LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 19.09.2013 - L 3 U 226/10
Fundstelle
openJur 2013, 40631
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Oktober 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind für das gesamte gerichtliche Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls Verletztengeld über den 20. April 2009 hinaus.

Die 1977 geborene Klägerin erlitt während ihrer Beschäftigung als Balletttänzerin am 06. September 2007 einen Arbeitsunfall, als sie von ihrem Tanzpartner während einer Probe im Laufschritt fallen gelassen wurde, auf Gesäß und Rücken fiel und der Tanzpartner auf sie drauf fiel, vgl. Unfallanzeige vom 14. September 2007 und Durchgangsarztbericht (DAB) der C–Centrum für Muskoloskeletale Chirurgie – vom 06. September 2007. Zunächst wurde durchgangsärztlich Lumbago bzw. Prellung der Lendenwirbelsäule (LWS) diagnostiziert. Am Folgetag wurde festgestellt, dass sie sich eine nicht dislozierte Querfortsatzfraktur an den Lendenwirbelkörpern (LWK) 4 und 5 zugezogen hatte, derentwegen sie sich im Anschluss vom 07. bis zum 15. September 2007 einer stationären Krankenhausbehandlung mit intensivierter konservativer Therapie und Stabilisierung mit Stabgitterbandage unterziehen musste, vgl. Arztbrief/ Zwischenbericht der C –Centrum für Muskoloskeletale Chirurgie – vom 14. September 2007. Prellmarken fanden sich nicht, vgl. DAB vom 06. September 2007. Die Klägerin wurde ab dem 06. September 2007 krankgeschrieben.

Erstmals wird am 25. September 2007 eine deutliche Besserung der Schmerzsymptomatik berichtet, welche nun eine krankengymnastische Beübung zulasse, vgl. Zwischenbericht von Dr. M u.a. vom 25. September 2007. Unter dem 16. Oktober 2007 berichtet Dr. M über eine erneute Vorstellung der Klägerin. Die Beschwerden seien besser, die Muskulatur sei recht weich, Krankengymnastik werde wahrgenommen. Es sei das Thema berufliche Wiedereingliederung angesprochen worden. Hierzu könne sich die Klägerin noch gar nicht vorstellen, wie das gehen könne. Einerseits sei die Fraktur als solche nicht schwerwiegend, andererseits habe die Klägerin natürlich extreme körperliche Belastungen auszuhalten. Es sei eine Überprüfung der Möglichkeit einer Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell angeregt worden. Die Klägerin wurde weiterhin – voraussichtlich bis 30. November 2007 - für arbeitsunfähig befunden.

Die Beklagte ermittelte ein Vorerkrankungsverzeichnis der Klägerin, woraus sich u.a. eine Arbeitsunfähigkeit vom 05. April bis zum 19. August 2007 wegen Arthrose im Fußwurzelbereich ergab.

Eine MRT-Untersuchung vom 13. September 2007 wegen Verdachts auf LWK 1-Korpusfraktur ergab eine beginnende intraspongiöse Herniation des Nucleus pulposus LWK 1/ BWK 12 durch die Bodenplatte von LWK 1, einen diskreten zentralen Bodenplattendefekt auch bei BWK 12, keinen Nachweis einer dislozierten Fraktur, eines dorsalen Bandscheibenprolaps oder einer Spinalkanalstenose.

Mit Schreiben vom 08. November 2007 informierte die Krankenkasse der Klägerin die Beklagte über die Aufnahme der Zahlung von Verletztengeld ab dem 19. Oktober 2007 (51,18 € netto täglich).

Unter dem 01. Dezember 2007 berichtete Dr. W vom Centrum für Sportwissenschaften und Sportmedizin der C über eine Untersuchung der Klägerin und erstellte einen Behandlungs-/ Trainingsplan. Die Klägerin berichte über deutliche Bewegungs- und Belastungsschmerzen, ferner über krankengymnastische Behandlung dreimal die Woche (Massagetechniken zur Schmerzlinderung). Dr. W befundete diskreten Druckschmerz im Bereich der LWS paravertrebral, keine neurologischen Symptome. Die Beweglichkeit i.S.e. Flexion verbunden mit einer Hüftbewegung i.S.e. port de bras sei möglich, endgradig leicht schmerzhaft. Die seitliche Flexion sei ebenfalls möglich, insbesondere nach rechts noch deutlich schmerzhaft und eingeschränkt, nach links nur endgradig leicht eingeschränkt. Bei der Überprüfung tanzspezifischer Basiselemente falle eine große, nach diesen Verletzungen auch verständliche Ängstlichkeit auf, welche vor allem aus der Angst vor Schmerzen und der Angst davor bestehe, den Heilungsverlauf und damit die Tanzkarriere zu gefährden. Es seien Pilates-Training, Intensivierung der krankengymnastischen Übungsbehandlung, Unterstützung durch einen Sportpsychologen, medikamentöse Therapie und eine tanzspezifische Eingliederung ab dem 07. Januar 2008 angezeigt. Es handele sich bei den Verletzungen und den Traumafolgen um eine existenzielle Situation für die Klägerin, die eine kurzzeitige Intervention sinnvoll erscheinen lasse. Dabei gehe es nicht zuletzt um eine mögliche zukünftige Angst vor Hebungen, die behandlungsbedürftig sein könne. Diese Intervention solle ggf. bei erschwertem, weiterem Therapieverlauf in Erwägung gezogen werden, sei aber momentan noch nicht akut indiziert. Dr. W berichtete unter dem 17. Januar 2008 weiter, wonach hinsichtlich der angeborenen Fußanomalie, die sich jetzt mit arthrotischen Veränderungen im Fußwurzelbereich klinisch manifestiere und bei der es sich nicht um eine auf den Tanz zurückzuführende Erkrankung handele, eine Fortführung physiotherapeutischer Intervention auf Kosten der Krankenkasse erforderlich sei.

