BGH, Urteil vom 23.03.2001 - 2 StR 488/00
Fundstelle
openJur 2010, 5307
  • Rkr:
Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 2000 wird verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Von Rechts wegen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses in sieben Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

II.

Nach den Feststellungen war der Angeklagte als Polizeioberkommissar in der Funktion eines Truppführers bei einer Zugriffseinheit der Polizei in F. tätig. Zu den Aufgaben dieser Polizeieinheit gehörte unter anderem die Bekämpfung der Straßenkriminalität im F. Bahnhofsviertel.

Im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit hatte der Angeklagte mittels seiner Personalnummer und eines ihm bekannten Codes Zugriff auf den Datenbestand des polizeilichen Informationssystems Hepolis. In dieser von der h. Polizei landesweit betriebenen, mit dem bundespolizeilichen Inpol-Datennetz und dem Zentralen Verkehrsinformationssystem Zevis verbundenen automatisierten kriminalpolizeilichen Sammlung waren personenbezogene Daten von bereits polizeilich in Erscheinung getretenen Personen gespeichert. Hierzu zählten insbesondere Ausschreibungen zur Festnahme, Festnahmedaten sowie Angaben zum ausländerrechtlichen Status. Darüber hinaus enthielt das System fallbezogene Informationen über Straftaten und Angaben zu sonstigen im Rahmen polizeilicher Ermittlungen bekannt gewordenen Umständen. Im Zeitraum von Februar bis Juli 1998 führte der Angeklagte im Auftrag seines in einem Bordell im F. Bahnhofsviertel als Wirtschafter tätigen Freundes N. -in einem Fall für eine mit dem Angeklagten befreundete Prostituierte -in insgesamt sechs Fällen Anfragen zu verschiedenen Personalien in dem Informationssystem Hepolis durch. In vier Fällen (Anklagepunkte 7, 9, 13 und 14) waren zu den abgefragten Personalien keine Einträge in der Datensammlung vorhanden, was der Angeklagte jeweils N. mitteilte. Von den beiden weiteren Abfragen ergab die eine, daß der Inhaber des Bordells, in dem N. tätig war, als Bordellbetreiber registriert war (Anklagepunkt 6), und die andere, daß gegen die abgefragte Person wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt werde (Anklagepunkt 11/12). Auch diese Informationen gab der Angeklagte an die Veranlasser der Abfragen weiter.

Am 28. Mai 1999 hatte der Angeklagte Kenntnis von einer für denselben Tag geplanten Durchsuchung des von N. bewirtschafteten Bordells. In einem Telefongespräch mit N. sprach der Angeklagte die Polizeimaßnahme an und bejahte die von N. konspirativ in verschlüsselter Weise gestellte Frage, ob es nicht besser sei, das Bordell kurzfristig zu schließen. Aufgrund einer Warnung durch N. im Anschluß an dieses Gespräch verließen ca. 15 Prostituierte fluchtartig das Bordell, so daß die anschließende polizeiliche Durchsuchung ergebnislos verlief (Anklagepunkt 16).

III.

1. Der Schuldspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat - entgegen der Auffassung der Revision - zu Recht die Weitergabe der in Hepolis gespeicherten Informationen sowie die Mitteilungen, daß zu den abgefragten Personalien im polizeilichen Datensystem keine Einträge vorhanden waren, jeweils als Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gewertet.

