Eigenmacht dar. Die Verfügungsklägerin sei durch Ausführungsanordnung vom 19.03.2013 gemäß § 117 Abs. 6 BauGB zum 01.05.2013 in den Besitz eingewiesen worden, so dass sie zu diesem Zeitpunkt Besitzerin gemäß § 854 BGB geworden sei. Die unstreitige Weigerung der Verfügungsbeklagten, das Grundstück zu räumen, stelle demnach eine verbotene Eigenmacht dar. Die Verfügungsbeklagten seien zwar nicht die vormaligen Eigentümer des Grundstücks, sondern Mieter bzw. Untermieter. Daraus könne sich aber keine andere Wertung ergeben. Wenn schon der ehemals dinglich Berechtigte durch die Einweisung den Besitz verliere, so müsse dies gerade auch für die lediglich obligatorisch Berechtigten gelten.

Ein Zurückbehaltungsrecht könne - unabhängig von dessen Bestehen - dem Anspruch der Verfügungsklägerin aufgrund der verbotenen Eigenmacht nicht entgegen gehalten werden. Die Besitzbeeinträchtigung ohne Willen des Besitzers sei grundsätzlich widerrechtlich, unabhängig davon, ob der Besitzer ein Recht zum Besitz habe oder sogar seine fehlende Berechtigung kenne. Die Widerrechtlichkeit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Störer einen Anspruch auf Herausgabe oder Gestattung der beeinträchtigenden Handlung habe. Ansprüche und Zurückbehaltungsrechte erlaubten keine Eigenmacht, sondern müssten im Klagewege verfolgt werden.

Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes sei der verbotenen Eigenmacht immanent, da die verbotene Eigenmacht einen Schadenseintritt impliziere. Darüber hinaus habe die Verfügungsklägerin einen solchen Schadenseintritt auch glaubhaft dargelegt. Sie habe angegeben, dass sie ohne die Räumung durch die Beklagten zu einer Baueinstellung gezwungen werde und damit ein Schaden im fünfstelligen Euro-Bereich zu erwarten sei.

Dem Antrag auf Räumungsschutz der Verfügungsbeklagten sei nicht stattzugeben. Die Voraussetzungen nach § 721 ZPO lägen nicht vor. Nach den konkreten Umständen des vorliegenden Rechtsstreits sei eine Räumungsfrist nicht angemessen. Die Verfügungsbeklagten hätten seit mehreren Jahren und in gesteigerter Form seit Einlegung der Klage im Juli 2013 sowie seit Erlass der einstweiligen Verfügung vom 28.04.2014 Kenntnis von der drohenden Räumungsverpflichtung gehabt. Es sei ihnen möglich gewesen, während dieser Zeit, in der sie auch anwaltlich beraten gewesen seien, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen.

Die Verfügungsbeklagten N und I wenden sich gegen diese Entscheidung mit ihrer Berufung.

Ihr Verhalten begründe nicht den Tatbestand der verbotenen Eigenmacht, so dass schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 940 a ZPO nicht vorlägen. Das Landgericht stütze sich zur Begründung verbotener Eigenmacht rechtsfehlerhaft auf die Ausführungsanordnung der Enteignungsbehörde vom 19.03.2013. Zwar sei richtig, dass der Ausführungsanordnung eine Besitzeinweisung zugunsten der Verfügungsklägerin inne wohne. Diese Besitzeinweisung führe jedoch nur gegenüber solchen Personen, welche in der Ausführungsanordnung auch ausdrücklich bezeichnet seien, zu einer Besitzeinweisung. Sie - die Verfügungsbeklagten N und I - seien nicht in der Ausführungsanordnung bezeichnet worden und diese sei ihnen auch nicht zugestellt worden. Mithin entfalte sie ihnen gegenüber keinerlei und damit auch keine den Besitz entziehende Wirkung.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

die einstweilige Verfügung vom 28.04.2014 aufzuheben und den Antrag vom 04.04.2014 auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Hilfsweise beantragen sie,

ihnen eine Räumungsfrist von wenigstens 6 Wochen ab Entscheidungsverkündung zu gewähren.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, indem sie u.a. ihre erstinstanzlichen Argumente wiederholt und vertieft.

B.

Die Berufung der Verfügungsbeklagten N und I ist begründet.

