OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.05.2013 - 15 B 556/13
Fundstelle
openJur 2013, 26273
  • Rkr:

Zu den Voraussetzungen, unter denen der Bürgermeister einen Antrag eines Ratsmitglieds auf Akteneinsicht gem. § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW ablehnen kann (hier verneint).

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Senat hat das Passivrubrum von Amts wegen umgestellt. Richtiger Antragsgegner in einem - wie hier vorliegenden - Organstreitverfahren ist nicht die Körperschaft, dem das hier nach § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW anspruchsverpflichtete Organ dient, sondern dieses selbst.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gebieten keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch (1.) als auch einen Anordnungsgrund (2.) glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

1.) Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller als Mitglied des Rates der Gemeinde I. der geltend gemachte Anspruch auf Akteneinsicht in die von der M. erstellte Stellen- und Dienstpostenbewertung für die Mitarbeiter der Verwaltung der Gemeinde I. zusteht.

Der Anspruch ergibt sich aus § 55 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 GO NRW. Danach hat der Bürgermeister u. a. jedem Ratsmitglied Akteneinsicht zu gewähren, soweit die Akten der Vorbereitung von Beschlüssen des Rates dienen. Dass hier die begehrte Akteneinsicht dem vorbeschriebenen Zweck dient, hat das Verwaltungsgericht in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 15. November 2012 in dem dem hiesigen Rechtsstreit vergleichbaren Verfahren 2 K 1743/12 zutreffend entschieden, was vom Antragegner dem Grunde nach auch nicht angezweifelt wird. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe im vorzitierten Urteil Bezug (dort: Urteilsabdruck Seite 12, 4. Absatz, bis Seite 13 Ende 2. Absatz).

Die vom Antragsteller begehrte Akteneinsicht in die externe Stellenbewertung kann der Antragsgegner nicht unter Hinweis auf § 55 Abs. 5 Satz 3 GO NRW ablehnen. Danach darf die Akteneinsicht nur verweigert werden, wenn ihr schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter entgegenstehen.

Solche Belange, die sich namentlich aus den Grundrechten, datenschutzrechtlichen Bestimmungen oder auch aus der Gemeindeordnung selbst ergeben können, sind hier zwar anzunehmen. Durch die begehrte Akteneinsicht werden Belange des Datenschutzes erkennbar betroffen. Dies hat das Verwaltungsgericht in seinem bereits oben zitierten Urteil zutreffend herausgearbeitet.

Bestehen solche Belange, hat der Bürgermeister aber nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob er die begehrte Akteneinsicht gewährt oder nicht. Dies bedarf grundsätzlich der umfassenden Abwägung der beteiligten Interessen. Dabei ist die hohe Bedeutung des Informationsanspruches des Ratsmitglieds als wichtiges Kontrollinstrument im demokratisch organisierten Gemeinwesen in den Blick zu nehmen. Dem ist die Schwere eines aus der begehrten Akteneinsicht resultierenden Eingriffes in die schutzwürdigen Belange Betroffener oder Dritter gegenüberzustellen und zu prüfen, ob und ggf. wie deren Interessen bei Gewährung der verlangten Akteneinsicht hinreichend geschützt werden können.

Ist der erforderliche Schutz der betroffenen Belange möglich, wird die Ermessensentscheidung zu Gunsten des um die Akteneinsicht nachsuchenden Ratsmitglieds auszufallen haben. Als Schutzvorkehrung ist etwa - soweit möglich - an eine Anonymisierung der fraglichen Akte(n) zu denken. Lässt eine Anonymisierung Rückschlüsse auf die von dem Aktenvorgang betroffenen Personen nicht zu, wird in aller Regel Akteneinsicht zu gewähren sein. Kommt eine Anonymisierung nicht in Betracht - z. B. weil dadurch der Akteninhalt unverständlich wird oder weil trotz Anonymisierung ohne großen Aufwand zu ermitteln ist, wer die in dem Vorgang anonymisierten Personen sind -, wird der Bürgermeister weiter in Rechnung zu stellen haben, dass das Ratsmitglied, welches Akteneinsicht begehrt, gemäß § 43 Abs. 2 i. V. m. 30 Abs. 1 GO NRW zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und bei einem Zuwiderhandeln gegen das Verschwiegenheitsgebot gemäß §§ 30 Abs. 6, 29 Abs. 3 GO mit einem Ordnungsgeld bis zu 250,- Euro oder im Falle der Wiederholung mit einem Ordnungsgeld bis zu 500,- Euro belegt werden kann.

