OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.10.2013 - 16 A 2820/12
Fundstelle
openJur 2013, 40942
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2012 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Festsetzung für beide Rechtszüge auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe fristgerecht dargelegt ist und vorliegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Das ist nicht der Fall.

1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn für die Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Rechtsmittelverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint.

Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rdnr. 127 mit weiteren Nachweisen; zum Revisionsrecht siehe etwa BVerwG, Beschluss vom 30. März 2005 ‑ 1 B 11.05 ‑, juris, Rdnr. 3 (= NVwZ 2005, 709).

Nach 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO obliegt es dem Rechtsmittelführer, die genannten Voraussetzungen darzulegen. Diese sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage bereits geklärt ist, aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Weiteres beantwortet werden kann oder wenn sie nur einzelfallbezogen zu beantworten ist und deshalb keine allgemeine Bedeutung hat.

Ausgehend davon zeigen die mit der Zulassungsbegründung bezeichneten Fragen,

ob für die Fahrerlaubnisbehörde nach der vorbehaltlosen Neuerteilung der Fahrerlaubnis überhaupt eine Entziehung der Fahrerlaubnis unter Abweichung vom Punktekatalog des § 4 StVG möglich ist,

und weiter

oder aber ‑ was schon aus Gründen der Rechtssicherheit wesentlich näher liegt ‑ der Betroffene nach vorbehaltsloser Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis nach vorherigem Erreichen der Punktegrenze grundsätzlich erneut das Punktesystem bzw. den Punktekatalog des § 4 Abs. 1 StVG durchlaufen kann und die Verwaltungsbehörde vor erneuter Entziehung der Fahrerlaubnis erst die im § 4 StVG dezidiert aufgezählten Maßnahmen ergreifen muss, bzw. nur in absolut krassen Ausnahmefällen eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG möglich ist,

keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Sie lassen sich vielmehr auf der Grundlage der bereits vorliegenden obergerichtlichen Rechtsprechung ohne Weiteres nach allgemeinen Auslegungsregeln aus dem Gesetz beantworten.

§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVG sieht vor, dass zum Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern und -haltern ausgehen, die Fahrerlaubnisbehörde die in Absatz 3 genannten Maßnahmen (Punktsystem) zu ergreifen hat. Diese bestehen in der Verwarnung, der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar und schließlich dem Verlust der Fahrerlaubnis beim Erreichen von 18 oder mehr Punkten. Das Punktsystem sorgt auf diese Weise einerseits für eine gleichmäßige Behandlung von Mehrfachtätern, andererseits räumt es ihnen die Möglichkeit ein, aufgetretene Mängel frühzeitig zu beseitigen und durch dementsprechende Änderung ihres Verhaltens im Straßenverkehr selbst dafür zu sorgen, dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis vermieden wird. Gleichzeitig nimmt der Gesetzgeber mit dem Punktsystem in Kauf, dass auch Kraftfahrer am Straßenverkehr teilnehmen, die sogar schwerwiegende Verkehrsverstöße begangen haben. Auch diesen darf die Fahrerlaubnis im Regelfall nicht entzogen werden, bevor ihnen die gesetzlich vorgesehenen Angebote und Hilfestellungen unterbreitet worden sind.

Von der Beschränkung auf die Maßnahmen nach dem Punktsystem und damit von dessen Spezialität macht § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG allerdings eine Ausnahme. Danach findet das Punktsystem keine Anwendung, wenn sich die Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen auf Grund anderer Vorschriften, insbesondere der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1, ergibt. Hierdurch ist im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von 18 Punkten im Verkehrszentralregister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ausgeschlossen oder sich aufdrängende Eignungszweifel sofort durch weitere Maßnahmen geklärt werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Februar 2000 ‑ 19 B 1886/99 ‑, juris, Rdnr. 21 (= NZV 2000, 219).

