BGH, Urteil vom 05.11.2001 - II ZR 119/00
Fundstelle
openJur 2010, 5240
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 23. März 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger, Verwalter in dem am 25. Februar 1997 über das Vermögen der L. GmbH eröffneten Konkursverfahren, verlangt von der verklagten Aktiengesellschaft die Zahlung eines Betrages von 378.388,25 DM, den die Gemeinschuldnerin in dem zwischen dem 1. Juli 1990 und 30. Juni 1991 abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschaftet hat. Den Anspruch stützt er auf den Organ-und Ergebnisabführungsvertrag vom 22. Juni 1971, in dem sich die Gemeinschuldnerin den Weisungen der Beklagten unterworfen und zur Führung ihrer Geschäfte für deren Rechnung verpflichtet hat. Dieser Vertrag ist nicht in das Handelsregister eingetragen worden.

Mit Vertrag vom 30. November 1990 veräußerte die Beklagte, die zu diesem Zeitpunkt Alleingesellschafterin der Gemeinschuldnerin war, 75 % ihrer Anteile an die M. GmbH. Am 26. November 1990 hatten die Beklagte und die Gemeinschuldnerin den Organ-und Ergebnisabführungsvertrag mit Wirkung zum 1. Juli 1990 aufgehoben. Da die Beklagte durch die Anteilsveräußerung ihre Mehrheit an der Gemeinschuldnerin verloren hatte, sah sie in der Fortführung dieses Vertrages keinen Sinn mehr. Um einen Gleichklang der Vertragsbeendigung mit dem für die Gemeinschuldnerin maßgebenden Wirtschaftsjahr zu erreichen, wurde die Vereinbarung über die rückwirkende Aufhebung getroffen.

Der Kläger ist der Ansicht, der Organ-und Ergebnisabführungsvertrag habe erst am 30. Juni 1991 geendet. Er hält die Beklagte daher für verpflichtet, den von der Gemeinschuldnerin im Geschäftsjahr 1990/1991 erwirtschafteten Jahresfehlbetrag auszugleichen.

Das Landgericht hat dem Begehren des Klägers nicht entsprochen, das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Übernahme des Verlustes verurteilt. Diese erstrebt mit der Revision die Abweisung der Klage.

Gründe

Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung. Die Beklagte ist lediglich verpflichtet, den von der Gemeinschuldnerin im Geschäftsjahr 1990/1991 erwirtschafteten Jahresfehlbetrag für die Zeit vom 1. Juli bis 26. November 1990 auszugleichen. Für den Rest dieses Geschäftsjahres steht dem Kläger ein solcher Anspruch nicht zu.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der zwischen der Beklagten und der Gemeinschuldnerin abgeschlossene Organund Ergebnisvertrag mangels Eintragung in das Handelsregister nichtig war (BGHZ 105, 324; Sen.Beschl. v. 30. Januar 1992 -II ZB 15/91, ZIP 1992, 395). Wird ein solch nichtiger Vertrag von den beteiligten Gesellschaften durchgeführt, ist er nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft als wirksam zu behandeln (BGHZ 103, 1; 116, 37, 39; a.A. Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht 1998, S. 166 f.). Der Senat hat in diesen Entscheidungen ausgesprochen, daß der vollzogene Vertrag erst endet, wenn sich einer der Vertragspartner auf seine Nichtigkeit beruft. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das herrschende Unternehmen verpflichtet, Verluste der abhängigen Gesellschaft auszugleichen (BGHZ 103, 1, 4 f.; 116, 37, 39).