Damit sieht die GO NRW mit ihren Regeln über die Verschwiegenheit einen bestimmten Schutzmechanismus für von einer Akteneinsicht betroffene schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter vor. Mit Blick auf diesen Schutzmechanismus wird der Bürgermeister regelmäßig bei durch die begehrte Akteneinsicht hervorgerufenen Eingriffen in schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter, die nicht besonders schwer wiegen, die also auf niedriger Intensitätsstufe stehen, dem geltend gemachten Anspruch nach § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW zu entsprechen haben.

Bei wachsender Eingriffsschwere wird der Bürgermeister jedoch zu prüfen haben, ob den bei einem Akteneinsichtsgesuch zu schützenden Belangen noch durch die Verschwiegenheitspflicht hinreichend Rechnung getragen wird. Insoweit wird in den Blick zu nehmen sein, dass ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht "lediglich" mit einem der Höhe nach doch deutlich begrenztem Ordnungsgeld geahndet werden kann. Strafrechtlicher Schutz scheidet hier grundsätzlich aus (vgl. § 30 Abs. 6 Satz 2 HS 1 GO NRW). Die insoweit vom Ansatz her in Betracht zu ziehenden Vorschriften der §§ 203 Abs. 2 Nr. 1, 204, 201 Abs. 3, 353 b Abs. 1 Nr. 1 StGB greifen in aller Regel nicht ein. Denn Voraussetzung für das Vorliegen der jeweiligen Straftatbestände wäre u. a., dass es sich bei dem um Akteneinsicht nachsuchenden Ratsmitglied um einen Amtsträger im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB handeln würde. Das ist jedoch bei kommunalen Mandatsträgern regelmäßig nicht der Fall.

BGH, Urteil vom 9. Mai 2006 - 5 StR 453/05 -, BGHSt 51, 44 ff.

Mit anderen Worten: Einen Automatismus in dem Sinne, dass jedem Akteneinsichtsgesuch nach § 55 Abs. 1 Satz 1 GO NRW schon deshalb zu entsprechen ist, weil das um die Akteneinsicht nachsuchende Ratsmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, gibt es nicht. Je schwerer der Eingriff in die zu schützende Belange wirkt, desto eher wird allein der Verweis auf die bestehende Verschwiegenheitspflicht nicht ausreichen, um der begehrten Akteneinsicht zu entsprechen. So kann es unter Berücksichtigung der verhältnismäßig gering ausgeprägten Möglichkeiten, einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht zu sanktionieren, u. U. politisch opportun sein, aus einer Akteneinsicht gewonnene Erkenntnisse trotz entsprechenden gemeindeverfassungsrechtlichen Verbots gleichwohl der Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Davon ausgehend ist dem Begehren des Antragstellers, obwohl sein Akteneinsichtsgesuch schutzwürdige Belange Betroffener berührt, nachzukommen. Das Ermessen des Antragsgegners in diesem Zusammenhang ist im Ergebnis auf Null reduziert. Zwar dürften die stellenscharfen Beschreibungen der externen Stellenbewertung Rückschlüsse auf den Stelleninhaber zulassen. Ihnen wird auch entnommen werden können, welche Aufgaben den jeweiligen Stellen zugeordnet werden, wie die Stellen vergütet bzw. besoldet und wie sie tarifrechtlich bzw. besoldungsrechtlich eingruppiert werden. Mit Blick auf diesen Informationsgehalt der in Rede stehenden Daten bewegt sich der mit einer Einsicht in diese einhergehende Eingriff in die Rechte der Betroffenen jedoch auf niedrigster Stufe. Die von der Akteneinsicht Betroffenen werden ausschließlich in ihrer beruflichen Sphäre und dort erkennbar auch nur im Randbereich betroffen. So wird mit einer Einsichtnahme in die begehrten Akten namentlich keine Kenntnisnahme von Daten der Beschäftigten der Gemeinde I. einhergehen, die den inneren Bereich des Fürsorgeverhältnisses zwischen der Gemeinde und ihren Beamten bzw. Bediensteten betreffen (etwa Beurteilungen, Abmahnungen etc.). Nichts anderes ergibt sich daraus, dass es dem Akteneinsicht nehmenden Ratsmitglied ggf. möglich sein wird, aus den begehrten Akten Rückschlüsse auf die Besoldung oder Bezahlung der einzelnen Mitarbeiter der Gemeinde I. ziehen zu können. Gerade im Hinblick auf die bei der Gemeinde beschäftigten Beamten lässt sich dies schon mit Blick auf ihre Amtsbezeichnung unproblematisch ermitteln.

