FG Münster, Urteil vom 16.12.2013 - 7 K 2195/12 E
Fundstelle
openJur 2014, 15630
  • Rkr:
Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 04.04.2012 wird nach Maßgabe der Urteilsgründe geändert.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand

Streitig ist, ob Zivilprozesskosten außergewöhnliche Belastungen gem. § 33 Einkommensteuergesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) darstellen.

Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung 2011 machte er Prozess- und Rechtsanwaltskosten, die ihm im Rahmen zweier Zivilprozesse entstandenen waren, als außergewöhnliche Belastungen geltend.

In dem Zivilprozess vor dem Landgericht G und dem Oberlandesgericht M wurde der Kläger durch seine frühere Schwiegermutter aus einer behaupteten Darlehnsforderung i.H.v. ca. 44.000 EUR in Anspruch genommen. Das behauptete Darlehn stand im Zusammenhang mit dem Bau eines Hauses, welches der Kläger mit seiner geschiedenen Ehefrau und deren Eltern während der Ehezeit gebaut und später gemeinsam bewohnt hatte. Nach der Trennung von seiner Frau kam es zu Unstimmigkeiten und damit zu seiner Inanspruchnahme aus einem behaupteten Darlehnsvertrag. Der Kläger obsiegte in erster Instanz vor dem Landgericht und stimmte vor dem Oberlandesgericht einem Vergleich zu. Für dieses Verfahren entstanden dem Kläger Prozesskosten und Kosten für die Inanspruchnahme des Prozessbevollmächtigten in Höhe von insgesamt 5.707,92 EUR.

In dem Verfahren vor dem Amtsgericht L über den Zugewinnausgleich mit seiner geschiedenen Ehefrau belief sich die Vergütung für den Prozessbevollmächtigten im Streitjahr auf 3.406,08 EUR. Aus dem Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts (Familiengericht) L vom 15.11.2011 (Az. ) ergibt sich folgender Beschluss:

"...

1. Das Gericht wird versuchen, den Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten.

2. Anderenfalls wird Verkündungstermin von Amtswegen bestimmt.

..."

Der Beklagte führte die Einkommensteuerveranlagung 2011 ohne Berücksichtigung der geltend gemachten Prozess- und Rechtsanwaltskosten durch. Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid vom 04.04.2012 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 04.06.2012 als unbegründet zurückwies.

Mit seiner am 29.06.2012 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Anerkennung der ihm entstandenen Prozess- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 9.114 EUR als außergewöhnliche Belastungen. Er vertritt die Auffassung, dass ihm durch die beiden Zivilprozesse zwangsläufig Kosten entstanden seien, die außergewöhnlich belastend seien. Er sei im Klagewege aus einer behaupteten Darlehnsforderung in beträchtlicher Höhe in Anspruch genommen worden, durch die er durchaus in seiner Existenz berührt gewesen sei. Seine Rechtsposition im Klageverfahren sei auch nicht von Anfang an aussichtslos gewesen, was sich daran zeige, dass er in der ersten Instanz obsiegt habe. Auch bei dem vor dem Amtsgericht geführten Rechtsstreit über den Zugewinnausgleich handele es sich um erhebliche Beträge. Mit der Auseinandersetzung des gesamten Vermögens handele es sich um einen Rahmen, der über das Übliche hinausgehe. Zur Begründung beruft sich der Kläger insbesondere auf das BFH-Urteil VI R 42/10 vom 12.05.2011, BStBl. II 2011, 1015.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 04.04.2012 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 04.06.2012 dahingehend abzuändern, dass die dem Kläger entstandenen Prozess- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 9.114 EUR als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden;

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beruft sich auf einen Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 02.12.2011 (BStBl. I 2011, 1286), in dem das von dem Kläger zitierte Urteil des BFH vom 12.05.2011 (a.a.O.) über den Einzelfall hinaus für nicht anwendbar erklärt wird. Er vertritt die Auffassung, dass Kosten für Zivilprozesse regelmäßig nicht zwangsläufig erwachsen würden und nur in Ausnahmefällen als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen seien, wenn die Existenz des Steuerpflichtigen bedroht sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass Kosten für ein Verfahren über den Zugewinnausgleich, auch wenn sie mit der Scheidung der Ehe zusammenhingen, nicht als unmittelbare und unvermeidbare Kosten des Scheidungsprozesses einzuordnen seien.

