LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.11.2012 - 5 Sa 17/12
Fundstelle
openJur 2013, 6197
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Beklagten wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen noch ein – derzeit unstreitig allerdings nicht aktiv durchgeführtes – Arbeitsverhältnis besteht.

Der im Mai 1962 geborene Kläger ist im Juni 1986 von einer Rechtsvorgängerin der Beklagten eingestellt worden. Gemäß weiterem Arbeitsvertrag vom 16. April 1991 (Kopie als Anlage K 2 überreicht, hier Blatt 6) war der Kläger ab Januar 1991 bei der Deutschen Bundespost Telekom als vollbeschäftigter Arbeiter weiter tätig. Gemäß Punkt 2 des Arbeitsvertrages gelten die für das in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannte Gebiet vereinbarten Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost Telekom (TV Ang (Ost) bzw. TV Arb (Ost)) und der sonstigen für das genannte Gebiet vereinbarten Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost Telekom in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.

Im Zuge der Privatisierung der Deutschen Bundespost ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien 1994 entstanden. Bei der Beklagten war der Kläger zuletzt in die Entgeltgruppe T 7 des Entgeltrahmentarifvertrages (ERTV) eingruppiert. In der Gruppenstufe 4 erzielte er ein jahresdurchschnittliches monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 4.379,23 Euro.

Auf Basis des Tarifvertrages Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung vom 29. Juni 2002 (TV Ratio – in der Fassung vom 1. März 2004 als Abdruck zur Akte gereicht, hier Blatt 46 ff) ist der Kläger zum 1. März 2004 in den Vermittlungs- und Qualifizierungsbetrieb V. der Beklagten versetzt worden. Von dort sollte der Kläger zum Jahreswechsel 2004/2005 zu einer Tochtergesellschaft versetzt werden, die die Beklagte im Einvernehmen mit den Gewerkschaften gegründet hatte, um ein vollständiges Outsourcing der Arbeiten zu verhindern ("Geschäftsmodell" nach Anlage 8 zum TV Ratio). Um die Versetzung in die V. T. S. GmbH & Co. KG (im Folgenden VTS) zu bewerkstelligen, legte die Beklagte dem Kläger in diesem Zusammenhang den dreiseitigen Vertrag zur Auflösung und Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses (Kopie als Anlage K 3 überreicht hier Blatt 7 ff) vor, der von Seiten der Beklagten und von Seiten VTS unter dem 17. November 2004 bereits unterzeichnet war. Der Kläger hat allerdings die Unterzeichnung dieses Vertrages abgelehnt.

Unterzeichnet hat der Kläger dann nur den Arbeitsvertrag der ihm von VTS vorgelegt wurde, und der von VTS ebenfalls bereits unter dem 17. November 2004 unterzeichnet war (Kopie hier Blatt 10 ff). Der Kläger hat diesen Vertrag im Dezember 2004 unterzeichnet. Der Darstellung der Beklagten die anderslautende Datumsangabe bei der klägerischen Unterschrift sei falsch, ist der Kläger nicht entgegengetreten. Bei seiner Unterschrift hat der Kläger handschriftlichen einen Zusatz mit folgendem Wortlaut angebracht:

"Ich schließe diesen Arbeitsvertrag unter dem Vorbehalt, dass es sich um ein zumutbares Angebot nach TV Ratio der DTAG handelt; meine tarifvertraglichen Ansprüche aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis mit der DTAG korrekt gewährt werden, die Regelungen aus dem Tarifvertrag Beschäftigungsbündnis bei der DTAG eingehalten werden [und] der Arbeitsvertrag rechtmäßig ist."

Einige Monate nach Arbeitsaufnahme bei der VTS zum Jahresbeginn 2005 erhielt der Kläger von der Beklagten unter dem 6. Mai 2005 ein Anschreiben, das nicht in Kopie zur Akte gereicht wurde, in dem es aber unstreitig heißen soll:

"Gemäß den tarifvertraglichen Bestimmungen der Anlage 8 des TV Ratio sind Sie insoweit ihrer Verpflichtung nachgekommen, ein Arbeitsverhältnis mit der V. T. S. GmbH & Co. KG (VTS) aufzunehmen. Wir bedanken uns an dieser Stelle für Ihre bisherige Tätigkeit bei der Deutschen Telekom AG, die mit Annahme des Vertragsangebots im Geschäftsmodell zum 01.01.2005 ihr Ende gefunden hat.Für ihre Zukunft wünschen wir Ihnen alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer neuen Tätigkeit."