Wiegt damit der in Rede stehende Eingriff in die schutzwürdigen Belange der Beschäftigten der Gemeinde I. im vorliegenden Einzelfall leicht, wird ihren Interessen nach den Darlegungen im Maßstäblichen hinreichend Rechnung getragen durch die den Antragsteller nach erfolgter Akteneinsicht treffende Verschwiegenheitspflicht. Weitergehender Schutzvorehrungen bedarf es hier nicht.

2.) Neben dem Anordnungsanspruch ist außerdem der für die beantragte einstweilige Anordnung zudem erforderliche Anordnungsgrund zu bejahen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es für den Anordnungsgrund in einem Verfahren der vorliegenden Art grundsätzlich nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf ankommt, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft objektiv notwendig bzw. - bei einer hier anstehenden Vorwegnahme der Hauptsache - unabweisbar erscheint.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2012 - 15 B 1308/12 -, NVwZ-RR 2013, 239 f.

Dies ist hier der Fall. Denn der Antragsteller ist auf die begehrte kurzfristige Akteneinsicht zwingend angewiesen, um sich auf die anstehende Vorberatung des Haushaltsplans 2013 im Haupt- und Finanzausschuss am morgigen Donnerstag bzw. auf die am 28. Mai 2013 geplante Beschlussfassung über den Haushaltsplan 2013 im Rat der Gemeinde I. vorzubereiten. Denn die Einsichtnahme in die externe Stellen- und Dienstpostenbewertung der M. gibt Aufschluss darüber, ob die dortigen Bewertungsvorschläge in dem dem Haushaltsplan beizufügenden Stellenplan (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 2 HS 2 GO NRW) Berücksichtigung gefunden haben. Erfolgte die begehrte Akteneinsicht nicht, hätte sich das Begehren nach den Sitzungen erledigt mit der Folge, dass der Anspruch auf Akteneinsicht nach § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Leere ginge.

Dem Bestehen eines Anordnungsgrundes kann der Antragsgegner hier nicht entgegenhalten, dass der Antragsteller in den vorgenannten Sitzungen eine Vertagung der Entscheidungen beantragen könnte, um so in der Zwischenzeit in der Hauptsache um Rechtsschutz nachzusuchen. Zum einen wäre der Ausgang eines solchen Vertagungsantrags ungewiss. Zum anderen fällt aber vor allem ins Gewicht, dass eine Vertagung nur dann den Anordnungsgrund entfallen lassen könnte, wenn sich im Zeitraum der Vertagung noch rechtzeitig Rechtsschutz in der Hauptsache erzielen ließe. Dass ist jedoch mit Blick auf die für den Erlass der Haushaltssatzung geltenden Fristen (vgl. §§ 80, 81 GO NRW) nicht zu erwarten. Somit wäre zu befürchten, dass die vom Antragsteller begehrte Akteneinsicht (auch) im Verfahren für die Aufstellung des Haushaltsplans 2013 leerlaufen würde. Aus demselben Grund kann der Antragsteller auch nicht auf das beim Senat anhängige Berufungsverfahren zu dem Aktenzeichen 15 A 213/13 verwiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, diejenige über Streitwert auf § 47 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.