Die Klägerin durchlief in der Folgezeit auf Kosten der Beklagten Physiotherapie und Pilates-Training, ferner nach ärztlichem Trainingsplan und Anleitung durch einen Tanzpädagogen Balletttraining und stellte sich am 24. Januar und 04. Februar 2008 Dr. von S vom Zentrum für spezielle Gelenkchirurgie mit massiven Schmerzen in der gesamten Wirbelsäule nach durchgeführter Physiotherapie, Pilates- und Balletttraining vor, vgl. Zwischenbericht vom 04. Februar 2008, wonach das Trainingsprogramm nun modifiziert worden sei. Mithilfe oraler Analgesie sei es zwischenzeitlich zu einer Besserung der Rückenschmerzen gekommen. Es bestünden deutlicher Druckschmerz punktuell über dem Querfortsatz L5 rechts, ein paravertrebraler Hartspann lumbal beidseitig, ein noch deutliches Bewegungsdefizit der BWS/ LWS (Finger-Boden-Abstand 15 cm bei durchgedrückten Knien, für eine Balletttänzerin inakzeptabel). Die letzten Röntgenaufnahmen vom 04. Januar 2008 zeigten die Fraktur der Querfortsätze fast verheilt. Dr. von S berichtete erneut unter dem 18. Februar 2008 u.a. über eine am 05. Februar 2008 durchgeführte MRT-Untersuchung der LWS und der Ileoskralgelenke (ISG), welche ein altersentsprechendes unauffälliges Knochenmarksignal, einen normal weiten Spinalkanal und eine reguläre Darstellung der paravertebralen Weichteile ohne Anhalt für suspekte Ödeme im Bereich der Querfortsätze lumbal ergab. Der Befund der ISG sei altersentsprechend. Für einen Bandscheibenprolaps bestünden keine Anhaltspunkte und Zeichen initialer degenerativer Veränderungen in Höhe BWK 11 bis 1. Es wurden aktivierte Facettengelenke in Höhe L4 bis L5 und L5 bis S1 festgestellt. Dr. von S berichtete unter dem 09. Mai 2008 über eine am 26. April 2008 durchgeführte klinische Untersuchung und eine am 18. April 2008 durchgeführte MRT-Untersuchung, welche keinen wesentlichen pathologischen Befund der diskoligamentären Strukturen oder des Nervengewebes erbracht habe. In der klinischen Untersuchung zeige sich das Muskelprofil der Wirbelsäule wieder zunehmend kräftiger. Es bestünden allerdings weiterhin sehr schmerzhafte muskuläre Verspannungen über den Verlauf der gesamten paravertrebralen Muskulatur. Mit Dr. W sei von einer psychischen Traumatisierung durch den Unfall auszugehen. Es seien eine psychotherapeutische Maßnahme und Osteopathie zu empfehlen. Die Klägerin nahm in der Folgzeit auf Kosten der Beklagten nun auch Osteopathie in Anspruch.

Dr. W berichtete unter dem 15. Mai 2008, die Klägerin beklage immer noch erhebliche Schmerzen, die in den linken Arm und rechten Unterschenkel ausstrahlten. Weiterhin beklage sie Schmerzen bei nahezu allen Bewegungen sowie Verspannungen und Blockaden im Bereich der gesamten Wirbelsäule. Es sei gegenüber dem letzten Termin gleichwohl eine Verbesserung eingetreten. Die Klägerin sei von einer erfolgreichen Wiedereingliederung weit entfernt und scheine extrem ängstlich, psychisch stark überlagert zu sein, was sicherlich in dem langen Krankheitsverlauf und den existenzbedrohenden Verletzungen begründet erscheine.

Dr. von S berichtete unter dem 04. Juli 2008 von einer Befundbesserung, nachdem die Klägerin eine Woche Urlaub im Süden gemacht habe. Unter dem 31. Juli 2008 berichtete er über eine Vorstellung der Klägerin am 24. Juli 2008, bei welcher sie sich weiterhin extrem schmerzverspannt gefühlt und elektrisierenden Schmerz der oberen Extremitäten beklagt habe.

Die Klägerin wurde im Herbst 2008 schwanger. Es kam zu einem Spontanabort mit anschließender stationärer Krankenhausbehandlung, vgl. Bericht des CCentrums für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin vom 17. November 2008.

Die Beklagte zog u.a. eine Epikrise des Neurologen Dr. S vom 12. Dezember 2008 ohne einschlägigen neurologischen Befund und einen MRT-Bericht von Dr. P vom 09. Januar 2009 bei, in welchem sich eine altersentsprechend unauffällige Darstellung der LWS u.a. ohne Hinweise für eine pathologische Signalgebung im Processus transversus von L4/ 5 rechts bei Zustand nach Fraktur zeigte. Ferner zog die Beklagte einen Bericht vom 13. Januar 2009 über eine Drei-Phasen-Szintigraphie der ISG, Becken- und LWS-Region (beginnende Cox-Arthrose beidseits) bei.

Die Klägerin unterzog sich im Frühjahr 2009 einer Reha-Maßnahme bei der Einrichtung „medicos AufSchalke“. Laut psychologischer Stellungnahme der Dipl-Psych. S vom 27. Januar 2009 bestanden keine Hinweise auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Bei der Klägerin seien alle drei Symptomkomplexe (Intrusionen, Vermeidung und Übererregung) nicht erfüllt. Es hätten auffällige Symptome einer Depression gefunden werden können. Es sei auf Kosten des Unfallversicherungsträgers eine multimodale Schmerztherapie notwendig. Es folgten weitere psychologische Berichte vom 28. Januar 2009 und 16. Februar 2009. Der Unfallchirurg Dr. S berichtete der Beklagten mit Schreiben vom 16. Februar 2009, dass auf unfallchirurgischem Fachgebiet keine Unfallfolgen der ehemaligen Querfortsatzfrakturen zu sehen seien. Er setzte sich mit den vorgenannten MRT- und Szintigraphieberichten auseinander. Auffallend sei die psychosomatische Komponente, wofür er auf eine Vorstellung bei der Psychologin M am 09. Februar 2008 verwies, welche bei der Klägerin Symptome einer depressiven Unfallfehlverarbeitung im Sinne einer Anpassungsstörung festgestellt hatte. Schließlich verwies er auf die Bewegungseinschränkungen im Rückenbereich.

Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 27. März 2009 zur beabsichtigten Einstellung der Zahlung von Verletztengeld zum 19. April 2009 an.

Sie zog einen psychischen Befundbericht der Dipl.-Psych. K vom 30. März 2009 bei, welche anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Anpassungsstörung/ Angst und depressive Reaktion gemischt, spezifische (isolierte) Phobie (Angst vorm Tanzen und insbesondere vor einem erneuten Sturz beim Tanzen) bei der Klägerin diagnostizierte. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ihren Beruf als Tänzerin unfallbedingt nicht in absehbarer Zeit ausüben werde. In der Folgezeit erstellte Dipl.-Psych. K weitere Befundberichte, in welchen sie nunmehr auch von einer unfallbedingten PTBS ausging, vgl. etwa Befundberichte vom 19. Mai 2009, 16. Juni 2009, 15. Juli 2009, 02. Oktober 2009.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 27. April 2009, zugestellt am 30. April 2009, die Zahlung des Verletztengelds mit Ablauf des 19. April 2009 ein. Es liege bei der Klägerin nunmehr ein Beharrungszustand vor. Das heißt, die medizinische Heilbehandlung bzw. andere medizinische Rehabilitationsmaßnahmen würden zu keiner Verbesserung der derzeitigen unfallbedingten Gesundheitsschäden führen. Es könnten lediglich noch Therapien zum Funktionserhalt erbracht werden. Daher sei mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen. Die noch bestehende Arbeitsunfähigkeit bzw. sogar die Berufsaufgabe als Tänzerin sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem stattgehabten Unfallereignis zu begründen. Daher könnten auch keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden.

Die Klägerin erhob am 12. Mai 2009 Widerspruch. Sämtliche behandelnden Ärzte gingen von einer noch nicht abgeschlossenen Heilbehandlung aus, so dass die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verletztengelds nicht erfüllt seien.

