Hamburgisches OVG, Beschluss vom 03.12.2012 - 4 Bs 200/12
Fundstelle
openJur 2013, 2512
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. August 2012 geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 1. Dezember 2012 bis zu einer bestandskräftigen, rechtskräftigen oder klagabweisenden Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 28. Februar 2013, vorläufig Ausbildungsförderung nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes für sein Studium im Bachelorstudiengang Maschinenbau/Energie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nach Überschreiten der Altersgrenze zu bewilligen.

Der am ... Oktober 1979 in Kasachstan geborene Antragsteller übersiedelte im Jahr 2002 in die Bundesrepublik. Nach der Absolvierung eines Deutschkurses von August 2002 bis Juni 2003 und einer Berufsvorbereitung zwischen August 2003 und Juli 2004 absolvierte er ab September 2004 bis Juni 2007 eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik. Im November 2005 kam seine Ehefrau in die Bundesrepublik. Am 11. Juni 2007 wurde sein Sohn geboren. Von Juni 2007 bis Juni 2009 ging der Antragsteller einer Erwerbstätigkeit nach. Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit zwischen Juni und Anfang Oktober 2009 arbeitete er vom 5. Oktober bis Ende Dezember 2009 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden bei der Firma A.

Von Januar 2010 bis Dezember 2011 absolvierte der Antragsteller ein Studienkolleg mit dem Abschluss Abitur. Seit dem Sommersemester 2012 studiert der Antragsteller an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Maschinenbau/ Energie- und Anlagensysteme.

Seinen im Januar 2012 gestellten Antrag auf Leistungen nach dem BAföG lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. März 2012 ab und wies seinen hiergegen eingelegten Widerspruch vom 26. März 2012 mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2012 zurück. Der Antragsteller habe die für die Förderungsfähigkeit der Ausbildung geltende Altersgrenze überschritten und eine Ausnahmeregelung komme für ihn nicht zur Anwendung, da er nach Erreichen der Altersgrenze und während der Zeit, in der er sein Kind erzogen habe, von Oktober bis Dezember 2009 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von durchschnittlich 37 Stunden erwerbstätig gewesen sei.

Hiergegen hat der Antragsteller am 14. Juni 2012 Klage erhoben und am 31. Juli 2012 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er habe nur in der Zeit von Oktober 2009 bis Dezember 2009 mehr als 30 Wochenstunden gearbeitet. Seit dem Beginn des Studienkollegs sei es deutlich weniger. Die Beschäftigung mit mehr als 30 Wochenstunden habe er nur aufgenommen, damit seine Familie weniger auf Sozialleistungen angewiesen sei. Alleinerziehende dürften auch dann mehr als 30 Wochenstunden arbeiten, wenn dadurch die Höhe der Leistungen nach dem SGB II verringert werde. Dies habe auch für ihn zu gelten. Der Verweis auf Alleinerziehende in § 10 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2, 3 BAföG stelle lediglich einen im Gesetzestext ausdrücklich genannten Beispielsfall einer Verhinderung aus familiären Gründen dar. Dies ergebe sich schon aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“. Daraus folge, dass die Regelung auch auf Verheiratete anzuwenden sei, wenn hierdurch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen vermieden werden könne. Auch sei seine bestehende Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Kind und seiner Ehefrau zu berücksichtigen. Schließlich sei die kurzfristige Beschäftigung mit mehr als 30 Wochenstunden auch nicht kausal für den Hinderungsgrund gewesen, da ein früherer Beginn des Sonderlehrgangs, durch den er die Allgemeine Hochschulreife erworben habe, nicht möglich gewesen sei. Mit dem Lehrgang habe er erst nach dem Verlust des Arbeitsplatzes beginnen können.

