VG Berlin, Beschluss vom 15.04.2011 - 23 L 79.11
Fundstelle
openJur 2012, 133127
  • Rkr:

Bei Zweifeln über die Staatsangehörigkeit ist es nicht Aufgabe der Auslandsvertretung der Bundesrepublik, Feststellungen zur Staatsangehörigkeit im Rahmen eines Passverfahrens nach eigenen Bewertungen zu treffen (hier: Verdacht auf indische Leihmutterschaft

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung des Klageverfahrens (VG 23 L 79.11) einen vorläufigen Kinderreisepass auszustellen,

hat keinen Erfolg.

Es bestehen bereits Zweifel an der ordnungsgemäßen Vertretung des Antragstellers im Hinblick auf den fehlenden Nachweis des Sorgerechts der als gesetzliche Vertreter auftretenden Eheleute W…; ob diese Zweifel zur Unzulässigkeit des Antrags führen, kann offenbleiben, da der Antrag ist jedenfalls unbegründet ist.

Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung (um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen) nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Sowohl die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch das Vorliegen eines entsprechenden Anordnungsanspruchs sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Eine (auch nur teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache ist nur ausnahmsweise und nur in solchen Fällen gerechtfertigt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die nachträglich durch die Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1984 – 1 ER 310.84 – Juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 12 S 138.08 –).

6Gemessen an diesen Voraussetzungen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der – im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen – summarischen Prüfung hat die Hauptsache keine hinreichende Erfolgsaussicht, weil die Versagung des Reisepasses rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Passgesetzes (PassG) keinen Anspruch auf das begehrte Personaldokument, da die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Passes nicht vorliegen. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 PassG darf ein Pass, als welcher gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 PassG auch ein Kinderreisepass gilt, nur Deutschen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ausgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 PassG sind in dem Antrag auf Ausstellung eines Kinderreisepasses alle Tatsachen anzugeben und alle Nachweise zu erbringen, die zur Feststellung der Person des Passbewerbers und seiner Eigenschaft als Deutscher notwendig sind. Ein Pass ist daher schon dann zu versagen, wenn – wie hier – aufgrund fehlender Nachweise begründete Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit des Passbewerbers bestehen.