Einige Jahre später wurde der Geschäftsbetrieb der VTS sodann im Januar 2008 auf die N. S. N. S. Deutschland GmbH & Co. KG (im Folgenden NSN) überführt. Ob dies durch eine Veräußerung der Anteile an der VTS und die Umfirmierung dieses Unternehmens erfolgt ist, oder ob es zu einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang von VTS auf NSN gekommen ist, oder ob sich die Überleitung gar aus beiden Elementen zusammengesetzt hat, konnte nicht aufgeklärt werden. Bei NSN ist der Kläger noch heute tätig.

Die Zukunft des Arbeitsplatzes des Klägers bei NSN ist unsicher. Daher hat sich der Kläger darauf besonnen, dass möglicherweise – jedenfalls auf dem Papier – noch ein Arbeitsverhältnis zu seinem Vorvorarbeitgeber DTAG, der hiesigen Beklagten, bestehe. Der Kläger hat daher der Beklagten mit Schreiben vom 28. Januar 2011 förmlich mitgeteilt, dass er an dem Arbeitsverhältnis mit ihr festhalte wolle. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 8. März 2011 (Kopie hier Blatt 14), dass sich die Frage nach dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht stelle. Auf das nachfolgende Schreiben des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 23. Juni 2011 mit der Bitte, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses schriftlich zu bestätigen, reagierte die Beklagte nicht.

Darauf hat der Kläger die vorliegende Klage anhängig gemacht, die im Juli 2011 beim Arbeitsgericht Schwerin eingegangenen ist. Mit der Klage erstrebt der Kläger die gerichtliche Feststellung, dass zwischen den Parteien (noch immer) ein Arbeitsverhältnis besteht.

Das Arbeitsgericht Schwerin hat mit Urteil vom 1. Dezember 2011 (6 Ca 1278/11) im Sinne des Klägers festgestellt, dass das am 16. Juni 1986 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht, und hat die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. – Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit der Berufung, die keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, verfolgt die Beklagte nach wie vor das Ziel der Abweisung der Klage.

Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil in allen seinen wesentlichen Punkten an. Sie hält die Feststellungsklage bereits für unzulässig. Es fehle das rechtlich anerkannte Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses, da der Kläger derzeit aus dem Rechtsverhältnis keine Rechte ableiten wolle. Damit bestehe auch kein Streit zwischen den Parteien, der einer gerichtlichen Klärung bedürfe, so dass die verlangte gerichtliche Entscheidung einem bloßen Rechtsgutachten gleichkomme. Außerdem weist die Beklagte auf den Vorrang der Leistungsklage vor der Feststellungsklage hin.

Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Zwischen den Parteien bestehe kein Arbeitsverhältnis mehr. Die gegenteilige Auffassung des Arbeitsgerichts vermöge nicht zu überzeugen. Das Arbeitsverhältnis zur Beklagten habe auf tarifvertraglicher Basis ohne Zutun der Parteien durch den Wechsel des Klägers zur VTS zum Jahreswechsel 2004/2005 automatisch geendet. Nach dem TV-Ratio sei es Ziel gewesen, dem Kläger einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln. Dies setze denknotwendig einen Vertragswechsel in dem Sinne voraus, dass anlässlich der Vermittlung das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ende und ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Geschäftsmodell, also dem neuen Arbeitgeber (hier VTS), begründet werde. Dies ergebe sich nicht nur aus der Gesamtsystematik des Vermittlungsprozesses in Anlage 8 des TV Ratio, sondern expressis verbis auch aus der Protokollnotiz zu § 3 Absatz 1 Anlage 8 TV Ratio. Das in der Protokollnotiz benannte Recht auf "Wiederbegründung" setze begrifflich eine zwischenzeitliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus.

