Bayerischer VGH, Urteil vom 24.03.2011 - 20 B 10.30017
Fundstelle
openJur 2012, 114222
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am … in Khanaqin geborene Kläger, irakischer Staatsangehöriger, arabischer Volkszugehöriger und schiitischer Religionszugehörigkeit, reiste im Juli 2001 auf dem Landweg ins Bundesgebiet ein und beantragte Asyl u.a. mit der Begründung, er habe nicht für den Sicherheitsdienst spionieren wollen.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - BAMF) lehnte mit Bescheid vom 24. August 2001 den Asylantrag ab, stellte aber fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Mit Bescheid vom 21. September 2005 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 24. August 2001 getroffene Feststellung zu den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 1) und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 2) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 3) vorliegen. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Dezember 2005 ab.

Mit Anwaltsschreiben vom 25. September 2007 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, beschränkt auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG sowie auf subsidiären Schutz gemäß Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004. Bei einer Rückkehr in den Irak drohten ihm als Schiit Verfolgung durch militante Gruppen.

Mit Bescheid vom 14. November 2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Nr. 1) und den Antrag auf Änderung des Bescheides vom 21. September 2005 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 2) ab.

Hiergegen erhob der Kläger Klage unter anderem mit der Begründung, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs drohe irakischen Staatsangehörigen sunnitischer Religion aus dem Zentralirak bei einer Rückkehr eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure und eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht.

Mit Urteil vom 14. Februar 2008 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Folgantrag sei zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger müsse von den jetzigen Machthabern keine asylerheblichen Nachstellungen befürchten. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Sunniten oder Schiiten begründe keinen Verfolgungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Es fehle an einer Verfolgungshandlung mit asylrelevanten Merkmalen. Die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten seien Ausdruck eines Kampfes um die Vorherrschaft im Staat. Dieser Machtkampf innerhalb der moslemischen Mehrheitsgesellschaft könne nicht mit der ausgrenzenden Verfolgung religiöser Minderheiten gleichgesetzt werden. Außerdem fehle es angesichts der Größe der beiden Religionsgemeinschaften an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte. Des Weiteren habe sich die Lage der Sunniten und Schiiten stark verbessert. Die Bürgermilizen der Sunniten kontrollierten ihre Stadtviertel. Die Gewalt durch schiitische Milizen habe infolge eines Waffenstillstandsabkommens abgenommen. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in vielen Städten in der Vergangenheit hätten zu einer klaren Aufteilung schiitischer und sunnitischer Wohngebiete geführt. Dem Kläger stünden auch keine Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu. Im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG habe der Kläger keine individuelle Gefährdungssituation geltend gemacht. Hinsichtlich § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG handle es sich bei den von der Klägerseite vorgetragenen Vorfällen um Auswirkungen eines Konfliktes, denen die Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt sei. Es bestehe auch kein direkter Anspruch aus Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie, weil eine individuelle Bedrohung nicht vorliege. Außerdem unterfalle der Kläger nach wie vor der Abschiebestoppregelung in Bayern.

Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung trägt der Kläger unter anderem vor, ihm drohe beachtlich wahrscheinlich eine asylrelevante Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, die an seine schiitische Religionszugehörigkeit knüpfe und gegen die Schutz zu gewähren der irakische Staat oder eine staatsähnliche Organisation nicht in der Lage sei. Im Hinblick auf den durch militante Vertreter angeheizten Machtkampf innerhalb der moslemischen Mehrheitsgesellschaft zwischen Sunniten und Schiiten sei von einer Verfolgungsgefahr für den Kläger auszugehen. Jedenfalls entspreche es der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen, nicht in seine Heimat zurückzukehren. Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Oktober 2008 sei zu entnehmen, dass die Sicherheits- und Menschenrechtslage im Irak verheerend sei. Nichtstaatliche Akteure, insbesondere Aufständische, seien für viele Menschenrechtsverletzungen (gezielte Morde, ethnische Säuberungen) verantwortlich, desgleichen Angehörige staatlicher Organe wie Polizei und Streitkräfte. Die irakischen Sicherheitskräfte seien bislang nicht in der Lage gefährdete oder verfolgte Bevölkerungsgruppen effektiv zu schützen. Es komme zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen der jahrzehntelang diskriminierten schiitischen Mehrheit und der bisherigen sunnitischen Führungsschicht. Der Irak nähere sich offenen, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen. Wiederholt hätten sunnitische und schiitische Moscheen gebrannt. Straßenzüge in Bagdad würden von Milizen beschützt. Dazu gehöre die Vertreibung der jeweiligen konfessionellen Minderheit. Es komme zu willkürlichen Tötungen, Zerstörungen von Häusern, Folter und Misshandlungen. Nach UNHCR könne keine irakische Region als innerstaatliche Fluchtalternative angesehen werden, da nach wie vor landesweit ein erhebliches Sicherheitsdefizit vorliege. Die sunnitische und schiitische Bevölkerungsgruppe bekämpfe sich unter Führung ihrer jeweils religiös militanten Wortführer in einem Umfang und in einer Härte, bei der die Verfolgungsdichte der ethnisch konfessionellen Auseinandersetzungen weitaus umfassender sei als unter der Diktatur Saddam Husseins und seinem Regime.

