Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.08.2011 - 10 ZB 10.2989
Fundstelle
openJur 2012, 117429
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen seine durch die Beklagte verfügte Ausweisung.

Der 1973 in Russland geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger. Nachdem er im Jahr 2001 zusammen mit seiner Mutter und seiner Großmutter als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik eingereist war, erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die später als Niederlassungserlaubnis fortgalt. Gleichzeitig wurde ihm die Statusbescheinigung nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (HumHAG) ausgestellt. In den Jahren 2003 bis 2004 wurde der Kläger wiederholt zu Geld-, später Freiheitsstrafen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, falscher uneidlicher Aussage sowie Diebstahls in zwei Fällen verurteilt. Wegen dieser Straftaten befand sich der Kläger bis April 2007 in Haft. Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 7. September 2009 wurde er wegen gemeinschaftlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren sechs Monaten verurteilt. Der Kläger hatte mit zwei Mittätern in den Niederlanden Heroin und Kokain erworben und nach Deutschland eingeführt. Neben der Freiheitsstrafe wurde beim Kläger durch das Landgericht Augsburg die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet.

Daraufhin wies ihn die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2010 aus dem Bundesgebiet aus, ordnete seine Abschiebung aus dem Maßregelvollzug oder der Haft heraus an und drohte ihm für den Fall seiner Entlassung die Abschiebung nach Russland an.

Seine auf Aufhebung dieses Bescheids gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. November 2010 abgewiesen. Der Kläger habe die zwingenden Ausweisungstatbestände des § 53 Nrn. 1 und 2 AufenthG erfüllt. Nachdem er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße, dürfe er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG bestehe hingegen nicht, weil jüdischen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nicht die Rechtsstellung eines anerkannten Flüchtlings zukomme. Vorliegend greife die Regelvermutung für einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund gemäß § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Ein Ausnahmefall liege beim Kläger nicht vor. Dieser habe wiederholt massiv und nicht nur zum Eigenkonsum gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. Dass er die Straftaten auch aus eigenem Suchtdruck heraus begangen haben möge und er sich nunmehr erstmals in einer Drogentherapie befinde, hebe ihn nicht aus der Masse der übrigen verurteilten Drogenstraftäter heraus. Er sei auch nicht derart im Bundesgebiet verwurzelt, dass aufgrund höherrangigen Rechts - insbesondere Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK - von der Regelausweisung abgesehen werden müsste. Er sei bisher sozial nicht in die hiesigen Verhältnisse integriert und während seines gesamten Aufenthalts lediglich sechs Monate lang einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die Bindungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seiner Großmutter seien ebenfalls nicht so gewichtig, da keines der Familienmitglieder auf die Betreuung durch die jeweils anderen angewiesen sei. Gemessen an den Anforderungen aus Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG verstoße die Ausweisung des Klägers nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die familiären und privaten Bindungen des Klägers im Bundesgebiet seien nicht dergestalt, dass sie ein erhöhtes Bleibeinteresse auslösen würden. Zudem sprächen gewichtige spezial- und generalpräventive Gesichtspunkte für seine Ausweisung. Aufgrund der nach wie vor unbewältigten Drogenabhängigkeit sei auch derzeit noch von einer erhöhten Wiederholungsgefahr auszugehen.

