BGH, Urteil vom 22.05.2002 - VIII ZR 337/00
Fundstelle
openJur 2010, 6311
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 28. November 2000 in der Fassung der Berichtigungsbeschlüsse vom 4. Dezember 2000, 9. und 16. Januar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechtigung einer Kaufpreisrestforderung.

Ende des Jahres 1996 verhandelte die Klägerin, eine Molkereizentrale, mit der Beklagten über den Verkauf ihrer Frischdienst-Niederlassung in N. . Hierüber fertigte der damalige Prokurist der Klägerin, D. im Januar 1997 einen Aktenvermerk. Danach sei die Beklagte bereit, den Frischdienst ab 1. März 1997 zu übernehmen. Der Warenbestand sei mit sofortiger Fälligkeit nach Rechnungslegung zu bezahlen. Ein Preis für den Warenbestand wird in dem Vermerk nicht genannt. Ende Februar 1997 wurde die Niederlassung in N. an die Beklagte übergeben. D. unterschrieb für die Klägerin die hierüber gefertigte Niederschrift, für die Beklagte deren Geschäftsführer Dr. T. . Letzterer vermerkte unter den Unterschriften:

"Meine Unterschrift erfolgt auf der Basis und unter Berücksichtigung der beiliegenden Anlage zur Übernahme der Warenbestände von der K. am 27.02.1997 durch den F. Frischdienst für B. GmbH. Anlage (handschriftlich) wurde am 27.02.1997 23.35 Uhr mit dem unterschriebenen Vertrag Herrn F. übergeben."

Die Anlage hat folgenden Wortlaut:

"Die Übernahme der Warenbestände erfolgt durch den F. Frischdienst für B. GmbH unter Vorbehalt eines pauschalen Abzugs von 9 % des Warenwertes für nicht vorhersehbare Risiken (Volumenveränderung, Qualitätsprobleme -MHD, Mengenabweichung)."

Die Anlage ist allein von Dr. T. unterschrieben. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es bei der Übergabe zu einer Einigung über den Inhalt dieser Anlage gekommen ist.

Die Beklagte kürzte die Warenrechnung der Klägerin um 9 % (106.450,21 DM) und bezahlte lediglich den verbleibenden Betrag. Den Betrag der Kürzung macht die Klägerin im Prozeß geltend.

Das Landgericht, das unter anderem durch Vernehmung des Zeugen D. Beweis erhoben hat, hat der Klage im wesentlichen stattgegegeben. Aufgrund seiner Aussage, die die Kammer für glaubwürdig erachtet hat, hat sie angenommen, es sei im Januar 1997 zwischen den Parteien vereinbart worden, daß das Warenlager zum Einkaufspreis nebst Mehrwertsteuer übernommen werden sollte.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht -ohne erneute Beweisaufnahme -die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

I.

Das Oberlandesgericht hat einen Kaufpreisrestanspruch der Klägerin verneint und dazu unter anderem ausgeführt:

Die Klägerin habe eine Vereinbarung über den Preis der Warenvorräte nicht bewiesen. Die Aussage des von ihr benannten Zeugen D. reiche für einen Beweis der behaupteten Einigung nicht aus. Dieser Zeuge habe ausdrücklich bekundet, er könne sich an eine konkrete mündliche Preisabsprache nicht erinnern. Er könne lediglich aussagen, daß er geäußert habe, Vertragsgrundlage sei die Zahlung des Einkaufspreises zuzüglich Mehrwertsteuer. Der Geschäftsführer der Beklagten habe ihm gegenüber nicht erklärt, dieser Preis sei nicht akzeptabel. Damit sei, so hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, lediglich bewiesen, daß die Klägerin ein Angebot gemacht habe, zum genannten Kaufpreis zu verkaufen. Nicht erwiesen sei dadurch jedoch die Annahme dieses Angebots.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Die Revision rügt zu Recht, daß das Oberlandesgericht, ohne den Zeugen D. erneut zu hören, dessen Aussage anders bewertet hat als das Landgericht. Dies verstößt gegen § 398 ZPO.