Im Hinblick auf Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht war das Berufungsverfahren ausgesetzt worden.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils und Aufhebung des Bescheids vom 14. November 2007 die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass beim ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten, die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) hat der Kläger weder Anspruch auf Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG noch einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zu Recht hat das Bundesamt den Folgeantrag und den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel auf Abschiebungsschutz abgelehnt. Das Rechtsmittel führt daher zu einer Bestätigung des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

Dem Kläger droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgruppe der Schiiten keine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG. Von einer geltend gemachten Gruppenverfolgung der Schiiten (durch Sunniten) ist derzeit nicht auszugehen.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14. Dezember 2010 Az. 13a B 10.30084 zur Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak unter anderem ausgeführt:

„Nach der Vorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung in diesem Sinn kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative.

Dabei kann die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (BVerwG vom 18.7.2006 BVerwGE 126, 243/249; vom 1.2.2007 Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30; vom 21.4.2009 BayVBl 2009, 609). Danach setzt die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung voraus, dass eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Erforderlich ist weiter, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist.

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinn der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Ferner müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinn von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinn von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Nicht erforderlich ist es, die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen. Vielmehr reicht es aus, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet darf auch aus einer Vielzahl von Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe vorgenommen werden (BVerwG vom 21.4.2009 a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben droht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak wegen seines sunnitischen Glaubens nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung durch schiitische Milizen oder andere nichtstaatliche Akteure. Die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen weder im Gesamtirak noch in der Region Tamim mit dem Hauptort Kirkuk, in der der Kläger vor seiner Ausreise gelebt hat, die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte auf (so für den Zentralirak und Bagdad auch VGH Baden-Württemberg vom 12.8.2010 Az. A 2 K 977/08 <juris>).

Zwar ist nach dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 28. November 2010 (Lagebericht) wie auch nach dem vorherigen vom 11. April 2010 davon auszugehen, dass die Sicherheitslage im Irak immer noch verheerend ist. Allerdings habe sie sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. So habe die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle seit dem Frühsommer 2007 um ca. 80 % abgenommen und sich die Zahl der Todesopfer im Jahr 2009 auf 4497 bzw. nach offiziellen irakischen Angaben auf 4068 im Vergleich zu 2008 halbiert. Dennoch komme es auch im Jahresverlauf 2010 immer noch häufig zu Anschlägen, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen seien. Die Schwerpunkte terroristischer Anschläge lägen weiterhin in Bagdad und dem Zentralirak, vor allem in den Provinzen Tamim mit der Hauptstadt Kirkuk und Ninive mit der Hauptstadt Mosul. Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen seien Polizisten, Soldaten, Intellektuelle und alle Mitglieder der Regierung bzw. Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der neuen Regierung zusammenarbeiteten.

