VG Hamburg, Urteil vom 03.03.2009 - 9 K 2094/06
Fundstelle
openJur 2013, 744
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid vom 05.10.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 26.05.2006 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Festsetzungsbescheids, mit welchem ihr gegenüber eine Abgabe in Höhe von 178.481,61 Euro festgesetzt wurde.

Die Klägerin war im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Festsetzungsbescheids Eigentümerin des Grundstücks Neuer Wall ... Die Klägerin hat das Grundstück zwischenzeitlich an einen neuen Eigentümer veräußert.

Durch die Verordnung zur Einrichtung des Innovationsbereichs Neuer Wall (RVO Neuer Wall) vom 27.09.2005 (HmbGVBl. S. 406 ff.), zuletzt geändert am 21.03.2006 (HmbGVBl. S. 137 f.), wurde auf den in Anhang 1 der RVO Neuer Wall optisch hervorgehobenen Flächen ein Bereich zur Stärkung der Innovation von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren (Innovationsbereich) eingerichtet. Die konkreten Ziele und Maßnahmen, die mit der Einrichtung des Innovationsbereiches verfolgt werden, ergeben sich aus § 2 der RVO Neuer Wall. Als Aufgabenträger bestimmt § 3 RVO Neuer Wall die Otto Wulff Bauunternehmung GmbH & Co. KG. Der Hebesatz wird in § 4 RVO Neuer Wall auf 0,04296517 festgesetzt. Aus § 6 RVO Neuer Wall ergibt sich eine Geltungsdauer des Innovationsbereichs von fünf Jahren.

Die RVO Neuer Wall beruht auf dem Gesetz zur Stärkung der Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren (GSED) vom 28.12.2004 (HmbGVBl. S. 525 ff.), zuletzt geändert am 27.11.2007 (HmbGVBl. S. 405), welches zur Förderung der Wirtschaft und zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen die Stärkung und Entwicklung gewachsener urbaner Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gewerbezentren anstrebt. Zu diesem Zweck können Innovationsbereiche auf Antrag eingerichtet werden, in denen private Gruppen in eigener Organisation und Finanzverantwortung die in § 2 GSED näher konkretisierten Maßnahmen ergreifen. Die Initiative zur Gründung eines Innovationsbereichs liegt bei privaten Akteuren, in der Regel den ortsansässigen Grundeigentümern und Gewerbetreibenden, die einen Aufgabenträger auswählen, der die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen und die ordnungsgemäße Mittelverwendung trägt (§§ 4-6, 8 GSED). Von Initiativen auf freiwilliger Basis unterscheidet sich ein auf der Grundlage des GSED eingerichteter Innovationsbereich dadurch, dass durch seine hoheitliche Einrichtung (§ 3 GSED) unter bestimmten Voraussetzungen alle Grundeigentümer in dem Gebiet, die von den Vorteilen der vorgesehenen Maßnahmen profitieren können, auch gegen ihren Willen an den Kosten beteiligt und zur Zahlung einer Abgabe herangezogen werden können, deren Einziehung durch die Beklagte erfolgt (§ 7 GSED).

Am 14.07.2005 beantragte der Aufgabenträger beim Bezirksamt Hamburg-Mitte unter Vorlage eines Maßnahmen- und Finanzierungskonzepts sowie einer Gebietsabgrenzung die Einrichtung eines Innovationsbereichs für den Neuen Wall. Das Konzept sieht u.a. Marketing-, Bau- Service- und Kommunikationsmaßnahmen vor und geht von einem Gesamtvolumen von 5.996.000,-- Euro aus. Dem Antrag waren Einverständniserklärungen beigefügt, die 31 Eigentümer der im Neuen Wall belegenen Grundstücke abgegeben hatten.