Die Beklagte zog den sog. ausführlichen Krankheitsbericht des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie D vom 13. Juni 2009 bei, welchen dieser nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 04. Juli 2009 erstellt hatte. Er fügte dem Krankheitsbericht einen Befundbericht des Neurologen Dr. B vom 11. Juni 2009 bei, demzufolge das somatosensibel evozierte Potential (SEP) des N. cutaneus femoris posterior rechtsseitig eine deutliche Störung in Form einer verlängerten kortikalen Latenz zeige. Als Folge der Nervenverletzung habe sich eine symptomatische Neuralgie dorsal am Oberschenkel eingestellt, die sich unter Belastung des Beines verschlimmere. Die Läsion der Nerven lasse sich auf den Bereich zwischen Foramen infrapiriforme und Sitzbein lokalisieren; dort bestehe auch ein lokaler Druckschmerz. An dieser Stelle habe die Klägerin eine Druckläsion der Nerven beim Sturz erlitten, außerdem habe sich dort sehr wahrscheinlich auch ein Hämatom entwickelt. Es sei zu vermuten, dass sich dort als Folge des Hämatoms eine Narbe gebildet habe, die den N. cutaneus femoris posterior umschließe und dort die symptomatische Neuralgie auslöse. Dies sei durch einen spezialisierten Neurochirurgen abzuklären.

Der Chirurg D legte der Beklagten einen Ambulanzbericht des Chefarztes der Klinik für Neurochirurgie des H Klinikums Bad S L vom 26. Juni 2009 vor, in welchem der gleiche Verdacht wie von Dr. B geäußert und zur Abklärung eine MRT-Untersuchung angeregt wurde. Eine MRT-Untersuchung des Beckens vom 14. Juli 2009 erbrachte kein Knochenödem, kein Weichteilödem und keinen Anhalt für entzündliche oder narbige Veränderungen, vgl. MRT-Bericht der Radiologischen Praxis von Prof. Dr. D u.a. vom 14. Juli 2009. In einer weiteren Stellungnahme von Dr. B vom 12. August 2009 führte dieser aus, dass es sich bei den Schmerzen und Sensibilitätsstörungen dorsal am rechten Oberschenkel um eine Läsion des rechten N. cutaneus fem. post. mit symptomatischer Neuralgie handele. Diese Störung lasse sich nicht mit dem Abriss der Querfortsätze des vierten und fünften Lendenwirbels erklären. Als einzige Schädigungsmöglichkeit dieses Nerven wie der Nn. clunium inferiores komme die Glutealregion distal vom Foramen intrapiriforme in Betracht, also die Stelle, wo die Klägerin eine Prellung mit Hämatombildung erlitten habe.

Der Chirurg D erstellte unter dem 13. August 2009 ein Zusammenhangsgutachten in freier Form, bei welchem er den vorstehenden MRT-Befund und die Stellungnahme von Dr. B sowie eine Stellungnahme von Dr. L vom 24. Juli 2009 einbezog. Die Klägerin leide unter einer Schmerzsymptomatik im unteren Bereich der LWS mit Ausstrahlung in die Beine vor allem rechtsseitig und unter einer Bewegungseinschränkung der LWS. Der Befund spreche für eine bandscheibenbedingte Schädigung der rechtsseitigen, das Bein versorgenden Nerven. Auch könne eine die Nerven umfassende Narbenbildung eine ähnliche Symptomatik auslösen. Beide Ursachen hätten indes durch entsprechende Untersuchungen ausgeschlossen werden können. Somit sei die Symptomatik auf unfallchirurgischem Gebiet keiner Verletzung zuzuordnen. Die Untersuchungsergebnisse zeigten auch keine entsprechenden konkurrierenden degenerativen Veränderungen, die eine gleichartige Symptomatik hätten auslösen können. Somit bleibe nur eine psychosomatische Ursachenentstehung ursächlich.

Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. S erstellte unter dem 17. August 2009 für die Beklagte ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten. Er gelangte unter Einbeziehung testpsychologischer Befunde zur Diagnose einer schweren depressiven Störung, einer schweren Angststörung mit Panik, einer chronifizierten erheblichen somatoformen Schmerzstörung nach dem Mainzer Stadienmodell Stadium II und einer schweren sozialen Phobie. Diese Erkrankungen seien ursächlich auf den Unfall zurückzuführen. Rückblickend könne man feststellen, dass der Unfall eine notwendige Bedingung für die Schwere der daraus folgenden psychischen Erkrankung gewesen sei. Die mangelnde Bewältigung und fehlende Umstellung an die neue Situation sei jedoch in der ängstlich-zwanghaften Persönlichkeitsstruktur der Klägerin begründet, die als Schadensanlage zu werten sei. Es könne zwar anamnestisch keine psychische Vorerkrankung eruiert werden, jedoch sei durch die verschiedenen Persönlichkeitstests eine ängstlich-zwanghafte Persönlichkeitsstruktur bewiesen. Ohne einen gravierenden Eingriff in ihr Leben, wie es der Unfall gewesen sei, wäre die psychische Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgetreten, sicher nicht in ihrem jetzigen Lebensabschnitt. Die Frage der Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit sei klar zu beantworten: Sie bestehe seit dem Unfall bis auf Weiteres.

Die Klägerin stellte am 15. September 2009 einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Mit Bescheid vom 06. Oktober 2009 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls ab. Sie begründete die Ablehnung damit, dass als einzige Unfallfolgen ohne sichtbare Verschiebungen knöchern fest verheilte Querfortsatzfrakturen des vierten und fünften Lendenwirbelkörpers rechts anzusehen seien. Unfallunabhängig bestünden radiologisch sichtbare degenerative Veränderungen i.S.e. Herniation sowie ein Bodenplattendefekt im Bereich der Segmente BWK 12 bis LWK 1 sowie LWK 1/ LWK 2, minimale linkskonvexe skoliotische Seitverbiegung der Wirbelsäule im thorakolumbalen Übergang, Chondrosen Th12/ l1 sowie L1/ L 2, leichtgradige Bandscheibenprotrusionen L 5/ S 1, HWS-Syndrom mit extremen muskulären Verspannungen, Coxarthrose beidseitig, Zustand nach Meniskusoperation am rechten Kniegelenk (2003), angeborene Anomalie im Fußbereich, Ulnarisreizung rechts und sämtliche von Dr. S festgestellten psychischen Erkrankungen. Die Klägerin erhob hiergegen am 06. November 2009 Widerspruch und begründete ihn mit Schriftsatz vom 09. Dezember 2009. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2010 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob die Klägerin am 31. März 2010 Klage zum Sozialgericht Berlin (Az. S 25 U 219/10). Das SG wies die Klage ab. Die Klägerin legte Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az. L 2 U 252/11) ein. Eine Entscheidung erging dort noch nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2009 wies die Beklagte den gegen den Bescheid vom 27. April 2009 gerichteten Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Beklagte änderte zugleich den Bescheid vom 27. April 2009 dahingehend ab, dass die Verletztengeldzahlung bereits mit Ablauf des 11. Januar 2008 endete, weil lediglich bis zu diesem Zeitpunkt unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, wobei von einer Rückforderung des bis zum 19. April 2009 überzahlten Verletztengelds abgesehen werde. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei nur bis zur Ausheilung der Querfortsatzfrakturen bis spätestens am 11. Januar 2008 anzuerkennen. Nur ergänzend sei auszuführen, dass auch dann, wenn die psychischen Erkrankungen als Unfallfolgen anzuerkennen wären, die Verletztengeldzahlung nach § 46 Abs. 3 S. 2 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) einzustellen gewesen wäre, weil die nach den medizinischen Unterlagen durchgeführten Behandlungen der psychischen Erkrankung zu keiner Verbesserung geführt hätten und ein Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht abzusehen gewesen sei. Eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme mit Anspruch auf Übergangsgeld wäre beim vorliegenden Sachverhalt ebenfalls nicht in Frage gekommen, denn zu einer vollzeitigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Voraussetzung für eine berufliche Rehabilitation etwa im Wege einer Umschulung sei die Klägerin derzeit nicht in der Lage.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 30. November 2009 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Die von Dr. S festgestellten Erkrankungen seien auf den Arbeitsunfall zurückzuführen und bedingten weiterhin Arbeitsunfähigkeit. Da der Klägerin zudem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen seien, bestehe Anspruch auf Verletztengeld bis auf Weiteres. Sie hat zur Untermauerung ihres Vorbringens den o.g. Ambulanzbericht von Dr. L vom 26. Juni 2009 und den o.g. Bericht von Dr. B vom 11. Juni 2009 vorgelegt.

