BGH, Urteil vom 21.03.2000 - IX ZR 39/99
Fundstelle
openJur 2010, 7934
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 16. November 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 20. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien und Peter M. waren Gesellschafter der V.-GmbH. Die Bayerische Vereinsbank, die der V. einen Kredit eingeräumt hatte, für den der Beklagte und M. die persönliche Haftung übernommen hatten, gewährte diesen Gesellschaftern zur Entschuldung der GmbH ein Darlehen in Höhe von 704.000 DM. Zur Sicherung dieser Verbindlichkeit übernahm der Kläger am 20. Dezember 1990 eine Höchstbetragsbürgschaft von 100.000 DM zzgl. Zinsen und Kosten. Ziffer 3 der formularmäßig gefaßten Urkunde lautet:

"Meine Zahlungen als Bürge dienen als Sicherheitsleistung für die Bürgschaftsschuld, bis die Bank wegen ihrer sämtlichen Ansprüche gegen den Hauptschuldner, die im Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung der Bürgschaftsschuld bestehen, befriedigt ist. Erst dann gehen die Ansprüche der Bank gegen den Hauptschuldner auf mich über. Die Bank ist jedoch berechtigt, sich jederzeit aus den von mir als Bürge gezahlten Beträgen zu befriedigen. ..."

Außerdem war vorgesehen, daß der Kläger ein Objekt im Rahmen eines Joint Venture mit der Gläubigerbank abwickelte, aus dem diese einen Gewinn von mindestens 1,5 Mio. DM erwartete, der zugleich zur Befreiung der Darlehensnehmer von der Kreditschuld führen sollte.

Das Objekt gelangte jedoch nicht zur Durchführung. Da die Kreditnehmer ihre Verpflichtungen nicht zu erfüllen vermochten, nahm die Bank den Kläger mit Schreiben vom 18. August 1994 aus der Bürgschaft in Anspruch. Der Kläger zahlte an die Gläubigerin 137.128,48 DM. Diese erklärte ihm mit Schreiben vom 5. September 1994:

"... wir nehmen Bezug auf unser Schreiben vom 18.8.1994 und bestätigen Ihnen hiermit wunschgemäß, daß Sie aufgrund der von uns ausgesprochenen Bürgschaftsinanspruchnahme auf Ihre Bürgschaftsverpflichtung hin 137.128,48 DM geleistet haben. Damit geht in dieser Höhe die verbürgte Forderung auf Sie über. ..."

Am 11. Januar 1995 vereinbarten der Beklagte und M. mit der Gläubigerbank, an diese jeweils 100.000 DM in näher festgelegten Raten zu zahlen. Die Gläubigerin verpflichtete sich, nach Erhalt der vereinbarten Leistungen auf die Restforderung zu verzichten. Die Ratenzahlungen sind noch nicht abgeschlossen.

M. machte gegen die H. B. GmbH (nachfolgend: H.), deren einziger und vom Verbot des Selbstkontrahierens befreiter Gesellschafter der Kläger bis zum 13. Mai 1996 war und seit dem 27. Februar 1997 wieder ist, eine Forderung gerichtlich geltend. Die dortige Beklagte erklärte die Hilfsaufrechnung, gestützt auf eine undatierte Abtretungserklärung des Klägers mit folgendem Wortlaut:

"Durch Bürgschaftserklärung vom 20.12.1990 hat sich der Zedent gegenüber der Bayerischen Vereinsbank AG in Höhe von 100.000 DM für Verbindlichkeiten des Herrn Peter M. ... und (des Beklagten) ... verbürgt.

Aus dieser Bürgschaft wurde (der Kläger) ... im August 1994 zur Zahlung in Höhe von 137.128,48 DM von der Bayerischen Vereinsbank AG in Anspruch genommen.

Der Zedent tritt hiermit diese Forderung an den Zessionar ab. Der Zessionar nimmt diese Abtretung an."

Jener Rechtsstreit wurde am 20. September 1996 durch einen Prozeßvergleich beigelegt, der auszugsweise wie folgt lautet:

Die Parteien sind darüber einig, daß die wechselseitigen, streitgegenständlichen Ansprüche aus originärem oder abgeleitetem Recht, sowie alle etwaigen weiteren Ansprüche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt sind.