Das Maßnahmen- und Finanzierungskonzept wurde in der Zeit vom 15.08.2005 bis zum 15.09.2005 im Bezirksamt Hamburg-Mitte nach vorheriger Ankündigung im Amtlichen Anzeiger vom 05.08.2005 (Amtl. Anz. Nr. 63, S. 1422) öffentlich ausgelegt. Insgesamt widersprachen drei Eigentümer der Einrichtung des Innovationsbereichs Neuer Wall. Am 23.09.2005 schlossen der Aufgabenträger und das Bezirksamt Hamburg-Mitte einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. In diesem Vertrag verpflichtet sich der Aufgabenträger, die in der Anlage 2 dieses Vertrages näher dargestellten Maßnahmen innerhalb vorgegebener Zeiträume zu ergreifen. Finanziert werden sollen die Maßnahmen gem. § 8 Abs. 1 des Vertrages ausschließlich mit dem Abgabenaufkommen, welches dem Aufgabenträger nach § 8 Abs. 1 GSED zusteht. Darüber hinaus bestehen gem. § 8 Abs. 1 S. 3 des öffentlich-rechtlichen Vertrages keine Ansprüche des Aufgabenträgers gegen die Beklagte. § 8 Abs. 1 S. 4 des Vertrages stellt klar, dass die Beklagte über das Aufgabenabkommen hinaus insbesondere keine Mittel zur Mitfinanzierung von Maßnahmen des Aufgabenträgers bereitstellen wird.

Mit Festsetzungsbescheid vom 05.10.2005 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Abgabe in Höhe von insgesamt ... Euro fest. Die Festsetzungsberechnung ist wie folgt vorgenommen worden:

Berücksichtigungs-fähiger Innovations-aufwand EURSumme derEinheitswerte aller beitragsfähigenGrundstückeHebesatz (Wertggf. gerundet)Einheitswertfür dasGrundstückBetrag in Euro5.996.0001395549000,042965169980...Aus den Sachakten geht eindeutig hervor, dass es sich bei dem Betrag für die Summe der Einheitswerte aller beitragsfähigen Grundstücke um einen DM-Betrag handelt. Die Sachakte enthält eine vom Finanzamt für Verkehrssteuern und Grundbesitz erstellte Tabelle „Innovationsbereich (BID) Neuer Wall“, die lediglich eine Auflistung von Einheitswerten mit DM-Beträgen enthält. Auf welche Grund- bzw. Flurstücke sich diese Einheitswerte beziehen, ist nicht ersichtlich, weil die Spalten „Flurstück“ und „Straße/Haus-Nr.“ auf der in der Sachakte befindlichen Kopie abgedeckt worden sind.