Das SG hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, hierunter der Befundbericht des Psychiaters W vom 05. August 2010, wonach im Rahmen der seit dem 16. März 2009 laufenden Behandlung bezogen auf den Unfall Kopfschmerzen, Schlafstörung, depressive Stimmung ängstlich gefärbt, Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten, vermindertes Interesse und verminderte Leistungsfähigkeit befundet worden seien. Mit den Befundberichten ist u.a. auch ein Bericht von A B von der Unfallbehandlungsstelle B (UBS) vom 03. Dezember 2008 beigezogen worden, ferner der Bericht über eine MRT-Untersuchung der LWS vom 22. März 2006, welche eine multiple intraspongiöse Bandscheibenhernie wie bei M. S, geringfügige Bandscheibenprotrusionen, insbesondere L 5/ S 1 medial erbrachte. Es sind weitere MRT-Berichte vorgelegt worden über eine MRT-Untersuchung des Beckens am 14. März 2006, welche ohne Befund blieb, vgl. Bericht vom 14. März 2006, und über eine MRT-Untersuchung des rechten Knies vom 21. Oktober 2005, welche eine Innenmeniskopathie zweiten Grades im Hinterhorn erbrachte, vgl. Bericht vom 21. Oktober 2005.

Das SG hat die Beklagte nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2010 unter Aufhebung des Bescheids vom 27. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2009 verurteilt, der Klägerin weiterhin Verletztengeld zu zahlen. Die Klägerin sei weiterhin infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig. Die bei der Klägerin bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen seien mit der gebotenen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis wesentlich zurückzuführen. Hierbei sei u.a. auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Befundberichte der Dipl.-Psych. K zu verweisen. Zudem fehle es an einem Beendigungstatbestand nach § 46 Abs. 3 SGB VII. Soweit sich die Beklagte vor allem auf § 46 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII berufe, habe sie zwar eine Prognose hinsichtlich der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit gestellt, nicht jedoch geprüft, ob bei der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen seien.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 04. November 2010 zugestellten Gerichtsbescheid am 24. November 2010 Berufung eingelegt. Sie verweist zur Untermauerung ihres Vorbringens, dass die fortbestehenden psychischen Leiden nicht auf den Unfall zurückzuführen seien, auf das im SG-Verfahren S 25 U 219/10 eingeholte schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. JA vom 26. April 2011. Dieser gelangte aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin im Beisein einer Dolmetscherin und des Ehemanns der Klägerin, den er auch explorierte, zur Diagnose einer malignen regressiven Entwicklung mit somatoformer und ängstlicher Symptomatik, welche weder im Sinne einer erstmaligen Entstehung noch einer wesentlichen Verschlimmerung eines unfallunabhängigen Leidens auf das Unfallereignis vom 06. September 2007 zurückzuführen sei. Die Klägerin sei bereits vor dem Unfallereignis mehrfach in Behandlung aufgrund von degenerativen Veränderungen im Knochen- und Gelenksbereich, vor allem am Fuß gewesen. Dies sei anhand des Erkrankungsverzeichnisses der Krankenkasse dokumentiert. Die Bedeutung der Vorerkrankung sei von der behandelnden Sportmedizinerin betont worden. Die Klägerin sei – so die begründete Vermutung ihres Ehemanns – durch die Tatsache ihrer bereits Anfang 2008 erfolgten Kündigung tief enttäuscht und verunsichert worden. Unzufriedenheit mit behandelnden Ärzten und Psychologen hätte das Beschwerdebild verstärkt und die Symptomatik im Laufe des Jahres 2003 (gemeint 2008) hinsichtlich weiterer Generalisierung ausgestaltet. Diese Faktoren schienen bei der Abwägung konkurrierender Ursachen gewichtiger zu sein als das Unfallereignis. Die Beurteilung werde allerdings erheblich dadurch erschwert, dass die Beschwerdeschilderung der Klägerin in nicht unerheblichem Maße durch Aggravation kontaminiert sei und ihre Auskunftsbereitschaft insgesamt bzgl. der unfallunabhängigen Ereignisse und Entwicklungen unzureichend sei.

Die Beklagte trägt weiter vor, für eine PTBS bestehe angesichts der strengen Kriterien nach der ICD-10-Klassifikation kein Raum. Zeitnah zum Unfall seien keine psychischen Beschwerden geschildert worden. Dr. W habe auf solche erstmals im Mai 2008 hingewiesen. Es fehle so an einem im Vollbeweis zu sichernden unfallbedingten psychischen Gesundheitserstschaden.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

durch Einholung eines neurologisch-/ psychiatrisch-/ psychotherapeutischen Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass der Unfall vom 06. September 2007 allein Ursache oder wesentliche Mitursache für die seelische Erkrankung der Klägerin war und den anderen schädigungsunabhängigen Faktoren wie insbesondere der Fußerkrankung (Arthrose), der Fehlgeburt 2008, dem Tod des Vaters 2009, der ängstlich-zwanghaften Persönlichkeitsstruktur, der Kündigung des Arbeitsvertrags und dem drohenden Ende der Tanzkarriere keine bzw. keine überragende Bedeutung zukommen,

und

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung mit einer Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B vom 04. Juli 2011 entgegen. Der Psychiater B schließt aufgrund einer muttersprachlichen Exploration sich darin im Wesentlichen den von Dipl.-Psych. K gestellten Diagnosen an. Insbesondere bestehe noch eine Teilsymptomatik einer PTBS. Es sei das A1-Kriterium nach dem Diagnoseinventar DSM IV erfüllt. Auch seien die übrigen Kriterien, so u.a. auch das Kriterium A2 erfüllt (Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit, Entsetzen). Die Klägerin legt ferner eine ergänzende Stellungnahme des Psychiaters B vom 28. April 2012 vor, wonach erstmals in einem ärztlichen Bericht nach der stationären Krankenhausbehandlung am 01. Dezember 2007 die Notwendigkeit einer krankheitsspezifischen Behandlung (Traumatherapie) gesehen worden sei. Im Januar 2009 sei es zu ersten psychotherapeutischen Kontakten gekommen (27. Januar 2009, Dipl.-Psych. S).