Ist danach bereits eindeutig gesetzlich bestimmt und daher nicht klärungsbedürftig, dass eine (erneute) Entziehung der Fahrerlaubnis auch schon zulässig sein kann, bevor der Betroffene 18 Punkte im Verkehrszentralregister erreicht hat, ergibt sich ein weitergehender Klärungsbedarf auch dann nicht, wenn man zugunsten des Klägers annimmt, dass es ihm mit seinen Fragen zugleich um die Voraussetzungen einer vom Punktsystem abweichenden Entziehung der Fahrerlaubnis geht.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG müssen frühere oder andere Maßnahmen als die des Punktsystems notwendig sein. Der Konzeption des Punktsystems gründet sich auf die Erwartung, dass es auch wiederholt auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmern bis zum Erreichen von 18 Punkten gelingt, ihr schädliches Verhalten im Straßenverkehr infolge einer der Entziehung der Fahrerlaubnis vorgeschalteten Kombination aus Warnhinweisen und Hilfestellungen zu ändern. Notwendig ist die vorzeitige Entziehung der Fahrerlaubnis daher nur, wenn diese Erwartung im Einzelfall nicht (mehr) gerechtfertigt ist. Dazu müssen Umstände vorliegen, die den Schluss darauf zulassen, dass der betroffene Kraftfahrer selbst dann nicht zu einem ordnungsgemäßen Verkehrsverhalten zurückfindet, wenn er die präventiven Maßnahmen nach dem Punktsystem durchlaufen hat. Es muss alles dafür sprechen, dass er ungeeignet ist, am motorisierten Straßenverkehr teilzunehmen und keine Aussicht auf Besserung seines Verkehrsverhaltens besteht. Demgemäß ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Straßenverkehrsbehörde sich hier in Zurückhaltung üben muss und eine Abweichung vom Punktsystem nur in eng begrenzten, besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Juni 2011 ‑ 16 B 212/11 ‑, juris, Rdnr. 5 (= NJW 2011, 2985), und vom 10. Dezember 2010 ‑ 16 B 1392/10 -, juris, Rdnr. 11 (= NJW 2011, 1242); OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 27. Mai 2009 ‑ 10 B 10387/09 ‑, juris, Rdnr. 5 (= DAR 2009, 478); OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 10. Dezember 2007 ‑ 1 S 145.07 ‑, juris, Rdnr. 3.; Nds. OVG, Beschluss vom 21. November 2006 ‑ 12 ME 354/06 ‑, juris, Rdnr. 5 (= NJW 2007, 313); Bay. VGH, Beschluss vom 2. April 2003 ‑ 11 CS 02.2514 ‑, juris, Rdnr. 15.

Wann ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, der in Anwendung der vorstehenden Grundsätze die Entziehung der Fahrerlaubnis erfordert, obwohl der Betroffene die Schwelle von 18 Punkten noch nicht erreicht hat, ist schließlich eine Frage der Würdigung der Umstände des Einzelfalls und lässt sich nicht verallgemeinernd und entsprechend fallübergreifend beantworten.

2. Die Berufung ist auch nicht deswegen zuzulassen, weil das angefochtene Urteil von dem Beschluss des beschließenden Senats vom 10. Dezember 2010 ‑ 16 B 1392/10 ‑, a. a. O., abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die dort aufgestellten Rechtssätze zur Notwendigkeit früherer oder anderer Maßnahmen als der des Punktsystems ausdrücklich auch seiner Entscheidung zugrundegelegt (Urteilsabdruck Seite 6). Der Sache nach beanstandet der Kläger daher lediglich die aus seiner Sicht unrichtige Anwendung dieser Rechtssätze im Streitfall (dazu nachfolgend), was eine Divergenzzulassung nicht begründen kann.

3. Das Zulassungsvorbringen führt ferner nicht auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen tragenden Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. März 2007 ‑ 1 BvR 2228/02 ‑, juris, Rdnr. 25 (= NVwZ-RR 2008, 1).

Der Kläger macht insoweit geltend, anders als von der Beklagten und auch vom Verwaltungsgericht angenommen, sei nicht festzustellen, dass ein Ausnahmefall für eine vom Punktsystem abweichende Fahrerlaubnisentziehung vorgelegen und er sich von allen anderen "Punktetätern" dergestalt negativ abgehoben habe, dass es aussichtlos erschienen wäre, auf die gegebenen Verkehrsverstöße erneut mit den Maßnahmen des Punktsystem zu reagieren. Dieser Einschätzung ist nicht zu folgen.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang meint, bei den von ihm in der Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 18. November 2011 begangenen sechs Verkehrsordnungswidrigkeiten (zweimaliges verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons, einmalige Abstandsunterschreitung mit einem LKW und drei Geschwindigkeitsüberschreitungen) handele es sich um völlig "normale" Verstöße, wie sie auch für eine Vielzahl anderer Kraftfahrer typisch seien, liegt dem die Vorstellung zugrunde, sein Verkehrsverhalten könne nach wie vor isoliert betrachtet werden. Das trifft jedoch nicht zu. Vielmehr war zu berücksichtigen, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis bereits einmal nach dem Punktsystem entzogen und erst am 30. März 2010 infolge des positiven medizinischpsychologischen Gutachtens der q. -n. GmbH vom 18./25. März 2010 neu erteilt worden war. Es liegt auf der Hand, dass ein Fahrerlaubnisinhaber nach dem Durchlaufen der Maßnahmen des Punktsystems bis hin zur Entziehung der Fahrerlaubnis und daran sich anschließend dem Ablauf der Wartefrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (§ 4 Abs. 10 Satz 1 und 2 StVG), der Vorlage eines positiven medizinischpsychologischen Gutachtens (§ 4 Abs. 10 Satz 3 StVG) und schließlich der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht ohne Weiteres genauso wie der weit überwiegende Teil der mit Punkten belasteten Fahrerlaubnisinhaber behandelt werden kann, auf die nicht bereits einmal das vollständige Instrumentarium des Punktsystems (§ 4 Abs. 3 Satz 1 StVG) angewendet worden ist. Zwar ist einem Kraftfahrer zuzugestehen, dass er auch im "zweiten Durchgang" des Punktsystems Verkehrsverstöße begehen kann, ohne unmittelbar den Verlust seiner Fahrerlaubnis befürchten zu müssen. Er darf nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis aber nicht gleichsam nahtlos da ansetzen, wo er bei ihrem Verlust aufgehört hat. Genau das war beim Kläger nach den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts jedoch der Fall. Der Kläger hat bereits am 1. Oktober 2010 und damit nur sechs Monate nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis wieder die erste punktebewehrte Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr begangen, indem er am Steuer seines LKW erneut verbotswidrig ein Mobiltelefon benutzte. Anschließend hat er innerhalb gut eines Jahres bis zum 18. November 2011 fünf weitere Verkehrsordnungswidrigkeiten verwirklicht, davon die letzten vier innerhalb von dreieinhalb Wochen. Bei dieser Ausgangslage tritt offen zutage, dass weder die Fahrerlaubnisentziehung im Februar 2009 noch die anschließende fahrerlaubnislose Zeit von immerhin einem Jahr den Kläger in irgendeiner Weise nachdrücklich beeinflusst haben, sein regelwidriges Verhalten im Straßenverkehr zu ändern. Hat indes selbst der zeitweilige Verlust der Fahrerlaubnis die Neigung des Klägers zu Regelverstößen nicht erkennbar geringer werden lassen, drängte sich der Schluss, er werde sich auch weiterhin als gegen die Maßnahmen und Hilfestellungen des Punktsystems immun erweisen, geradezu auf.