Einem spezifischen Verfolgungs- und Vertreibungsdruck seien auch Schiiten und Sunniten in den Gegenden, in denen jeweils die andere Konfession die Mehrheit stelle, ausgesetzt. Aufgrund der historischen Situation, in der Sunniten, insbesondere unter dem Regime Saddam Husseins, zwar die Minderheit der Bevölkerung, aber die dominierende Machtelite dargestellt haben, sei das Verhältnis zwischen irakischen Sunniten und Schiiten weiterhin angespannt. Mit dem Anschlag vom 22. Februar 2006 auf das schiitische Heiligtum in Samara und den Vergeltungsaktionen in der Folge habe sich der Irak offenen, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen genähert. Im Laufe der folgenden zwei Jahre sei die Spirale der Gewalt und Gegengewalt beider Seiten völlig außer Kontrolle geraten. Mehrere Tausend Tote pro Monat seien die Folgen gewesen. Diese Entwicklung sei jedoch seitdem durch das Eingreifen der Regierung gegen schiitische Milizen einerseits und der veränderten Strategie der US-Streitkräfte gegenüber den sunnitischen Stämmen andererseits weitestgehend gestoppt worden (Lagebericht S. 24). Dennoch versuchten radikale Täter immer wieder, durch gezielte Anschläge auf Vertreter der jeweils anderen Gruppe den Kreislauf der Vergeltung anzuheizen. Von der allgemein prekären Sicherheitslage und den ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen seien auch Kurden, insbesondere soweit sie außerhalb der autonomen Region Kurdistan-Irak lebten, betroffen.

Auch nach der Ausarbeitung des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamts „Irak. Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte“ vom Januar 2010 hat sich die Lage im Irak insgesamt allmählich verbessert. Die Gefahr, durch militärische Aktionen im klassischen Sinne zu Schaden zu kommen, sei zurückgegangen. Jedoch bestehe weiterhin die Gefahr von Anschlägen, deren Urheber meist nicht eindeutig identifizierbar seien. Insbesondere in den Provinzen Bagdad, Diyala, Ninive und Tamim komme es weiterhin zu zahlreichen Vorfällen mit Todesopfern. Dabei sei ein Großteil der Gewalt in Provinzen mit gemischter ethnischer/religiöser Bevölkerung zu verzeichnen.

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Entwicklung ergibt sich hinsichtlich der Anzahl der Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter folgendes Bild: Die Gesamtbevölkerung des Irak wird auf zwischen 29,6 Millionen (Wikipedia) und 32,3 Millionen (Lagebericht S. 7) Menschen geschätzt. Davon sind etwa 97 % muslimisch. 60 bis 65 % hiervon sind (arabische) Schiiten, der Rest Sunniten. Unter letzteren befindet sich auch ein Großteil der Kurden, die ca. 15 bis 20 % der Gesamtbevölkerung ausmachen und in ihrer großen Mehrheit sunnitisch sind. Grob gerechnet sind damit ca. 10 Millionen Iraker sunnitischen Bekenntnisses. Dem ist gegenüberzustellen die Zahl der gegen diese Gruppe gerichteten Verfolgungsanschläge. Genauere Angaben hierüber liegen nicht vor. Allerdings zählt die britische Nichtregierungsorganisation Iraq Body Count (http:/www.iraqbodycount.org) seit dem Einmarsch der Koalitionsstreitkräfte in den Irak die Verluste unter der (gesamten) irakischen Zivilbevölkerung. Danach sind diese im Jahr 2009 auf den niedrigsten Stand seit 2003 gefallen. Im Jahre 2008 habe die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung noch über 9000 betragen, während sie sich im Jahre 2009 auf etwa 4645 vermindert habe. Diese Zahlen entsprechen im wesentlichen den im Lagebericht (S. 6) genannten Angaben. Auf der Grundlage dieser Informationen über die Anzahl der Todesopfer muss jedoch weiter berücksichtigt werden, dass die festgestellten Vorfälle und Anschläge auch in erheblichem Umfang zu physisch und psychisch Verletzten geführt haben. Außerdem ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass verfolgungsrelevante Übergriffe nicht immer allgemein bekannt werden. Andererseits können die festgestellten Verfolgungshandlungen nur teilweise der Beurteilung einer Gruppenverfolgung von Sunniten zugrunde gelegt werden. Die Gewalt richtet sich nicht nur gegen diese, sondern auch gegen andere Bevölkerungsgruppen, insbesondere auch gegen die Sicherheitskräfte und staatlichen Vertreter. Zudem ist die schiitische Zivilbevölkerung immer wieder Ziel der Gewalt. Daneben ist die Zivilbevölkerung auch Opfer organisierter Kriminalität, wie Entführungen, Erpressungen und ähnlichem. Zudem deuten die Auskünfte darauf hin, dass ein Teil der Anschläge – etwa Selbstmordanschläge auf öffentlichen Märkten und Plätzen – als ungezielte terroristische Anschläge zu bewerten sind, die nicht zwischen der Religionszugehörigkeit der betroffenen Personen unterscheiden und allein die Destabilisierung der Lage im Irak bezwecken sollen.