Die Beklagte versichert, daß sie zur Zeit Inhaberin des von ihr geltend gemachten Bürgschaftsregreßanspruchs in Höhe von DM 137.128,48 ... ist. Es wird ferner ausdrücklich festgehalten, daß der erwähnte Bürgschaftsregreßanspruch streitgegenständlich im Sinne dieser Ziffer ist.

Im Juli 1997 trat die H. den ihr übertragenen Anspruch, soweit er sich gegen den Beklagten richtet, wieder an den Kläger ab. Dieser hat vom Beklagten unter Berufung auf die infolge seiner Leistung auf ihn übergegangenen Gläubigeransprüche Zahlung von 137.128,48 DM verlangt. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung bestätigt und zur Begründung ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch sei durch den gerichtlichen Vergleich vom 20. September 1996 erledigt. Die Abtretung an die Beklagte des Vorprozesses (H.) habe auch die Ansprüche des Klägers gegen den jetzigen Beklagten umfaßt. Nach dem Inhalt des Vergleichs habe keine Forderung der H. mehr bestanden, die Gegenstand einer Abtretung hätte sein können.

II.

Diese Erwägungen sind, wie die Revision zutreffend rügt, rechtlich nicht haltbar.

Die tatrichterliche Auslegung eines Prozeßvergleichs unterliegt der revisionsrechtlichen Prüfung jedenfalls darauf, ob anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind (BGH, Urt. v. 11. Mai 1995 - VII ZR 116/94, WM 1995, 1545, 1546). Schon in dieser Hinsicht erweist sich das angefochtene Urteil als fehlerhaft.

1. Der Prozeßvergleich hat eine Doppelnatur; er stellt sowohl eine Prozeßhandlung als auch ein Rechtsgeschäft im materiell-rechtlichen Sinne dar (BGHZ 16, 388, 390; 41, 310, 311; 79, 71, 74; BGH, Urt. v. 14. Mai 1987 -III ZR 267/85, NJW 1988, 65). Das Berufungsurteil äußert sich nicht dazu, welcher materiell-rechtliche Gehalt der Erklärung der Prozeßparteien, die gegenseitigen Ansprüche seien erledigt, zukommt. Für die revisionsrechtliche Prüfung ist daher von dem Vorbringen des Klägers auszugehen. Dieser hat behauptet, die gegenseitigen Ansprüche seien schon deshalb für erledigt erklärt worden, weil die Beklagte des dortigen Rechtsstreits gegenüber einer bestrittenen Werklohnforderung von rund 150.000 DM in erster Linie mit Schadensersatzansprüchen in Höhe von etwa 330.000 DM aufgerechnet habe; die abgetretene Bürgschaftsregreßforderung habe das Ergebnis des Vergleichs insoweit nicht beeinflußt. Trifft dies zu, ist der Vergleich im Sinne eines Erlasses des gegen M. gerichteten Anspruchs aus § 774 Abs. 1 BGB zu verstehen. In diesem Falle sind die an die H. abgetretenen Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten infolge des Vergleichs vom 20. September 1996 nicht erloschen.

a) Ein zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarter Erlaß wirkt für die übrigen Schuldner nur dann, wenn die Vertragschließenden das ganze Schuldverhältnis aufheben wollten (§ 423 BGB). Ein entsprechender übereinstimmender Parteiwille muß sich aus dem Inhalt der Willenserklärungen durch Auslegung feststellen lassen. Im Zweifel hat der Erlaß nur Einzelwirkung. Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger seine Ansprüche gegen die Gesamtschuldner an einen Dritten abtritt und dieser nur gegenüber einem Gesamtschuldner vergleichsweise einen Anspruchsverzicht erklärt; denn die Interessenlage der Beteiligten ändert sich dadurch nicht. Sie ist so zu beurteilen, als hätte der ursprüngliche Gläubiger vergleichsweise über seinen Anspruch verfügt. Die Begründung des angefochtenen Urteils läßt nicht erkennen, daß das Berufungsgericht diese Grundsätze hinreichend beachtet hat.