Zur Begründung des auf die Gründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 VwGO gestützten Zulassungsantrags wird vom Kläger im Wesentlichen vorgetragen, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestünden schon deshalb, weil das Erstgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der Kläger als jüdischer Emigrant aus der ehemaligen Sowjetunion nicht die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG genieße und sich somit nicht auf den Schutz des Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG berufen könne. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 22.12.2010 Az. 19 B 09.824) stehe ihm diese Rechtsposition und damit der besondere Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG zu. Auch bei der Beurteilung, ob ein Ausnahmefall im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliege, hätte das Verwaltungsgericht diesen besonderen Schutz infolge des Flüchtlingsstatus berücksichtigen müssen. Das Erstgericht habe diesbezüglich auch den Schutz aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK verkannt. Der Kläger habe keinen Kontakt mehr nach Russland, sei als Drogensüchtiger krank und strebe nunmehr ein drogenfreies Leben an; für die bereits begonnene Therapie bestehe eine positive Prognose. Er könne auf die Unterstützung seiner Familie bauen und sich unter der Führungsaufsicht durch einen Bewährungshelfer nach seiner Freilassung bewähren. Durch eine Abschiebung würde das erfolgversprechende Therapiekonzept der Bezirksklinik unmöglich gemacht. Sowohl die engsten Verwandten des Klägers als auch seine übrigen sozialen Kontakte befänden sich im Bundesgebiet. Er sei das einzige Kind seiner hier lebenden Mutter. Dieser seien Besuche in Russland schon aus finanziellen Gründen kaum möglich. Bei den hier lebenden Angehörigen bestehe im Übrigen auch ein jeweils unterschiedlicher Grad der Behinderung und somit ein erhöhtes Risiko, auf Hilfe und Pflege des Klägers angewiesen zu sein. Die Strafhaft und Drogentherapie bildeten im Leben des Klägers eine Zäsur. Spezialpräventive Ausweisungsgründe seien derzeit nicht mehr gegeben. Im Übrigen sei aufgrund ständiger Verwaltungspraxis des Freistaates Bayern davon auszugehen, dass der Kläger wegen seiner Stellung gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG dauerhaft nicht abgeschoben werden könne. Besondere rechtliche Schwierigkeiten der Streitsache bestünden hinsichtlich der Frage, ob unter den konkreten Umständen beim Kläger ein Ausnahmefall von der Regelausweisung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliege und seine Abschiebung jedenfalls aus den genannten Gründen ausscheide. Grundsätzliche Bedeutung komme der Frage zu, ob wegen der dauerhaften Nichtabschiebung wegen der Kontingentflüchtlingseigenschaft bereits ein Ausnahmefall gegeben sei. Grundsätzliche Bedeutung habe weiter die Frage, ob im Hinblick auf die positive Prognose der Drogentherapie beim Kläger von einer fehlenden Wiederholungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 8 AufenthG auszugehen sei. Schließlich weiche die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2010 (Az. 19 B 09.824) ab.

Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses sind dem Zulassungsantrag entgegengetreten. Nachdem der Kläger ohnehin nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße, komme es auf die Frage, ob zusätzlich der besondere Ausweisungsschutztatbestand nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG erfüllt sei, nicht entscheidungserheblich an. Wegen § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG könne sich der Kläger ohnehin nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG berufen. Eine erhebliche Wiederholungsgefahr sei bei ihm gegeben. Sein Status als Kontingentflüchtling begründe für sich noch keinen Ausnahmefall im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG. Die geltend gemachte allgemeine Verwaltungspraxis, dass Personen wegen § 1 Abs. 1 HumHAG i.V.m. Art. 33 Abs. 1 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich nicht abgeschoben würden, bestehe so nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weist die Rechtssache die geltend gemachten rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf. Auch die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund ist zwar immer schon dann erfüllt, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (st. Rspr. des BVerfG; vgl. Beschluss vom 23.6.2000 Az. 1 BvR 830/00 <juris> RdNr. 15). Derartige rechtliche oder tatsächliche Umstände, aus denen sich eine hinreichende Möglichkeit ergibt, dass die Entscheidung des Erstgerichts unrichtig ist, hat der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert aufgezeigt.

Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag begegnet die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass beim Kläger durch seine mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 7. September 2009 abgeurteilten Betäubungsmittelstraftaten zwingende Ausweisungstatbestände nach § 53 Nrn. 1 und 2 AufenthG und damit schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG vorliegen und eine atypische Fallkonstellation, bei der das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG beseitigt wird, nicht gegeben ist, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Besondere tatbezogene Umstände, die dazu führen könnten, dass die von der Ausländerbehörde angestellten spezial- und generalpräventiven Erwägungen nicht in dem gesetzlich zugrunde gelegten Umfang zum Tragen kommen, sind hier zu Recht verneint worden. Insbesondere entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die vom Kläger geltend gemachte positive Entwicklung in seiner bisher erfolgreich verlaufenen Drogentherapie und die dabei von ihm gezeigten Ansätze und Bemühungen grundsätzlich (noch) nicht ausreichen, das spezialpräventive Ausweisungsinteresse bei einem Fall schwerer Drogenkriminalität in entscheidungserheblicher Weise zu mindern oder gar wegfallen zu lassen. Solange eine Drogentherapie nicht erfolgreich abgeschlossen und deren Erfolg sowie die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens nicht auch nach Straf- bzw. Therapieende glaubhaft gemacht wurde, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr keine Rede sein (vgl. zuletzt Beschluss vom 31.1.2011 Az. 10 ZB 10.2868 <juris> RdNr. 13). Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits mehrfach durch Betäubungsmittelstraftaten in Erscheinung getreten ist und diese Delikte nicht nur zum Eigenkonsum begangen hat. Die von ihm nunmehr im Zulassungsverfahren vorgelegte (vorsichtig) positive Stellungnahme seiner Therapieklinik ist nach alledem nicht geeignet, die Annahme einer hinreichenden Wiederholungsgefahr in seinem Fall derzeit ernsthaft in Frage zu stellen. Der Kläger ist trotz bereits früher verbüßter Strafhaft rückfällig geworden, so dass sein Vorbringen, die derzeitige Verbüßung einer Freiheitsstrafe und die begonnene Drogentherapie hätten eine Zäsur in seinem Leben bewirkt, nur schwer nachvollziehbar ist und letztlich auch den Senat nicht überzeugt.

Die weitere Frage, ob trotz der Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsgrunds im Sinne von § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG unter Berücksichtigung der sonstigen Gesamtumstände des Falls ein Ausnahmefall von der Regelausweisung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung gegeben ist (vgl. BayVGH vom 31.1.2011 a.a.O. RdNr. 11 m.w. Rspr.-nachweisen), hat das Erstgericht ebenfalls aufgrund einer gewichtenden Gesamtbewertung mit zutreffender Begründung verneint.

Nicht entscheidend ist dabei, dass das Verwaltungsgericht unter Berufung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BayVGH vom 29.7.2009 Az. 10 B 08.2247) einen besonderen Ausweisungsschutz des Klägers als jüdischer Emigrant aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG verneint hat. Denn weitere Folgen als die Herabstufung einer zunächst verwirklichten zwingenden Ausweisung zur Regelausweisung zieht das Vorliegen eines besonderen Ausweisungsschutzes, unabhängig davon, wie viele der in § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Tatbestände verwirklicht werden, nicht nach sich. Ein weitergehender Schutz dahingehend, dass bei Verwirklichung von zwei oder mehr Privilegierungstatbeständen des § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Ausweisung nur noch im Ermessensweg zulässig wäre oder ganz entfallen müsste, lässt sich aus dieser Bestimmung gerade nicht ableiten (vgl. zuletzt BayVGH vom 8.7.2011 Az. 10 ZB 10.3028 RdNr. 12).

Im Übrigen könnte auch der vom Kläger als jüdischer Emigrant beanspruchte Abschiebungsschutz nach § 1 Abs. 1 HumHAG i.V.m. Art. 33 GFK bzw. Art. 60 Abs. 1 AufenthG – für sich genommen – die Annahme eines Ausnahmefalls nicht rechtfertigen. Überdies kann sich der Kläger nach zutreffender Beurteilung des Verwaltungsgerichts ohnehin aufgrund seiner rechtskräftigen Verurteilung und der fortbestehenden konkreten Wiederholungsgefahr (entsprechender Straftaten) gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG auf die Vergünstigungen dieser Vorschriften nicht berufen (vgl. auch BayVGH vom 22.12.2010 Az. 19 B 09.824 <juris> Ls. 3.b).

Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die erstgerichtliche Bewertung seiner persönlichen Verhältnisse. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht derart im Bundesgebiet verwurzelt ist, dass aufgrund höherrangigen Rechts (Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK) von einer Regelausweisung abgesehen werden müsste. Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung liegt insbesondere nicht deshalb vor, weil etwa durch die genannten verfassungsrechtlichen Bestimmungen oder Art. 8 EMRK geschützte Belange des Klägers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten würden (vgl. BVerwG vom 23.10.2007 BVerwGE 129, 367 RdNr. 24). Der Kläger hat den ganz überwiegenden Teil seines Lebens in Russland verbracht und ist in Deutschland weder wirtschaftlich noch sozial in besonderer Weise integriert. Seine familiären Bindungen zu seiner hier lebenden Mutter, seiner Großmutter und seinem Stiefvater sind nicht dergestalt, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen könnten. So hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass keines der Familienmitglieder auf die Betreuung durch die jeweils anderen angewiesen ist. Dem Umstand, dass der Kläger das einzige Kind seiner Mutter ist und ihn seine Mutter möglicherweise aus finanziellen Gründen in Russland eher selten besuchen könnte, kommt danach keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Zudem besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass dem Kläger für einen Besuch seiner Mutter in Deutschland eine Betretenserlaubnis erteilt wird (s. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

Das Verwaltungsgericht hat auch die nach der Rechtsprechung des EGMR zur Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung relevanten Kriterien (vgl. z.B. Urteil vom 12.1.2010 Nr. 47486/06 - Abdul Waheed Khan - InfAuslR 2010, 369/370 m.w.N.) im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung hinreichend beachtet (vgl. S. 9 ff. der Entscheidungsgründe) und durfte danach ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass die Ausweisung des Klägers nicht dem in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht. Der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren, seine in der Vergangenheit gelegenen Drogendelikte würden hier zu stark gewichtet und andererseits seine positive Wandlung in der Haft und der Therapie nicht hinreichend anerkannt, vermag die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht ernsthaft in Frage zu stellen. Denn das von ihm bisher gezeigte Wohlverhalten ist nicht so gewichtig, dass es angesichts der konkreten Ausweisungsgründe und der von Drogen ausgehenden schwerwiegenden Gefahren für die Allgemeinheit (vgl. auch EGMR vom 12.1.2010 a.a.O. S. 370) einer Ausweisung entgegensteht.

2. Aus den oben dargelegten Gründen fehlt es hinsichtlich der Fragen, ob unter den konkreten Umständen beim Kläger ein Ausnahmefall im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG anzunehmen ist und eine Abschiebung deshalb jedenfalls ausscheidet, an den behaupteten besonderen, d.h. das normale Maß erheblich übersteigenden, rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

3. Die Frage, ob im Hinblick auf die positive Entwicklung in der Drogentherapie eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG zu verneinen ist, ist jeweils eine Frage des konkreten Einzelfalles und entzieht sich somit einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung. Der weiteren vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob ein Absehen von der Regelausweisung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG schon deshalb geboten ist, weil entsprechend allgemeiner Verwaltungspraxis bei den gemäß § 1 Abs. 1 HumHAG i.V.m. Art. 33 GFK bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG Schutz genießenden jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion eine Abschiebung nicht vorgenommen wird, kommt ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zu. Denn diese Frage beruht ungeachtet dessen, dass der Kläger sich gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG auf die Vergünstigungen dieser Vorschriften nicht berufen kann, auf der unzutreffenden Prämisse, dass eine derartige allgemeine Verwaltungspraxis tatsächlich existiert. Letzteres hat der beteiligte Vertreter des öffentlichen Interesses im Verfahren aber nachvollziehbar verneint.

4. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt nicht vor, da die vom Kläger geltend gemachte Abweichung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 22.12.2010 a.a.O.) aus den oben dargelegten Gründen in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich zum Tragen kommen könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).