VG München, Beschluss vom 28.04.2014 - M 25 S 14.50021
Fundstelle
openJur 2014, 23287
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Bulgarien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.

Der Antragsteller ist ugandischer Staatsangehöriger. Er reiste am 5. Oktober 2013 in das Bundesgebiet ein und stellte am 15. Oktober 2013 Asylantrag.

Aufgrund eines Wiederaufnahmeersuchens vom 5. Dezember 2013 erklärte die bulgarische Einwanderungsbehörde mit Schreiben vom 3. Februar 2014 ihr Einverständnis mit der Wiederaufnahme des Antragstellers in Bulgarien.

Mit Bescheid vom 5. März 2014, zugestellt mit Schreiben vom 10. März 2014, stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass der Asylantrag des Antragstellers unzulässig ist (Ziff. 1), und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziff. 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da Bulgarien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 c Dublin-II-VO für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Systemische Mängel des Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen würden in Bulgarien nicht vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 18. März 2014, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 5. März 2014 und beantragte gleichzeitig gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebung nach Bulgarien anzuordnen bzw. wiederherzustellen.

Zur Begründung bezogen sich die Bevollmächtigten des Antragstellers im Wesentlichen auf das Positionspapier des UNHCR vom 2. Januar 2014, in dem dieser dazu aufruft, wegen systemischer Mängel im bulgarischen Asylverfahren von Rückführungen nach Bulgarien Abstand zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Die danach vorzunehmende Abwägung des sich aus § 75 Abs. 1 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG - wonach die Aussetzung der Abschiebung nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes angeordnet werden darf - ist vorliegend nicht anwendbar (vgl. hierzu mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens VG Trier, B.v. 18.9.2013 - 5 L 1234/13.TR). Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn der angefochtene Bescheid des Bundesamtes begegnet zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27 a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.

Nach § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Für die Prüfung des vom Antragsteller am 15. Oktober 2013 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrages ist gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. c) und 19 Abs. 1 VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (so genannte „Dublin-II-VO“) Bulgarien zuständig. Die Dublin-II-VO ist vorliegend noch anwendbar, da sowohl der Antrag auf internationalen Schutz als auch das Übernahmeersuchen an Bulgarien vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind (Art. 49 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und Rates v. 26.6.2013 – Dublin-III-VO). Bulgarien ist der zuständige Mitgliedsstaat für die Überprüfung des Asylantrages und hat mit Schreiben vom 3. Februar 2014 der Wiederaufnahme des Antragstellers zugestimmt (vgl. diesbezüglich auch, wenn die erste Einreise in das Gebiet der Europäischen Union über Griechenland erfolgte: EuGH, U.v. 14.11.2013 - C-4/11, U.v. 10.12.2013 - C-394/12).

Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Bulgarien den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.

Von Verfassungs wegen kommt eine Prüfungspflicht der Antragsgegnerin nur in Betracht, soweit ein von vornherein außerhalb der Reichweite des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Sachverhalt gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93) ist dies - bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat - etwa dann der Fall, wenn sich die, für die Qualifizierung des Drittstaates als sicher, maßgeblichen Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen. Derartige Anhaltspunkte sind im Verfahren (jedenfalls derzeit nicht mehr) ersichtlich.

Für das Gericht ist nicht mehr ersichtlich, dass das Asylverfahren sowie die Aufnahmebedingungen in Bulgarien grundlegende systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber im Sinn von Art. 4 Grundrechtscharta implizieren. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 (C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.

Das Gericht stützt sich bei dieser Einschätzung maßgeblich auf den jüngsten Bericht des UNHCR zu Bulgarien vom April 2014. Ganz im Gegensatz zu seinem Positionspapier vom 2. Januar 2014 kommt der UNHCR mittlerweile zu einer geänderten Einschätzung hinsichtlich Bulgariens als Asylland. Zusammenfassend wird festgestellt, dass im ersten Quartal 2014 der UNHCR signifikante Verbesserungen in Bulgarien im Hinblick auf Registrierung, Verfahren und Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in den Aufnahmezentren beobachten konnte. Auf dieser Basis schließt der UNHCR, dass eine generelle Aussetzung aller Dublin-Überstellungen nach Bulgarien nicht mehr länger gerechtfertigt sei. Allerdings verbleiben trotz der durch die bulgarischen Behörden vorangetriebenen Verbesserungen ernstzunehmende Lücken im bulgarischen Asylsystem, weshalb der UNHCR trotz seines Abrückens von einer generellen Warnung bzgl. Überstellungen nach Bulgarien darauf hinweist, dass dennoch für bestimmte Gruppen oder Individuen Gründe vorliegen können, sie von Überstellungen nach Bulgarien auszunehmen. Nötig sei eine individuelle Prüfung in Bezug auf spezifische Bedürfnisse oder Schwächen von Asylbewerbern.

