OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.10.2013 - 2 VAs 77/13
Fundstelle
openJur 2013, 41706
  • Rkr:

Mit nur allgemeinen, auch erheblichen Zweifeln am Therapieerfolg kann das einem Verurteilten dauerhaft anhaftende, seine Zukunft schwer belastende Verdikt der Therapieunfähigkeit nicht begründet werden. Vielmehr ist dies nur möglich, wenn vernünftige Zweifel an der fehlenden Therapieaussicht ausgeschlossen sind.

Tenor

Auf den Antrag des Verurteilten O. werden die Entschließung der Staatsanwaltschaft Heidelberg. vom 18.07.2013 - R 670 VRS 43 Js 11883/04 - und der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 09.08.2013 - 6 Zs 1472/13 - aufgehoben.

Die Staatsanwaltschaft wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Von den außergerichtlichen Kosten des Antragstellers hat die Staatskasse die Hälfte zu tragen.

Der Geschäftswert wird auf 3.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Verurteilte wurde durch das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 03.09.2004 zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und drei Monaten und durch Urteil des Landgerichts Ulm vom 03.12.2009 zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. In beiden Urteilen war die - mittlerweile erledigte - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet gewesen. Beiden Urteilen lagen Verstöße des langjährig drogenabhängigen Verurteilten gegen das Betäubungsmittelgesetz zugrunde. Nach zwischenzeitlicher Bewährungsaussetzung von Strafresten und deren Widerruf hat der Verurteilte noch Strafreste von neun Monaten bzw. einem Jahr aus den genannten Urteilen zu verbüßen.

Am 17.07.2013 stellte der Verurteilte durch seinen Verteidiger hinsichtlich der Reststrafen aus dem Urteil des Landgerichts Heidelberg den Antrag, gemäß § 35 BtMG von der weiteren Vollstreckung zum Zwecke der Durchführung einer stationären Drogentherapie abzusehen. Diesen Antrag lehnte die Staatsanwaltschaft Heidelberg mit der Verfügung vom 18.07.2013 wegen erheblicher Zweifel an der Therapiefähigkeit des Verurteilten, die sich aus früheren Therapiefehlschlägen ergäben, ab. Der von ihm gegen diesen Bescheid eingelegten Beschwerde gab die Generalstaatsanwaltschaft aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung mit ihrem Bescheid vom 09.08.2013 keine Folge.

Gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe wendet sich der Verurteilte mit seinem am 16.09.2013 fristgerecht eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Oberlandesgericht.

II.

Der gemäß §§ 23ff. EGGVG zulässige Antrag ist begründet.

Der Vollstreckungsbehörde steht bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessen und hinsichtlich der dabei zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen, Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit für die abgeurteilten Taten und Therapiewilligkeit des Antragstellers ein Beurteilungsspielraum zu. Gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG hat der Senat die Entschließung der Vollstreckungsbehörde auf Rechts- und Ermessensfehler und darauf zu überprüfen, ob ihr ein zutreffend und vollständig ermittelter Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zugrunde gelegt ist (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. StV 2002, 263).

Der Bescheid der Vollstreckungsbehörde, der in derjenigen Gestalt der Prüfung des Senats unterliegt, die er durch das Vorschaltverfahren gewonnen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil er besorgen lässt, dass die Anforderungen an den Nachweis der Therapiebereitschaft des Verurteilten überspannt worden sind.

Therapiebereitschaft eines Drogenabhängigen ist dann zu bejahen, wenn er ernsthaft gewillt ist, eine Therapie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer geeigneten Einrichtung nach den dort geltenden Regeln, Anweisungen und Bedingungen anzutreten und durchzustehen, um eine bestehende Drogenabhängigkeit zu beseitigen, und an diesem Ziel aktiv mitzuarbeiten (ständige Senatsrechtsprechung, vergl. OLG Karlsruhe StV 2007, 308).