Mit Schreiben vom 07.11.2005 erhob die Klägerin gegen den Festsetzungsbescheid Widerspruch, den sie wie folgt begründete: Der öffentlich-rechtliche Vertrag über die Umsetzung des Innovationsbereichs Neuer Wall sei unzulässig, formell unwirksam und nichtig. Der Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge in Steuerangelegenheiten sei unzulässig. Ebenso unzulässig sei es, in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag Abgaben dem Grunde oder der Höhe nach festzusetzen. Mangels formwirksam unterzeichneter Vertragsausfertigung sei die Schriftform nicht gewahrt und der Vertrag daher nicht formwirksam geschlossen. Der öffentlich-rechtliche Vertrag verstoße zudem gegen § 58 HmbVwVfG. Die erforderliche Zustimmung der Klägerin liege nicht vor, obwohl der Vertrag in ihre Rechte eingreife. Weder der öffentlich-rechtliche Vertrag, noch der Wegebauvertrag seien öffentlich ausgelegt worden. Der öffentlich-rechtliche Vertrag verstoße ferner gegen § 56 HmbVwVfG, weil die Leistungen des Aufgabenträgers nicht hinreichend bestimmt seien und es an einer Gegenleistung der Beklagten fehle. Darüber hinaus seien einzelne Bestimmungen des GSED, insbesondere die den Grundeigentümern in § 7 GSED auferlegte Abgabe verfassungswidrig. Der Sache nach handele es sich bei der Abgabe um eine Steuer, für deren Erhebung der Beklagten die Gesetzgebungskompetenz fehle. Die Abgabe erfülle zudem nicht die Voraussetzungen für eine Sonderabgabe. Die dafür erforderliche homogene Gruppe liege ebenso wenig vor wie eine gruppennützige Verwendung der Abgabe. Denn die Eigentümer der im Neuen Wall belegenen Grundstücke stünden untereinander im Wettbewerb. Begünstigt würden überdies nur die Einzelhändler und Dienstleister. Im Übrigen weise das Finanzierungskonzept unverhältnismäßig hohe Verwaltungskosten auf. Die in § 2 GSED formulierten Zielsetzungen für Innovationsbereiche seien unbestimmt. Schließlich liege mangels vorheriger Ausschreibung ein Verstoß gegen das Vergaberecht vor, der gemäß §§ 134, 138 BGB sowie § 13 Satz 6 Vergabeverordnung zur Nichtigkeit des öffentlichen-rechtlichen Vertrages führe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte an, sowohl die RVO Neuer Wall als auch die Bestimmungen des GSED seien mit höherrangigem Recht vereinbar. Gegenstand des GSED seien in erster Linie Maßnahmen der lokalen Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung. Die Gesetzgebungskompetenz ergebe sich aus Art. 72, 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Bei der Innovationsabgabe handele es sich um einen Beitrag. Das Kostendeckungsprinzip und das Äquivalenzprinzip seien beachtet worden. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen für eine Sonderabgabe vor. Die Grundeigentümer verbinde das Ziel, hohe Mieterträge zu erreichen, und damit ein gemeinsames wirtschaftliches Interesse. Eine Verpflichtung, auch den öffentlich-rechtlichen Vertrag öffentlich auszulegen, sehe das GSED nicht vor. Die Voraussetzungen für den Erlass der RVO Neuer Wall lägen mit dem ordnungsgemäßen Antrag, der Beachtung der Quoren sowie der Durchführung des Beteiligungsverfahrens nach vorheriger Ankündigung vor. Der öffentlich-rechtliche Vertrag, der allein Rechtsbeziehungen zwischen dem Aufgabenträger und dem Bezirksamt zum Inhalt habe, sei wirksam. Die Klägerin sei durch diesen Vertrag in ihren Rechten in keiner Weise tangiert. Ein Verstoß gegen das Vergaberecht sei schon deshalb zu verneinen, weil das Vergaberecht mangels hoheitlichen Beschaffungsaktes gar nicht anwendbar sei. Der Sache nach handele es sich beim GSED lediglich um die flankierende hoheitliche Unterstützung privater Selbstorganisation. Schließlich sei auch die Höhe der Abgabe nicht zu beanstanden.

Mit ihrer am 27.06.2006 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und bezieht sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt,

1. den Festsetzungsbescheid der Beklagten – Landesabgabenamt – vom 05.10.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 26.05.2006 aufzuheben;

2. die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren.

Die den Vorgang betreffenden Sachakten der Beklagten haben dem Gericht auszugsweise vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin dadurch in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

§ 4 RVO Neuer Wall setzt den Hebesatz mit 0,04296517 nicht entsprechend der dafür maßgeblichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 3 GSED fest (siehe hierzu unter 1.). § 4 RVO Neuer Wall ist deshalb nichtig und kann vom Gericht nicht angewendet werden. Zu dieser inzidenten Feststellung der Nichtigkeit von § 4 RVO Neuer Wall ist das Gericht befugt (siehe hierzu unter 2.). Dem Gericht ist es dagegen nicht erlaubt, den Hebesatz nach den Berechnungsvorgaben des § 7 Abs. 1 S. 3 GSED selbst zu errechnen. Damit fehlt ein für die Berechnung der Abgabe konstitutives Merkmal, was zwingend die Rechtswidrigkeit des Festsetzungsbescheids nach sich zieht (siehe hierzu unter 3.).