Die einstweilige Verfügung vom 28.04.2014 ist zu Unrecht ergangen und daher aufzuheben und der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen. Es fehlt an einem Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935, 940, 940 a ZPO.

I.

Da es im vorliegenden Fall unstreitig um die Räumung von Wohnraum geht, ist § 940 a Abs. 1 ZPO einschlägig. Nach dieser Vorschrift darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden. Hier kommt nur verbotene Eigenmacht in Betracht, die als Verfügungsgrund ausreichen, aber auch zwingend erforderlich ist.

II.

Gem. § 858 Abs. 1 BGB begeht verbotene Eigenmacht, wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, sofern nicht das Gesetz dies gestattet.

Die Verfügungsbeklagten haben den Besitz an dem streitgegenständlichen Grundstück nicht durch Besitzentziehung im Sinne der §§ 861 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB erlangt, sondern haben das Anwesen aufgrund eines Untermietvertrages mit dem Verfügungsbeklagten B in Besitz genommen.

Gleichwohl könnten die Verfügungsbeklagten der Verfügungsklägerin den Besitz im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB ohne deren Willen entzogen haben, weil sie das streitgegenständliche Grundstück nicht räumten, nachdem die Verfügungsklägerin durch Ausführungsanordnung der Bezirksregierung Arnsberg als Enteignungsbehörde vom 19.03.2013 (Bl. 11 ff.) i.V.m. § 117 Abs. 6 BauGB zum 01.05.2013 in den Besitz des Grundstücks eingewiesen worden war. Die Besitzeinweisung gem. § 117 Abs. 6 BauGB hat grundsätzlich zur Folge, dass die Verfügungsklägerin Besitzerin des Grundstücks im Sinne des § 854 BGB wurde. Die Verfügungsklägerin kann sich daher - ohne eine verbotene Eigenmacht zu begehen - notfalls mit Zwangsmitteln in den Besitz des Grundstücks versetzen. Wer sich gegen die Besitzergreifung wendet, begeht grundsätzlich seinerseits verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB, gegen welche sich die eingewiesene Verfügungsklägerin u.a. auch mit den Rechtsbehelfen der §§ 861 u. 862 BGB wehren kann (vgl. Ernst-Zinkhahn-Bielenberg/Dyong, Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand 01.01.2014, § 117 BGB Rdn. 23 u. § 116 BGB Rdn. 16).

III.

Der unter II. erläuterte Grundsatz ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Ausführungsanordnung vom 19.03.2013 (Bl. 11 ff.), auf die die Verfügungsklägerin in Verbindung mit § 117 Abs. 6 BauGB ihre Besitzeinweisung stützt, ist den Verfügungsbeklagten - unstreitig - nämlich nicht zugestellt worden.

1.

Gem. § 117 Abs. 4 Satz 1 BauGB ist die Ausführungsanordnung allen Beteiligten zuzustellen, deren Rechtsstellung durch den Enteignungsbeschluss getroffen wird. Diese Vorschrift enthält eine Selbstverständlichkeit, denn die Ausführungsanordnung ist ein Verwaltungsakt. Sie ist damit ohnehin nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen jedem "betroffenen" Beteiligen zuzustellen, und zwar mit Rechtsmittelbelehrung (vgl. Ernst-Zinkhahn-Bielenberg/Dyong a.a.O., § 117 BauGB, Rdn. 16).

2.

Beteiligte in einem Enteignungsverfahren sind gem. §§ 106 Abs. 1 Ziff. 3 BauGB neben dem Antragsteller und dem Eigentümer auch der Inhaber eines persönlichen Rechts, das zum Erwerb, zum Besitz oder zur Nutzung des Grundstücks berechtigt.

Im Sinne von § 106 Abs. 1 Ziff. 3 BauGB sind die Verfügungsbeklagten keine Beteiligten, weil das Hauptmietverhältnis zwischen dem Voreigentümer und B bereits im August 2011 oder jedenfalls im August 2012, wenn das Kündigungsschreiben wie von den Verfügungsbeklagten vorgetragen ein falsches Datum enthielt, wegen der unstreitigen Mietrückstände gekündigt worden war. Damit war zugleich auch das Besitzrecht der Verfügungsbeklagten N und I gem. § 986 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB entfallen (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1542 ff., Rdn. 6 zitiert nach Juris m.w.N.).