Wegen der stets gegenwärtigen Rückfallgefährdung nicht erfolgreich therapierter Drogenabhängiger ist deren Therapiebereitschaft in aller Regel brüchig und häufig schwankend. Deshalb dürfen an dieses Tatbestandsmerkmal keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, denn es ist auch Zweck der Zurückstellung, die Therapiemotivation zu fördern (Kornprobst MünchKommStGB § 35 BtMG Rn 95). Gerade auch Risikoprobanden mit schlechter Prognose (OLG Karlsruhe StV 2010,148) sollen mit der Vorschrift des § 35 BtMG erreicht werden. Der Nachweis fehlenden Therapiewillens ist schwierig. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Karlsruhe StV 1983, 112; STV 2002, 263; NStZ 1999, 253; StV 2007, 308 jeweils mwN.) herrscht Einigkeit, dass sich der Weg aus der Sucht als ein langes, auch von Rückschlägen begleitetes prozesshaftes Geschehen darstellt, so dass sich ein Behandlungserfolg häufig erst nach mehreren Therapieversuchen einstellt. Deshalb lassen auch wiederholte Therapieabbrüche nicht ohne Weiteres den Schluss auf einen fehlenden Therapiewillen zu. Auch der Gesetzgeber geht in § 35 Abs. 5 BtMG ausdrücklich davon aus, dass ein früherer Widerruf einer erneuten Zurückstellung nicht entgegensteht. Maßgeblich kommt es darauf an, ob das Verhalten des Verurteilten über die Tatsache des Scheiterns früherer Therapieversuche hinaus konkrete Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Therapiebereitschaft begründet. Solche Gründe können in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise gefunden werden, mit der ein Verurteilter Therapiechancen vergibt, etwa indem er mehrfach Therapien nicht antritt oder nach sehr kurzer Zeit aufgibt (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 57f.). Vorliegend bestehen derartige Zweifel an der Therapiebereitschaft des Verurteilten schon deshalb nicht, weil der Verurteilte die letzte Drogentherapie im Jahr 2012 in der Einrichtung four steps ordnungsgemäß angetreten und beendet hatte. Der Vollstreckungsbehörde ist zuzugeben, dass Therapiebereitschaft neben dem Wollen des Verurteilten auch eine objektive Komponente hat, die Therapiefähigkeit. Soweit die Vollstreckungsbehörde an der Therapiefähigkeit des Verurteilten erhebliche Zweifel anmeldet, trägt die hierfür gegebene Begründung nicht. Fehlende Therapiefähigkeit kann nur angenommen werden, wenn besondere Tatsachen vorliegen, die aus psychologischen und/oder medizinischen Gründen, die im Ablehnungsbescheid mitgeteilt werden müssen, einen Therapieerfolg als ausgeschlossen erscheinen lassen (OLG Karlsruhe STV 1983, 112f; NStZ-RR 2009 122). Mit nur allgemeinen, auch erheblichen Zweifeln am Therapieerfolg kann das einem Verurteilten dauerhaft anhaftende, seine Zukunft schwer belastende Verdikt der Therapieunfähigkeit nicht begründet werden. Vielmehr ist dies nur möglich, wenn vernünftige Zweifel an der fehlenden Therapieaussicht ausgeschlossen sind (OLG Karlsruhe STV 1983, 112f.; OLG Frankfurt StraFo 2013, 351). Diesem Maßstab genügt die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht. Allein der Umstand, dass die letzte Therapie nicht erfolgreich war, die vom Landgericht Ulm angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Jahre 2010 mangels Erfolgsaussicht für erledigt erklärt werden musste und der Verurteilte zuletzt wieder sehr bald in die frühere Abhängigkeit zurückfiel, belegt noch nicht, dass weitere Therapieversuche aussichtslos wären, zumal die vom Landgericht Heidelberg angeordnete Unterbringung, in der sich der Verurteilte von 2004 bis 2007 zweieinhalb Jahre befunden hatte, erfolgreich verlaufen war, so dass die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war.

Die eine Zurückstellung der Strafvollstreckung ablehnenden Bescheide der Staatsanwaltschaft Heidelberg und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe waren deshalb aufzuheben. Die Vollstreckungsbehörde wird über den Antrag des Verurteilten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu befinden haben. Dabei wird nunmehr die Zustimmungserklärung des Gerichts erster Instanz einzuholen sein. Sofern der Verurteilte einen erneuten Rückstellungsantrag hinsichtlich der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Ulm stellt, sollte die erneute Entscheidung im Benehmen mit der dortigen Staatsanwaltschaft getroffen werden. Sollte danach nur noch die in der Vollstreckungsübersicht vom 24.09.2013 enthaltene Ersatzfreiheitsstrafe ein Zurückstellungshindernis darstellen, wird die Vollstreckungsbehörde eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge aus wichtigem Grund erwägen müssen (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 287f.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 2 EGGVG.