FG München, Beschluss vom 12.11.2012 - 2 V 2192/12
Fundstelle
openJur 2012, 131428
  • Rkr:
Tenor

1. Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids für 2010 vom 13. April 2012 wird für die Dauer des Einspruchsverfahrens ausgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Tatbestand

I. Streitig im Einspruchsverfahren ist, ob Verpflegungsleistungen eines Hotels im Zusammenhang mit Übernachtungsleistung dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterliegen.

Die Antragstellerin erzielt steuerpflichtige Umsätze aus dem Betrieb von Hotels. Sie bietet Übernachtungen und Verpflegungsleistungen wie Halb- und Vollpension sowie "All-Inklusiv" an. In der Umsatzsteuererklärung für 2010 wendete sie für mit Übernachtungsleistungen zusammenhängende Verpflegungsumsätze in Höhe von insgesamt … € netto den ermäßigten Steuersatz an und erklärte unter Ansatz von Umsätzen zum allgemeinen Steuersatz in Höhe von … € und zum ermäßigten Steuersatz in Höhe von … € eine zu zahlende Umsatzsteuer in Höhe von … €.

Der Antragsgegner (das Finanzamt) ging davon abweichend von Umsätzen zum allgemeinen Steuersatz in Höhe von … € und zum ermäßigten Steuersatz in Höhe von … € aus, weil der Steuersatz für Verpflegungsleistungen bei Beherbergungen 19 % betrage und setzte mit Steuerbescheid vom 13. April 2012 die Umsatzsteuer für 2010 auf …€ fest.

Über den hiergegen eingelegten Einspruch ist noch nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das Finanzamt mit Verfügung vom 7. Mai 2012 ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2012 als unbegründet zurück.

Mit dem bei Gericht gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung weist die Antragstellerin auf Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) hin, wonach es sich bei der Verpflegung von Hotelgästen um eine Nebenleistung zur Übernachtung handele. Ebenso seien zur Frage der Einheitlichkeit der Leistungen bei Hotelleistungen zwei Revisionen beim BFH anhängig. Außerdem widerspreche die deutsche Gesetzesauslegung der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 77/388/EWG.

Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids für 2010 vom 13. April 2012 in Höhe von … € auszusetzen.

Das Finanzamt beantragt, den Antrag abzulehnen und nimmt hierzu auf die Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2012 Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Finanzamts und die von den Beteiligten im Verfahren eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

II. Der Antrag ist begründet.

An der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids vom 13. April 2012 bestehen ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. mit Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFH/NV 2002, 1736).

Deshalb sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Bescheides auch dann gegeben, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von einer in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärten Beurteilung abhängt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. März 2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147, und vom 14. Oktober 2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87). Dies ist der Fall, wenn der BFH die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden hat und in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und in der Fachliteratur insoweit unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. Gräber/Koch, FGO-Kommentar, Rz. 87 zu § 69, m.w.N.).

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

a) Gemäß dem ab 1. Januar 2010 geltenden § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Dies gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG).

Im Streitfall ist fraglich, ob die mit Übernachtungsleistungen zusammenhängenden Verpflegungsumsätze der Antragstellerin in Höhe von insgesamt … € netto dem Regelsteuersatz von 19 % nach § 12 Abs. 1 UStG unterliegen, weil sie, wie das Finanzamt unter Berufung auf Abschn. 12.16. Abs. 8 UStAE entschieden hat, nicht unmittelbar der Vermietung dienen.

b) Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG durch Art. 5 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 2009 (BGBl I 2009, 3950) ergibt sich zwar, dass damit von der Möglichkeit in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Kategorie 12 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), die die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen betrifft, Gebrauch gemacht werden sollte (BT-Drucks. 17/15). Auf die Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes nach Art. 98 Abs. 2. i.V.m. Kategorie 12a des Anhangs III der MwStSystRL betreffend Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen ist nicht Bezug genommen worden.

Des Weiteren heißt es im Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zum Entwurf des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes (BT-Drucks. 17/147 S. 9), dass mit der Änderung der Umsatzsteuersatz für reine Beherbergungsleistungen auf 7 % gesenkt werde. Die Verpflegung, insbesondere das Frühstück, der Zugang zu Kommunikationsnetzen, die TV-Nutzung, die Getränkeversorgung aus der Minibar, Wellnessangebote, die Überlassung von Tagungsräumen, sonstige Pauschalangebote usw. sollen aber nicht von der Steuerermäßigung umfasst sein, da sie nicht unmittelbar der Beherbergung dienten.

Zu der im Zusammenhang mit Beherbergungsleistungen sich stellenden Frage der Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenleistung hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass eine systematische Änderung der Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistungen abgelehnt werde (BT-Drucks. 17/147 S. 7).

c) In der Fachliteratur wird, wie von der Finanzverwaltung in Abschn. 12.16. Abs. 8 UStAE, zum Teil die Auffassung vertreten, dass insoweit ein sog. Aufteilungsgebot bestehe mit der Folge, dass selbst wenn die Verpflegungsleistungen (Frühstück, Halb- oder Vollpension) als Nebenleistung zur Hauptleistung der kurzfristigen Beherbergung der Gäste zu beurteilen seien, diese nicht steuerermäßigt seien (vgl. Birkenfeld, Umsatzsteuer, Rz. 141, 161 zu § 148a; Kräusel in Reiß/Langer, UStG, Rz. 389.15 zu § 12 Abs. 2 Nr. 11 und Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, Rz. 57 zu § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG).

d) Demgegenüber ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nach der Rechtsprechung des BFH und EuGH bei der Verpflegung von Hotelgästen um eine Nebenleistung zur Übernachtung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 2009 V R 9/06, BStBl. II 2010, 433; EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 – Rs. C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998. I-6229).