1. § 4 RVO Neuer Wall, durch den der Hebesatz auf 0,04296517 festgesetzt wird, steht nicht in Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Maßgeblich sind insoweit die §§ 3 Abs. 2, 7 Abs. 1 S. 2 und 3 GSED in der Fassung vom 28.12.2004, die gemäß § 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Stärkung der Einzelhandels- und Dienstleistungszentren für Innovationsbereiche, welche – wie hier – vor dem 30.07.2007 eingerichtet wurden, fortgelten. Nach § 3 Abs. 2 GSED ist der Hebesatz im Sinne des § 7 Abs. 1 GSED durch Rechtsverordnung festzulegen. Wie der Hebesatz vom Verordnungsgeber zu berechnen und festzusetzen ist, ergibt sich aus § 7 Abs. 1 S. 3 GSED. Danach entspricht der Hebesatz dem Quotienten aus dem nach Satz 1 berücksichtigungsfähigen Aufwand und der Summe der Einheitswerte der die Beitragspflicht begründenden Grundstücke, darf jedoch zehn vom Hundert nicht überschreiten. Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 GSED errechnet sich die Höhe der Abgabe als Produkt aus dem Hebesatz und dem nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) in der Fassung vom 01.02.1991, zuletzt geändert am 20.12.2001, festgestellten Einheitswert des jeweiligen Grundstücks. Aus § 7 Abs. 1 S. 2 und 3 GSED in Verbindung mit § 30 BewG, neugefasst durch das am 01.01.2002 in Kraft getretene Gesetz zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge vom 19.12.2000 (BGBl I, S. 1790), ergibt sich, dass zur Berechnung der Einheitswerte Euro-Beträge zu Grunde zu legen sind. So sind gemäß § 30 BewG die in Deutscher Mark ermittelten Einheitswerte in Euro umzurechnen. Dass auch der Aufwand in Euro zu berechnen ist, versteht sich seit der Einführung des Euro als allgemeine Währung in Deutschland zum 01.01.2002 von selbst.

Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, dass das Gesetz zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge erst am 01.01.2002 in Kraft getreten ist, § 7 Abs. 1 S. 2 das BewG aber in der Fassung vom 20.12.2001 zitiert. Denn § 7 Abs. 1 S. 2 GSED enthält eine dynamische Verweisung auf das BewG. Dass es sich in § 7 Abs. 1 S. 2 GSED um eine dynamische Verweisung handelt, folgt daraus, dass nicht auf eine konkrete Fassung des BewG zu einem bestimmten Stichtag Bezug genommen worden ist. Vielmehr verdeutlicht die Formulierung „zuletzt geändert“, dass die jeweils geltende Fassung des BewG maßgeblich ist.

Dem Erfordernis einer einheitlichen Zugrundelegung von Euro-Beträgen wird § 4 RVO Neuer Wall nicht gerecht. Denn der Hebesatz von 0,04296517 ergibt sich aus einer Division eines Euro-Betrages in Höhe von 5.996.000,-- Euro (berücksichtigungsfähiger Aufwand) durch einen DM-Betrag in Höhe von 139.554.900 DM (Summe der Einheitswerte). Die Fehlerhaftigkeit dieses Vorgehens scheint auch die Beklagte selbst zwischenzeitlich erkannt zu haben, denn in der mündlichen Verhandlung teilte der Behördenvertreter mit, dass bei der Verordnung zur Einrichtung des Innovationsbereichs Wandsbek Markt vom 08.07.2008 (HmbGVBl. S. 245 ff.) der Hebesatz einheitlich mit Euro-Beträgen berechnet worden sei.

Im Übrigen macht die Errechnung des Hebesatzes unter Zugrundelegung eines Euro-Betrages beim Aufwand und eines DM-Betrages bei der Summe der Einheitswerte eine korrekte Prüfung, ob die in § 7 Abs. 1 S. 3 letzter Halbsatz GSED vorgegebene Obergrenze von 10 Prozent erreicht oder sogar überschritten wird, unmöglich. Bei korrekter Berechnung (5.996.000 Euro ./. 71.353.287,35 Euro = 0,08403257) hätte der Hebesatz mit 8,4 Prozent nämlich deutlich näher an der 10 Prozent-Grenze gelegen. Insoweit vermittelt der unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 3 GSED berechnete Hebesatz den betroffenen Grundeigentümern ein falsches Bild vom wahren Ausmaß der im Innovationsbereich geplanten Maßnahmen. So heißt es etwa in dem von der Beklagten im Internet veröffentlichten Projektblatt BID Neuer Wall (http://www.hamburg.de/contentblob/129136/data/neuer-wall.pdf, Stand: 09.03.2009), der Hebesatz betrage 4,3 Prozent vom Einheitswert des Grundstücks, obwohl die tatsächlich erhobene Abgabe auf einem Hebesatz beruht, der mit 8,4 Prozent bereits relativ nahe an der 10 Prozent-Obergrenze liegt.