Mit Beschluss vom 7. August 2012 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG werde Ausbildungsförderung nicht geleistet, wenn der Auszubildende – wie der Antragsteller – bei Beginn der Ausbildung das 30. Lebensjahr vollendet habe. Eine Ausnahme hiervon nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG komme nicht in Betracht, da das Studienkolleg Hamburg keine der dort genannten Ausbildungsstätten sei. Auch § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG sei nicht einschlägig, weil die Fiktion nach dem zweiten und dritten Halbsatz der Vorschrift nicht vorliege, da der Antragsteller nicht durchgehend nicht mehr als 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig gewesen und auch nicht alleinerziehend gewesen sei. Auch der Grundtatbestand nach dem ersten Halbsatz der Vorschrift werde vom Antragsteller nicht erfüllt. Der Antragsteller sei nicht aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert gewesen, vor der Vollendung seines 30. Lebensjahres eine Ausbildung aufzunehmen. Der Antragsteller hätte anstelle der Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik das Studienkolleg besuchen und dadurch die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium erlangen können. Dieses Ergebnis entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers und verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Differenzierung im dritten Halbsatz des § 10 Abs. 3 Nr. 3 BAföG zwischen alleinerziehenden und die Kinder gemeinsam erziehenden Eltern sei sachgerecht und eine weitergehende verfassungskonforme Auslegung nicht geboten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) ist die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern. Die Antragsgegnerin ist antragsgemäß zu verpflichten, das Studium des Antragstellers einstweilen zu fördern. Der Antragsteller hat mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO), dass er aus finanziellen Gründen dringend auf Ausbildungsförderung angewiesen ist und dass ihm der geltend gemachte Anspruch auch der Sache nach zusteht.

Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG, obwohl er bei Beginn seiner Ausbildung im März 2012 bereits das 30. Lebensjahr vollendet und damit die hier maßgebliche Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten hatte. Der Antragsteller kann sich auf die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG berufen (1.). Er erfüllt auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG (2.). Die getroffene Regelung ist antragsgemäß auf den Zeitraum vom Beginn des Monats der gerichtlichen Entscheidung bis zum Ende des Bewilligungszeitraums zu begrenzen (3.).

1. Der Antragsteller kann sich auf die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG berufen. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 BAföG gilt die Altersgrenze dann nicht, wenn Auszubildende aus persönlichen oder familiären Gründen gehindert waren, den Ausbildungsabschnitt rechtzeitig zu beginnen. Das ist nach dem zweiten Halbsatz der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn sie bei Erreichen der Altersgrenzen bis zur Aufnahme der Ausbildung ein eigenes Kind unter zehn Jahren ohne Unterbrechung erziehen und während dieser Zeit bis zu höchstens 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig sind. Nach dem dritten Halbsatz dürfen Alleinerziehende auch mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig sein, um dadurch Unterstützung durch Leistungen der Grundsicherung zu vermeiden. Der Antragsteller unterfällt zwar nicht der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 BAföG (a). Auf den Fall des Antragstellers ist jedoch § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG entsprechend anzuwenden (b).

a) Der Antragsteller unterfällt nicht der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 BAföG.

Der Antragsteller hat zwar in der Zeit vom 17. Oktober 2009 (seinem 30. Geburtstag) bis zur Aufnahme der Ausbildung im März 2012 ein eigenes Kind unter zehn Jahren erzogen. Er war aber in dieser Zeit nicht bis zu höchstens 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt erwerbstätig, sondern hat in der Zeit von Oktober 2009 bis Dezember 2009 mehr als 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt gearbeitet.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist hinsichtlich der Grenze für die Erwerbstätigkeit nicht auf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im gesamten Zeitraum nach Erreichen der Altersgrenze bis zur Aufnahme der Ausbildung (hier von Oktober 2009 bis März 2012) abzustellen, sondern auf jeden einzelnen Monat. Für diese Auslegung spricht schon der Wortlaut der Vorschrift, der die 30 „erlaubten“ Wochenstunden auf den Monatsdurchschnitt bezieht, und es somit zulässt, dass der Auszubildende wochenweise in einem Monat mehr als dreißig Stunden erwerbstätig ist, wenn in dem jeweiligen Monat im Schnitt nicht mehr als 30 Wochenstunden gearbeitet werden. Hätte der Gesetzgeber für das Vorliegen einer Ausnahme eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit für den gesamten Zeitraum regeln wollen, hätte die Formulierung „durchschnittlich 30 Wochenstunden“ ausgereicht. Der Bezug auf den Monatsdurchschnitt macht hinreichend deutlich, dass in jedem einzelnen Monat des Gesamtzeitraums der Wochendurchschnitt von 30 Stunden Erwerbstätigkeit nicht überschritten werden soll.