Sollte auf dem Papier noch ein Arbeitsverhältnis bestanden haben, so habe der Kläger jedenfalls das Recht verwirkt, sich auf dieses Rechtsverhältnis zu berufen. Da der Kläger über sechs Jahre lang nicht auf das angebliche Arbeitsverhältnis zur Beklagten zurückgekommen sei, sei jedenfalls das Zeitmoment für eine Verwirkung erfüllt. Das Umstandsmoment sei ebenfalls erfüllt, denn der Kläger habe weder auf das Dankes- und Verabschiedungsschreiben der Beklagten vom 6. Mai 2005 reagiert, noch habe er in Zusammenhang mit dem Entstehen des Arbeitsverhältnisses zur NSN im Jahre 2008 gegenüber der Beklagten klargestellt, dass man sich nach wie vor eines Arbeitsverhältnisses zu ihr berühme. Jedenfalls sei es der Beklagten nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis als noch bestehend zu behandeln. Denn der TV-Ratio enthalte nicht nur Rechte der Beschäftigten, sondern auch Pflichten. Sie, die Beklagte, habe alle ihre Pflichten aus dem TV-Ratio dem Kläger gegenüber erfüllt; jetzt müsse der Kläger auch bereit sein, seinerseits entsprechend der Konzeption des TV-Ratio seine Pflichten zu erfüllen. Daher müsse er akzeptieren, dass er nur noch in einem Arbeitsverhältnis zur NSN stehe. Dies sei die Zielstellung der Anlage 8 zum TV-Ratio und der dort vorgesehenen Geschäftsmodelle gewesen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält seine Klage für zulässig, da der Bestand des Arbeitsverhältnisses von der Beklagten infrage gestellt werde. Aufgrund der Arbeitsplatzunsicherheit bei der NSN habe er auch ein rechtlich anerkanntes Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger verteidigt auch im Übrigen das arbeitsgerichtliche Urteil. Der Beklagten sei es nicht gelungen, einen formgültigen Beendigungstatbestand für das Arbeitsverhältnis der Parteien darzulegen. Eine "tarifkonstitutive" Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluss des Arbeitsvertrages mit der VTS in Anwendung des TV Ratio Ende 2004 sei abwegig. Weder sei der TV-Ratio in diesem Sinne auszulegen, noch hätten die Tarifvertragsparteien überhaupt die Macht, abweichend vom staatlichen Gesetz die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu verfügen.

Der Kläger hält seine Klage auch nicht für verwirkt oder rechtsmissbräuchlich. Er meint, das neben dem Zeitmoment erforderliche Umstandsmoment sei keinesfalls erfüllt. Bloßes Schweigen im Rechtsverkehr stelle grundsätzlich keine Willenserklärung dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht Schwerin hat mit zutreffenden Erwägungen, denen sich das Berufungsgericht ausdrücklich anschließt, die vom Kläger begehrte Feststellung zum Bestand eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien getroffen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

I.

Die Feststellungsklage ist zulässig.

Gemäß § 256 Absatz 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Beklagte stellt das Bestehen des Rechtsverhältnisses in Frage. Schon das begründet das Feststellungsinteresse. Die gerichtliche Entscheidung ist auch nicht bloß ein Gutachten zu einer Rechtslage, das keine Konsequenzen im Verhältnis der Parteien hat. Denn der Arbeitsplatz des Klägers bei der NSN ist vom Wegfall bedroht, so dass der Kläger alsbald in die Lage kommen könnte, Rechte aus dem streitigen Arbeitsverhältnis geltend machen zu müssen. Ein Vorrang der Leistungsklage vor der Feststellungsklage ist in dieser Allgemeinheit nicht anerkannt. Eine Feststellungsklage wird jedenfalls immer dann für zulässig erachtet, wenn eine Leistungsklage den Konflikt der Parteien nur unzureichend beenden könnte. Das ist hier der Fall. Würde der Kläger auf die Erfüllung einzelner Ansprüche aus dem streitigen Arbeitsverhältnis klagen, könnte die vorgelagerte Frage, ob zwischen den Parteien überhaupt noch ein Arbeitsverhältnis besteht, nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Leistungsklage würde daher den Konflikt nicht umfassend lösen können.

Es mag sein, dass die begehrte Feststellung ebenfalls nicht in der Lage sein wird, umfassend für Rechtsfrieden im Arbeitsverhältnis der Parteien zu sorgen, denn noch ist völlig unklar, unter welchen Bedingungen das Arbeitsverhältnis wieder aktiviert werden kann. Gleichwohl kann das vorliegende Urteil dazu beitragen, den Streit der Parteien zu klären, denn sollte das vorliegende Urteil in Rechtskraft erwachsen, können sich die Parteien auf die Folgefrage konzentrieren, wer von ihnen unter welchen Bedingungen Rechte aus dem Arbeitsverhältnis ableiten kann.

II.

Die Klage ist auch begründet. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Das 1986 begründete Arbeitsverhältnis, das später lange Jahre zwischen den Parteien des Rechtsstreits fortgeführt wurde, besteht auch heute noch zwischen ihnen. Das folgt daraus, dass es der Beklagten nicht gelungen ist, einen vom Gesetz anerkannten Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schlüssig darzulegen.