7Es bestehen begründete Zweifel daran, dass der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit durch seine Geburt in Indien erworben hat. Die deutsche Staatsangehörigkeit wird gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 StAG durch Geburt erworben, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StAG). Dies ist hier ungewiss. Der Antragsteller wurde am 18. Dezember 2010 in „… geboren. Ob ihn die am 23. September 1955 geborene Frau H… geboren hat und damit gemäß § 1591 BGB seine Mutter ist, ist völlig unklar. Dagegen spricht bereits das – für eine biologische Mutterschaft – hohe Alter von Frau W…. Sie wäre zum Zeitpunkt der Geburt bereits 55 Jahre alt gewesen, was eine Mutterschaft zwar nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt. Gegen eine Mutterschaft spricht auch, dass sie kurz nach der vermeintlichen Geburt ihres Sohnes weder von dem „…, in dem die Geburt stattgefunden haben soll, noch von sonstigen ihr genannten Ärzten in H… hat untersuchen und bescheinigen lassen, dass sie ein Kind geboren hat, obwohl diese zum damaligen Zeitpunkt unproblematisch möglich gewesen wäre. Einen Mutterpass konnte sie zum Beleg ihrer Schwangerschaft auch nicht vorlegen. Eine vermeintliche Arztphobie, auf die sie sich zur Begründung beruft, erscheint vorgeschoben und vermag vor dem Hintergrund, dass es vorliegend um ein so zentrales und wichtiges Anliegen wie die Klärung der biologischen Mutterschaft geht, nicht zu überzeugen. Ganz entschieden gegen die Mutterschaft spricht zudem die Tatsache, dass sie sich vermeintlich in der 36. Schwangerschaftswoche nach H… in Indien begeben hat, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich ihrem Vorbringen zufolge bereits am Ende des neunten Schwangerschaftsmonat befunden, die Geburt unmittelbar bevorgestanden und dementsprechend eine Fernreise nach Indien eine erhebliche Gefahr für sie und ihr Kind beinhaltet hätte. Hinzu kommt, dass eine Mitnahme hoch schwangerer Personen erfahrungsgemäß auch von den Fluggesellschaften nicht akzeptiert wird. Auch der vermeintlich für den 25. Januar 2011 geplante Rückflug verstärkt diese Zweifel, weil die Mutter des Antragstellers sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der 41. Schwangerschaftswoche befunden hätte und damit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen musste, dass ihr Kind in Indien geboren wird. Dass eine sechswöchige Fernreise nach Indien kurz vor der Geburt eines Kindes angetreten wird, obwohl schon infolge des Alters der Mutter eine Risikoschwangerschaft besteht, ist unglaubhaft. Demgegenüber hat Frau W… den Nachweis der biologischen Mutterschaft nicht durch die Bescheinigung der Fachärztin für Frauenheilkunde Irene Reichert vom 13. Januar 2011 erbringen können, wonach Frau W… am 27. Mai 2010 in ihrer ambulanten gynäkologischen Behandlung stand und bei ihr eine Schwangerschaft in der siebten Schwangerschaftswoche festgestellt wurde. Eine solche Erklärung sagt nichts über den weiteren Verlauf der Schwangerschaft aus und stellt dementsprechend keinen Beleg dafür dar, dass diese Schwangerschaft noch im Dezember 2010 bestand. Gleiches gilt für die Bestätigung ihres Arbeitgebers M… vom 13. Januar 2011, in dessen Apotheke sie als Apothekenhelferin beschäftigt war. Aus dieser Bestätigung geht lediglich hervor, dass sie ihren Arbeitgeber etwa Mitte Mai 2010 von ihrer Schwangerschaft informiert habe. Auch ein Rezept vom 7. Dezember 2010 über eine Thrombosespritze wegen Gravidität vermag eine tatsächlich bestehende Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Geburt nicht zu belegen. Es besteht vielmehr vor dem Hintergrund des geschilderten Geschehensablaufs und der Tatsache, dass der Antragsteller nicht in einer Geburtsklinik, sondern in einem Fruchtbarkeitszentrum geboren wurde, das sich ausweislich seiner Homepage unter anderem auf die Vermittlung von Leihmüttern („surrogates“) spezialisiert hat (), die ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller von einer – vermutlich indischen – Leihmutter zur Welt gebracht wurde.

Ebenfalls ist ungewiss, ob der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit von Herr N… ableiten kann, denn es steht nicht fest, dass dieser Elternteil des Antragstellers im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG ist. Dafür reicht nicht die Feststellung der biologischen Vaterschaft aus, die sich hier aus dem eingereichten DNA-Gutachten ergibt, sondern der Antragsteller muss im rechtlichen Sinne von Herrn W… abstammen. Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist für die Abstammung das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes maßgeblich. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat das Kind dort, wo es seinen Lebensmittelpunkt hat (vgl. Henrich in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Kommentierung EGBGB/IPR Art. 19 – 24, 2002, Rn. 13 zu Art. 19); das heißt dort, wo der Schwerpunkt seiner sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen ist (vgl. Hohloch in Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, Art. 5 EGBGB Rn. 47 m. weit. Nachw.). Weil der Antragsteller ein viermonatiger Säugling ist, er naturgemäß solche Beziehungen noch nicht entwickeln konnte und von einem verfestigten Aufenthalt in Indien angesichts seines Alters ebenfalls noch nicht ausgegangen werden kann, bestehen Bedenken, ob allein aufgrund seines faktischen Aufenthalts in Indien von seinem dortigen gewöhnlichen Aufenthaltsort auszugehen ist. Wäre dies der Fall, bestimmte sich die Abstammung nach indischem Recht. Ob das Kind nach indischem Recht die indische oder die deutsche Staatsangehörigkeit hat, kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne Kenntnis darüber, wer den Antragsteller geboren hat und in welchen Lebensverhältnissen diese Person lebt, nicht geklärt werden. Nach Art. 112 des Indian Evidence Act 1872 (abgedruckt unter  CHAPTER7/S112.html) hängt die Abstammung davon ab, ob ein Kind während einer Ehe geboren wurde. Wäre der Antragsteller von einer verheirateten indischen Frau geboren worden, gölte danach der Ehemann dieser Frau als Vater des Kindes. Nach indischem Recht gilt nämlich ein Kind, das während einer Ehe geboren wurde, als Kind des Ehemannes. Ob die Mutter des Kindes verheiratet oder unverheiratet war, und ob sie sich als Leihmutter zur Geburt des Kindes bereit erklärt hat, ist völlig unklar. Damit erübrigen sich spekulative Ausführungen dazu, welche rechtlichen Konsequenzen im Falle einer Leihmutterschaft nach indischem Recht zu ziehen wären.