Nach alldem sind die im Irak festgestellten Vorfälle nur teilweise als Eingriffshandlungen zu bewerten, die in Anknüpfung an die sunnitische Religionszugehörigkeit der Betroffenen erfolgt sind. Andererseits ist aufgrund der unübersichtlichen Tatsachenlage eine nicht unerhebliche Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe anzunehmen. Insgesamt ist jedoch davon auszugehen, dass die gegen die Sunniten im Irak erfolgten asylerheblichen Verfolgungsschläge zwar zu einer beachtlichen Anzahl von Toten und Verletzten geführt haben, dass jedoch die Anzahl der Todesopfer unter den Sunniten in den Jahren 2008 und 2009 nicht unerheblich hinter den insgesamt für den Irak festgestellten Opferzahlen von rund 9000 bzw. 4500 Toten zurück bleibt. Selbst wenn jedoch alle Opfer sunnitischen Glaubens wären und man davon ausginge, dass auf einen Toten vier Verletzte kommen (vgl. Lagebericht S. 15), läge die Wahrscheinlichkeit für Sunniten, Opfer eines Terroranschlags zu werden, für 2008 und 2009 jeweils im Promillebereich. Die dargestellten Eingriffshandlungen gegen Sunniten in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erreichen damit unter Berücksichtigung der Anzahl der im Irak lebenden Sunniten nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Zwar ergibt eine Gesamtbewertung, dass diese Bevölkerungsgruppe in erheblichem Umfang konfessioneller Gewalt ausgesetzt ist und insoweit eine Vielzahl einzelner Übergriffe festgestellt werden kann. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass für jeden der ca. 10 Millionen Sunniten im Irak die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.

Diese Einschätzung kann auch unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklung im Jahre 2010 uneingeschränkt aufrecht erhalten bleiben. Zwar befindet sich das Sicherheitsumfeld im Irak im Umbruch. Zum 31. August 2010 haben alle US-Kampfverbände den Irak verlassen. Die verbleibenden bis zu 50 000 Soldaten sollen die irakische Armee ausbilden, US-Einrichtungen schützen und noch an gezielten Anti-Terroreinsätzen teilnehmen. Offiziell sollen bis Ende 2011 alle US-Truppen das Land verlassen. Auch sind gegenwärtig die irakischen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Andererseits sind Anhaltspunkte, dass vermehrte Anschläge gegenüber Sunniten in Anknüpfung an deren Religionszugehörigkeit erfolgt sind, nicht ersichtlich. Damit kann die erforderliche Verfolgungsdichte auch in überschaubarer Zukunft nicht angenommen werden.“

Dieser Rechtsprechung des 13a Senats schließt sich der erkennende Senat an. Sie entspricht auch der Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte (vgl. VGH BW vom 12.8.2010 InfAuslR 2011, 128; HessVGH vom 11.5.2010 DÖV 2010, 786; OVG NRW vom 29.10.2010 Az. 9 A 3642/06.A – juris). Eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage ist nicht eingetreten, denn auch nach den Feststellungen der britischen Nicht-Regierungsorganisation Iraq Body Count (a.a.O.) hat sich die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung für das Jahr 2010 auf 4.038 vermindert.

Übertragen auf die Bevölkerungsgruppe der Schiiten bedeutet dies, dass von einer Gruppenverfolgung der Schiiten (etwa durch Sunniten) nicht ausgegangen werden kann. Die (arabischen) Schiiten stellen 60 % bis 65 % der Gesamtbevölkerung des Irak, die arabischen Sunniten 17 % bis 22 %, die vor allem im Norden des Landes lebenden Kurden (überwiegend sunnitisch) etwa 15 % bis 20 %. Eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte scheidet angesichts dieser Zahlen aus.