1. Das Arbeitsverhältnis ist nicht zum Jahreswechsel 2004/2005 per Gesetz nach § 613a BGB von der Beklagten auf die VTS übergegangen. Zu einem solchen Betriebsübergang ist nichts vorgetragen. Es ist schon nicht ersichtlich, welche betriebliche Einheit der Kläger zuzuordnen gewesen wäre und aufgrund welcher Umstände diese auf die VTS übergegangen ist. Auch der Versuch der Beklagten, das Arbeitsverhältnis durch den letztlich vom Kläger nicht unterzeichneten dreiseitigen Vertrag zu beenden, spricht gegen das Vorliegen eines Betriebsübergangs. Denn im Rahmen eines Betriebsübergangs wäre ein solcher Vertrag überflüssig gewesen. Diese Bewertung des Sachverhalts durch das Arbeitsgericht ist im Rahmen der Berufung nicht durch Vortrag weiterer Tatsachen in Frage gestellt worden.

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch Rechtsgeschäft beendet worden. Es ist weder ersichtlich, dass das Arbeitsverhältnis formwirksam im Sinne von § 623 BGB schriftlich gekündigt wurde, noch ist ersichtlich, dass es durch einen schriftlichen Aufhebungsvertrag formwirksam im Sinne von § 623 BGB beendet wurde.

a) Weder die Beklagte noch der Kläger haben ihr Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet. Insbesondere kann man das Verabschiedungs- und Dankesschreiben der Beklagten vom 6. Mai 2005 nicht als eine Kündigungserklärung auslegen. Eine Kündigung muss zweifelsfrei erklärt werden. Mit ihr muss eindeutig ausgedrückt werden, dass derjenige, welcher die Erklärung abgibt, das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt beenden möchte. Ein solcher Inhalt kann dem Schreiben vom 6. Mai 2005 nicht entnommen werden. Das Wort "Kündigung" wird nicht erwähnt. Es wird auch nicht auf andere Art und Weise zum Ausdruck gebracht, dass das Arbeitsverhältnis infolge dieser Erklärung beendet sein soll. Es wird vielmehr darauf verwiesen, dass die "Tätigkeit" des Klägers bei der Beklagten ihr Ende gefunden habe. Eine rückwirkende Kündigung kann hierin nicht gesehen werden.

b) In diesem Schreiben kann aber auch kein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages erblickt werden, das der Kläger in der Folgezeit konkludent angenommen hat.

Es fehlt bereits an dem rechtsgeschäftlichen Willen der Beklagten, durch dieses Schreiben ein noch bestehendes Arbeitsverhältnis beenden zu wollen. Der Text erschöpft sich entweder in der bloßen Übermittlung von Dank und Glückwünschen für die Zukunft. Dann kann es sich ohnehin nicht um ein rechtsgeschäftliches Angebot handeln. Soweit die Beklagte mit dem Schreiben weitere Ziele verfolgt haben sollte, können diese jedenfalls nicht in der Abgabe eines Angebots auf Aufhebung des Arbeitsvertrages erblickt werden, denn die Beklagte geht ausweislich des Textes davon aus, dass das Arbeitsverhältnis bereits beendet sei.

Es gibt auch keine Ereignisse, aus denen die Beklagte schließen konnte und durfte, der Kläger sei mit dem Angebot auf Aufhebung des Arbeitsverhältnisses einverstanden. Denn der Kläger hat auf das Schreiben keine Reaktion gezeigt. Bloßes Schweigen stellt im Rechtsverkehr allerdings grundsätzlich keine Willenserklärung dar. Die Frage braucht im Übrigen nicht weiter vertieft zu werden, da es dem – nicht schlüssig vorgetragenen – Aufhebungsvertrag auch an dem Schriftlichkeitserfordernis aus § 623 BGB mangelt.

c) Der Kläger hat sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten auch nicht dadurch rechtsgeschäftlich beendet, dass er den Arbeitsvertrag mit der VTS mit Wirkung zum 1. Januar 2005 abgeschlossen hat. Dieser Vertrag enthält keinerlei Regelung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten und es ist auch nicht ersichtlich, dass die VTS in Vertretung der Beklagten aufgetreten wäre.

3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat auch nicht automatisch durch Erfüllung eines tariflich normierten Tatbestandes geendet. Denn dem TV-Ratio lässt sich ein solcher automatisch wirkender Beendigungstatbestand nicht entnehmen.

Die Beklagte beruft sich insoweit auf die Anlage 8 zum TV-Ratio und dort auf die Regelung zur Wiederbegründung eines Arbeitsverhältnisses für den Fall des Scheiterns des Geschäftsmodells (Protokollnotiz zu § 3 Absatz 1 der Anlage 8 des TV-Ratio). Sie meint, wenn dort von einer "Wiederbegründung" des Arbeitsverhältnisses die Rede sei, seien die Tarifvertragsparteien offensichtlich davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis zur Beklagten mit der Versetzung in eines der Geschäftsmodelle beendet werden müsse, denn ansonsten sei es überflüssig, Regelungen zur Wiedereinstellung für den Fall des Scheiterns des Geschäftsmodells vorzusehen.