Die Klägerin tritt der Berufung zuletzt mit einem Bericht des Chefarztes der der Abteilung für Allgemein-, Visceralchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie des D Krankenhauses B Dr. SA vom 22. August 2013 entgegen. Darin wird über eine Befunderhebung am rechten Fuß und eine dort mittels MRT-Untersuchung am 13. Juni 2007 aufgedeckte Anomalie berichtet, nachdem die Klägerin Beschwerden im Bereich des medialen, später überwiegend des lateralen Rückfußes gehabt habe. Die MRT habe keine über das altersübliche Maß hinausgehenden degenerativen Veränderungen gezeigt. Die Klägerin sei zunächst zweimalig mit bv-gesteuerten Infiltrationen behandelt worden. Hierüber sei es zu einer Befundbesserung gekommen. Hinsichtlich des medialen Fußrandes habe Beschwerdefreiheit bestanden. Die Beschwerden im Bereich des lateralen Fußrandes hätten zunächst weiter bestanden. Durch ein erneutes Trauma im Bereich der LWS sei es dann zu einer prolongierten Schmerzhaftigkeit in diesem Bereich gekommen. Zum damaligen Zeitpunkt sei vorausschauend nicht davon auszugehen gewesen, dass die anatomische Anomalie zu einer baldigen Berufsunfähigkeit bzw. höhergradigen Einschränkung de Berufsausübung als Tänzerin führen würde. Damals hätten eine Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit und eine vorzeitige Überlastung bzw. Degeneration der beteiligten Gelenke nicht vorgelegen.

Der Senat hat das schriftliche Sachverständigengutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 16. Mai 2012 eingeholt. Die im Beisein einer Polnisch-Dolmetscherin am 15. Mai 2012 durchgeführte Begutachtung hat ergeben, dass die Klägerin mittlerweile einen damals sechs Wochen alten Sohn hat. Dr. B hat ausgeführt, es bestehe bei der Klägerin eine Dysthymia und eine depressive Episode von bis zu mittelgradiger Ausprägung i.S.e. double Depression vor dem Hintergrund einer ängstlich-vermeidenden und zugleich zwanghaften Akzentuierung der Persönlichkeit. Diese Gesundheitsstörungen seien nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 06. September 2007 verursacht worden. Es gebe Hinweise darauf, dass eine – andere Lebensansprüche kompensierende – Selbstdefinition allein über die Tanzkarriere vor dem Unfall bereits prekär gewesen sei. Eine entsprechende Unausgeglichenheit finde in dem überdauernden Strukturmerkmal der ängstlich-vermeidenden und zugleich zwanghaften Akzentuierung der Persönlichkeit ihren Ausdruck. Ein Nebenaspekt sei, dass körperliche Verschleißerscheinungen unfallunabhängig zunehmend einschränkend zur Geltung kämen. Diese Einflussgrößen stellten die wesentliche Ursache für die jetzt zu beschreibende krankheitswertige Verfassung der Klägerin dar, der Unfall einen – durch andere Ereignisse ersetzbaren – Auslöser. Soweit Dr. S in seinem für die Beklagte erstellten Gutachten in schwerer Ausprägung eine depressive Episode, eine Angststörung und eine soziale Phobie diagnostiziere, decke dies sich nicht mit den dort und im Übrigen vom Psychiater W ausweislich seines Befundberichts vom 05. August 2010 erhobenen Befunden. Zur Zusammenhangsfrage seien Überlegungen dazu zu vermissen, wie vorliegendes doch begrenztes Trauma zu drei psychopathologischen Störungen schwerer Ausprägung führen könne. Die Bedrohlichkeit des Ereignisses sei ob seiner Kürze zu relativieren. Soweit Dr. S nicht das Katastrophale der Verletzung und der Verletzungsumstände bemühe, so könne doch eigentlich nur die Reaktion auf die vorübergehenden körperlichen Einschränkungen und die Gefährdung der Tanzkarriere so gefährdend gewirkt haben. Wie aber sei dann zu erklären, dass mit rascher Rückläufigkeit der körperlichen Beeinträchtigung die Psychopathologie erst symptomatisch werde? Hierbei sei doch auf Persönlichkeitsaspekte zurückzugreifen, welche vor dem Unfall prekär im Ungleichgewicht gewesen seien und mit Mühe nur noch kompensiert worden seien. Nach dem so schwer erachteten Unfall heirate die Klägerin, verkrafte einen Abort und bringe einen Sohn zur Welt. Dies sei mit einer schweren depressiven Episode schwer vereinbar. Das Gutachten von Dr. A wirke ob seiner prägnanten Kürze vielleicht provozierend, treffe aber doch den Kern. Vor allem müsse das Gutachten gegen einen unzulässig suggestiven Angriff des Psychiaters B geschützt werden. Dieser sei zudem darin zu kritisieren, dass er nach dem weiten Begriff des DSM IV eine PTBS feststelle, um das viel enger gefasste Kriterium der Internationalen Konvention ICD 10 zu verschlüsseln.

Die Klägerin hat sich mit dem Sachverständigengutachten von Dr. B mit Schriftsatz vom 20. August 2012 kritisch auseinander gesetzt.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 20. Januar 2013 eingeholt. Bei der ambulanten Untersuchung ist eine Polnisch-Dolmetscherin zugegen gewesen. Dr. S hat bei der Klägerin eine mittelgradige depressive Störung und eine spezifische isolierte Phobie festgestellt. Diese Erkrankungen seien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 06. September 2007 verursacht. Etwaige Vor- oder Nachschäden seien nicht eruiert worden und nach Aktenlage nicht belegt. Sonstige Faktoren seien weder aufgrund der Begutachtung noch durch die Aktenlage festgestellt. Eine PTBS bestehe schon mangels Vorliegens des A-Kriteriums nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die hiesigen Gerichtsakten, die Gerichtsakten L 2 U 252/11 und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist in der Fassung des Widerspruchsbescheids, soweit mit ihm die Weiterzahlung von Verletztengeld abgelehnt wird, rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht. Sie hat jedenfalls ab dem 20. April 2009 keinen Anspruch auf Verletztengeld aus der hierfür einzig in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage aus § 45 Abs. 1 S. 1 SGB VII.

Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird Verletztengeld erbracht, wenn Versicherte unter anderem infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a.a.O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris).

Hieran gemessen bestehen keine Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Die Klägerin zog sich in Ausübung ihrer versicherten Beschäftigung als Balletttänzerin beim Sturz jedenfalls Querfortsatzfrakturen an den LWK 4 und 5 als Gesundheitserstschaden zu.

Hiernach besteht jedoch keine haftungsausfüllende Kausalität mehr zu anhaltenden gesundheitlichen Beschwerden. Die auf den Unfall zurückzuführenden Gesundheitsfolgeschäden sind ausgeheilt.

Der Gesetzgeber bringt mit der wiederholten Formulierung „infolge“ – vgl. §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII - das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Versicherungsfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).