Hinsichtlich der Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen stellt der UNHCR fest, dass am 27. März 2014 die Einrichtungen zu 82 % ausgelastet waren. Es sei zusätzliches Personal eingestellt worden, teilweise unbefristet, teilweise aus EU-Mitteln finanziert bis Ende 2014. Nach Angaben der bulgarischen Regierung sei eine anderweitige Finanzierung nach dem 30. April gesichert. Dieses neue Personal schließe hauptsächlich Registrierungsbeamte und Befrager, aber auch Personal zur Abdeckung sozialer Dienste mit ein. Zusätzlich sei ein Sozialarbeiter für jedes Aufnahmezentrum ernannt worden. Die große Mehrheit der neu eingestellten Mitarbeiter hätten eine entsprechende Ausbildung erhalten, einschließlich Prävention und Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt und dem Erkennen von Personen mit spezifischen Bedürfnissen. Im Vergleich zur Situation, wie sie sich noch im Dezember 2013 dargestellt hätte, hätten sich die Bedingungen in den Aufnahmezentren signifikant verbessert, insbesondere in der Einrichtung Harmanli, welche zudem nicht mehr als geschlossene Einrichtung fungiere. Asylbewerber hätten Zugang zu einer medizinischen Erstversorgung, Dolmetscherdiensten für die Registrierung und das Asylverfahren, Heizung, verschiedene Einrichtungen für einzelne Männer und Frauen und monatlich 33 Euro Taschengeld. Gleichwohl sei der UNHCR nach wie vor besorgt über die Unterbringungsbedingungen und Sanitäreinrichtungen in zwei Aufnahmeeinrichtungen. Hier seien die Sanitäreinrichtungen sehr begrenzt. Zusätzlich sei in diesen beiden Zentren eine getrennte Unterbringung von Familie mit Kindern nicht möglich. Einzelne Familien seien nur durch dünne Vorhänge voneinander getrennt. Während die bulgarischen Asylbehörden mit der Renovierung zur Verbesserung dieser beiden Zentren begonnen habe, seien die Arbeiten dort noch im Gange. Man versuche etwa durch chemische Toiletten oder mobile Duschräume den Missständen vorübergehenden zu begegnen. Man habe den Bewohnern dieser Zentren angeboten, sie anderweitig unterzubringen, diese hätten jedoch bevorzugt, ihm Hinblick auf die Beendigung der Renovierungsarbeiten in den beiden Zentren zu verbleiben. Hinsichtlich der Nahrungsmittelversorgung hätten die bulgarischen Asylbehörden die Verantwortung für alle Zentren Anfang Februar vom UNHCR übernommen. Bewohner erhielten mittlerweile zwei warme Mahlzeiten am Tag. Recherchen des UNHCR hätten ergeben, dass die Asylbewerber sowohl Qualität als auch Quantität der Nahrungsmittelversorgung zufriedenstellend fänden. Eine ausreichende Gesundheitsversorgung sei mittlerweile gewährleistet.

Dennoch bleibt der UNHCR besorgt über ein Fehlen systematischer Identifikationsmethoden von Personen mit speziellen Bedürfnissen wie auch des Fehlens eines Systems, auf diese Bedürfnisse einzugehen.

Eine Registrierung als Asylbewerber sei mittlerweile innerhalb 48 Stunden sichergestellt. Seit April 2014 sei durch europäische Mittel die Vergabe von Prozesskostenhilfe möglich, zumindest für die erste Instanz. Dublin-Rückkehrer hätten denselben Zugang zum Asylverfahren sowie zu den Aufnahmeeinrichtungen wie im Land verbliebene Asylbewerber.

Bei einer Gesamtwürdigung der dargestellten Erkenntnisse vermag das Gericht im jetzigen Zeitpunkt systemische Schwachstellen im Sinne der Dublin-Verordnung für das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien nicht mehr festzustellen. Der Bericht des UNHCR vom April 2014 enthält Erkenntnisse, die den Schluss rechtfertigen, die noch im Winter 2013/2014 bestehenden Mängel als ganz oder in einer Weise aufgehoben zu betrachten, so dass sie jedenfalls die Qualität eines systemischen Mangels verloren haben. Auslöser der Situation in Bulgarien war die sprunghafte Explosion der Zahl der Asylantragsteller binnen sechs Monaten, welche die Kapazitäten des bulgarischen Asylsystems sprengte. Die bulgarische Regierung hat hierauf reagiert und das European Asylum Support Office (EASO) sowie den UNHCR und andere Nicht-Regierungsorganisationen um Hilfe gebeten. Diese Unterstützungsleistungen haben ausweislich des UNHCR-Berichts vom April 2014 zwischenzeitlich erhebliche Erfolge gezeigt. Die im UNHCR-Bericht vom 2. Januar 2014 maßgeblich angeführten Defizite wurden abgestellt. Es ist festzustellen, dass die Zahl der Personen in den Einrichtungen deutlich zurückgegangen und zugleich die Aufnahmekapazität erhöht worden ist. Auch die Lebensbedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen sind deutlich verbessert worden. Eine Einschränkung hinsichtlich des Vorliegens systemischer Mängel ist allerdings wohl immer noch in Bezug auf besonders schutzbedürftige Personen zu machen. Hier rät auch der UNHCR derzeit noch von einer Überstellung dieser Personen nach Bulgarien ab.

Die vom Antragsteller in seinem Asylverfahren genannten Gründe für ein Verlassen Bulgariens decken sich mit der vom UNHCR dokumentierten Lage im vergangenen Winter. Es ist aber davon auszugehen, dass vor dem Hintergrund der dokumentierten Verbesserungen mittlerweile dem Antragsteller die Durchführung seines Asylverfahrens in Bulgarien zugemutet werden kann, dies umso mehr, als Anhaltspunkte für eine besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers als gesunden, alleinstehenden jungen Mann nicht vorliegen.

Nach alledem ist der Eilantrag abzulehnen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.