Diese Argumentation ist nicht schlüssig. Selbstverständlich sind die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, dass mit der Aufnahme der Tätigkeit in einem der Geschäftsmodelle das Arbeitsverhältnis zur Beklagten enden sollte. Der Tarifvertrag enthält jedoch selbst keine Regelung des Beendigungstatbestandes. Die Beendigung sollte vielmehr rechtsgeschäftlich bewirkt werden, was aber im vorliegenden Falle gescheitert war.

Wenn die Beklage es zur Jahreswende 2004/2005 in Kauf genommen hatte, wegen des betrieblichen Bedürfnisses an einer zügigen Weiterbeschäftigung des Klägers bei der VTS die Vertragslage im Unklaren zu lassen, hat sie die Ursache dafür gesetzt, dass sich die Dinge nicht so entwickelt haben, wie sich das die Verfasser des TV-Ratio in Zusammenhang mit der Idee der Geschäftsmodelle vorgestellt hatten.

Denknotwendig ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten für die Aufnahme der Tätigkeit bei der VTS jedenfalls nicht. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen. Es ist rechtlich ohne weiteres möglich, gleichzeitig in zwei Arbeitsverhältnissen zu unterschiedlichen Arbeitgebern zu stehen. Soweit daraus Leistungshindernisse des Arbeitnehmers entstehen, sind diese mit den üblichen Mitteln im Arbeitsverhältnis zu klären.

4. Das Recht des Klägers, sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zu berufen, ist auch nicht verwirkt.

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruches nicht mehr zuzumuten ist (LAG Schleswig-Holstein 5. Oktober 2010 – 3 Sa 110/10 -, Abdruck hier Blatt 81 ff).

Vorliegend hat der Kläger sein Recht etwas mehr als sechs Jahre nicht geltend gemacht. Ob damit das Zeitmoment erfüllt ist, kann dahinstehen, denn jedenfalls fehlt es am Umstandsmoment. Die Beklagte hat nämlich keine Tatsachen dargelegt, nach denen sie darauf vertrauen durfte, dass der Kläger das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nicht mehr geltend machen werde. Das bloße Schweigen des Klägers ist nicht geeignet, das erforderliche Umstandsmoment zu begründen. Der Kläger hat keine Tatsachen gesetzt, welche bei der Beklagten einen Vertrauenstatbestand dahin hätten erwecken können, der Kläger halte nicht mehr an seinem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fest. Aufgrund der Weigerung des Klägers, den dreiseitigen Vertrag zur Auflösung und Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses zu unterzeichnen, wusste die Beklagte vielmehr, dass der Kläger es ablehnt, das Arbeitsverhältnis zu ihr zu beenden. Unter diesen Umständen konnte sie aus dem Schweigen des Klägers erst recht nicht den Schluss ziehen, er werde sich nicht mehr auf einen Bestand des Arbeitsverhältnisses zu ihr berufen.

Der Kläger hat auch nicht durch die Hinnahme des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf die NSN einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Denn der Kläger steht derzeit gleichzeitig in zwei unabhängig voneinander bestehenden Arbeitsverhältnissen. Veränderungen in dem einen Arbeitsverhältnis ergeben keine Verpflichtung des Klägers, darüber den Arbeitgeber im anderen Arbeitsverhältnis zu unterrichten.

Im Übrigen ist es der Beklagten auch nicht unzumutbar, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Denn die Beklagte hat selbst in erheblichem Umfang dazu beigetragen, dass es nicht wie tariflich vorgesehen zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zu ihr zum Jahreswechsel 2004/2005 gekommen war. Denn die Beklagte hat dem betrieblichen Interesse der Handlungsfähigkeit der VTS zum 1. Januar 2005 Priorität eingeräumt und hat es verabsäumt, das Rechtsverhältnis zum Kläger formwirksam zu beenden, bevor er seine Tätigkeit bei der VTS aufnimmt. Die Beklagte ist sehenden Auges das Risiko eingegangen, dass der Kläger auf das Arbeitsverhältnis mit ihr zurückkommen wird und hat allenfalls gehofft, dass sich das Problem aussitzen lässt oder auf sonstige Weise zufällig erledigen würde.

III.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hatte

97 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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