a) Sowohl bei den vom Angeklagten weitergegebenen Daten aus der Datensammlung Hepolis, als auch bei dem mitgeteilten Umstand, daß zu bestimmten Personalien keine Erkenntnisse vorliegen, handelt es sich um Geheimnisse im Sinne des § 353 b Abs. 1 StGB. Beides sind tatsächliche Gegebenheiten, deren Kenntnis wegen der beschränkten Zugriffsmöglichkeit auf das Informationssystem nicht über einen begrenzten Personenkreis hinausgeht (BGH NStZ 2000, 596, 598; BGHSt 10, 108). Das als normatives Element des Geheimnisbegriffes erforderliche Geheimhaltungsbedürfnis ergibt sich aus § 75 Abs. 1 des für den Angeklagten maßgeblichen H. Beamtengesetzes. Nach dieser Vorschrift unterfallen die einem Beamten bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten grundsätzlich der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, sofern sie nicht ausnahmsweise offenkundige oder solche Tatsachen betreffen, die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Letzteres ist dann nicht der Fall, wenn eine Angelegenheit unter irgendeinem Gesichtspunkt aus irgendeinem Grund jetzt oder auch später Bedeutung gewinnen kann, d. h. nicht ganz unbedeutend ist (OVG Münster OVGE 16, 56, 57 f.; Schütz Beamtenrecht des Bundes und der Länder 5. Aufl. Teil C § 64 Rdn. 9; OLG Köln NJW 1988, 2489, 2490). Daß die in den Fällen Anklagepunkt 6 und 11/12 vom Angeklagten in der Datensammlung Hepolis abgerufenen und weitergegebenen Informationen demnach der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht unterfallen, liegt auf der Hand. Dies gilt aber in gleicher Weise auch für die Tatsache, daß in dem polizeilichen Informationssystem keine oder - wie im Anklagepunkt 6 -keine weiteren Daten gespeichert sind. Die Datensammlung Hepolis dient unmittelbar der Wahrnehmung präventiver und repressiver Aufgaben der Polizei. Das Wissen darüber, daß in dem System keine polizeilichen Erkenntnisse gespeichert sind, kann im Einzelfall beispielsweise für Personen, die Straftaten planen oder bereits begangen haben oder die für eine polizeipflichtwidrige Gefahrenlage verantwortlich sind, im Hinblick auf ihr weiteres Verhalten von erheblicher Bedeutung sein. Insbesondere der Auf- und Ausbau organisierter krimineller Strukturen wie hier im "Rotlicht-Milieu" kann durch Informationen über bislang fehlende polizeiliche Erkenntnisse wesentlich gefördert werden, weil es den Beteiligten die Möglichkeit eröffnet, das Kontrollund Aufdeckungsrisiko zu minimieren. Schon diese abstrakte Möglichkeit begründet ein hinreichendes Geheimhaltungsbedürfnis. Hinzu kommt, daß das Fehlen gespeicherter Daten hinsichtlich der Amtsverschwiegenheit nicht anders beurteilt werden kann als die Tatsache einer vorhandenen Datenspeicherung. Wäre einem Beamten die Mitteilung über eine nicht existierende Speicherung im Sinne einer Negativauskunft möglich, während er sich bei vorhandenen Erkenntnissen auf seine Verschwiegenheitspflicht berufen müßte, könnte hieraus, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, wegen der durch ein entweder/oder-Verhältnis gekennzeichneten logischen Verknüpfung beider Gegebenheiten Rückschlüsse auf die Existenz gespeicherter Daten gezogen werden mit der Konsequenz, daß die insoweit gebotene Geheimhaltung nicht mehr gewährleistet wäre. Die hierin liegende Ausforschungsgefahr spricht ebenfalls dafür, auch das Fehlen gespeicherter Daten als geheimhaltungsbedürftige Tatsache anzusehen (zur Ausforschungsgefahr bei Negativauskünften vgl. BVerwG NJW 1990, 2765, 2768; OVG Bremen NJW 1987, 2393, 2395; Mallmann in Simitis/Dammann/Mallmann/Walz, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz 4. Aufl. § 19 Rdn. 85). Daß der Angeklagte seine Kenntnisse aus dem Informationssystem Hepolis dienstpflichtwidrig erlangte, stellt die sich aus § 75 Abs. 1 HBG ergebene Verschwiegenheitspflicht ebensowenig in Frage (Schütz aaO § 64 Rdn. 5) wie die tatbestandliche Voraussetzung des Bekanntwerdens des Geheimnisses als Amtsträger in § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 2883 f.; Träger LK 10. Aufl. § 353 b Rdn. 16).

Hinsichtlich der in der Datensammlung Hepolis gespeicherten personenbezogenen Daten (Anklagepunkte 6 und 11/12) folgt das Geheimhaltungsbedürfnis schließlich auch aus dem in § 9 Satz 1 des H. Datenschutzgesetzes geregelten Datengeheimnis, das den bei datenverarbeitenden Stellen Beschäftigten, welche Zugang zu personenbezogenen Daten haben, jegliche Verwendung dieser Daten zu anderen als den zur jeweiligen rechtmäßigen Aufgabenerfüllung gehörenden Zwecken untersagt.

Weitere Anforderungen sind an ein Geheimnis im Sinne des § 353 b Abs. 1 StGB nicht zu stellen. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 353 b Rdn. 6) erfährt der Geheimnisbegriff insbesondere durch das Erfordernis der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen in § 353 b Abs. 1 StGB keine inhaltliche Einschränkung (BayObLG NStZ 1999, 568 f.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 353 b Rdn. 7; Träger in LK 10. Aufl. § 353 b Rdn. 9; Kuhlen in NK-StGB 4. Lfg. § 353 b Rdn. 14). Bei dem Erfordernis der Interessengefährdung handelt es sich nach dem Wortlaut der Norm um ein selbständiges Tatbestandsmerkmal, welches die Strafbarkeit des unbefugten Offenbarens von Geheimnissen auf Fälle beschränkt, in denen ein hierdurch verursachter tatbestandlich näher umschriebener Gefährdungserfolg eintritt. Für eine Vermengung der Merkmale "Geheimnis" und "Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen" besteht kein sachliches Bedürfnis (Träger aaO). Im Hinblick auf die Vorschrift des § 353 b Abs. 1 Satz 2 StGB, die im subjektiven Tatbestand Vorsatz hinsichtlich des Vorliegens eines Geheimnisses verlangt, während für die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen Fahrlässigkeit ausreicht, ist es vielmehr geboten, beide Tatbestandsmerkmale eigenständig auszulegen.

b) Durch das unbefugte Offenbaren der Ergebnisse der im Informationssystem Hepolis durchgeführten Abfragen wurden jeweils wichtige öffentliche Interessen konkret gefährdet.