Auch bei Bestimmung der Abstammung des Antragstellers nicht über die Primäranknüpfung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB, sondern über die Zusatzanknüpfung in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB, ist eine Vaterschaft des Herrn N… im Rechtssinne nicht festzustellen. Die Abstammung kann nach Wortlaut, wie auch nach Sinn und Zweck des Art. 19 Abs. 1 EGBGB alternativ nach einer der dort genannten Wahlmöglichkeiten bestimmt werden, ohne dass das Gesetz eine bestimmte Rang- oder Reihenfolge vorgibt (vgl. Hohloch, a.a.O., Rn. 17 m. weit. Nachw.). Nach Art. 19 Abs. 1 Satz. 2 EGBGB kann die Abstammung des Kindes im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staates bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört. Dieser ist zwar unzweifelhaft deutscher Staatsangehöriger und wohl auch biologischer Vater des Antragstellers. Nach deutschem Recht ist jedoch Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist (§ 1592 Nr. 1 BGB), der die Vaterschaft des Kindes anerkannt hat (§ 1592 Nr. 2 BGB) oder der nach § 1600d BGB oder sonstigen Vorschriften gerichtlich als Vater festgestellt wurden. Sämtliche Alternativen liegen nach summarischer Prüfung nicht vor: Herr N… ist mit Frau H… verheiratet und damit nicht mit der Mutter des Kindes und ein Vaterschaftsanerkennungs- oder sonstiges gerichtliches Verfahren, das zur Feststellung der Vaterschaft führen könnte, ist bislang nicht durchgeführt worden.

Dass das Ehepaar W… in der indischen Geburtsurkunde des Antragstellers als Vater und Mutter eingetragen wurde, ist für die Bestimmung der Abstammung unerheblich, denn deren Eintragungen sind für die Abstammung nicht konstitutiv.

Schließlich kann der Antragsteller auch aus § 6 Abs. 4 PassG einen Anspruch auf Ausstellung eines Passes nicht herleiten. Nach dieser Vorschrift kann die Passbehörde einen Pass von Amts wegen ausstellen, wenn dies im überwiegenden öffentlichen Interesse oder zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Betroffenen erforderlich ist. Voraussetzung der Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG handelt (vgl. Süßmuth/Koch, Pass- und Personalausweisrecht, 4. Auflage, Stand Jan. 2010, § 6 Rn. 25), was sich hier gerade nicht feststellen lässt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, der die Möglichkeit eines Absehens von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 4 PassG, wonach ein Pass nur Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des GG ausgestellt werden darf, nicht vorsieht. Daneben ergibt sie sich aber auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift, mit der „aus praktischen Erwägungen“ die Ausstellung eines Passes in solchen Fällen ermöglicht werden soll, in denen aus dem Ausland ausgewiesene Deutsche sich weigern, einen Pass zu beantragen oder im Ausland lebende passlose Deutsche nicht oder nicht alleine antragsberechtigt sind (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drs. 10/3303, S. 13).

Damit verbleibt es bei Zweifeln an der deutschen Staatsangehörigkeit des Antragstellers, die gegebenenfalls in einem Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren zu klären sein werden. Im gegen die Passbehörde bzw. deren Rechtsträger gerichteten Verfahren auf Ausstellung eines Passes ist als Anspruchsvoraussetzung vom Gericht nur zu prüfen, ob der Antragsteller die zur Feststellung seiner Deutscheneigenschaft notwendigen Nachweise erbracht hat, nicht hingegen, ob der Antragsteller Deutscher im Sinne des § 1 PassG ist (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 27. Juli 2007 - 7 UZ 1218/07 -, NVwZ-RR 2008, 108).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 39 ff., 52 f. GKG.