Der Senat hat in öffentlicher Sitzung am 16.12.2013 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 04.04.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 04.06.2012 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die dem Kläger entstandenen Aufwendung im Zusammenhang mit der Führung der Zivilprozesse vor dem Landgericht G bzw. dem Oberlandesgericht M und vor dem Amtsgericht L in Höhe von insgesamt 9.114 € stellen außergewöhnliche Belastungen gem. § 33 Abs. 1 EStG dar und sind nach Abzug der zumutbaren Eigenbelastung gem. § 33 Abs. 3 EStG bei der Steuerfestsetzung vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen.

Außergewöhnliche Belastungen sind Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen zwangsläufig und in größerem Maße erwachsen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Die Kosten eines Zivilprozesses können nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015), der sich der erkennende Senat anschließt, unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstehen. Entgegen der früheren Rechtsprechung ist für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit des dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Vielmehr liegt für den Steuerpflichtigen die Unausweichlichkeit bereits darin, dass er - will er sein Recht durchsetzen - im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten muss. Voraussetzung für den Abzug als außergewöhnliche Belastungen ist jedoch, dass sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat. Demgemäß sind Zivilprozesskosten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Eine nur entfernte, gewisse Erfolgsaussicht reicht nicht aus. Der Erfolg muss mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das zur Entscheidung berufene Gericht im Wege einer summarischen Prüfung zu untersuchen.

Der von dem Kläger geführte Rechtsstreit gegen die Inanspruchnahme aus einem behaupteten Darlehnsvertrag vor dem LG G und dem OLG M erfüllt diese Voraussetzungen. Dass die Verteidigung gegen den geltend gemachten Darlehnsrückzahlungsanspruch nicht mutwillig war und ausreichende Erfolgsaussichten hatte, zeigt sich an dem Obsiegen in erster Instanz. Auch die vergleichsweise Beendigung des Verfahrens in zweiter Instanz zeigt, dass der Kläger seine Rechtsposition mit hinreichenden Erfolgsaussichten verteidigt hat.

Auch das Verfahren vor dem Amtsgericht L den Zugewinnausgleich betreffend wurde nach Überzeugung des Senats nicht mutwillig oder leichtfertig geführt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass das Familiengericht den Beteiligten ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 15.11.2011 einen Vergleichsvorschlag unterbreiten wollte. Wenn die Rechtsposition des Klägers von Anfang an aussichtslos gewesen wäre, wäre für einen Vergleichsvorschlag des Gerichts kein Raum gewesen.

Der Senat folgt auch in der Beurteilung des Verfahrens über den Zugewinnausgleich der neueren BFH-Rechtssprechung (Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015). Die frühere Rechtsprechung des BFH zu den Scheidungsfolgesachen (BFH-Urteile vom 30. Juni 2005 III R 27/04, BStBl II 2006, 492, und vom 30. Juni 2005 III R 36/03, BFHE 210, 302, BStBl II 2006, 491), nach der es für die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung darauf ankam, dass die im Zusammenhang mit der Ehescheidung stehenden Verfahren auch im Verfahrensverbund gem. § 623 ZPO standen, sieht der Senat durch die zitierte neuere BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015) als überholt an.

Die Revision war nicht zuzulassen. Revisionsgründe gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Der Senat folgt ? wie im übrigen auch die weit überwiegende finanzgerichtliche Rechtsprechung ? der Rechtsauffassung des BFH zu der Frage der Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten und deren grundsätzlicher Abziehbarkeit. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine erneute Entscheidung des BFH nicht erforderlich. Darüber hinaus handelt es sich bei der im Streitfall anzuwenden Fassung des § 33 EStG um auslaufendes Recht. Mit Gültigkeit ab dem 30.06.2013 wurde die Vorschrift des § 33 EStG dahingehend geändert, dass die Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen grundsätzlich ausgenommen sind. Die Gültigkeit der Änderung wurde nicht rückwirkend ausgestaltet. Eine Fortbildung des Rechts oder eine grundsätzliche Bedeutung als Zulassungsgründe scheiden damit ebenfalls aus.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.