Hiervon ausgehend ist der Senat nicht im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Maße überzeugt, dass bei der Klägerin infolge des unstreitig und anerkannten Arbeitsunfalls vom 06. September 2007 über den 19. April 2009 hinaus weitere Krankheiten fortbestehen. Die unzweifelhaft davongetragene körperliche Verletzung (Querfortsatzfrakturen LWK 4 und 5) ist folgenlos ausgeheilt. Weitere auf den Unfall vom 06. September 2007 zurückzuführende physische oder neurologische Schäden sind nicht feststellbar. Eben dies bestätigte bereits das für die Beklagte erstellte Zusammenhangsgutachten des Chirurgen D vom 13. August 2009. Dieser berücksichtigte hierbei auch die von Dr. B (vgl. dessen Berichte vom 11. Juni 2009 und 12. August 2009) und vom Chefarzt L (vgl. dessen Bericht vom 26. Juni 2009) durchgeführte neurologische Befunderhebung bis hin zur MRT-Untersuchung vom 14. Juli 2009 und kam zum nachvollziehbaren Schluss, dass die anhaltende Schmerzsymptomatik auf unfallchirurgischem Fachgebiet keiner Verletzung zuzuordnen ist. Auch lässt sich auf neurologischem Fachgebiet keine kausale Verknüpfung zwischen dem Unfall und den anhaltenden Beschwerden herstellen. Soweit nach Dr. B in seinem Bericht vom 12. August 2009 als einzige Schädigungsmöglichkeit des N. cutaneus fem. post. die Glutealregion in Betracht komme, wo die Klägerin eine Prellung mit Hämatombildung erlitten habe, fehlt es am für einen entsprechenden Gesundheitserstschaden zu fordernden Vollbeweis. Die Erst- und Zweituntersuchung – vgl. DAB vom 06. September 2009 und Nachschaubericht vom 07. September 2007 – erbrachten gerade keine Prellmarke oder Hämatombildung im von Dr. B benannten Bereich. So bewegen sich seine tatsächlichen Prämissen im Spekulativen, zumal die sensitive 3-T-MRT-Untersuchung vom 14. Juli 2009 keinerlei Zeichen einer stattgehabten Verletzung im von Dr. B diskutierten Bereich erbrachte. Schließlich konnte auch der Chirurg D im vorgenannten Zusammenhangsgutachten eingedenk der Stellungnahmen Dr. Bs keine organischen Ursachen für anhaltende physische Beschwerden der Klägerin finden. Anhaltspunkte für eine richtungweisende Verschlimmerung der bereits vorbestehenden degenerativen Erscheinungen – vgl. MRT-Bericht vom 22. März 2006 (Multiple intraspongiöse Bandscheibenhernien, geringfügige Bandscheibenprotrusionen) etwa gegenüber MRT-Bericht vom 09. Januar 2009 (altersentsprechend unauffällige Darstellung der LWS) - der Wirbelsäule werden von keinem Gutachter gesehen.

Auf psychiatrischem Fachgebiet liegen ebenfalls keine Störungen vor, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen auf den Unfall vom 06. September 2007 zurückzuführen sind. Hierfür bezieht sich der Senat zuvörderst auf die schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. Bin seinem für den Senat erstellten schriftlichen Sachverständigengutachten vom 16. Mai 2012. Danach bestehen bei der Klägerin eine Dysthymia und eine depressive Episode von bis zu mittelgradiger Ausprägung i.S.e. double depression vor dem Hintergrund einer ängstlich-vermeidenden und zugleich zwanghaften Akzentuierung der Persönlichkeit, und zwar nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 06. September 2007 verursacht. Hierzu verweist Dr. B anhand des Lebenslaufs der Klägerin und ihrer Befragung überzeugend darauf, dass eine – andere Lebensansprüche kompensierende – Selbstdefinition allein über die Tanzkarriere vor dem Unfall bereits prekär gewesen war und eine entsprechende Unausgeglichenheit im überdauernden Strukturmerkmal der ängstlich-vermeidenden und zugleich zwanghaften Akzentuierung der Persönlichkeit ihren Ausdruck findet, welche im Übrigen auch Dr. S in seinem für die Beklagte erstellten Gutachten vom 17. August 2009 annimmt. Hiervon ausgehend überzeugt es, mit Dr. B einen Nebenaspekt ferner darin zu erkennen, dass körperliche Verschleißerscheinungen unfallunabhängig zunehmend einschränkend zur Geltung kamen. Diese Annahme wird etwa durch den Bericht der Sportmedizinerin Dr. W vom 17. Januar 2008 bestätigt, wonach hinsichtlich der angeborenen Fußanomalie, die sich mit arthrotischen Veränderungen im Fußwurzelbereich klinisch manifestierte und bei der es sich nicht um eine auf den Tanz zurückzuführende Erkrankung handelte, eine Fortführung physiotherapeutischer Intervention auf Kosten der Krankenkasse erforderlich war. Auch Dr. JA bezieht in seinem für das SG im Parallelverfahren erstellten, hier im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren (vgl. etwa Leitherer in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG – Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 103 Rn. 11e) schriftlichen Sachverständigengutachten vom 26. April 2011 die bereits von Dr. W in ihrem für die Beklagte erstellten Bericht vom 17. Januar 2008 hervorgehobene behandlungsbedürftige und für eine professionelle Balletttänzerin fraglos existenzielle Fußanomalie in die Zusammenhangsfrage mit ein. Die Bedeutung der Fußanomalie wird durch den zuletzt vorgelegten Bericht des Orthopäden und Chirurgen Dr. S A vom 22. August 2013 belegt, wonach es bereits vor dem Unfall zu von der Klägerin wahrgenommenen, behandlungsbedürftigen Beschwerden kam, welche über den Unfall vom 06. September 2007 hinaus anhielten. Dass diese objektiv damals noch nicht eine vorzeitige Berufsaufgabe oder berufliche Einschränkung hätten mit sich bringen oder erwarten lassen müssen, widerlegt nicht die Einschätzung des Psychiaters Dr. J Ain seinem vorgenannten schriftlichen Sachverständigengutachten, dass die Fußprobleme der Klägerin existenziell erschienen sein konnten. Hieran ändert auch der vorgenannte Bericht des Orthopäden und Chirurgen Dr. SA nichts, soweit dort betont wird, dass damals von den Fußproblemen nicht auf eine entsprechend unmittelbar bevorstehende Berufsunfähigkeit geschlossen werden konnte. Abgesehen davon, dass auch der Orthopäde und Chirurg Dr. S A nicht einzuschätzen vermag, wie die Klägerin die Fußerkrankung im Hinblick auf ihre berufliche Karriere verarbeitete, so findet die Einschätzung von Dres. J A und B jedenfalls darin eine Bestätigung, dass die Klägerin bis rund einen Monat vor dem Unfall wegen der Fußerkrankung mehr als vier Monate krankgeschrieben war und allein hierdurch ein für die Zusammenhangsfrage zu berücksichtigender belastender psychischer Faktor vermittelt wurde. Die berufliche Fixierung wird zudem auch im Behandlungsbericht der Dipl.-Psych. M vom 09. Februar 2009 deutlich („Sie habe nur für ihre Arbeit gelebt. Freundschaften innerhalb des Theaters seien wegen des Konkurrenzkampfes nicht möglich gewesen.“). So erscheint u.a. auch eine nur vage Befürchtung einer Berufsaufgabe aufgrund der Fußerkrankung als berücksichtigenswerte konkurrierende Ursache. Dr. J Albrecht verweist in diesem Zusammenhang zudem schlüssig darauf, dass die Klägerin - nach der begründeten Vermutung ihres ebenfalls explorierten Ehemanns – durch die Tatsache ihrer bereits Anfang 2008 erfolgten Kündigung tief enttäuscht und verunsichert wurde; Unzufriedenheit mit behandelnden Ärzten und Psychologen verstärkten das Beschwerdebild und gestalteten die Symptomatik im Laufe des Jahres 2008 hinsichtlich weiterer Generalisierung aus. So liegen in der Summe hinreichend viele und gewichtige Einflussgrößen vor, welche nach den plausiblen Ausführungen von Dr. Bund Dr. J A wesentliche Ursachen für die jetzt zu beschreibende krankheitswertige Verfassung der Klägerin darstellen und den Unfall lediglich als konkreten Anlass und nicht als strukturelle Ursache, mithin nicht als wesentlich erscheinen lassen.