2. Die Festsetzung des Hebesatzes in § 4 RVO Neuer Wall erfolgte unter Verstoß gegen die maßgebliche Berechnungsvorschrift des § 7 Abs. 1 S. 3 GSED (s.o.). § 4 RVO Neuer Wall ist deshalb nichtig und darf vom Gericht nicht angewendet werden. Dies folgt aus dem vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz, wonach Rechtsverordnungen, die nicht in Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigung stehen, nichtig sind (statt vieler BVerfG, Urt. v. 15.11.1967 – Az. 2 BvL 7/64 –, zitiert nach juris [Rn. 58]; Beschl. v. 15.02.1978 – Az. 2 BvL 8/74 –, zitiert nach juris [Rn. 57]; Urt. v. 08.11.1983 – Az. 1 BvR 1249/81 –, zitiert nach juris [Rn. 26]; Urt. v. 06.07.1999 – Az. 2 BvF 3/90 –, zitiert nach juris). Zu dieser Feststellung der Nichtigkeit von § 4 RVO Neuer Wall ist das Gericht auch befugt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört es seit jeher zur richterlichen Prüfungskompetenz, inzident die Gültigkeit einer Rechtsnorm, insbesondere ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überprüfen, sofern es für den Ausgang des konkreten Rechtsstreits hierauf ankommt (BVerwG, Urt. v. 28.06.2000 – Az. 11 C 13/99 –, zitiert nach juris). Hält das Gericht eine Rechtsverordnung für ungültig, so stellt es dies in den Gründen inzident fest und entscheidet so, als ob der Rechtssatz nicht vorhanden wäre (Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 1, 11. Aufl. 1999, § 28 Rn. 24).

3. Die Beklagte ist zwar rein rechnerisch zur im Ergebnis materiell richtigen Abgabenhöhe gekommen, weil sie bei der Multiplikation des Hebesatzes mit dem Einheitswert des klägerischen Grundstücks bei letzterem erneut einen DM-Betrag (4.154.100) zugrunde gelegt hat und sich die DM-Beträge auf diese Weise quasi „herauskürzen“. Gleichwohl ist das Gericht daran gehindert, den Hebesatz selbst gem. § 7 Abs. 1 S. 3 GSED richtig zu berechnen. Denn § 7 Abs. 1 S. 3 GSED richtet sich nicht an den Rechtsanwender, sondern ausschließlich – wie sich aus § 3 Abs. 2 GSED ergibt – an den Verordnungsgeber. Die Festsetzung des Hebesatzes durch die jeweilige Rechtsverordnung hat danach konstitutive Bedeutung. Die unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 2 und 3 GSED erfolgte Berechnung des Hebesatzes führt zumindest zur Teilnichtigkeit der RVO Neuer Wall und dazu, dass im Ergebnis kein Hebesatz festgesetzt ist. Da die Multiplikation eines mit Null anzusetzenden Hebesatzes mit dem Einheitswert des klägerischen Grundstücks ebenfalls Null ergibt, führt die Nichtigkeit von § 4 RVO Neuer Wall zwingend zur Rechtswidrigkeit des Festsetzungsbescheids.

II.

Vor diesem Hintergrund konnte die Kammer verschiedene grundsätzliche Bedenken dahinstehen lassen.

Das Gericht hält es für bedenklich, dass das GSED dem Verordnungsgeber keine konkreten Maßstäbe zur Gebietsabgrenzung vorgibt. Das in § 5 Abs. 5 GSED enthaltene Auffangkriterium der „Geeignetheit“ und die in der Gesetzesbegründung für ausreichend gehaltene „schlüssige Gebietsabgrenzung“ (vgl. Bürgerschaftsdrucksache 18/960, S. 10) dürften keine hinreichend konkretisierten Kriterien für eine sachgerechte Gebietsabgrenzung darstellen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage der Wirksamkeit bzw. einer etwaigen Nichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages, und zwar nicht nur unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten, sondern ggf. auch unter beihilferechtlichen Aspekten. Zwar heißt es in § 8 Abs. 1 S. 3 und 4 des öffentlich-rechtlichen Vertrags, dass dem Aufgabenträger über das Aufgabenabkommen hinaus keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen und dass die Beklagte keine Mittel zur Mitfinanzierung von Maßnahmen des Aufgabenträgers bereitstellen wird. In der Senatsdrucksache Nr. 2005/1136 vom 21.09.2005 wird dagegen auf einen – dem Gericht nicht vorgelegten – Wegebauvertrag Bezug genommen, dessen § 13 Abs. 2 finanzielle Ausgleichsverpflichtungen der Beklagten für den Fall vorsehen soll, dass die Abgabenerhebung von der Rechtsprechung für unzulässig gehalten wird oder sich die Nichtigkeit des GSED abzeichnet. Auch in der Gesetzesbegründung zum GSED heißt es, es bestehe das haushaltsrechtliche Risiko, dass die Beklagte ausgefallene Zahlungen an den Aufgabenträger übernehmen müsse (Bürgerschaftsdrucksache 18/960, S. 4).