Entsprechendes gilt, wenn der Kläger weiter vortragen lässt, von den sechs Ordnungswidrigkeiten sei nur eine als schwerwiegend einzustufen, während die übrigen mit jeweils lediglich einem Punkt bewertet worden seien; zudem habe es sich bei den Vorfällen am 15. und 18. November 2011 um eher "moderate" Geschwindigkeitsverstöße gehandelt, bei den die Grenze zur punktefreien Geschwindigkeitsübertretung lediglich um 1 bzw. 2 km/h überschritten worden sei. Auch dieser Vortrag geht daran vorbei, dass er angesichts seiner Vorgeschichte eben nicht wie ein "Ersttäter" betrachtet werden kann, sondern es einer jene einbeziehenden Gesamtschau bedarf. In der Gesamtschau besteht es kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Kläger bei Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 22. Juni 2012 ‑ nach wie vor ‑ kraftfahrungeeignet war. Daran vermag auch der Einwand des Klägers nichts zu ändern, die Fahrerlaubnis sei ihm am 30. März 2010 vorbehaltlos neu erteilt worden. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG galt der Kläger mit dem Erreichen von 18 Punkten unwiderleglich als nicht fahrgeeignet. Seine Fahrerlaubnis hat er damals nur zurückerlangen können, weil seine medizinischpsychologische Begutachtung im März 2010 zu der Einschätzung gelangt war, es sei nicht zu erwarten, dass er zukünftig erneut erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Die Richtigkeit dieser Prognose, die maßgeblich auf der Annahme beruhte, der Kläger habe sich mit seinem früheren Fehlverhalten angemessen auseinandergesetzt und auf dieser Grundlage realistische Verhaltensabsichten zur Gewährleistung einer künftig regelangepassten Straßenverkehrsteilnahme entwickelt (vgl. Gutachten S. 13 ff.), ist schon kurze Zeit nach der Neuerteilung widerlegt worden. So hatte der Kläger, worauf auch bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, im Rahmen der Untersuchung beispielsweise angegeben, auf keinen Fall mehr während der Fahrt telefonieren, sondern stattdessen etwa einen Parkplatz anfahren zu wollen. Gleichwohl hat er am schon 1. Oktober 2010 und erneut am 3. November 2011 wieder ein Handy am Steuer seines LKW benutzt. Ist die Fahreignungsprognose aber offensichtlich unzutreffend gewesen ‑ sei es, weil der Kläger nie vorhatte, sein Verhalten zu ändern, oder sei es, weil es ihm entgegen der Erwartung der Gutachter nicht gelungen ist, dem beruflichen Druck standzuhalten ‑, kann er allein aus der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nichts zu seinen Gunsten herleiten. Denn die auf einer solchermaßen unrichtigen Prognose beruhende Fahrerlaubnisneuerteilung ist nicht geeignet, die Wiedererlangung der Fahreignung durch den Kläger zu fingieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2011 ‑ 16 B 212/11 ‑, a. a. O. Rdnr. 14.