b) Das Berufungsgericht stützt seine Ansicht allein auf den Wortlaut des Prozeßvergleichs. Dabei hat es nicht beachtet, daß die Prozeßparteien nur die wechselseitigen streitgegenständlichen Ansprüche für erledigt erklärt haben. Dazu gehörte der Anspruch der Zessionarin gegen den jetzigen Beklagten nicht, weil dieser an jenem Prozeß nicht beteiligt war. Der Vergleich hat daher schon dem Wortlaut nach den hier geltend gemachten Anspruch nicht einbezogen.

c) Der Kläger hatte seine Ansprüche damals an die H. abgetreten, um ihr die Möglichkeit einzuräumen, sich im Wege der Hilfsaufrechnung gegen den von M. erhobenen Anspruch zu verteidigen. Der gegen den Beklagten gerichtete Anspruch war aber mangels Gegenseitigkeit von vornherein nicht zur Aufrechnung geeignet (§ 387 BGB). Der Beklagte hat auch weder behauptet, die H. habe den gegen ihn gerichteten Anspruch überhaupt in jenen Prozeß eingeführt, noch sonstige Umstände vorgetragen, die darauf hindeuten, daß die Parteien jenes Rechtsstreits sich darüber einig waren, durch den Vergleich auch die Forderung gegen den jetzigen Beklagten abschließend zu regeln.

d) Ein Wille der Vergleichsparteien, das Schuldverhältnis insgesamt aufzuheben, kann sich im Einzelfall daraus ergeben, daß der Erlaß gerade mit dem Gesamtschuldner vereinbart wird, der im Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern die Verbindlichkeit allein tragen müßte (OLG Köln NJW-RR 1992, 1398). An solchen Voraussetzungen fehlt es indessen ebenfalls. Der Beklagte und M. waren damals beide Gesellschafter der GmbH, die sie durch eigene Darlehensaufnahmen entlastet hatten. Der Beklagte hat nichts vorgetragen, was einen Hinweis dafür liefert, daß im Innenverhältnis zu M. diesen die Ausgleichspflicht allein treffen sollte.

e) Dem Prozeßvergleich kann eine beschränkte Gesamtwirkung in dem Sinne zukommen, daß der Gesellschafter, dessen Verbindlichkeit erlassen wird (M.), zugleich von seiner im Innenverhältnis aus § 426 Abs. 1 BGB dem anderen Gesamtschuldner (Beklagter) gegenüber begründeten Haftung befreit werden soll (BGHZ 58, 216, 220; OLG Hamm NJW-RR 1988, 1174; OLG Köln NJW-RR 1994, 1307). Da die Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner bereits bei Begründung des Gesamtschuldverhältnisses und nicht erst mit der Leistung eines Gesamtschuldners an den Gläubiger entsteht (BGHZ 114, 117, 122; BGH, Urt. v. 20. Dezember 1990 -IX ZR 168/89, WM 1991, 399, 400; v.

11. Juni 1992 -IX ZR 161/91, NJW 1992, 2286, 2287; v. 13. Januar 2000 -IX ZR 11/99, WM 2000, 408, 409), ist dies wirksam nur in der Weise möglich, daß der Anspruch des Gläubigers gegen den am Vergleich nicht beteiligten Gesamtschuldner im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter in dem Umfang aufgehoben wird, in welchem der durch den Erlaß begünstigte Gesamtschuldner, wäre er vom Gläubiger voll in Anspruch genommen worden, Ausgleich von dem anderen Gesamtschuldner verlangen könnte (BGHZ 58, 216, 220). Der Vortrag des Klägers liefert keine Hinweise dafür, daß die damaligen Prozeßparteien eine solche Regelung treffen wollten (vgl. dazu OLG Köln NJW-RR 1994, 1307; OLG Bremen NJW-RR 1998, 1745).

