Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.09.2010 - 11 CS 10.2007
Fundstelle
openJur 2012, 110524
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.250 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs einer Fahrerlaubnisentziehung.

Die Antragstellerin war zuletzt im Besitz einer Fahrerlaubnis für die Klassen A, A18, B, BE, C1, C1E, L und M. Sie wurde am 21. Februar 2010 einer Verkehrskontrolle unterzogen. Der durchgeführte Drogenschnelltest reagierte positiv auf THC. Eine Auswertung der daraufhin entnommenen Blutprobe ergab einen THC-Gehalt von 2,0 ng/ml sowie einen THC-Carbonsäure-Gehalt von 21 ng/ml. Auf Aufforderung der Fahrerlaubnisbehörde hin legte die Antragstellerin ein ärztliches Gutachten vor, nach dessen Ergebnis sie als gelegentliche Konsumentin von Cannabis einzustufen sei.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Juni 2010 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis und forderte sie auf, ihren Führerschein unverzüglich abzuliefern. Insoweit wurde jeweils der Sofortvollzug angeordnet. Darüber hinaus wurde ein Zwangsgeld angedroht.

Nach Widerspruchseinlegung stellte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Regensburg einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2010 stellte das Verwaltungsgericht Regensburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den streitgegenständlichen Bescheid wieder her bzw. ordnete sie an. Ohne die Anordnung eines Medizinisch-Psychologischen-Gutachtens habe aufgrund des festgestellten THC-Gehalts von nicht mehr 2,0 ng/ml im Blut der Antragstellerin nicht davon ausgegangen werden können, dass sie nicht über das notwendige Trennungsvermögen zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr verfüge.

Der Antragsgegner legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und trug zur Begründung zusammengefasst vor, die Antragstellerin sei um 19.53 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen worden. Die Blutprobe sei erst um 20.49 Uhr entnommen worden. Hieraus ergebe sich zwingend, dass im Zeitpunkt der Teilnahme der Antragstellerin mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr der THC-Wert im Blut über 2,0 ng/ml gelegen habe müsse.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unter den von der Beschwerdebegründung angeführten Gesichtspunkten, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, unbegründet.

Der Senat hat bereits entschieden, dass aus einem THC-Wert, der in einer Blutprobe festgestellt wurde, im Wege der Rückrechnung nicht mit jener Genauigkeit ermittelt werden kann, wie hoch der THC-Spiegel zu einem bestimmten, vor der Blutentnahme liegenden Zeitpunkt war, wie das z.B. beim Rauschmittel "Alkohol" möglich ist (etwa vom 10.9.2007 Az. 11 CS 07.46). Auf die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC darf deshalb nur insoweit zurückgegriffen werden, als sich aus ihnen - gleichsam im Wege des Ausschlussverfahrens - "negative" Aussagen dergestalt herleiten lassen, dass ein für einen bestimmten Zeitpunkt eingeräumter oder sonst feststehender Konsum von Cannabis keinesfalls (alleine) für die Konzentrationen ursächlich gewesen sein kann, die in einer später gewonnenen Blutprobe vorhanden waren. Um eine solche Aussage geht es hier jedoch gerade nicht, sondern darum, dass aus einem gewissen Zeitraum, der zwischen Verkehrsteilnahme und Blutentnahme liegt, darauf geschlossen werden kann, dass der THC-Gehalt im Blut im Zeitpunkt der Verkehrsteilnahme zwangsläufig höher gewesen sein muss. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist das aber gerade nicht möglich. Außerdem ergibt sich aus dem dem Senat als Grundlage der Entscheidung vorliegenden Akteninhalt nicht zwangsläufig, wann die Antragstellerin vor der Verkehrskontrolle um 19.53 Uhr am fraglichen Tag oder zuvor Cannabis tatsächlich konsumiert hat. Ausweislich des in den Akten enthaltenen ärztlichen Gutachtens hat die Antragstellerin im dortigen Untersuchungsgespräch zwar angegeben, am Tag vor der Verkehrskontrolle einen Cannabiskeks gegessen zu haben. Aus den Behördenakten (Bl. 17) ergibt sich demgegenüber, dass die Antragstellerin gegenüber der Polizei im Anschluss an die durchgeführte Verkehrskontrolle eingeräumt hat, anwesend gewesen zu sein „als eine Kifferrunde veranstaltet wurde“. Ob damit der Genuss eines Cannabiskeks am Vortag oder aber der Konsum eines Joints zu einem anderen Zeitpunkt, möglicherweise erst kurz vor Fahrtantritt, gemeint ist, bleibt nach dem vorliegenden Akteninhalt offen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der THC-Gehalt im Blut der Antragstellerin im Zeitpunkt der Teilnahme am Straßenverkehr im Unterschied zum Zeitpunkt der Entnahme der Blutprobe höher war als 2,0 ng/ml oder nicht. Damit verbleibt es bei der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dessen Beschluss insoweit mit der Rechtsprechung des Senats übereinstimmt und auf den verwiesen wird, dass die Fahrungeeignetheit der Antragstellerin mittels einer medizinisch-psychologischen Untersuchung hätte festgestellt werden müssen, was jedoch unterblieben ist.

Vor diesem Hintergrund sind Hauptsacheerfolgsaussichten zumindest als offen anzusehen. Das Gericht entscheidet deshalb anhand einer sogenannten reinen Interessenabwägung. Diese hat sich an den Vorgaben zu orientieren, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 20. Juni 2002 (NJW 2002, 2378 ff.) aufgestellt hat. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbare Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es danach, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stellen. Ein Fahrerlaubnisinhaber muss den Entzug dieser Berechtigung dann hinnehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen ordnungsgemäßen Ablauf resultiert; dieses Risiko muss deutlich über demjenigen liegen, dass allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen gegen den für sofort vollziehbar erklärten Entzug einer Fahrerlaubnis wird deshalb in der Regel nur dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Hinweise dafür sprechen, dass das von dem Betroffenen ausgehende Gefahrenpotential nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt. Ob das im Einzelfall bejaht werden kann, hängt in erster Linie von der Häufigkeit und Qualität der vom Betroffenen in der Vergangenheit begangenen Verkehrsverstöße ab (vgl. Jagow, Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht, Loseblattkommentar, § 46 FEV S. 113 v). Neben dem hier in Rede stehenden Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, dessen Aussagekraft für das fehlende Trennungsvermögen der Antragstellerin zwischen Cannabiskonsum und Teilnahme am Straßenverkehr gerade fraglich ist, ist die Antragstellerin im Straßenverkehr bislang nur dadurch in Erscheinung getreten, dass sie verbotswidrig als Führerin eines Kraftfahrzeugs ein Mobiltelefon benutzt hat. Nachdem ihr das vorgelegte ärztliche Gutachten auch bescheinigt, keinen fortgesetzten und/oder aktuellen gelegentlichen oder regel- bzw. gewohnheitsmäßigen Drogenkonsum zu betreiben, ist ihr Interesse an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Hauptsacherechtsbehelfs als überwiegend anzusehen.

Die Beschwerde war damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2,§ 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Abschnitt II Nr. 1.5, 46.1, 46.5 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).