KG, Beschluss vom 02.04.2014 - (4) 151 AuslA 159/13 (97/14)
Fundstelle
openJur 2014, 14689
  • Rkr:

In den von Art. 4a Abs. 1 lit. c RB-EuHb erfassten Fällen (Rechtsmittelverzicht bzw. Unterlassen einer Anfechtung nach Zustellung eines Abwesenheitsurteils) ist eine Auslieferung unzulässig, da Art. 4a RB-EuHb noch nicht in nationales Recht umgesetzt wurde.

Tenor

1. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf Anordnungder Auslieferungshaft wird abgelehnt.

2. Der Verfolgte ist in dieser Sache sofort aus der Haft zuentlassen.

Gründe

Die polnischen Behörden haben durch Übermittlung einesEuropäischen Haftbefehls um die Festnahme des Verfolgten zum Zweckeder Auslieferung zur Strafvollstreckung ersucht. Der Verfolgte istam 27. März 2014 gemäß § 19 IRG vorläufig festgenommen worden. Erhat bei seiner am Folgetag nach §§ 22, 28 IRG vorgenommenenrichterlichen Anhörung ausdrücklich keine Einwendungen gegen dieAuslieferung erhoben, sich jedoch nicht abschließend dazu erklärt,ob er mit seiner vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG)einverstanden ist. Aufgrund der Festhalteanordnung des AmtsgerichtsTiergarten vom selben Tag befindet sich der Verfolgte seither inder Justizvollzugsanstalt Moabit. Die GeneralstaatsanwaltschaftBerlin hat beantragt, gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft (§15 Abs. 1 Nr. 1 IRG) anzuordnen. Diesem Antrag war nicht zuentsprechen.

1. Der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in G vom 27.September 2013 – II Kop 110/13 – entspricht denAnforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Er weist aus, dass derVerfolgte durch das Bezirksgericht in T am 13. Juli 2010 imVerfahren VIII K 624/10 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe voneinem Jahr verurteilt wurde, von der nach Anordnung derVollstreckung durch Beschluss des Amtsgerichts M, VII. AuswärtigerStrafsenat mit Sitz in S, vom 8. Februar 2013 noch zehn Monate undzehn Tage zu vollstrecken sind. Der Verurteilung liegt zugrunde,dass der Verfolgte am 1. April 2010 in T an der Ecke S. Straße/R.Straße den Pkw Audi mit dem amtlichen Kennzeichen ... führte,obwohl gegen ihn durch das Amtsgericht in T im Verfahren X K1208/09 für die Zeit vom 22. Dezember 2009 bis zum 22. Dezember2010 ein Fahrverbot verhängt worden war.

2. Der Anordnung der Auslieferungshaft steht jedoch entgegen,dass die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint (§ 15Abs. 2 IRG).

a) Zwar stellt die abgeurteilte Tat sich als grundsätzlichauslieferungsfähige strafbare Handlung dar (§§ 3, 81 IRG). Sie istsowohl nach polnischem Recht (Art. 224 des polnischenStrafgesetzbuches) als auch nach deutschem Recht (§ 21 Abs. 1 Nr. 1StVG) strafbar. Die zu vollstreckende Freiheitsstrafe überschreitetdas Mindestmaß von vier Monaten (§ 81 Nr. 2 IRG).

b) Der Auslieferung steht jedoch entgegen, dass das Urteil vom13. Juli 2010 nach Mitteilung der polnischen Behörden inAbwesenheit des Verfolgten ergangen ist (§ 83 Nr. 3 IRG). Einer derin § 83 Nr. 3 IRG geregelten Ausnahmefälle liegt nach demderzeitigen Erkenntnisstand nicht vor. Nach der Mitteilung desBezirksgerichts in G vom 6. März 2014 wurde der Verfolgte nicht vondem Termin benachrichtigt; die Ladung habe ihm nicht zugestelltwerden können, weil er sich in Deutschland aufgehalten habe. Dassder Aufenthalt in Deutschland eine „Flucht“ im Sinnedes § 83 Nr. 3 IRG gewesen ist, vermag der Senat nichtfestzustellen. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da an demVerfahren nach der vorgenannten Mitteilung kein Verteidigerbeteiligt war.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass demVerfolgten das Urteil vom 13. Juli 2010 am 15. Juli 2010 mitRechtsmittelbelehrung persönlich zugestellt wurde und er hiergegenkein Rechtsmittel eingelegt hat. Zwar ist nach Art. 4a Abs. 1 lit.c RbEuHb in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI vom 26.Februar 2009 (Abl. EU L 81/24) die Auslieferung auch in einemsolchen Fall zulässig. Art. 4a RbEuHb ist jedoch bisher nicht innationales deutsches Recht – und soweit ersichtlich auchnicht in polnisches Recht (Art. 607u der polnischenStrafprozessordnung) – umgesetzt worden. Der eindeutigeGesetzeswortlaut des § 83 Nr. 3 IRG steht einerrahmenbeschlusskonformen Auslegung dahin entgegen, dass auch die inArt. 4a Abs. 1 lit. c RbEuHb geregelten Fälle von denAusnahmeregelungen erfasst wären. Eine Auslegung contralegem ist nicht geboten (vgl. EuGH NJW 2005, 2839, 2841). Eineunmittelbare Anwendung von Rahmenbeschlüssen findet (derzeit noch)nicht statt (vgl. OLG München StV 2013, 710, 711).

Die von der Generalstaatsanwaltschaft für ihre Rechtsauffassungherangezogenen Beschlüsse des Bundesverfassungsgericht vom 9. März1983 (BVerfGE 63, 332) und des BGH vom 16. Oktober 2001 (BGHSt 47,120) führen zu keinem anderen Ergebnis. Die vor der Einführung desEuropäischen Haftbefehls ergangenen Entscheidungen belegen zwar,dass einer Implementierung von Art. 4a Abs.1 lit. c RbEuHb in dasdeutsche Auslieferungsrecht keine verfassungsrechtlichenHindernisse entgegenstehen. Ihre Anwendung auf den vorliegendenFall kommt angesichts der durch den Gesetzeswortlaut gezogenenGrenzen jedoch nicht in Betracht.

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