Hiervon ausgehend lässt sich bei der Klägerin insbesondere keine auf den Unfall zurückführbare PTBS feststellen. Die Diagnose lässt sich weder nach den Klassifikationssystemen DSM IV noch nach dem Klassifikationssystem ICD-10 stellen. Es fehlt nach beiden Klassifikationssystemen bereits an dem so genannten A-Kriterium, wonach gemäß DSM IV 309.81 die Person mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert sein muss, welches dazu führte, dass die Person eines oder mehrere Ereignisse erlebte, beobachtete oder mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert war, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen enthielten, wobei die Person mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagierte. Dieses Kriterium wird im einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum dahingehend verstanden, dass Auslöser ein traumatisches Ereignis von besonderer Qualität mit einem extremen Belastungsfaktor (nach DSM IV lebensbedrohlich) sein muss (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Kap. 5.1.3, Seite 144; eine andere Deutung nimmt Foerster, in: MED SACH 106 1/2010, S. 16 <18> vor). Nach ICD-10 müssen die Betroffenen einem kurz oder lang dauernden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt seien, dass nahezu bei jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde. Nach alldem kommen als Stressoren in Betracht: Ernsthafte Bedrohung oder Schädigung der eigenen körperlichen Integrität, des Ehepartners, der Kinder, naher Verwandter oder Freunde, plötzliche Zerstörung des Zuhauses, Erleben eines Unfalls bzw. Todes anderer (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, ebd.). Soweit Dipl.-Psych. K in ihren für die Beklagte erstellten Befundberichten wiederholt von einer PTBS ausgeht und sich der Psychiater Bin seinen beiden von der Klägerin vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen dieser Diagnose anschließt, stellt sie sich zunächst gegen die zuvor getroffenen Feststellungen der Dipl.-Psych. S, welche eine PTBS im Hinblick auf das Fehlen hierfür maßgeblicher Symptome („kein intrusives Erleben, keine Symptome der Übererregung bezogen auf den Unfall“) deutlich ausschloss, vgl. Bericht vom 27. Januar 2009, ohne sich hiermit argumentativ auseinander zu setzen. Die Diagnose überzeugt auch deshalb nicht, weil Dipl.-Psych. K jegliche Auseinandersetzung mit den für eine PTBS zu fordernden Kriterien schuldig bleibt. Vorschnell geht auch der Psychiater B von einer PTBS aus, ohne anhand der unfallnah erhobenen objektiven Befunde und Äußerungen der Klägerin zu hinterfragen, ob das Ereignis als solches ein so katastrophales Ausmaß hatte oder sich in der Tat nur aus der Warte der Klägerin als katastrophal darstellte. Insbesondere vermag sich der Psychiater B auf keine unfallnahen Befunde zu beziehen, die dem von ihm zugrunde gelegten DSM IV gemäß auch das A2-Kriterium (Reaktion mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen) erfüllen, zumal bei allen Erstbefunden nicht die Rede davon ist. Weder wird in den Erstbedungen über Schockreaktionen, Atemnot oder Verwirrung berichtet noch ließen sich neurologische Defizite feststellen (vgl. DAB vom 06. September 2009 und Nachschaubericht vom 07. September 2009). In diesem Zusammenhang ist auf die plausiblen Ausführungen von Dr. B in seinem für den Senat erstellten schriftlichen Sachverständigengutachten zu verweisen, denen sich der Senat anschließt. Selbst der auf Antrag der Klägerin gehörte Sachverständige Dr. S vermag eine PTBS mangels Erfüllung des A-Kriteriums nicht zu erkennen.

Auch für das geforderte so genannte B-Kriterium, welches sich sowohl nach ICD-10 als auch nach DSM IV als intrusives (aufdringliches) Wiedererleben beschreiben lässt, geben die bei der Klägerin erhobenen Befunden nichts her. Das B-Kriterium setzt voraus, dass Alpträume, sich aufdrängende Erinnerungen oder flash backs vorliegen, wobei Intrusionen und flash backs als entscheidende Leitsymptome anzusehen sind. Dieses Phänomen muss diagnostisch eng gefasst werden. Unspezifische psychische Reaktionen, etwa Gedanken an das Ereignis, Erinnerungen, dem Ereignis nachzuhängen oder darüber nachzugrübeln, reichen nicht aus (Foerster, a.a.O., S. 16 <18>). Hierzu enthalten die Befundberichte von Dipl.-Psych. K ebenfalls nichts. Wie der Psychiater B zur Erfüllung des B-Kriteriums gelangt, erschließt sich nicht; er äußert sich hierzu nicht. Demgegenüber verneinte Dipl.-Psych. S dieses Kriterium nach einem längeren Patientenkontakt in neun psychotherapeutischen Sitzungen definitiv, vgl. Berichte vom 27. Januar und 16. Februar 2009.