Gleiches gilt, wenn der Beurteilung nicht der Irak, sondern die Provinz Diyala (1.560.000 Einwohner) zugrunde gelegt wird, aus der der Kläger stammt. Für das Jahr 2009 waren dort 482 Tote bei 159 Vorfällen zu beklagen, für das Jahr 2008 1.644 Tote bei 346 Vorfällen (vgl. zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte Stand Januar 2010, a.a.O., S. 20). Dabei setzt sich die Bevölkerung dieser Provinz aus 55 % Sunniten, 25 % Schiiten, 10 % Kurden und 10 % anderer zusammen. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte läge selbst dann nicht vor, wenn man davon ausginge, dass auf einen Toten durchschnittlich vier Verletzte kommen, und dass alle Anschläge gegen schiitische Religionszugehörige gerichtet wären. Die statistische Wahrscheinlichkeit, in der Provinz Diyala Opfer eines Anschlags zu werden, läge damit bei rund 0,62 % im Jahr.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der Umstand, dass der Kläger aus Khanaqin stammt. Diese Stadt steht de facto unter kurdischer Verwaltung (vgl. EZKS vom 29.7.2008 an das VG Köln). Die Bevölkerung setzt sich zusammen aus sunnitischen wie kurdischen Kurden, schiitischen Turkmenen und sunnitischen Arabern, wobei die Schiiten die Mehrheit bilden (EZKS vom 29.7.2008 an das VG Köln). Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten werden aus Khanaqin nicht berichtet. Zwar sollen nach dem Regimesturz 2003 mindestens 4.000 Personen verschiedener arabischer Stämme durch PUK-Peschmega aus Khanaqin vertrieben worden sein unter dem Vorwurf, in Häusern und auf Grundstücken zu leben, die Kurden gehörten. Aber von konkreten Vertreibungsmaßnahmen war die Familie des Klägers nicht betroffen, allenfalls von einem latenten Vertreibungsdruck (vgl. dessen Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 21.12.2005). Maßnahmen gegenüber arabischen Schiiten in Khanaqin, die Verfolgungshandlungen im Sinne des § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG darstellten, sind weiter weder bekannt noch vom Kläger vorgebracht worden.

Die vom Kläger geltend gemachten Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 14. Dezember 2010 (a.a.O.) hierzu ausgeführt:

„Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 (BVerwG 10 C 43.07 BVerwGE 131,198 = NVwZ 2008, 1241 - Parallelsache zu BVerwG 10 C 44.07) dient das durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Umsetzung der Regelung über den subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie - QualRL). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG setzt – wie die umgesetzte Vorschrift des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie – einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt voraus. Erst wenn Konflikte eine solche Qualität erreicht haben, wird danach ein Schutzbedürfnis für die betroffenen Zivilpersonen anerkannt. Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht auszulegen. Dabei sind insbesondere die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 heranzuziehen. In Art. 3 GK 1949 wird der innerstaatliche bewaffnete Konflikt beschrieben. Eine Präzisierung erfährt der Begriff durch das am 8. Juni 1977 abgeschlossene Zusatzprotokoll - ZP - II zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl 1990 II S. 1637). Das Zusatzprotokoll II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts und grenzt ihn in Nr. 2 von Fällen „innerer Unruhen und Spannungen“ ab, die nicht unter den Begriff fallen. Dieses Protokoll findet nicht auf Fälle wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen Anwendung. Danach liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des „bewaffneten Konflikts“ wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Es ist nicht anzunehmen, dass auch ein sog. „low intensity war“ die Qualität eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinn von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllt, zumal der Begriff wenig präzise erscheint. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Kriminelle Gewalt dürfte bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt auch dann vor, wenn die o.g. Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebiets erfüllt sind. Das ergibt sich schon daraus, dass gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Regeln über den internen Schutz nach Art. 8 der Richtlinie gelten. Ein aus seinem Herkunftsstaat Geflohener kann nur auf eine landesinterne Schutzalternative verwiesen werden, wenn diese außerhalb des Gebiets eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts liegt. Damit wird anerkannt, dass sich ein innerstaatlicher Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken muss. Auch nach Art. 1 ZP II genügt, dass die bewaffneten Gruppen Kampfhandlungen in einem „Teil des Hoheitsgebiets“ durchführen.