Hierfür sprechen weiter die Begründungen aus den Gesetzesmaterialien, in denen auf die Regelung im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) Bezug genommen wird. So heißt es im Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (23. BAföGÄndG, BT-Drs. 17/1551, S. 25): „...Bislang musste ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kindererziehung und der Nichtaufnahme bestehen, künftig können auch Auszubildende mit Erziehungspflichten die volle Grenze bis zum Erreichen der Altersgrenze ausschöpfen, wenn sie vor dem Erreichen der Altersgrenze ein eigenes Kind erziehen und in dieser Zeit nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich – entsprechend der auch für die Elterngeldberechtigung geltenden Grenze – erwerbstätig sind. ...“ Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs zur schließlich verabschiedeten Fassung (BT-Drs. 17/2196 [neu], S. 13) ist bezogen auf die Erwerbstätigkeit in diesem Sinne die Rede von „für die Elterngeldberechtigung geltenden Grenzen“. Gerade aus der Formulierung „entsprechend der ... geltenden Grenze“ ergibt sich, dass der Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 BAföG die geltende Grenze genauso festlegen wollte, wie es den Vorschriften der §§ 1 Abs. 6, 15 Abs. 4 Satz 1 BEEG geschehen ist. Gemäß dieser Vorschriften richtet sich das Bestehen eines Anspruchs auf Elterngeld danach, ob die Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats übersteigt; der Anspruch auf Elternzeit wird daran gemessen, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin während der Elternzeit nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sein darf. Diese Formulierungen können nur so verstanden werden, dass die durchschnittlichen 30 Wochenstunden in jedem Bezugsmonat nicht überschritten werden dürfen. Dies ist entsprechend dem gesetzgeberischen Willen auf die Regelung im BAföG zu übertragen.

Letztlich sprechen auch Sinn und Zweck der Vorschrift für eine solche Auslegung. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 BAföG stellt ein gesetzlich geregeltes Beispiel – oder wie das Verwaltungsgericht annimmt eine Fiktion – für das Vorliegen eines familiären Hinderungsgrundes dar, das sicherstellen soll, dass Auszubildende, die Kinder erziehen, mit Blick auf die frei verfügbare Zeitspanne zwischen dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und dem Erreichen der förderungsrechtlichen Altersgrenze voll mit Auszubildenden ohne Kinder gleichgestellt werden (Begründung zum Gesetzentwurf in BT-Drs. 17/2196 [neu], S. 13). Profitieren von dieser Regelung sollen Auszubildende, die sich in der Zeit, in der ansonsten die zu fördernde Ausbildung hätte aufgenommen werden müssen, der Kindererziehung gewidmet haben, sofern sie in dieser Zeit auf die Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit verzichtet haben, während Auszubildende, die in der maßgeblichen Zeit trotz Kindererziehung voll erwerbstätig gewesen sind, sich nicht hierauf berufen können sollen. Die Regelung soll entsprechend der Begründung zum Gesetzentwurf gewährleisten, dass die Ausbildung nicht vor der Vollendung des 10. Lebensjahres des Kindes aufgenommen werden muss, wenn die Kindererziehungszeit die Betroffenen an einer früheren Aufnahme der (Vollzeit-) Ausbildung gehindert hat. Dabei soll diese Hinderung darin zum Ausdruck kommen, dass während der Erziehungszeit auch bzw. nur eine Erwerbstätigkeit von höchstens bis zu 30 Wochenstunden zulässig ist (Begründung zum Gesetzentwurf in BT-Drs. 17/2196 [neu], S. 14). Damit verknüpft der Gesetzgeber den Zweck, die Kindererziehung förderungsrechtlich zu privilegieren, mit der fehlenden Vollzeitbeschäftigung, und vermutet, dass auf eine volle Erwerbstätigkeit gerade mit Rücksicht auf die erforderliche Kindererziehung verzichtet wird (a.a.O., S. 13). Dieser Zweck und die damit verbundene Vermutung ließen sich indes nur schwerlich erreichen, würde für den gesamten Zeitraum zwischen Erreichen der Altersgrenze und der Aufnahme der Ausbildung nur auf den Gesamtdurchschnitt der Wochenarbeitsstunden abgestellt. Denn in diesem Fall könnte ein Auszubildender in einer Zeitspanne von bis zu zehn Jahren mehr als die Hälfte der Zeit voll erwerbstätig sein, wenn er in der verbleibenden Zeit so wenig arbeitet, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 30 Stunden nicht übersteigt. Wäre er in diesem Umfang vollzeiterwerbstätig, ließe sich die Vermutung, er sei wegen der Kindererziehung in demselben Zeitraum an der Aufnahme einer Vollzeitausbildung gehindert, nicht mehr halten.

b) Auf den Fall des Antragstellers ist jedoch § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG entsprechend anzuwenden.