Auch sonstige psychische Erkrankungen sind nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Zunächst ist Dr. S in seiner Einschätzung nicht zu folgen – vgl. dessen für die Beklagte erstellten Gutachten vom 17. August 2009 -, soweit er unter Einbeziehung testpsychologischer Befunde zur Diagnose einer auf dem Unfall beruhenden schweren depressiven Störung, schweren Angststörung mit Panik, chronifizierten erheblichen somatoformen Schmerzstörung nach dem Mainzer Stadienmodell Stadium II und schweren sozialen Phobie gelangt. Zur Zusammenhangsfrage lässt er es im Wesentlichen mit der Erwägung bewenden, der Unfall sei eine notwendige Bedingung für die Schwere der daraus folgenden psychischen Erkrankung gewesen. Hiermit wird letztlich doch nur ein naturwissenschaftlich-philosophischer Ursachenzusammenhang belegt. Dabei wäre vielmehr, worauf Dr. B in seinem Sachverständigengutachten nachvollziehbar hinweist, doch gerade angesichts der gleichsam geäußerten Einschätzung, dass die mangelnde Bewältigung und fehlende Umstellung an die neue Situation in der ängstlich-zwanghaften Persönlichkeitsstruktur der Klägerin begründet sei, die als Schadensanlage zu werten sei, eine eingehende Beurteilung der Wesentlichkeit der jeweiligen Faktoren angezeigt gewesen. So überzeugt es nicht, wenn Dr. Seinerseits eine ängstlich-zwanghafte Persönlichkeitsstruktur - als durch die verschiedenen Persönlichkeitstests – als bewiesen ansieht, andererseits es für die Annahme der Unfallursächlichkeit lapidar ausreichen lässt, dass ohne einen gravierenden Eingriff in ihr Leben, wie es der Unfall gewesen sei, die psychische Erkrankung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgetreten sei. Demgegenüber weist Dr. B überzeugend darauf hin, dass, soweit Dr. S nicht das Katastrophale der Verletzung und der Verletzungsumstände bemüht, doch eigentlich nur die Reaktion auf die vorübergehenden körperlichen Einschränkungen und die Gefährdung der Tanzkarriere so gefährdend gewirkt haben können. Dr. S lässt in der Tat die Frage offen, wie es dann zu erklären ist, dass mit rascher Rückläufigkeit der körperlichen Beeinträchtigung die Psychopathologie symptomatisch wird. Nachvollziehbar rügt Dr. B, dass Dr. S deutliche Persönlichkeitsaspekte außer Acht lässt, welche vor dem Unfall prekär im Ungleichgewicht waren und nur mit Mühe kompensiert werden konnten, zumal die Klägerin nach dem von ihr so schwer erachteten Unfall heiratete, einen Abort verkraftete und einen Sohn zur Welt brachte, was mit einer schweren depressiven Episode schwer vereinbar erscheint. Darüberhinaus lässt Dr. S die Krankheitszeiten wegen der Fußanomalie und den späteren Verlust des Arbeitsplatzes als – für die psychische Krankheitsentwicklung - konkurrierend miteinzubeziehende Ursachen schlichtweg außer Betracht.

Aus zum Teil gleichen Gründen überzeugt auch die Zusammenhangsbewertung des auf Antrag der Klägerin gehörten Dr. S in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 20. Januar 2013 nicht, soweit er eine mittelgradige depressive Störung und eine spezifische isolierte Phobie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als durch den Unfall vom 06. September 2007 verursacht sieht. Das Gutachten von Dr. S krankt an mehreren Schwächen. Die Kündigung bzw. Nichtverlängerung der Beschäftigung wird als mögliche konkurrierende Ursachen nicht einmal in Erwägung gezogen. Das von der Verfolgung der Ballettkarriere geprägte Wesen der Klägerin, welches Dr. Bin seinem schriftlichen Sachverständigengutachten deutlich hervorgehoben hat, wird nicht berücksichtigt, sondern mehr oder weniger pauschal ausführt, sonstige Faktoren seien weder aufgrund der Begutachtung noch durch die Aktenlage festgestellt. Davon abgesehen enthält das Gutachten einen nur sehr knappen, weniger plastischen psychischen Befund als etwa in den schriftlichen Sachverständigengutachten von Dr. Bund Dr. A. Eine eingehende, plausible Zusammenhangsbetrachtung fehlt mithin.

Abgesehen von der Fehleinschätzung bzgl. einer unfallbedingten PTBS überzeugen schließlich auch die übrigen Erwägungen des Psychiaters B nicht, der die übrigen psychiatrischen Diagnosen von Dipl.-Psych. K übernimmt (spezifische isolierte Phobie <Angst vorm Tanzen und einem erneuten Sturz dabei>, anhaltende somatoforme Schmerzstörung) und als unfallbedingt ansieht. Der Psychiater B gründet seine Zusammenhangserwägungen auf einem kaum aussagekräftigen psychischen Befund und lässt als konkurrierenden Auslöser etwa auch die Beendigung der Beschäftigung als Balletttänzerin im Jahr 2008 außer Acht. Die Vorgeschichte der Klägerin bleibt ebenfalls außen vor. Ob die Stellungnahmen des Psychiaters B auch die von Dr. B im Übrigen vorgehaltenen methodischen Schwächen aufweisen, kann hiernach bereits dahinstehen.

Insbesondere lässt sich - entgegen der Einschätzung des Psychiaters B im Gleichklang mit Dipl.-Psych. K und Dr. S - auch nicht eine im Wesentlichen unfallbedingte Verursachung einer (im Vollbild ausgeprägten) somatoformen Schmerzstörung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegen, denn es ist bereits eine solche Erkrankung nicht im Vollbeweis gesichert. Für eine Schmerztherapie ist nichts ersichtlich, vgl. etwa nochmals den Bericht von Dipl.-Psych. S vom 16. Februar 2009, wonach die Klägerin schreckliche Schmerzen beklagte, welche sie als „tödlich“, „unerträglich“, „zermürbend“ beschrieb, ohne aber – trotz maximaler Schmerzausprägung – Analgetika einzunehmen, und sich eine nur geringe Schmerzmodulation zeigte. So liegt hier allenfalls – vgl. hier nochmals Dr. J A in seinem für das SG im Parallelverfahren erstellten schriftlichen Sachverständigengutachten vom 26. April 2011 – eine somatoforme Symptomatik vor, welche – vgl. hierzu nochmals Dr. B in seinem für den Senat erstellten schriftlichen Sachverständigengutachten - nachrangig als Ausdruck der Depression erscheint und ebenso wie die psychiatrische Grunderkrankung ihre strukturelle Ursache in der Persönlichkeit der Klägerin hat, wohingegen der Unfall nur als Auslöser in Frage kommt.

Nach alldem hat sich der Senat auch nicht veranlasst gesehen, auf den in der mündlichen Verhandlung am 19. September 2013 gestellten Beweisantrag der Klägerin hin ein weiteres schriftliches Sachverständigengutachten auf neurologisch-/ psychiatrisch-/ psychotherapeutischem Fachgebiet einzuholen. Es liegen auf eben diesen Fachgebieten erstellte schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. A und Dr. B vor, zudem ohne dass die Klägerin behauptet hat, dass zu den von den Sachverständigen berücksichtigten Krankheitsbildern weitere hinzugetreten seien. Da weder schwere Mängel oder Widersprüchlichkeiten der vorgenannten Sachverständigengutachten noch mangelnde Sachkunde (vgl. Leitherer, a.a.O., Rn. 11c) der beiden dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als kompetent bekannten Sachverständigen ersichtlich sind, hat sich der Senat auch eingedenk der ihm obliegenden Untersuchungsmaxime gemäß § 103 SGG nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt gesehen.

Da nach Vorstehendem ein jedenfalls über den 19. April 2009 hinausgehender Verletztengeldanspruch schon mangels fortbestehender unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit ausscheidet, kommt es nicht darauf an, ob im angefochtenen Bescheid eine den Anforderungen des § 46 Abs. 3 S. 2 SGB VII genügende Prognoseentscheidung zu sehen ist, welche ja von der Prämisse ausgehen muss, dass unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit fortbesteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.

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