Zwar liegt die wiederholte Vernehmung eines Zeugen nach § 398 Abs. 1 ZPO grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Diesem Ermessen sind jedoch Grenzen gezogen. Im Einzelfall kann es sich zur Rechtspflicht auf Wiederholung der Zeugenvernehmung verdichten (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 398 Rdnr. 3-5 m.w.Nachw.). So ist eine erneute Vernehmung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unter anderem dann geboten, wenn das Berufungsgericht der Aussage eine andere Tragweite, ein anderes Gewicht oder eine vom Wortsinn abweichende Auslegung geben will oder wenn es die protokollierten Angaben des Zeugen für zu vage und präzisierungsbedürftig hält (Senatsurteil vom 30. September 1992 -VIII ZR 196/91 = BGHR ZPO § 398 Abs. 1, Ermessen 14 = NJW 1993, 64 = WM 1992, 2104 unter II 2 a, insoweit in BGHZ 119, 283 nicht abgedruckt). Allerdings ist es dem Berufungsgericht nicht grundsätzlich verwehrt, die Aussage eines erstinstanzlich gehörten Zeugen ohne wiederholte Vernehmung entgegen der Würdigung des Erstrichters für nicht zur Beweisführung ausreichend zu erachten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß sich nicht auch insoweit die Pflicht zur erneuten Vernehmung aus Zweifeln über die Vollständigkeit und Richtigkeit der protokollierten Aussage ergibt. Im übrigen hat der Senat in der genannten Entscheidung daran festgehalten, daß eine erneute Vernehmung geboten ist, wenn das Berufungsgericht die protokollierte Aussage anders verstehen will als die Richter der Vorinstanz, und zwar insbesondere dann, wenn die Aussage des Zeugen widersprüchlich oder mehrdeutig ist und es für die Auffassung des Erstrichters nicht an jedem Anhaltspunkt in der prokollierten Aussage fehlt.

So liegt der Fall hier. Für die Beweiswürdigung des Landgerichts ergaben sich Anhaltspunkte aus der protokollierten Zeugenaussage. Der Zeuge hat laut Niederschrift vom 14. Oktober 1999 bei seiner Vernehmung durch das Landgericht unter anderem bekundet, es sei bei den Verhandlungen im Vorfeld zur Besprechung vom 27. Februar 1997 auch über den Preis gesprochen worden; es sei besprochen worden, daß das Warenlager zum Einkaufspreis plus Mehrwertsteuer übernommen werden sollte. Das Landgericht hat die mehrdeutigen Worte, "... es war besprochen worden ...", dahin verstanden, der Zeuge habe damit ausdrücken wollen, die Parteien seien sich im Gespräch über den Preis einig geworden; dieses Verständnis der Aussage des Zeugen D. ist mit ihrem Wortlaut zwanglos zu vereinbaren. Das Berufungsgericht hat dagegen jenes "Besprechen" lediglich im Sinne einer ergebnislosen Erörterung gewertet. Diese von der Beweiswürdigung des Landgerichts abweichende Wertung der Aussage des Zeugen D. war, wie ausgeführt, ohne erneute Vernehmung des Zeugen nicht zulässig.

2. Zu Recht rügt die Revision auch, das Berufungsgericht habe die Pflicht zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO verletzt.

Die Klägerin hatte in erster Instanz den Zeugen W. dafür benannt, daß sich die Parteien auf den von der Klägerin behaupteten Preis für die Warenvorräte geeinigt hätten und der Zeuge D. dem am 27. Februar 1997 erklärten Vorbehalt durch den Geschäftsführer der Beklagten unter Hinweis auf die bereits erfolgte Einigung widersprochen habe. Auf die Vernehmung dieses Zeugen hat die Klägerin zwar verzichtet. Dieser Verzicht war jedoch ausdrücklich auf die erste Instanz beschränkt. Wenn das Oberlandesgericht durch die Aussage des Zeugen D. die Preisvereinbarung (noch) nicht für erwiesen hielt, kam dem Beweisangebot auf Vernehmung des Zeugen W. im Berufungsrechtszug entscheidende Bedeutung zu. Denn aus der Sicht der Klägerin war dessen Zeugenaussage geeignet, im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen D. die Überzeugung des Gerichts von der behaupteten Preisvereinbarung zu begründen. Umstände dafür, daß die Klägerin auf den Zeugen W. bewußt nicht mehr zurückgreifen wollte, sind von der Beklagten nicht geltend gemacht worden und für das Revisionsgericht auch sonst nicht zu erkennen, zumal die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung auf ihre erstinstanzlichen Beweisangebote Bezug genommen hatte.

Das Berufungsgericht hätte deshalb aufgrund seiner Aufklärungspflicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO bei der Klägerin nachfragen müssen, bevor es den ursprünglichen Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen W. als nicht mehr gestellt erachtete (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1997 -VI ZR 133/96, NJW 1998, 155 unter II 2 c bb). Die Revision führt hierzu aus, bei einer entsprechenden Nachfrage hätte die Klägerin erneut den Zeugen W. zum Beweis der Einigung über den Preis der Warenvorräte und den Widerspruch des Zeugen D. gegenüber dem vom Geschäftsführer Dr. T. am 27. Februar 1997 erklärten Vorbehalt benannt.

III.

Da sich die Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, der Senat aber wegen der noch zu erhebenden Beweise nicht selbst in der Sache entscheiden kann, waren das Berufungsurteil aufzuheben und das Verfahren zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.).