BGH, Urteil vom 11.07.2001 - VIII ZR 215/00
Fundstelle
openJur 2010, 4791
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. Juli 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Restzahlung für ein Blockheizkraftwerk. Die Beklagte verlangt von der Klägerin die Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde sowie Schadensersatz.

Die Beklagte bestellte bei der Klägerin am 6. Februar 1996 ein Blockheizkraftwerk mit einer Leistung von 200 kVA zum Preis von 114.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Parteien vereinbarten, daß 50% des Kaufpreises Anfang Juli 1996 und weitere 50% bei Lieferung bezahlt werden sollten. Die Beklagte zahlte am 9. August 1996 65.550 DM auf den vereinbarten Kaufpreis. Mit Schreiben vom 24. Februar 1997 verlangte die Beklagte die Rückzahlung des von ihr bereits gezahlten Betrages mit der Begründung, ein wirksamer Vertrag sei nicht zustande gekommen.

Die Klägerin hat Klage auf Zahlung des restlichen Rechnungsbetrages von 66.550 DM erhoben. Die Beklagte hat widerklageweise Schadensersatz in Höhe von zuletzt 124.400 DM verlangt. In der mündlichen Verhandlung am 29. Juli 1997 vor dem Landgericht Ulm verständigten sich die Parteien darauf, daß die Anlage an die Beklagte ausgeliefert werden sollte; im Gegenzug sollte die Beklagte der Klägerin eine Bankbürgschaft über den restlichen Rechnungsbetrag übergeben. Darüber hinaus waren sich die Parteien darüber einig, daß die zweite Hälfte des Kaufpreises nach Abnahme zu bezahlen war oder, falls wegen Mängeln die Anlage nicht abgenommen würde, nach Bestätigung der Mangelfreiheit durch einen Sachverständigen. Die Beklagte übergab der Klägerin -wie am 29. Juli 1997 vereinbart -eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Sparkasse B.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe den Vertrag nicht erfüllt. Das verkaufte Blockheizkraftwerk könne nicht -wie von der Klägerin zugesagt -ohne Änderung des Hausanschlusses der Beklagten zum Parallelbetrieb an das Stromnetz der Stadtwerke B. angeschlossen werden; die erforderliche Drosselung der Leistung reduziere die Lebensdauer der Maschine. Zudem sei der Auftrag an die Klägerin unter dem Vorbehalt der Förderung durch das Hessische Umweltministerium erteilt worden, wobei die Förderung auch erkennbar Vertragsgrundlage für die Beklagte gewesen sei. Die Förderung sei aber bereits bei Vertragsschluß eingestellt gewesen.

Das Landgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen R. zu der Frage eingeholt, ob das verkaufte Blockheizkraftwerk mit dem Leitungsnetz der Stadtwerke B. kompatibel sei und ob durch Reduzierung der Leistung die Effektivität des Blockheizkraftwerks und seine Lebensdauer nennenswert beeinträchtigt werden. Der Sachverständige R., der sein Gutachten schriftlich ergänzt und im erstinstanzlichen Termin vom 22. Dezember 1998 mündlich erläutert hat, ist zu dem Ergebnis gelangt, daß der Einsatz des Blockheizkraftwerks bei der Beklagten "problemlos möglich" sei.

Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung und Ablehnungsandrohung zur Lieferung des Blockheizkraftwerks aufgefordert. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag sowie ihre Widerklage weiter.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Beklagte sei verpflichtet, die restliche vertraglich vereinbarte Vergütung in Höhe von 66.550 DM an die Klägerin zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Blockheizkraftwerks. Die Beklagte befinde sich seit dem 26. Februar 1997 in Annahmeverzug.

Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag sei wirksam zustande gekommen und weder durch die von der Beklagten erklärte Anfechtung noch durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung oder durch Wegfall der Geschäftsgrundlage hinfällig geworden. Die Parteien hätten im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 1997 wirksam und rechtlich verbindlich vereinbart, daß die zweite Hälfte der vereinbarten Vergütung nach Abnahme zu zahlen sei. Obwohl eine Abnahme der von der Klägerin geschuldeten Leistung unstreitig nicht erfolgt sei, sei die Klägerin berechtigt, sogleich Zahlungsklage zu erheben, da das von ihr hergestellte Werk abnahmefähig gewesen sei und die Beklagte die Abnahme grundlos verweigert habe. Die Behauptung der Beklagten, das Blockheizkraftwerk sei unter Belassung des vorhandenen Hausanschlusses nicht an das Leitungsnetz der Stadt B. anzuschließen, sei durch das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen R. ebenso widerlegt wie das Vorbringen, durch eine Reduzierung der Leistung werde die Lebensdauer des Blockheizkraftwerks wesentlich beeinträchtigt. Der Sachverständige habe die gestellten Beweisfragen umfassend und vollständig beantwortet, so daß für die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens im zweiten Rechtszug keinerlei Veranlassung bestanden habe. Dies gelte um so mehr, als sich auch aus der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme des von ihr beauftragten Sachverständigen N. vom 16. Januar 1999 keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, daß die vom gerichtlich beauftragten Sachverständigen R. getroffenen Feststellungen falsch seien.

Auf Anfechtungsgründe könne sich die Beklagte gemäß § 144 Abs. 1 BGB nicht mehr berufen, da sie den Vertrag durch die in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 1997 getroffene Vereinbarung bestätigt habe. Die Klägerin hafte der Beklagten gegenüber auch nicht nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo. Zwar beschränke sich die Bestätigung des § 144 BGB grundsätzlich auf die Beseitigung des Anfechtungsrechts. Allerdings könne die Auslegung ergeben, daß die Bestätigung auch einen Verzicht auf einen Schadensersatzanspruch enthalte. So liege der Fall hier.

Die Beklagte könne sich auch nicht im Hinblick auf die noch geschuldete restliche Vergütung auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen fehlender Unterlagen und Zusatzeinrichtungen berufen. Die Beklagte habe bislang nicht darzulegen vermocht, welche Unterlagen ihr noch fehlten. Die Beklagte könne auch nichts daraus herleiten, daß Meßwertumformer, Übergabeleistungsschalter und Überstromschutz nicht vorhanden seien. Nach den Ausführungen des Sachverständigen R. in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 10. Dezember 1998 seien sämtliche Gerätschaften für den Netzparallelbetrieb in den vorgelegten Schaltplänen eingezeichnet. Es bestehe kein Grund für die Annahme, daß die tatsächliche Ausführung nicht den vorgelegten Plänen entspreche.

Auch die nach der ersten mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtszug eingetretenen Umstände sowie das Verhalten der Klägerin in diesem Zusammenhang rechtfertigten keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Die Beklagte sei auch insoweit nicht berechtigt, gemäß §§ 651 Abs. 1, 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend zu machen. Die Vorleistungspflicht der Klägerin sei aufgrund des Verhaltens der Beklagten entfallen, da die Beklagte ihrerseits ernsthaft und endgültig die Erfüllung des Vertrags verweigert habe. Allein der Umstand, daß die Beklagte in und nach der ersten Berufungsverhandlung wiederum die Lieferung des Blockheizkraftwerks gewünscht habe, könne die Vorleistungspflicht der Klägerin nicht wieder aufleben lassen. Die Klägerin sei auch mit der von ihr geschuldeten Zug-um-Zug-Leistung nicht in Verzug geraten, da die Beklagte bei der Mahnung die Gegenleistung nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten habe.

II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht stützt seine Annahme, das von der Klägerin hergestellte Werk sei mangelfrei im Sinne der Vereinbarung vom 29. Juli 1997 gewesen, entscheidend auf das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen R. Mit Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht den Sachverständigen selbst anhören mußte und sich nicht der erstinstanzlichen Würdigung des Sachverständigengutachtens allein anhand der schriftlichen Stellungnahmen und in Unkenntnis der mündlich hierzu gegebenen Erläuterungen anschließen durfte.

a) Grundsätzlich steht es zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es einen Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens laden will. Die Ermessensentscheidung unterliegt jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung dahin, ob das Berufungsgericht sein Ermessen rechtsfehlerhaft gebraucht hat. Die mündliche Erörterung ist jedenfalls dann geboten, wenn sie zur Klärung von Zweifeln oder zur Beseitigung von Unklarheiten unumgänglich ist (BGH, Urteil vom 27. Mai 1982 -III ZR 201/80, NJW 1982, 2874 unter I. 2.). Auf derartige Zweifel und Unklarheiten hat die Beklagte unter Bezugnahme auf das von ihr vorgelegte Privatgutachten N. sowie eine Stellungnahme der Stadtwerke B. vom 10. November 1999 zu dem Sachverständigengutachten hingewiesen. Dem durfte das Berufungsgericht ohne die Darlegung eigener Sachkunde nicht mit dem bloßen Hinweis auf die Ausführungen des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen, dem weder die Einwände des Privatgutachters N. noch diejenigen der Stadtwerke B. bekannt waren, entgegentreten.