Nur der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass etwaige geheime mündliche Nebenabreden über etwaige Ausgleichsverpflichtungen der Beklagten gegenüber dem Aufgabenträger nicht nur beihilferechtliche Relevanz aufweisen würden, sondern auch im Hinblick auf die Wahrung der Schriftform im Sinne von § 57 HmbVwVfG problematisch wären.

Schließlich musste die Kammer der Frage, ob die Einheitswerte einen zulässigen Anknüpfungspunkt für die Berechnung der Abgabe nach § 7 Abs. 1 GSED darstellen, nicht näher nachgehen. Abgesehen von der Frage, ob die Einheitswerte unter dem Gesichtspunkt der Abgabengerechtigkeit im konkreten Einzelfall ein taugliches Kriterium darstellen, stellt sich im Hinblick auf das durch § 30 Abgabenordnung (AO) geschützte Steuergeheimnis insbesondere das Problem, dass die Gerichte für eine umfassende Sach- und Rechtsprüfung der Abgabenhöhe die Einheitswerte jedes einzelnen im Innovationsbereich gelegenen Grundstücks und die der Berechnung jeweils zugrunde liegenden Daten benötigen würden. Denn nur dann könnte geprüft werden, ob die richtigen und zu einem einheitlichen Zeitpunkt aktualisierten Einheitswerte zu Grunde gelegt worden sind, ob bei der Addition der Einheitswerte Rechenfehler unterlaufen oder sonst Übertragungsfehler aufgetreten sind. Diese Informationen wären dann aber auch den Prozessbeteiligten und im Falle seiner Beiladung auch dem Aufgabenträger zugänglich. § 7 Abs. 1 S. 4 GSED sieht dagegen lediglich vor, dass das für die Grundsteuererhebung zuständige Finanzamt der Erhebungsbehörde die für die Abgabenerhebung erforderlichen Daten übermittelt. Von einer Übermittlung dieser Daten an die zuständigen Gerichte ist in § 7 Abs. 1 S. 4 GSED nicht ausdrücklich die Rede. Die Beklagte selbst scheint davon auszugehen, dass die Weitergabe der individualisierten Einheitswerte an das Gericht und damit die Prozessbeteiligten von § 7 Abs. 1 S. 4 GSED nicht gedeckt sein könne. Jedenfalls sind der Kammer die Sachakten hinsichtlich der Einheitswerte der im Innovationsbereich Neuer Wall belegenen Grundstücke nicht zugänglich gemacht worden. Sollte die Offenbarung der individualisierten Einheitswerte gegenüber dem Gericht und damit den Prozessbeteiligten von § 7 Abs. 1 S. 4 GSED in Verbindung mit § 30 Abs. 2 Nr. 4 AO nicht gedeckt sein und damit gegen das Steuergeheimnis verstoßen, was das Gericht nicht abschließend prüfen musste, könnte sich die Auswahl der Einheitswerte als Berechnungsgrundlage für die Innovationsabgabe durch den Gesetzgeber im Hinblick auf das Grundrecht der Abgabenschuldner auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) als problematisch erweisen, weil diese dann letztlich darauf vertrauen müssten, dass die Verwaltung bei der Abgabenberechnung richtige Einheitswerte zugrunde gelegt hat, ohne dass sie dies gerichtlich überprüfen lassen könnten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 709 ZPO in Verbindung mit § 167 VwGO.

IV.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig, § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Fall wirft zahlreiche ungeklärte Rechtsprobleme verfassungs- und europarechtlicher Natur auf, deren Bewältigung der Klägerin nicht ohne weiteres selbst im Widerspruchsverfahren zugemutet werden konnte.

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