Nach dieser Vorschrift dürfen Alleinerziehende auch mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig sein, um dadurch Unterstützung durch Leistungen der Grundsicherung zu vermeiden. Damit knüpft dieser dritte Halbsatz an die vorherigen Halbsätze des § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG an und trifft für Alleinerziehende, die bei Erreichen der Altersgrenze bis zur Aufnahme der Ausbildung ein Kind unter zehn Jahren ohne Unterbrechung erziehen, die Regelung, dass bei ihnen die Altersgrenze auch dann nicht gilt, wenn sie in dieser Zeit mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig sind, um dadurch Leistungen der Grundsicherung zu vermeiden.

Diese Regelung ist auf den Antragsteller nicht unmittelbar anzuwenden, da er nicht alleinerziehend ist. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG ist jedoch analog auf Nichtalleinerziehende anzuwenden, wenn diese – wie der Antragsteller - auf die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit angewiesen sind, um ihrer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind nachzukommen, und wenn dadurch eine Unterstützung durch Leistungen der Grundsicherung ganz oder teilweise vermieden werden kann. Nur durch eine solche analoge Anwendung kann eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung zwischen Alleinerziehenden und Nichtalleinerziehenden verhindert werden.

Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf Sachverhalte, die dieser Norm nicht unterfallen, setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus, d.h., der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein. Wenn sich aufgrund der Gesamtumstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte, darf eine derartige Lücke von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.6.2012, 2 C 13/11, ZBR 2012, 383, juris Rn. 24 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Dass die Nichtalleinerziehenden in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG nicht berücksichtigt worden sind, stellt eine Lücke dar (aa). Diese Lücke ist auch planwidrig (bb).

aa) Die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG trifft nur zugunsten Alleinerziehender eine Regelung über das Vorliegen eines persönlichen Hinderungsgrundes. Nur sie sind berechtigt, mehr als 30 Wochenstunden zu arbeiten, ohne hierdurch Nachteile für künftige Förderungsansprüche zu erleiden. Von dieser Vorschrift werden Nichtalleinerziehende nicht erfasst, obwohl auch sie zur Vermeidung der Unterstützung durch Leistungen der Grundsicherung darauf angewiesen sein können, eine 30 Wochenstunden übersteigende Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Insoweit ist die Regelung lückenhaft.

bb) Diese Lücke ist auch planwidrig. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch Nichtalleinerziehende in die Rechtsfolge des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG einbezogen hätte, wenn er bedacht hätte, dass sich die Situation von Nichtalleinerziehenden in Bezug auf das Erfordernis, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, gegenüber der Situation von Alleinerziehenden als vergleichbar erweist und dass in diesem Fall eine von Art. 3 Abs. 1 GG nicht gedeckte Ungleichbehandlung zu vermeiden ist.

Nach der Begründung zum Entwurf des 23. BAföGÄndG (BT-DRs. 17/1551, S. 25, letzter Absatz) soll die gesetzliche Ausnahmeregelung für Alleinerziehende eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschl. v. 26.11.1999, 1 BvR 653/99, FamRZ, 476) berücksichtigen. Dieser Entscheidung zufolge dürfen alleinerziehende Auszubildende, die ohne eigene Erwerbstätigkeit auf Sozialhilfe angewiesen gewesen wären, gegenüber solchen Personen nicht benachteiligt werden, die sich auf gesicherter materieller Grundlage der ganztägigen Kindererziehung gewidmet haben.