b) Das Berufungsgericht mußte den Sachverständigen aber auch deshalb selbst anhören, weil die Angaben des Sachverständigen bei seiner ausführlichen mündlichen Anhörung in erster Instanz nicht festgehalten worden waren. Das Landgericht hat die Aussage des Sachverständigen bei seiner mündlichen Anhörung nicht protokolliert. Das Protokoll vom 22. Dezember 1998 enthält lediglich den Vermerk: "Der Sachverständige erläutert ausführlich sein Gutachten". Dies entspricht nicht der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO, wonach die Aussage des Sachverständigen im Protokoll festzustellen ist. Das Landgericht hat die Erläuterungen des Sachverständigen auch weder in einem Aktenvermerk oder im Tatbestand des Urteils festgehalten, noch hat es den Inhalt der Erläuterungen des Sachverständigen in den Entscheidungsgründen hinreichend deutlich erkennen lassen, wie es nach ständiger Rechtsprechung ausnahmsweise ausreichen kann (BGH, Urteil vom 24. Februar 1987 -VI ZR 295/85, NJW-RR 1987, 1197 unter II. 2.). Auf die Vorhalte der Beklagten im Verhandlungstermin am 22. Dezember 1998 ist das Landgericht überhaupt nicht eingegangen. Das Berufungsgericht hätte sich deshalb Gewißheit über den Inhalt der Stellungnahme des Sachverständigen verschaffen müssen. Ein Rechtsmittelgericht ist nur dann in der Lage zu prüfen, ob die Einwendungen einer Partei gegen ein Gutachten zutreffend berücksichtigt worden sind, wenn es die Erläuterungen des Sachverständigen im einzelnen kennt und nachvollziehen kann (BGH aaO).

2.

Zu Recht rügt die Revision auch, daß das Berufungsgericht aufgrund des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen ist, das von der Klägerin hergestellte Blockheizkraftwerk sei "abnahmefähig" gewesen. Das Landgericht hatte den Gegenstand des Sachverständigengutachtens von vornherein auf die Fragen beschränkt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Blockheizkraftwerk an das Leitungsnetz der Stadtwerke B. unter Benutzung des vorhandenen Hausanschlusses der Beklagten angeschlossen werden könne und ob aufgrund einer Reduzierung der Leistung gegebenenfalls die Effektivität und die Lebensdauer beeinträchtigt wären. Der Sachverständige hat folgerichtig das Blockheizkraftwerk nicht selbst untersucht, sondern sich nur mit den diesbezüglichen Unterlagen und Schaltplänen befaßt. Zur Mangelfreiheit des Kraftwerks im übrigen, die sich erst nach Aufstellung und Inbetriebnahme feststellen ließe, enthält sein Gutachten dementsprechend keine Angaben.

3.

Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht hätte dem Vorbringen der Beklagten nachgehen müssen, die Klägerin habe nicht alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt, greift ebenfalls durch. Zu Recht verweist die Revision auf das Schreiben der Stadtwerke B. vom 25. März 1998, worin die erforderlichen anlagespezifischen Unterlagen aufgeführt sind. Von dem Grundstückslageplan abgesehen, waren diese von der Klägerin als Herstellerin des Heizkraftwerks beizubringen. Daß sie gefehlt haben, hat die Beklagte vorgetragen und des weiteren durch das im Termin vom 15. November 1999 übergebene Schreiben der Stadtwerke vom 10. November 1999 belegt. Zutreffend rügt die Revision in diesem Zusammenhang, daß das Berufungsgericht der Beklagten einen Hinweis hätte geben müssen (§ 139 ZPO), wenn es wegen der Erwähnung des Lageplans insgesamt Zweifel daran hatte, daß die sonstigen Unterlagen von der Klägerin zu erstellen gewesen wären.

III. Das Berufungsurteil beruht auf den aufgezeigten Verfahrensfehlern. Der Rechtsstreit war deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.