Im vorliegenden Falle haben die Parteien den Organ-und Ergebnisabführungsvertrag allerdings nicht unter Berufung auf seine Nichtigkeit beendet, sondern deswegen, weil die Beklagte 75 % ihrer Anteile an der Gemeinschuldnerin auf eine andere Gesellschaft übertragen und auf diese Weise ihre Anteilsmehrheit verloren hat. Die Revisionserwiderung meint, im Hinblick auf die inhaltliche Gestaltung dieser Erklärungen sei der Vertrag nicht am 26. November 1990 beendet worden, wie das bei einer Berufung auf die Nichtigkeit der Fall gewesen wäre, sondern frühestens mit Ablauf des 30. Juni 1991. Daraus folge, daß die Beklagte zur vollständigen Zahlung des geltend gemachten Jahresfehlbetrages verpflichtet sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Allerdings ist die Aufhebungsvereinbarung vom 26. November 1990 insoweit nichtig, als ihr die Parteien Rückwirkung zum 1. Juli 1990 beigemessen haben. Nach § 296 Abs. 1 Satz 2 AktG ist die rückwirkende Aufhebung eines aktienrechtlichen Unternehmensvertrages unzulässig. Mit dieser Regelung wird der Schutz der abhängigen Gesellschaft, ihrer Aktionäre und Gläubiger vor der rückwirkenden Beseitigung ihrer aus dem Unternehmensvertrag folgenden Ansprüche bezweckt (vgl. Hüffer, AktG 4. Aufl. § 296 Rdn. 1). Ein solches Schutzbedürfnis der abhängigen GmbH, ihrer Gesellschafter sowie ihrer Gläubiger besteht auch im GmbH-Vertragskonzern. Zwar ist für diesen gesetzlich nicht geregelten Konzern im einzelnen umstritten, ob den Gesellschaftern der abhängigen GmbH Abfindungs-und Ausgleichsansprüche zustehen. Der Entscheidung dieser Frage bedarf es jedoch nicht. Auf jeden Fall ist ein solcher Schutz auch im GmbH-Konzern im Hinblick auf die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich (vgl. § 302 AktG) und zur Sicherstellung der Gläubigerforderungen (vgl. § 303 AktG) zu gewährleisten. Da die Beklagte Alleingesellschafterin der Gemeinschuldnerin war, brauchen im vorliegenden Falle zwar keine Minderheitsaktionäre geschützt zu werden. Jedoch muß auch bei der abhängigen Ein-Mann-GmbH der Schutz ihrer Gläubiger durch Erhaltung des Verlustausgleichsanspruchs und durch Sicherstellung ihrer Forderungen gewährleistet werden. Aus diesem Grunde ist auch in dem Rechtsverhältnis der Beklagten zu der Gemeinschuldnerin die Vereinbarung über die Rückwirkung der Vertragsaufhebung nichtig.

Im Schrifttum ist umstritten, ob bei einer solchen Teilnichtigkeit die Vereinbarung über die Aufhebung des Vertrages für die Zukunft nach § 139 BGB aufrechterhalten oder nach § 140 BGB in ein wirksames Rechtsgeschäft umgedeutet werden kann (zu § 139 BGB vgl. Hüffer aaO, § 296 Rdn. 3; Kölner Komm./Koppensteiner, AktG 2. Aufl. § 296 Rdn. 8; Baumbach/Hueck, AktG § 296 Rdn. 3; von Godin/Wilhelmi, AktG 4. Aufl. § 296 Anm. 3; zu § 140 BGB vgl. Krieger in Münchner Hdb. d. AG, 2. Aufl. § 70 Rdn. 165; Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 296 Rdn. 15; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 6. Aufl. § 15 II 2 b). Für den vorliegenden Fall kann dahinstehen, welcher der beiden Ansichten zu folgen ist; denn nach beiden ist davon auszugehen, daß die Parteien bei Kenntnis der Teilnichtigkeit eine Aufhebung des Vertrages zum nächstmöglichen Zeitpunkt vereinbart hätten. Aus dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten ergibt sich, daß Anlaß für die Vereinbarung die Veräußerung von 75 % der Anteile, welche die Beklagte an der Gemeinschuldnerin hielt, und der damit verbundene Mehrheitsverlust waren. Es sollte einmal erreicht werden, daß der neue Gesellschafter unmittelbar auf die Gewinne der Gemeinschuldnerin zugreifen konnte, zum anderen, daß die Verpflichtung der Beklagten zum Verlustausgleich entfiel, weil die Gemeinschuldnerin nicht mehr ihrer unternehmerischen Kontrolle und Leitung unterstand. Ferner sollten der Beklagten auf diese Weise die steuerlichen Wirkungen des Organ- und Ergebnisabführungsvertrages für die Vergangenheit erhalten bleiben. Die Rückwirkung der Aufhebung ist nur deswegen vereinbart worden, weil ein Gleichklang der Vertragsaufhebung mit dem Ablauf des vorhergegangenen Geschäftsjahres erreicht werden sollte. Wägt man diese Einzelheiten gegeneinander ab, kommt man zu dem Ergebnis, daß die Vereinbarung der Parteien mit der Wirkung der Beendigung des Organ-und Ergebnisabführungsvertrages zum 26. November 1990 aufrechterhalten werden kann. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Parteien der Nichtigkeit des Organ-und Ergebnisabführungsvertrages bewußt waren; entscheidend ist, daß sie nach ihren Vorstellungen den Vertrag auf jeden Fall zum 26. November 1990 beendet hätten. Denn beide gingen davon aus, daß mit der Veräußerung der Anteilsmehrheit an der Gemeinschuldnerin die Geschäftsgrundlage für den Organschaftsvertrag entfallen war und dieser aufgrund dessen aus wichtigem Grund sofort beendet werden konnte. Ob diese für das Steuerrecht anerkannte rechtliche Vorstellung der Parteien zutraf, kann für den vorliegenden Fall aus konzernrechtlicher Sicht dahingestellt bleiben; auf jeden Fall konnte die Durchführung des Vertrages jederzeit aufgrund seiner Nichtigkeit - sei es aufgrund der Erklärung eines Vertragspartners oder der übereinstimmenden Erklärungen beider Vertragspartner -beendet werden. Von einer derartigen Beendigung ist im vorliegenden Falle auszugehen. Nach dem Vortrag der Parteien sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Beklagte über den 26. November 1990 hinaus ein Weisungsrecht ausgeübt oder den Anspruch auf Gewinnabführung nach § 1 des Organ-und Ergebnisabführungsvertrages geltend gemacht hat.