2. Der Beklagte hat jedoch behauptet, M. habe sich im Vorprozeß nur deshalb mit einer Erledigung seiner Ansprüche einverstanden erklärt, weil die H. dem Klagebegehren zusätzlich den Bürgschaftsregreßanspruch entgegengesetzt habe. Sollte dies zutreffen, ist dieser Anspruch mit zur Beseitigung der von M. erhobenen Forderung verwertet worden. In dem Prozeßvergleich wäre dann eine Leistung auf die hier erhobene Forderung zu sehen, die ebenso wirkt wie eine Aufrechnung und daher zum Erlöschen des Schuldverhältnisses insgesamt führt (§§ 389, 422 Abs. 1 Satz 2 BGB). Da der Beklagte sich darauf beruft, die Forderung sei nachträglich entfallen, trifft ihn in diesem Punkt die Beweislast.

III.

Das angefochtene Urteil ist nicht im Ergebnis aus anderen Gründen richtig.

Der Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen die Auffassung vertreten, infolge der in Ziffer 3 der Bürgschaft des Klägers enthaltenen Klausel sei die Forderung der Gläubigerbank auf ihn noch nicht nach § 774 BGB übergegangen; denn die Ansprüche gegen die Hauptschuldnerin seien bisher nicht vollständig befriedigt. Dem ist jedoch nicht zu folgen.

Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die in Ziffer 3 der Bürgschaftsurkunde enthaltene Klausel einer Prüfung nach § 9 AGBG standhält, obwohl die Höchstbetragsbürgschaft hier nur die Forderung des Gläubigers aus einem bestimmten Kreditvertrag deckt (zur Wirksamkeit einer ähnlichen formularmäßigen Bestimmung bei Haftung des Bürgen für alle Ansprüche aus der Geschäftsbeziehung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner BGHZ 92, 374). Hier folgt schon aus dem unstreitigen Sachverhalt, daß die Ansprüche aus § 774 Abs. 1 BGB, soweit nicht bereits kraft Gesetzes geschehen, jedenfalls mit Willen des Gläubigers auf den Kläger übergegangen sind.

Mit Schreiben vom 5. September 1994, das der Senat selbst auslegen kann, weil der insoweit rechtserhebliche Sachverhalt unstreitig ist, hat die Gläubigerbank dem Kläger mitgeteilt, daß die verbürgte Forderung infolge der von ihm erbrachten Leistungen auf ihn übergegangen sei. Das konnte aus der allein maßgeblichen Sicht des Empfängers der Erklärung nur dahin verstanden werden, daß die Bank von den in Ziffer 3 des Bürgschaftsformulars vorbehaltenen Rechten keinen Gebrauch machte. Ob der Gläubigerin, wie der Beklagte behauptet, ein entsprechendes Erklärungsbewußtsein fehlte, kann offenbleiben; denn sie hat ihre Äußerung nicht wegen Irrtums angefochten.

IV.

Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese noch weiterer tatrichterlicher Aufklärung bedarf.

1.

Das Berufungsgericht wird zunächst klären müssen, ob und in welchem Umfang die geltend gemachte Forderung infolge des Prozeßvergleichs erloschen ist.

2.

Soweit danach noch ein Anspruch des Klägers verbleibt, wird sich das Berufungsgericht mit der Behauptung des Beklagten befassen müssen, der Kläger habe sich gegenüber den Darlehensnehmern rechtlich verpflichtet, dadurch für deren Befreiung von der Hauptschuld zu sorgen, daß er mit der Gläubigerbank ein größeres Immobilienprojekt (Joint Venture) realisiere und jener so einen Gewinn verschaffe, der auf die Darlehensschuld angerechnet werde. Der Beklagte hat für sein - vom Kläger bestrittenes - Vorbringen Beweis angetreten. Ist der Kläger eine solche Verpflichtung gegenüber seinen damaligen Mitgesellschaftern eingegangen, kann deren Nichterfüllung nach dem Sinn und Zweck der zur Sanierung der Gesellschaft von den Beteiligten getroffenen Absprachen eine Regreßforderung des Klägers gegen den Beklagten ausschließen oder Gegenansprüche begründen, aufgrund deren die geltend gemachte Forderung erloschen ist oder jedenfalls nicht durchgesetzt werden kann. Ist der Kläger eine rechtliche Verpflichtung gegenüber M. und dem Beklagten nicht eingegangen, kann das Scheitern des geplanten Projekts doch Anlaß zu der Prüfung geben, ob es nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Einfluß auf den vom Kläger erhobenen Anspruch hat.

3.

Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.