Gleichwohl musste die Ausführungsanordnung, die nach § 117 Abs. 6 BauGB die Einweisung in den Besitz des enteigneten Grundstücks einschließt, auch diesen Verfügungsbeklagten zugestellt werden, was unstreitig nicht geschehen ist. Zunächst ergibt sich dies aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 116 Abs. 1 BauGB, der die vorzeitige Besitzeinweisung regelt. Dort heißt u.a.:

"Ist die sofortige Ausführung der beabsichtigten Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten, so kann die Enteignungsbehörde den Antragsteller auf Antrag durch Beschluss in den Besitz des von dem Enteignungsverfahren betroffenen Grundstücks einweisen. Die Besitzeinweisung ist nur zulässig, wenn sie in einer mündlichen Verhandlung verhandelt worden ist. Der Beschluss über die Besitzeinweisung ist dem Antragsteller, dem Eigentümer und dem unmittelbaren Besitzer zuzustellen."

(Hervorhebung durch den Senat)

Die Verfügungsbeklagten N und I sind als Bewohner des streitgegenständlichen Anwesens unmittelbare Besitzer desselben. Im Rahmen einer vorzeitigen Besitzeinweisung gemäß § 116 Abs. 1 BauGB hätte ihnen also der entsprechende Beschluss zugestellt werden müssen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Ausführungsanordnung eines nicht mehr anfechtbaren Enteignungsbeschlusses im Sinne von § 117 Abs. 1 BauGB nicht ebenfalls dem unmittelbaren Besitzer des zu enteignenden Grundstücks zugestellt werden muss, der die Sachherrschaft über dieses Grundstück zur Zeit ausübt. Vielmehr dürfte der unmittelbare Besitzer, dessen Rechtsstellung durch den Enteignungsbeschluss betroffen wird, ebenfalls unter dem Begriff "Beteiligte" des § 117 Abs. 4 BauGB zu subsummieren sein.

Für dieses Ergebnis spricht weiter die in § 940 a ZPO i.V.m. §§ 858 ff. BGB enthaltene gesetzliche Wertung. Besitz und Besitzschutz wirken zwar grundsätzlich gegenüber jedermann, doch die aus der Besitzeinweisung hergeleitete verbotene Eigenmacht beruht auf einem juristischen Konstrukt, nämlich einem Verwaltungsakt, der zunächst einmal Wirksamkeit zwischen den unmittelbaren Verfahrensbeteiligten entfaltet. Zu den unmittelbaren Verfahrensbeteiligten gehören die Verfügungsbeklagten jedoch zunächst nicht. Die Annahme verbotener Eigenmacht aufgrund unterlassener Räumung des zu enteignenden Gebäudes trotz Besitzeinweisung lässt sich ihnen gegenüber nur rechtfertigen, wenn sie ebenfalls als Beteiligte des Einweisungsverfahrens behandelt werden und ihnen die entsprechende Ausführungsanordnung nach § 117 Abs. 6 BauGB auch zugestellt wird.

Dies ist hier unstreitig unterblieben.

Die Folge der unterbliebenen Zustellung ist, dass die Besitzeinweisung der Verfügungsklägerin nicht wirksam werden konnte. Von der Zustellung der Ausführungsanordnung hängt im Hinblick auf die in § 117 Abs. 6 BauGB der Ausführungsanordnung beigelegte Rechtsfolge des Besitzwechsels die Wirksamkeit der Ausführungsanordnung ab (vgl. BGH NJW 1986, 1107 ff. - Rdn. 22 zitiert nach Juris für den Besitzeinweisungsbeschluss gemäß § 116 BauGB).

Mithin hat die Verfügungsklägerin das streitgegenständliche Grundstück - jedenfalls im Verhältnis zu den Verfügungsbeklagten N und I - noch nicht (wirksam) in Besitz genommen. Daher haben die Verfügungsbeklagten des vorliegenden Verfahrens durch ihre Weigerung, das Anwesen zu verlassen, auch keine verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB ausgeübt.

Nach allem fehlt es der beantragten einstweiligen Verfügung an einem Verfügungsgrund.

C.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 6 ZPO.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte