BAG, Urteil vom 21.06.2011 - 9 AZR 226/10
Fundstelle
openJur 2013, 26427
  • Rkr:
Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 24. Februar 2010 - 3 Sa 273/09 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über restliche Vergütungsansprüche des Klägers für die Zeit von Oktober 2007 bis Dezember 2008.

Der 1969 geborene Kläger, der über eine abgeschlossene Ausbildung zum Bürokaufmann sowie ein abgeschossenes Studium der Theater- und Veranstaltungstechnik verfügt, ist mit einem Grad von 50 behindert. Im Laufe seiner von 2005 bis Herbst 2007 währenden Arbeitslosigkeit absolvierte er eine beschränkte Eingliederungsmaßnahme sowie ein Praktikum und eine Teilzeitbeschäftigung zur psychosozialen Integration auf "Ein-Euro-Basis" bei dem Beklagten. Der Beklagte ist Rechtsträger des Integrationsbetriebs "C" und gehört dem Deutschen Caritasverband an.

Zum 1. Oktober 2007 nahm der Kläger ein Vollzeitarbeitsverhältnis bei dem Beklagten in dessen Integrationsbetrieb auf. Im schriftlichen "Dienstvertrag" vom 13. November 2007 heißt es ua. wie folgt:

"... Dienstgeber und Mitarbeiter bilden eine Dienstgemeinschaft und tragen gemeinsam zur Erfüllung der Aufgaben der Einrichtung bei. ... Der Treue des Mitarbeiters muss von Seiten des Dienstgebers die Treue und Fürsorge gegenüber dem Mitarbeiter entsprechen. ...

§ 1

Der Mitarbeiter wird ab 01.10.2007 als Mitarbeiter im Integrationsbetrieb ... eingestellt.

Der Mitarbeiter gehört zur Dienstgemeinschaft der oben genannten Einrichtung. Er verspricht, die ihm übertragenen Aufgaben in Beachtung der allgemeinen und besonderen Dienstpflichten, ... treu und gewissenhaft zu erfüllen ...

§ 2

Für das Dienstverhältnis gelten die ‚Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes’ (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung. Ausgenommen hiervon sind unter Bezugnahme auf § 3 a AVR die Vergütungsregelungen der Anlage 1 AVR, Abschnitt I - VIII, Anlage 10 AVR sowie Anlage 14, Abschnitt II AVR. ...

§ 4

a)

...

b)

Die Vergütung bemisst jeweils 80 % der Bezüge gemäß Abschnitt II der Anlage 1 AVR, Abschnitt IIIa der Anlage 1 AVR, Anlage 10 AVR sowie Anlage 14, Abschnitt II AVR. Grundlage der Bemessung ist die Vergütungsgruppe 12 AVR.

...

§ 9

Folgende zusätzliche Vereinbarungen (§ 7 Abs. 2 AT AVR) werden getroffen (z. B. Anrechnung von Zeiten gemäß Abschnitt Ia der Anlage 1):

Der jeweils gültige Vergütungsberechnungsbogen ist Bestandteil dieses Dienstvertrags."

Ein ab 1. Oktober 2007 geltender Berechnungsbogen, der 80 % der Bezüge der Vergütungsgruppe 12 (Ziffer 1, Stufe 9) der Anlage 2 AVR, aufgeschlüsselt nach Grundvergütung, Zulage nach Anlage 10 AVR und Ortszuschlag vorsieht, war dem Vertrag beigefügt.

In den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) heißt es auszugsweise:

"§ 3 Ausnahmen vom Geltungsbereich

Die AVR gelten nicht für:

(a) Mitarbeiter, deren Leistungsfähigkeit infolge einer körperlichen, geistigen, seelischen oder sonstigen Behinderung beeinträchtigt ist und deren Rehabilitation oder Resozialisierung durch Beschäftigungs- und Therapiemaßnahmen angestrebt wird;

(b) Mitarbeiter, die nicht in erster Linie aus Gründen der Erwerbstätigkeit beschäftigt werden, sondern vorwiegend zu ihrer Betreuung, sofern die Anwendung der AVR nicht ausdrücklich schriftlich vereinbart ist;

...

Anlage 2:

Vergütungsgruppen für Mitarbeiter/-innen (allgemein)

...

Vergütungsgruppe 12

Mitarbeiter, deren Beschäftigung nach § 3 Buchstabe a und b AVR erfolgt, wenn die Anwendung der AVR mit ihnen nicht ausdrücklich durch schriftlichen Vertrag ausgeschlossen wurde

2 bis 4

(entfallen)"

Zum Zwecke der Wiedereingliederung in das Berufsleben stellt der Beklagte seinen Integrationsbetrieb ausschließlich schwerbehinderten Menschen zur Verfügung. Finanziell greift er dabei auf Zuwendungen des Integrationsamts in Form von Minderleistungsausgleichen (vgl. § 134 SGB IX) und auf Eingliederungszuschüsse der Agentur für Arbeit (vgl. § 16 SGB II) zurück. Der Kläger arbeitet im Bereich der Elektronik- und Industriemontage und übernimmt Fahrtätigkeiten.

Auf der Grundlage einer internen Empfehlung zur Senkung der Personalkosten für Integrationsprojekte nach §§ 132 bis 135 SGB IX vom 13. November 2007 im Rahmen eines Zustimmungsverfahrens gemäß §§ 34, 35 der einschlägigen Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretung (MAVO) stellt der Beklagte behinderte Beschäftigte mit einer Vergütung ein, die auf 80 % der AVR-Vergütung abgesenkt ist. Demgegenüber werden nicht behinderte Beschäftigte weiter mit 100 % der maßgeblichen AVR-Vergütung eingestellt. Deshalb vereinbarte der Beklagte mit einem nach dem Kläger eingestellten schwerbehinderten Mitarbeiter ein abgesenktes Entgelt.

Der Kläger begehrte vorprozessual mehrmals die Anhebung seines Entgelts auf 100 % der Vergütungsgruppe 12 (Ziffer 1, Stufe 9) der Anlage 2 AVR. Mit der am 16. Juli 2008 eingegangenen und unter dem 8. August 2008 sowie 26. Januar 2009 erweiterten Zahlungsklage macht er die sich aus der Absenkung ergebenden Vergütungsdifferenzen für die Zeit von Oktober 2007 bis Dezember 2008 geltend.

Der Kläger hat gemeint, seine Vergütung sei zu Unrecht auf 80 % abgesenkt worden. Leistungsmängel lägen seinerseits nicht vor. Auch sei § 3 Buchst. a AVR nicht erfüllt. Der Beklagte beschäftige nicht ausschließlich leistungsgeminderte oder schwerbehinderte Menschen. Es sei auch unzulässig, die Vergütung allein wegen formaler Schwerbehinderung auf 80 % zu kürzen (Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG).

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn insgesamt 5.169,06 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter zeitlicher Staffelung zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Absenkung der Vergütung des Klägers sei im Rahmen eines Integrationsprojekts zulässig. Der Kläger erbringe lediglich 45 % bis 65 % der Leistungen eines Nichtbehinderten. § 3 Buchst. a AVR sei damit erfüllt. Die Vergütung erfolge mithin außerhalb des Tarifsystems der AVR. Es liege auch keine Ungleichbehandlung vor. Die Absenkung der Vergütung beruhe auf der wirtschaftlichen Situation des Beklagten und werde bei künftigen Einstellungen behinderter Arbeitnehmer vorgenommen, um Personalkosten zu sparen. Schon wegen des Stichtagsprinzips könne das keine Ungleichbehandlung bedeuten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Gründe

A. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Das Landesarbeitsgericht stützt sich für sein Ergebnis allerdings zu Unrecht allein auf § 2 Satz 1 des Dienstvertrags. Es meint, die AVR seien nach den vertraglichen Vereinbarungen unbeschränkt anzuwenden. Hieraus folge ein Vergütungsanspruch nach der Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR. § 2 Satz 2 des Dienstvertrags regele keine wirksame Ausnahme von den in Bezug genommenen AVR. Denn der Kläger erfülle die Voraussetzungen von § 3 Buchst. a AVR zumindest nach dem Vorbringen des Beklagten nicht. Es fehle an konkretem Tatsachenvortrag, dass der Kläger - je nach Tagesform - nur 45 % bis 65 % der Leistungen eines nicht behinderten Beschäftigten erbringe. Ebenso wenig sei ersichtlich, dass der Kläger dienstvertraglich allein mit Beschäftigungs- oder Rehabilitationsmaßnahmen betraut sei.

1. Mit dieser Begründung durfte der Klage nicht stattgegeben werden. Das Berufungsgericht hat mit seiner Auslegung des Dienstvertrags §§ 133, 157 BGB verletzt. Die Parteien haben 80 % der Vergütung der Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR konstitutiv vereinbart und nicht nur deklaratorisch unter den Voraussetzungen des § 3 AVR die maßgebliche AVR-Vergütung auf 80 % verringern wollen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit gemindert ist (§ 3 Buchst. a AVR) oder vorwiegend zu seiner Betreuung beschäftigt wird (§ 3 Buchst. b AVR).

2. Der Senat kann die Auslegung des Dienstvertrags der Parteien uneingeschränkt überprüfen. Es handelt sich, wie schon die äußere Gestaltung der Vereinbarung zeigt, um einem Formularvertrag im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies wird durch die ankreuzbaren Alternativen in § 3 und § 4 bestätigt.

3. Vertragsbestimmungen sind - wie Willenserklärungen - gemäß § 157 BGB so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB ausgehend vom objektiven Wortlaut der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (BAG 12. Oktober 2010 - 9 AZR 522/09 - Rn. 21, NZA 2011, 695; 4. Mai 2010 - 9 AZR 155/09 - Rn. 32, AP ATG § 3 Nr. 21 = EzA ZPO 2002 § 894 Nr. 2; 23. Februar 2010 - 9 AZR 3/09 - Rn. 21, AP GewO § 106 Nr. 9 = EzA GewO § 106 Nr. 6).

a) Üblicherweise sind generelle dienstvertragliche Verweisungen auf die AVR im Hinblick auf eine ggf. maßgebliche Vergütungsgruppe nur deklaratorisch (vgl. BAG 14. Juni 1995 - 4 AZR 250/94 - zu II 1 c der Gründe, AP AVR Caritasverband § 12 Nr. 7). Die Bezeichnung der Vergütungsgruppe im Dienstvertrag oder in einer Eingruppierungsmitteilung gibt nur wieder, welche Einreihung der Arbeitgeber in Anwendung der maßgeblichen Eingruppierungsbestimmungen als zutreffend ansieht (so für die Verweisung auf den BAT-LWL durch regionale Caritasverbände zuletzt BAG 9. November 2005 - 4 AZR 437/04 - Rn. 15, ZTR 2006, 654). Vorliegend widerspricht die Parteivereinbarung dem üblichen Dienstvertragsmuster mit bloß mitteilendem Charakter. Die Vertragsparteien wollten ersichtlich die Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR nicht nur vorläufig, sondern endgültig zur "Grundlage der Bemessung" machen und damit auch den festen Bemessungssatz von 80 % verbinden. Dieses Verständnis wird durch § 4 Buchst. b Satz 1 des Dienstvertrags bestärkt, der im Einzelnen die Rechtsgrundlagen auflistet, aus denen sich die Vergütung ergeben soll. All dessen hätte es bei einer nur deklaratorischen Verweisung nicht bedurft.

b) Der Wortlaut der Vertragsregelung bietet für die Auslegung des Berufungsgerichts, die Anwendung der die Bemessung der Vergütung betreffenden Bestimmungen der AVR sei zwischen den Parteien vereinbart, sodass es darauf ankomme, ob der Kläger nach § 3 AVR von deren Geltungsbereich ausgenommen sei, keine Anhaltspunkte. Es heißt in § 2 Satz 2 des Dienstvertrags nur "unter Bezugnahme" auf § 3 Buchst. a AVR und nicht etwa "für den Fall der erfüllten Voraussetzungen" von § 3 Buchst. a AVR. Darüber hinaus ist die Regelung in § 2 Satz 2 des Dienstvertrags rein negativ gehalten. Es werden dort die Regelungen über Eingruppierungen, Vergütungen und Zulagen nach Anlage 1 Abschnitt I bis VIII AVR nur abgrenzend ausgenommen. Da die Eingruppierungs- und Vergütungsordnung der AVR - anders als noch die vormalige Fassung etwa vom 1. April 1960 (dort Abschnitt II Buchst. c Alt. 2 der Anlage 1) - keinerlei Vereinbarungsvorbehalte für Minderleistungsbezüge enthält (Beyer/Papenheim Arbeitsrecht der Caritas Stand Februar 2011 § 3 AVR Rn. 13), kann auch der Ausklammerung gerade dieser Vorschriften nicht der Gehalt eines Geltungsvorbehalts beigemessen werden. § 3 AVR trifft zudem für sich betrachtet nur eine Bestimmung über den persönlichen Anwendungsbereich der AVR im Ganzen ("gelten nicht") und ist damit eine vollumfängliche Geltungs- oder Nichtgeltungsregel.

c) Eine positive Regelung über den Vergütungsansatz trifft § 4 Buchst. b des Dienstvertrags. Danach bemisst sich die Vergütung jeweils auf 80 % der Bezüge der Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR. In dieser Bestimmung findet sich indes weder ein Verweis auf § 2 Satz 2 des Dienstvertrags noch auf § 3 Buchst. a AVR. Die Regelung knüpft deshalb schon begrifflich nicht an die Voraussetzungen in § 2 Satz 2 des Dienstvertrags iVm. § 3 Buchst. a AVR an.

d) § 4 Buchst. b des Dienstvertrags ist allein aus sich heraus verständlich. Der Kläger soll Bezüge entsprechend der Anlage 1 (Abschnitt II und Abschnitt IIIa), der Anlage 10 und der Anlage 14 (Abschnitt II) AVR erhalten. Dies beinhaltet die Dienstbezüge, Einmalzahlungen, die allgemeine Zulage und das Urlaubsgeld. Für die Bemessung verweist Satz 2 auf die Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR. Im Übrigen bestimmt Satz 1 einen Bemessungssatz von 80 %. Der gemäß § 9 des Dienstvertrags zum Bestandteil des Vertrags gemachte jeweilige Berechnungsbogen illustriert die vorgenannten Werte. All das führt zu einer in sich geschlossenen eigenständigen und von den AVR abweichenden Vergütungsvereinbarung.

e) Eine Notwendigkeit, zusätzlich auf die Voraussetzungen des § 3 Buchst. a AVR zurückzugreifen, folgt auch nicht indirekt aus der in § 4 Buchst. b Satz 2 des Dienstvertrags enthaltenen Angabe der Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR. Zwar setzt die Eingruppierung in diese Vergütungsgruppe voraus, dass eine Beschäftigung nach § 3 Buchst. a oder Buchst. b AVR erfolgt. Die Arbeitsvertragsparteien haben die Vergütungsgruppe 12 in § 4 Buchst. b Satz 2 des Dienstvertrags jedoch schon begrifflich nur zur "Grundlage der Bemessung" gemacht und damit unabhängig von einem - zB auch musterdienstvertragsüblichen - Einreihungsvorgang einbezogen. Hätten die Parteien eine lediglich deklaratorische Bezugnahme der Vergütungsgruppe gewollt, hätte etwa die übliche Formulierung wie "Er/Sie ist ... in Vergütungsgruppe ... eingruppiert" nahe gelegen (vgl. § 4 Buchst. b des Musterdienstvertrags nach § 7 Abs. 1 iVm. Anhang D AVR).

f) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger sei - weil die Voraussetzungen des § 3 Buchst. a AVR nicht erfüllt seien - vollumfänglich anspruchsberechtigt, ist zudem auch denkgesetzlich fragwürdig. Die Revision beanstandet insofern zu Recht, dass die in § 3 Buchst. a AVR genannten Beschäftigungsmerkmale im Regelungsgefüge der AVR Doppelrelevanz haben. Sie entscheiden einerseits über den persönlichen Anwendungsbereich der Arbeitsvertragsrichtlinien und bieten andererseits die Grundlage für eine vergütungsrechtliche Einreihung (vgl. Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR). Fällt eine Person nicht unter den in § 3 Buchst. a AVR genannten Mitarbeiterkreis, macht das zwangsläufig nicht bloß den persönlichen Anwendungsausschluss der AVR hinfällig, sondern beseitigt zugleich auch die Einreihung in die Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR. Dem Kläger konnte mithin, wenn er nicht zum Personenkreis nach § 3 Buchst. a AVR zählte, nicht schon selbstverständlich die - ungeminderte - Vergütung aus der Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR zugesprochen werden.

II. Die Vergütungsvereinbarung in § 4 des Dienstvertrags der Parteien, wonach die Vergütung 80 % der AVR-Bezüge beträgt, benachteiligt den Kläger unmittelbar wegen seiner Behinderung (§ 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG) und ist deshalb rechtsunwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG). Der Kläger hat Anspruch auf die Vergütung nach der arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR.

1. Das AGG findet auf den Streitfall Anwendung, da der Dienstvertrag der Parteien vom 13. November 2007 nicht vor dem 1. Dezember 2006 begründet wurde (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 1 AGG).2. Die Parteien fallen in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Arbeitgeber Beschäftigte nicht wegen einer Behinderung oder wegen eines anderen in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligen. Der Kläger ist Beschäftigter iSd. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG. Er ist Arbeitnehmer des Beklagten. Der Beklagte ist Arbeitgeber nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG.

3. Die Vergütungsabrede in § 4 des Dienstvertrags ist benachteiligend iSv. § 7 Abs. 2, § 3 Abs. 1, § 1 AGG.

a) Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Vereinbarungen unwirksam, die gegen das Verbot der Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale verstoßen. § 1 AGG erfasst ua. die Behinderung. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG betrifft der Anwendungsbereich des AGG auch Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts.

b) Der Kläger zählt als schwerbehinderter Mensch iSv. § 2 Abs. 2, Abs. 1 SGB IX zu dem von § 1 AGG geschützten Personenkreis. Nach der Gesetzesbegründung entspricht der Begriff der Behinderung des AGG den sozialrechtlich entwickelten gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG (BT-Drucks. 16/1780 S. 31).

c) Eine Benachteiligung wegen der Behinderung setzt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG voraus, dass eine Person wegen der Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere - nicht behinderte - Person sie in vergleichbarer Lage erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Damit ist erforderlich, dass die betreffende Person einer weniger günstigen Behandlung ausgesetzt ist als eine in einer vergleichbaren Situation befindliche Person, bei der das Merkmal nicht vorliegt (BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 23, AP AGG § 15 Nr. 2 = EzA AGG § 15 Nr. 4). Die Vergleichbarkeit richtet sich im Fall der Arbeitsvergütung nach der Gleichheit oder Gleichwertigkeit der verrichteten Arbeit. Auch zeitlich vorausgegangene Einstellungen sind dabei dem Gesetzeswortlaut nach vergleichsrelevant ("erfahren hat"). Eine Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 AGG ist unmittelbar, wenn die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpft (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 19, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2).

Das ist hier der Fall. Der Beklagte behandelt behinderte Arbeitnehmer weniger günstig. Er hat die Entscheidung getroffen, beginnend mit der Einstellung des Klägers, mit behinderten Arbeitnehmern nur noch eine auf 80 % herabgesenkte AVR-Vergütung zu vereinbaren. Im Gegensatz dazu sollen nicht behinderte neu eingestellte Arbeitnehmer Anspruch auf 100 % der AVR-Vergütung haben.

d) Die Behinderung ist auch kausal für die benachteiligende Behandlung. Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32).Dazu reicht es aus, wenn im behaupteten Motivbündel des Beklagten aus Sparplänen und Minderleistungserwägungen auch die Behinderung eine Rolle gespielt hat (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 31, EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 40, BAGE 131, 232). Das ist hier der Fall. Denn die nachteilige Vergütungsvereinbarung soll nur mit behinderten Arbeitnehmern geschlossen werden.

e) Die unterschiedliche Behandlung der behinderten Arbeitnehmer ist nicht zulässig. Sachliche Gründe iSd. § 20 Abs. 1 AGG und des § 8 Abs. 1 AGG sind nicht gegeben.

aa) Der Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, es müssten Personalkosten eingespart werden. Dies sei nach den AVR nur bei behinderten Arbeitnehmern möglich, da diese nach § 3 Buchst. a und Buchst. b AVR vom Geltungsbereich der AVR ausgenommen seien und eine Vergütung nach Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR nur zu zahlen sei, wenn die Anwendung der AVR nicht ausdrücklich durch schriftlichen Vertrag ausgeschlossen worden sei.

Einen solchen generellen Ausschluss der AVR-Anwendung vereinbarten die Parteien nicht. Nach § 2 des Dienstvertrags gelten für das Dienstverhältnis die AVR in ihrer jeweiligen Fassung. Die Parteien haben lediglich eine eigenständige Vergütungsvereinbarung in Abweichung von Anlage 2 AVR getroffen. Der Beklagte erklärt nicht, weshalb er eine solche auf 80 % verringerte Vergütung nur mit behinderten und nicht mit nicht behinderten Arbeitnehmern vereinbart.

bb) Die weniger günstige Behandlung der behinderten Arbeitnehmer ist auch nicht nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn das Merkmal nach § 1 AGG eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit darstellt. Das Merkmal kann nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG bilden, wenn die Tätigkeit ohne das Merkmal jedenfalls nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - Rn. 26, AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Hierauf beruft sich der Beklagte nicht. Der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis in einem Integrationsprojekt iSd. § 132 Abs. 1 SGB IX ausgeführt wird, rechtfertigt für sich genommen nicht die Verringerung der Vergütung schwerbehinderter Menschen (Düwell in LPK-SGB IX 3. Aufl. § 123 Rn. 20; vgl. Gagel jurisPR-ArbR 32/2010 Anm. 2). Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Kläger sei leistungsgemindert. Er reiht die betroffenen Arbeitnehmer ohnehin aufgrund ihrer Behinderung in die niedrigere Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR ein. Eine etwaige Minderung ihrer Leistungsfähigkeit fällt ihnen damit doppelt zur Last. Denn die gering bemessene Vergütungsgruppe 12 der Anlage 2 AVR berücksichtigt bereits das Leistungsvermögen der Arbeitnehmer. Dazu soll eine weitere Vergütungsminderung um 20 % hinzutreten. Der Ausgleich von Haushaltsdefiziten ist kein Rechtfertigungsgrund iSv. § 8 AGG. Andere, gesetzlich zugelassene Gründe für eine unterschiedliche Behandlung sind nicht ersichtlich. Das Schrifttum sieht daher das Abwälzen von Belastungen auf eine von § 1 AGG geschützte Beschäftigtengruppe zu Recht als unzulässig an (vgl. Däubler/Bertzbach/Dette AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 131).

III. Der Kläger hat deshalb Anspruch auf Nachzahlung der Vergütungsdifferenzen in rechnerisch unstreitiger Höhe. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 BGB.

B. Der Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Düwell

Suckow

Krasshöfer

Preuß

Merte