Mit der getroffenen Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG hat der Gesetzgeber jedoch das Ziel, diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts förderungsrechtlich zu berücksichtigen, nicht erreicht. Die getroffene Regelung trägt nur der wirtschaftlichen Notlage Alleinerziehender Rechnung. Das Gericht hat jedoch schon mit der Verwendung des Wortes „insbesondere“ deutlich gemacht, dass die Annahme eines persönlichen Hinderungsgrundes wegen der Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht auf Alleinerziehende beschränkt ist, sondern auch andere Fälle erfassen kann (BVerfG, Kammerbeschl. v. 26.11.1999, 1 BvR 653/99, FamRZ, 476, juris Rn. 11). Die Bedeutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft sich nicht darin, eine Benachteiligung von Alleinerziehenden gegenüber gemeinsam erziehenden Elternpaaren, die sich die Erziehung teilen können und die Erziehungslast nicht alleine tragen müssen, zu vermeiden. Vielmehr knüpft das Gericht für die Frage der Auslegung von § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG i.d.F. des 17. BAföGÄndG vom 24. Juli 1995 (BGBl. I, S. 976 [BAföG 1995]) an die aus dem Zivilrecht folgende Unterhaltsverpflichtung für Kinder an, deren Sicherstellung durch eigene Erwerbstätigkeit auf verfassungsrechtlicher Verpflichtung beruht. Das Gericht hat damit die Vollzeiterwerbstätigkeit der ausschließlichen Kindererziehung als persönlichen Hinderungsgrund gleichgestellt, wenn deren Aufnahme dazu dienen sollte, diese Unterhaltsverpflichtung zu erfüllen und dabei die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu vermeiden (BVerfG, a.a.O., Rn. 11, 12). Der Ausschluss Unterhaltsverpflichteter von BAföG – Leistungen nach Überschreiten der Altersgrenze wegen der Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit kann danach nur dann gerechtfertigt sein, wenn auch ohne die Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Erwerbseinkommen vorhanden gewesen ist.

Bezogen auf diesen persönlichen Hinderungsgrund, die Altersgrenze einzuhalten, ist es verfassungsrechtlich geboten, auch Nichtalleinerziehende, die eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen haben, um ihrer Unterhaltsverpflichtung nachzukommen und dadurch Unterstützung durch Leistungen der Grundsicherung zu vermeiden, in diese Regelung mit einzubeziehen. Der Gesetzgeber hat insoweit nicht bedacht, dass es dieser Einbeziehung bedarf, um eine wegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich nicht zulässige Ungleichbehandlung zwischen Alleinerziehenden und Nichtalleinerziehenden zu vermeiden. Denn zwischen Alleinerziehenden und Nichtalleinerziehenden bestehen insoweit keine Unterschiede. Auch der Nichtalleinerziehende ist gesetzlich zur Leistung des Kindesunterhalts verpflichtet (vgl. insb. § 1603 Abs. 2 BGB) und hat diese verfassungsrechtliche Verpflichtung sicherzustellen. Kann er dies nur erreichen, indem er zur Vermeidung der Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung voll erwerbstätig ist, statt sich ganz der Kindererziehung zu widmen, gibt es keinen Grund, ihn im Hinblick auf die Förderung seiner Ausbildung nach Überschreiten der Altersgrenze anders zu behandeln als einen Alleinerziehenden, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eben nicht schlechter gestellt werden darf als jemand, der sich ohne wirtschaftliche Sorgen ganz der Kindererziehung widmen kann. Der der ausschließlichen Kindererziehung gleichgestellte persönliche Hinderungsgrund der „erzwungenen Erwerbstätigkeit“ (BVerfG, Kammerbeschl. v. 26.11.1999, FamRZ, 476, juris Rn. 12 a.E.) besteht vielmehr unabhängig von der jeweiligen familiären Konstellation und trifft daher auch auf den Nichtalleinerziehenden zu (vgl. auch Roggentin in Rothe/Blanke, BAföG, Stand März 2011, § 10, Rn. 17; VG Saarlouis, Urt. v. 1.7.2012, 3 K 579/10, juris Rn. 25; in diesem Sinne auch schon OVG Hamburg, Beschl. v. 11.12.2007, 4 Bs 252/07). Dabei ist auch unerheblich, ob die Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit dazu führt, die Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung gänzlich zu vermeiden oder nur zu verringern.