Die nunmehr in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG getroffene Regelung, die Abschiebungsschutz suchende Ausländer im Fall allgemeiner Gefahren auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ausländerbehördliche Erlasse verweist, ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass sie nicht die Fälle erfasst, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllt sind. Nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt sind, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ermächtigt die oberste Landesbehörde zur Aussetzung der Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen für die Dauer von längstens sechs Monaten. Ein Ausländer, der die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllt, hat nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Es widerspricht den Vorgaben der Richtlinie, wenn einem Ausländer, der Anspruch auf subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie hat und nicht den Ausschlusstatbestand des Art. 24 Abs. 2 Halbsatz 2 der Richtlinie erfüllt, kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich eine Duldung wegen Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG erteilt würde. Deshalb ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie keine Sperrwirkung entfaltet.

Die Tatbestandsvoraussetzungen der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben“ entsprechen denen einer „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinn von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie. Hierbei ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Auch eine allgemeine Gefahr, die von einem bewaffneten Konflikt ausgeht, kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie erfüllen. Normalerweise hat ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt allerdings nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Das ergibt sich u.a. aus dem 26. Erwägungsgrund der Richtlinie, nach dem Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Ausgeschlossen wird eine solche Betroffenheit der gesamten Bevölkerung oder einer ganzen Bevölkerungsgruppe allerdings nicht, was schon durch die im 26. Erwägungsgrund gewählte Formulierung „normalerweise“ deutlich wird. Eine allgemeine Gefahr kann sich aber insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. In Betracht kommt in diesem Zusammenhang für den Irak etwa die Zugehörigkeit zu einer der dortigen politischen Parteien sowie zur Berufsgruppe der Journalisten, Professoren, Ärzte und Künstler. Allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konflikts sind – etwa eine dadurch bedingte Verschlechterung der Versorgungslage –, können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden. Im Übrigen gelten für die Feststellung der Gefahrendichte ähnliche Kriterien wie im Bereich des Flüchtlingsrechts für den dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung. Hierfür müssen allerdings stichhaltige Gründe dargelegt werden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Gefahr infolge von „willkürlicher Gewalt“ drohen muss.

Die Frage, ob die im Irak seit 2003 andauernden, durch staatliche Sicherheitskräfte (Polizei und Militär) bekämpften terroristischen Handlungen (Begriff s. Art. 4 Nr. 2 Buchst. d Zusatzprotokoll II) nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten im Sinn von Art. 1 Nr. 2 Zusatzprotokoll II oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinn von Art. 1 Nr. 1 Zusatzprotokoll II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Senats der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG vom 14.7.2009 BVerwG 10 C 9.08 RdNr. 17 AuAS 2010, 31 = NVwZ 2010, 196).“

Dieser Rechtsprechung des 13a Senats schließt sich der erkennende Senat an. Der Kläger stammt aus Khanaqin in der Provinz Diyala. Diese lag in der Reihenfolge der gefährlichen Provinzen im Jahr 2009 an zweiter Stelle von 18 Provinzen (zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte a.a.O. S. 12). Es waren je 100.000 Einwohner 30,9 Tote zu beklagen. Die für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr Leib oder Leben erforderliche Gefahrendichte liegt nach den vorstehend zitierten Ausführungen damit nicht vor. Weiterhin sind Hinweise für eine wesentliche Verschlechterung der Sicherheitslage nicht ersichtlich.

Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG sind weder geltend gemacht worden noch sonst wie erkennbar.

Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Auch insoweit ist nichts ersichtlich. Die vom Kläger unmittelbar nach seiner Einreise 2001 vorgebrachten Asylgründe, er habe nicht für den Sicherheitsdienst spionieren wollen, stützt die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr nicht, nachdem das Regime Saddam Husseins seit mehr als sieben Jahren gestürzt ist.

Die Voraussetzungen für die weiter hilfsweise begehrte Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht erfüllt. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK -) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Der Kläger hat jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in absehbarer Zukunft bei Rückkehr in den Irak infolge der durch den Sturz des Regimes von Saddam Hussein eingetretenen grundlegenden Veränderung der Verhältnisse eine unmenschliche Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK, d.h. Misshandlungen durch staatliche Organe (BVerwG vom 17.10.1995 BVerwGE 99, 331), nicht zu erwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.