Nach dieser Rechtsprechung ist zum einen zwar jede Leistung in der Regel als eigene, selbstständige Leistung zu betrachten, zum anderen darf aber eine wirtschaftlich einheitliche Leistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden.

Es ist deshalb fraglich, ob die von der Verwaltung und Teilen der Fachliteratur hierzu vertretene Auffassung mit der genannten Rechtsprechung vereinbar ist, weil danach, entgegen dieser Rechtsprechung, eine wirtschaftlich einheitliche Leistung künstlich aufgespalten wird, damit sie unterschiedlichen Steuersätzen unterworfen werden kann.

e) Das BMF hat zwar mit Nichtanwendungserlass vom 4. Mai 2010 (BStBl. I 2010, 490) angeordnet, das Urteil des BFH vom 15. Januar 2009 V R 9/06 bezüglich der Aussage, dass die Verpflegungsleistung eine Nebenleistung zur Übernachtungsleistung sei, nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden.

f) In der Rechtsprechung der Finanzgerichte werden hierzu jedoch unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 26. Mai 2011 – 2 K 416/09 (juris), entgegen dem Nichtanwendungserlass des BMF vom 4. Mai 2010, entschieden, dass es sich bei der Verpflegung von Hotelgästen um eine Nebenleistung zur Übernachtung handle. Das hierzu beim BFH anhängige Revisionsverfahren V R 25/11 ist mit Beschluss vom 19. Juli 2012, allerdings wegen der hier nicht entscheidungserheblichen Frage der Anwendbarkeit der Sonderregelung für Reisebüros, ausgesetzt worden bis der EuGH in den hierzu anhängigen Rechtssachen entschieden hat.

Demgegenüber hat das Sächsische Finanzgericht mit Urteil vom 14. Dezember 2010 – 3 K 1116/10 (DStRE 2011, 1408) entschieden, dass Frühstücksleistungen an Hotelgäste im Rahmen von Individualübernachtungen an private Geschäftsreisende dem vollen Steuersatz zu unterwerfen seien, da es sich um selbstständige Leistungen handle, die nicht unmittelbar der Übernachtung dienten. Über die hiergegen beim BFH eingelegte Revision (XI R 3/11) ist noch nicht entschieden.

g) Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der einheitlichen Leistung und der Rechtsprechung zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung bei Hotelumsätzen ist deshalb ernstlich zweifelhaft, ob § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG mit dem Unionsrecht vereinbar dahingehend ausgelegt werden kann, dass Verpflegungsleistungen grundsätzlich nicht unmittelbar der Vermietung dienen. Denn möglicherweise ist die Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung bei Hotelumsätzen vom EuGH durch Auslegung des Unionsrechts zwingend vorgegeben, mit der Folge, dass dann die Verpflegung als Nebenleistung mit zur begünstigten Beherbergungsleistung gehört. Dann käme nur für sonstige selbstständige Nebenleistungen ein anderer Steuersatz als für die Hauptleistung (Beherbergung) in Betracht (vgl. Widmann in Plückebaum/Malitzky, UStG, Rz. 31 zu § 12 Abs. 2 Nr. 11).

h) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der einheitlichen Leistung im Zusammenhang mit der Sonderregelung für Reisebüros nach Art. 306 ff. MwStSystRL (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2012 – Rs. C-557/11). Danach kann eine Regelung zum ermäßigten Steuersatz (Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III der MwStSystRL) keine Auswirkungen auf den Begriff der einheitlichen Leistung eines Reisebüros an den Reisenden nach Art. 307 Abs. 1 der MwStSystRL haben und eine von einem Reisebüro im eigenen Namen ausgeführte Beförderungsleistung selbst dann anders besteuert werden, wenn diese als Nebenleistung zur einheitlichen Reiseleistung anzusehen ist.

Diese Rechtsprechung kann nicht auf den Streitfall übertragen werden, weil es für Hotels keine vergleichbare Sonderregelung gibt, die regelt, welche Umsätze als einheitliche Dienstleistung eines Hotels gelten.

i) Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage ist die beantragte Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. November 2000 V B 187/00, BFH/NV 2001, 657; vom 14. Oktober 2002 V B 60/02, BFH/NV 2003, 87 und vom 25. November 2005 V B 75/05, BFH/NV 2006, 447).

3. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung besteht kein Anlass, weil das Finanzamt keine Anhaltspunkte vorgetragen hat und nach Aktenlage auch keine ersichtlich sind, die für die Gefährdung des Steueranspruchs sprechen könnten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. März 2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809 und vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BFH/NV 2005, 625).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.