VG Münster, Beschluss vom 31.03.2008 - 8 L 223/08
Fundstelle
openJur 2012, 126616
  • Rkr:
Tenor

Dem Antragsgegner wird untersagt, die Antragsteller am 1. April 2008 nach Serbien abzuschieben; im übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der weiterhin aufrecht erhaltene Antrag der Antragsteller,

dem Antragsgegner aufzugeben, ihren Aufenthalt bis zur Entscheidung über die Klage 8 K 203/08 gegen die Verfügung vom 22. Januar 2008 zu dulden, jedenfalls ihm zu untersagen, sie nach Serbien abzuschieben,

hat in Anwendung des § 123 VwGO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, da die Antragsteller hinsichtlich der für den 01. April 2008 geplanten Abschiebung einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch zumindest glaubhaft gemacht haben.

Der Anordnungsgrund besteht darin, dass die Abschiebung am morgigen Tage unmittelbar bevorsteht.

Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da aufgrund ihres Vortrags zumindest offen ist, ob die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 58 AufenthG i.V.m. § 50 AufenthG vorliegen.

Da den Antragstellern im Falle einer Abschiebung irreversible Nachteile drohen, reicht es für den Erlass einer Sicherungsanordnung wie im vorliegenden Fall ausnahmsweise aus, dass nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten der Erfolg eines Rechtsmittels in der Hauptsache ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.

Vgl. OVG NRW, Beschl. v. 07. März 2008 - 18 B 40/08.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Grundlage der beabsichtigten Abschiebung ist die bestandskräftige Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04. März 1994. Im damaligen Bundesamtsbescheid wurde den Antragstellern die Abschiebung nach Kroatien angedroht. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könnten, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei.

Die Abschiebung nach Kroatien ist wegen fehlender Óbernahmebereitschaft des kroatischen Staates fehlgeschlagen und wird vom Antragsgegner auch nicht weiterverfolgt. Für die nunmehr beabsichtigte Abschiebung nach Serbien bietet die vorhandene Abschiebungsandrohung nicht hinreichend sicher eine Grundlage.

Der in der Abschiebungsandrohung enthaltene Hinweis nach § 59 Abs. 2 AufenthG soll dem Ausländer lediglich klarmachen, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu bezeichnenden anderen Staat abgeschoben werden kann.

Vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Juli 2000 - 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343; Armbruster in: HTK-AuslR, § 59 AufenthG, zu Abs. 2, Zielstaat 03/2008, Nr. 3.

Daraus folgt, dass es wohl nicht zwingend einer erneuten - förmlichen - Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Serbien bedurfte; andernfalls würde dem Hinweis in § 59 Abs. 2 AufenthG jede Funktion genommen werden. § 59 Abs. 2 AufenthG soll seiner Entstehungsgeschichte nach gegenüber der Vorgängervorschrift des § 50 Abs. 1 Satz 2 AuslG eine Erleichterung verschaffen, um den Zielstaat auszuwechseln. Erweist sich beim Vollzug der Abschiebung, dass die Rückführung in den in der Androhung genannten Staat nicht möglich ist oder dass eine günstigere Abschiebungsmöglichkeit (z.B. in einen zur Rückübernahme verpflichteten Nachbarstaat) besteht, soll die Abschiebung nicht daran scheitern, dass der andere Zielstaat nicht ebenfalls schon in der Androhung konkret bezeichnet ist.

BT-Drs. 12/2062, S. 44; vgl. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., München 2005, § 59 AufenthG, Rdnr. 16; VG Karlsruhe, Urt. v. 15. Mai 2006 - A 4 K 10788/05 -, AuAS 2006, 190.

Allein der Hinweis nach § 59 Abs. 2 AufenthG lässt die Abschiebung in einen anderen aufnahmebereiten Staat als den in der Androhung konkret bezeichneten Zielstaat allerdings nicht zu; es ist vielmehr erforderlich, dass dem Ausländer rechtzeitig vor der Abschiebung der aufnahmebereite Staat mitgeteilt wird.

Vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Juli 2000 - 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343; Armbruster in: HTK-AuslR, § 59 AufenthG, zu Abs. 2, Zielstaat 03/2008, Nr. 3.

Eine solche Mitteilung dürfte gegenüber den Antragstellern spätestens mit der Anhörung durch den Antragsgegner vom 11. Dezember 2007 erfolgt sein. Das Bundesministerium für Innere Angelegenheiten der Bundesrepublik Jugoslawien hat nach der Mitteilung der ZAB Düsseldorf auch dem Ersuchen auf Rückübernahme der Antragsteller tatsächlich entsprochen. Dies geschah in Kenntnis der Herkunft der Antragsteller aus Kovoso-Mitrovica, da der Antragsgegner dies im Rahmen des Ersuchens um Rückübernahme gegenüber den serbischen Behörden angegeben hat.

Die Kammer kann jedoch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit für einen Misserfolg des Rechtsmittels feststellen, dass der Antragsgegner für die Mitteilung des neuen Zielstaats zuständig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat bisher ausdrücklich offengelassen, ob für die nachträgliche Konkretisierung des Zielstaates aus einer asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung das Bundesamt oder die Ausländerbehörde zuständig ist und in welcher Weise beide Behörden dabei gegebenenfalls angesichts der nach wie vor bestehenden Zuständigkeit des Bundesamtes für Entscheidungen über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zusammenwirken müssen.

Vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Juli 2000 - 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343.

Ob allein aus der allgemeinen Zuständigkeitsvorschrift des § 71 Abs. 1 AufenthG die Zuständigkeit der Ausländerbehörde zur Bestimmung des Zielstaats abzuleiten ist,

so Armbruster in: HTK-AuslR, § 59 AufenthG, zu Abs. 2, Zielstaat 03/2008, Nr. 3; VG Karlsruhe, Urt. v. 15. Mai 2006 - A 4 K 10788/05 -, AuAS 2006, 190; unklar Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 59 AufenthG, Rdnr. 41, der die Mitteilung des Zielstaats als rechtliche Anordnung sui generis ansieht,

oder ob vielmehr - einer gewichtigen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur folgend - die Gesamtschau der asylverfahrensrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften die Zuständigkeit des Bundesamts nahelegen, da es sich materiell um die Ergänzung einer asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung handelt und die Zielstaatskonkretisierung eine dem Bundesamt vorbehaltene Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote voraussetzt,

so VGH BW, Beschl. v. 13. September 2007 - 11 S 1684/07; VG Stuttgart, Beschl. v. 25. Juli 2001 - 3 K 2278/01; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, § 59 AufenthG, Rdnr. 51; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 34 AsylVfG, Rdnrn. 70, 80; Hailbronner-Roth, Ausländerrecht, Kommentar, § 34 AsylVfG, Rdnr. 69 f. m.w.N.; Marx, Asylverfahrensgesetz, Kommentar, § 34 AsylVfG, Rdnr. 63 ff.; einschränkend VG Freiburg, Beschl. v. 02. Januar 2004 - 8 K 2283/03 -, NVwZ-RR 2004, 693,

ist eine schwierige Rechtsfrage, die im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eindeutig geklärt werden kann.

Die Frage kann auch nicht deshalb unentschieden bleiben, weil Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht geltend gemacht worden sind.

So OVG NRW, Beschl. v. 06. September 2005 - 18 B 1493/05 in einem anderen Einzelfall.

Abgesehen davon, dass die Antragsteller im vorliegenden Fall Abschiebungsverbote geltend gemacht haben, betrifft die Frage der Zuständigkeit für die Zielstaatsbezeichnung - unabhängig vom tatsächlichen Geltendmachen und Vorliegen eines Abschiebungsverbots - eine allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung als Grundlage für die Abschiebung; der Ausländer hat einen Anspruch darauf, von Vollstreckungsmaßnahmen ohne tragfähige Grundlage verschont zu bleiben.

Für einen weitergehenden Abschiebungsschutz bis zum Abschluss des Klageverfahrens 8 K 203/08 haben die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, wie sich aus dem Beschluss des Gerichts vom 27. März 2008 - 8 L 67/08 - ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

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