Nach den Feststellungen des Landgerichts werden im Bahnhofsviertel von F. in erheblicher Anzahl Bordelle betrieben, in denen zum großen Teil ausländische Frauen der Prostitution nachgehen, die keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland besitzen. Im Umfeld der Prostitutionsausübung ist eine kriminelle Subkultur entstanden, welche die verschiedenartigsten Erscheinungsformen der Kriminalität umfaßt. Zur Bekämpfung dieser Subkultur verfolgt die Polizei unter anderem die Strategie, durch häufige Kontrollen und wenn möglich polizeiliche Zugriffe für eine ständige Verunsicherung bei den illegal der Prostitution nachgehenden Frauen, den hiervon profitierenden Bordellbetreibern und -wirtschaftern sowie sonstigen Straftätern zu sorgen. Die durch die Mitteilungen des Angeklagten verursachte Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen hat die Strafkammer darin gesehen, daß die polizeiliche Strategie, das Milieu durch häufige Kontrollen zu verunsichern, leerläuft und der Polizei damit die Aufgabe der Kriminalitätsbekämpfung wesentlich erschwert wird, wenn Personen aus diesem Umfeld über den sich aus der Datensammlung Hepolis ergebenen Stand der polizeilichen Erkenntnisse informiert sind. Diese Bewertung des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Polizei hat nach § 163 Abs. 1 StPO Straftaten zu erforschen und die zu ihrer Aufklärung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach Maßgabe des H. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung obliegt den Polizeibehörden ferner die Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Im Rahmen der Gefahrenabwehr haben sie gemäß § 1 Abs. 4 HSOG auch zu erwartende Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten besitzt vor allem in Lebensbereichen, in welchen sich kriminogene Strukturen herausbilden und verfestigen, eine erhebliche Bedeutung. Zu dem Instrumentarium, das der Polizei zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Verfügung steht, gehört die in den §§ 13 ff. HSOG vorgesehene Erhebung personenbezogener Daten sowie deren in den §§ 20 ff. HSOG gesetzlich geregelte Speicherung und Verwendung. Werden Informationen über die in der polizeilichen Datensammlung gespeicherten Erkenntnisse unbefugt offenbart, ist dies geeignet, die Erfüllung der der Polizei obliegenden repressiven und präventiven Aufgaben erheblich zu beeinträchtigen. So eröffnet die Mitteilung, ausweislich einer Hepolis-Abfrage werde gegen eine Person wegen bestimmter Delikte ermittelt (Anklagepunkt 11/12), die Möglichkeit einer störenden Einflußnahme Unbefugter auf den Gang des Verfahrens (BGHSt 10, 276, 277). Aber auch die Information, daß im Datensystem der Polizei keine oder keine weiteren Einträge vorhanden sind, gefährdet die polizeiliche Aufgabenerfüllung. Haben Personen, die Straftaten begangen haben oder begehen werden oder die für eine polizeipflichtwidrige Gefahrenlage verantwortlich sind, Kenntnis darüber, daß der Polizei keine Erkenntnisse über sie vorliegen, brauchen sie nicht mit einem polizeilichen Einschreiten zu rechnen. Dieses Wissen beseitigt den durch die verstärkte Kontrolltätigkeit der Polizei zur Bekämpfung des kriminellen Milieus gezielt erzeugten Kontrolldruck mit der Folge, daß die entsprechenden polizeilichen Maßnahmen insoweit wirkungslos bleiben. Hierin liegt eine Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen.

Diese Interessenbewertung steht entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers im Einklang mit dem als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung (grundlegend BVerfGE 65, 1). Bei auf verfassungsgemäßer gesetzlicher Grundlage erfolgender Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist die für die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben grundsätzlich erforderliche Geheimhaltung gespeicherter Informationen ohne weiteres mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar (vgl. BVerwGE 89, 14, 19; BayVerfGH NVwZ 1996, 166, 170). Die Geheimhaltung wird lediglich durch den in den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder oder in bereichsspezifischen Sondervorschriften näher geregelten Auskunftsanspruch des Betroffenen beschränkt.

Die Tatsache, daß der Angeklagte die Ergebnisse der in der Datensammlung Hepolis durchgeführten Abfragen jeweils an Personen aus dem Prostitutionsmilieu des F. Bahnhofsviertels weitergab, die ihn zuvor unmittelbar zu diesen Abfragen veranlaßt hatten und demnach ein Interesse an den entsprechenden Informationen besaßen, rechtfertigt die Annahme einer konkreten Gefahr (BGHSt 20, 342, 348; BayObLG NStZ 1999, 568, 569). Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe läßt sich schließlich entnehmen, daß die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen in Gestalt der effektiven Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben jedenfalls vom bedingten Vorsatz des Angeklagten umfaßt war.

2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit die Revision geltend macht, im Fall Anklagepunkt 16 sei eine Selbstbegünstigungsabsicht des Angeklagten nicht strafmildernd berücksichtigt worden, beruft sie sich auf einen vom Landgericht nicht festgestellten urteilsfremden Umstand, der bei der revisionsrechtlichen Prüfung auf die allein erhobene Sachrüge hin keine Berücksichtigung finden kann.