Dass sich der Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich nur auf Alleinerziehende bezieht, steht einer analogen Anwendung auf Nichtalleinerziehende nicht entgegen. Zwar findet eine verfassungskonforme Auslegung dort ihre Grenzen, wo sie zu Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.4.1994, 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263, juris Rn. 38). Ein solcher Widerspruch ist vorliegend jedoch nicht gegeben, weil der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung mit der Einführung des dritten Halbsatzes in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. November 1999 gerade berücksichtigen wollte. Die Berücksichtigung dieser Entscheidung führt aber nach dem Vorstehenden dazu, dass die Vorschrift dann auch analog auf Nichtalleinerziehende, die eine Erwerbstätigkeit zur Sicherung ihrer Unterhaltsverpflichtung aufnehmen, um dadurch die Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung zu vermeiden oder zu verringern, anzuwenden ist.

Diese Voraussetzungen des – analog angewandten - § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 3 BAföG treffen auf den Antragsteller zu. Der Antragsteller hat seine 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt übersteigende Erwerbstätigkeit bei der Firma A. zwischen Oktober und Dezember 2009 aufgenommen, um seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem seinerzeit gut zweijährigem Sohn zu erfüllen, und er hat dadurch auch eine Unterstützung durch Leistungen der Grundsicherung in der Höhe vermindert.

2. Der Antragsteller erfüllt auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG. Nach dieser Vorschrift gilt § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG nur, wenn der Auszubildende die Ausbildung unverzüglich nach Wegfall der Hinderungsgründe aufnimmt. So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat im Januar 2010 unmittelbar nach Beendigung seiner Vollzeiterwerbstätigkeit im Dezember 2009 mit dem Besuch des Studienkollegs begonnen und so seine Zugangsvoraussetzung für das Studium geschaffen. Das Studium hat er nach Beendigung des Studienkollegs im Dezember 2011 direkt im Sommersemester 2012 aufgenommen.

3. Die einstweilige Anordnung ist auf den im Tenor genannten Zeitraum zu beschränken. Der Beginn der Verpflichtung mit dem 1. Dezember 2012 ergibt sich aus dem Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts, und zwar aus Gründen der Rechtsklarheit mit der Entscheidung selbst, nicht erst mit ihrer Zustellung. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats, dass die einstweilige Verpflichtung zur Leistung mit der gerichtlichen Entscheidung beginnt. Denn einstweilige Anordnungen dienen der Behebung aktueller, d.h. gegenwärtig noch bestehender Notlagen und können nach der ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts grundsätzlich nur für die Gegenwart und Zukunft, nicht aber für im Zeitpunkt der Entscheidung bereits zurückliegende Zeiträume getroffen werden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. vom 4. 4. 1990, NVwZ 1990, 975 m.w.N.; Beschl. vom 22.6.2000, 4 Bs 133/00 m.w.N.; Beschl. vom 29.4.2003, 4 Bs 153/03 und Beschl. vom 1.9.2004, 4 Bs 311/04). Im vorliegenden Fall bedeutet das allerdings, dass auf Grund des am 3. Dezember 2012 getroffenen Beschlusses Leistungen für den gesamten Monat Dezember zu gewähren sind. Denn anders als etwa im (früheren) Sozialhilferecht kommt eine Gewährung von Leistungen für Teile eines Monats, etwa gar nur für einzelne Tage, nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz regelmäßig nicht in Betracht. Die zu gewährende Ausbildungsförderung kann nicht in Teile aufgespalten werden, die - wie etwa die Kosten der Unterkunft - an jedem Tag des Monats für den gesamten Monat zu erbringen sind, und andere Teile, die - wie etwa der Ernährungsanteil des Regelsatzes - tageweise ausgezahlt werden können. Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz wird vielmehr grundsätzlich monatlich geleistet. Der Förderungsanspruch entsteht mit dem Beginn des Monats, in dem die Ausbildung aufgenommen wird, frühestens mit dem Beginn des Monats, in dem der Förderungsantrag gestellt wird (§ 15 Abs. 1 BAföG). Änderungen in den Verhältnissen wirken grundsätzlich ab Beginn des Monats, in dem sie eintreten oder der auf den Eintritt der Änderung folgt (vgl. § 53 Satz 1 BAföG). Von diesen Grundsätzen ist auch bei der Gewährung von Ausbildungsförderung auf Grund einer einstweiligen Anordnung auszugehen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.1.2007, 4 Bs 305/306). Das Ende der Verpflichtung ergibt sich aus dem Ende des bis zum 28. Februar 2013 laufenden Bewilligungszeitraums. Dies entspricht auch dem Antrag des Antragstellers.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.