Ernstliche Richtigkeitszweifel ergeben sich zudem nicht daraus, dass die Beklagte und ihr folgend das Verwaltungsgericht nur das Verkehrsverhalten des Klägers bis zum Erlass der Entziehungsverfügung vom 22. Juni 2012 in den Blick genommen haben. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung. Danach liegende Umstände sind daher für die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung ohne Belang, sondern können sich gegebenenfalls erst in einem Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis auswirken.

St. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 27. September 1995 ‑ 11 C 34.94 ‑, juris, Rdnr. 9 (= BVerwGE 99, 249), und vom 28. April 2010 ‑ 3 C 2.10 ‑, juris, Rdnr. 11 (= BVerwGE 137, 10), sowie OVG NRW, Beschluss vom 1. Februar 2008 ‑ 16 A 3118/07 ‑.

Zwar mag im Einzelfall späterem Wohlverhalten des Betroffenen nach Abschluss des verwaltungsbehördlichen Entziehungsverfahrens ausnahmsweise eine Indizwirkung dafür zukommen, dass bei der Entziehung der Fahrerlaubnis die Frage der Eignung, rückschauend, unrichtig beurteilt worden ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1988 ‑ 7 B 38.88 ‑, juris, Rdnr. 3 (= NVwZ 1990, 654); Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 3 StVG Rdnr. 4 mit weiteren Nachweisen.

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht deshalb vor, weil der Kläger ‑ soweit ersichtlich ‑ nach den von der Beklagten zugrundegelegten Vorfällen nur noch einmal und nach der (nicht für sofort vollziehbar erklärten) Entziehung der Fahrerlaubnis gar nicht mehr einschlägig aufgefallen ist. Dieser Umstand erlaubt nicht den Rückschluss darauf, dass die angestellte Eignungsprognose möglicherweise falsch war und es doch nicht aller Voraussicht nach aussichtslos gewesen wäre, auf die Verkehrsverstöße des Klägers allein mit den Maßnahmen des Punktsystems zu reagieren. Es ist allgemeinkundig, dass aufgrund der relativ geringen Kontrolldichte im Straßenverkehr auf jeden geahndeten Verkehrsverstoß eine Mehrzahl von Verstößen kommt, die unentdeckt bleibt. Das Fehlen weiterer aktenkundiger Auffälligkeiten kann daher ohne Weiteres, zumal angesichts des hier in Rede stehenden, verhältnismäßig kurzen Zeitraums und des bisherigen Verkehrsverhaltens des Klägers, das Produkt bloßen Zufalls sein. Hinzu kommt, dass das oben wiedergegebene Vorbringen zur Geringfügigkeit der fraglichen Ordnungswidrigkeiten durchaus auch aktuell noch Zweifel an der Einsicht des Klägers in die Notwendigkeit eines beständig regelkonformen Verkehrsverhaltens aufwirft. Gleiches gilt für den Einwand, die mit drei Punkten sanktionierte Abstandsunterschreitung am 28. Januar 2011 auf der BAB 2 sei ein Verstoß, wie er auch bei anderen LKW-Fahrern häufig vorkomme. Das trifft sicherlich zu, verharmlost aber die ganz erheblichen Gefahren, die von schweren Kraftfahrzeugen ausgehen, wenn diese auf Autobahnen den vorgeschriebenen Mindestabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht einhalten. Gerade Abstandsunterschreitungen von LKW bergen ein großes Unfallrisiko, das dann, wenn es sich realisiert, häufig zu schwersten Folgen führt. Im Übrigen müsste aber selbst eine tatsächlich erfolgte Verhaltensänderung vorrangig im Zusammenhang mit der erneuten Entziehung der Fahrerlaubnis gesehen werden. Wenn diese den Kläger doch zu einem Umdenken bewegt hätte, hieße das noch lange nicht, dass Gleiches auch schon bei zunächst lediglich wiederholter Anwendung der vorgelagerten Schritte des Punktsystems geschehen wäre.

Schließlich ist die Entziehung der Fahrerlaubnis vor diesem Hintergrund auch nicht unverhältnismäßig. Erweist sich ein Fahrerlaubnisinhaber bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens als kraftfahrungeeignet, ist ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV); Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde nicht zu. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann daher allenfalls bei ganz außergewöhnlichen Fallgestaltungen zu einer anderen Entscheidung führen. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers und seiner Familie gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 ‑ 2 BvQ 30/00 ‑, juris, Rdnr. 4 (= NJW 2001, 357), zur vorläufigen Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 111a StPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 sowie 63 Abs. 3 GKG und berücksichtigt, dass der Kläger seine Fahrerlaubnis als Berufskraftfahrer genutzt hat, was nach ständiger Senatsrechtsprechung zu einer Verdoppelung des ansonsten anzusetzenden Auffangbetrags führt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).