Soweit sich die Revisionserwiderung darauf beruft, die Geltendmachung der Nichtigkeit des Vertrages für die Zukunft habe die Beklagte verwirkt, weil der Vertrag jahrelang durchgeführt worden sei, kann dem nicht gefolgt werden. Bei der Nichtigkeit eines Dauerrechtsverhältnisses der vorliegenden Art wird den Interessen der Beteiligten grundsätzlich dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß das Rechtsverhältnis für die Vergangenheit als wirksam angesehen wird. Eine Wirksamkeit für die Zukunft kann grundsätzlich nicht anerkannt werden. Sie kommt nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, in denen aufgrund besonderer Umstände die Schutzbedürftigkeit einer Partei die Anerkennung des Fortbestandes des Vertrages geboten erscheinen läßt (vgl. BGHZ 65, 190, 194; 114, 127, 136 f.; BGH, Urt. v.

19. Dezember 1988 -II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 296). Derartige Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle nicht ersichtlich.

2.

Die Beklagte beruft sich außerdem auf die Verjährung des Verlustausgleichsanspruchs. Die Erhebung dieser Einrede könnte die Durchsetzung des für die Zeit vom 1. Juli bis zum 26. November 1990 bestehenden Ausgleichsanspruchs berühren. Eine entsprechende Anwendung der kurzen Verjährung der §§ 117 Abs. 6, 309 Abs. 5 und 317 Abs. 4 AktG kommt jedoch nicht in Betracht. Die abhängige Gesellschaft bedarf auch für die Zeit nach Beendigung des Unternehmensvertrages eines gewissen Schutzes. Aus diesem Grunde hat das Gesetz für den Aktienrechtskonzern die besondere Regelung des § 302 Abs. 3 AktG getroffen, nach der die Gesellschaft auf Ausgleichsansprüche frühestens drei Jahre nach Beendigung des Unternehmensvertragesverzichten darf, wobei sie dazu der Zustimmung ihrer außenstehenden Aktionäre bedarf. Im Gesetzgebungsverfahren ist es mit Rücksicht auf die Bedeutung des Ausgleichsanspruchs abgelehnt worden, diese Regelung durch eine Verjährungsfrist von drei Jahren zu ersetzen (vgl. Kropff, AktG 1965 S. 392). Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für den GmbH-Konzern. Es ist daher nicht vertretbar, die für Vertragsansprüche geltende 30-jährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) zu verkürzen (vgl. Kölner Komm./Koppensteiner aaO, § 302 Rdn. 42; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG § 302 Rdn. 55). Der Anspruch ist somit nicht verjährt.

3.

Der dem Kläger zustehende Anspruch ist durch Aufstellung einer Zwischenbilanz zum 26. November 1990 zu ermitteln. Sollte sich der Kläger zur Aufstellung einer solchen Bilanz nicht in der Lage sehen (vgl. dazu LG Oldenburg, Urt. v. 13. Oktober.1999 -12 O 787/99, GA 226, 228, 232), ist das Berufungsgericht gehalten, den Anspruch nach § 287 ZPO zu schätzen.

Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen treffen und eine einheitliche Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch fällen kann.