VG München, Urteil vom 20.05.2010 - M 11 K 09.2743
Fundstelle
openJur 2012, 108168
  • Rkr:
Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamtes ... vom ... Mai 2009 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Mit Bescheid vom ... Mai 2009 gab das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) dem Kläger auf, das auf dem Grundstück FlNr. 805 der Gemarkung ... errichtete Schwimmbecken (Nr. 1 des Bescheids) und die beiden Gerätehütten (Nr. 2 des Bescheids) innerhalb von drei Monaten nach Bestandskraft des Bescheids restlos und auf Dauer zu beseitigen und drohte für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung Zwangsgelder in Höhe von Euro 5.000,-- und Euro 2.000,-- an. Das Grundstück befinde sich im Außenbereich und sei im Flächennutzungsplan der Gemeinde ... als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen; darüber hinaus liege es im Geltungsbereich der Landschaftsschutzverordnung „Westlicher Teil des Landkreises ...“ vom ... April 1972. Bei dem Schwimmbad und den Gerätehütten handle es sich um bauliche Anlagen gemäß Art. 2 Abs. 1 BayBO, eine Genehmigungspflicht bestehe gemäß Art. 55 i.V.m. Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 a bzw. Abs. 1 Nr. 9 a BayBO. Eine Genehmigung sei nicht beantragt worden und könne nicht erteilt werden. Die bauplanungsrechtliche Zuordnung ergebe sich aus den Gegebenheiten vor Ort, die keinerlei besondere topografische bzw. geografische Merkmale besitze. Der Bauzusammenhang ende vorliegend an den jeweiligen Nordfassaden der Grundstücke FlNrn. 820/4, 820/22, 820/23, 820/24, 820/5 und 820/18 der Gemarkung ... Die nördlich dieser Abgrenzung gelegenen Flächen seien, unabhängig von ihrer jeweiligen Nutzung, dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich zuzuordnen. Die Bauvorhaben seien nicht privilegiert, eine Genehmigung nach § 35 Abs. 2 BauGB könne nicht erteilt werden, weil öffentliche Belange nach Abs. 3 der Vorschrift beeinträchtigt würden. Die Bauvorhaben widersprächen dem Flächennutzungsplan, beeinträchtigten Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege und die natürliche Eigenart der Landschaft. Zudem liege das Grundstück im Landschaftsschutzgebiet „Westlicher Teil des Landkreises ...“. Weiterhin sei die Entstehung einer Splittersiedlung zu befürchten (§ 35 Abs. 1 Nr. 7 BauGB). Die Anordnung ergehe in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Im Einzelnen wird auf den Bescheid verwiesen.

Gegen den Bescheid vom ... Mai 2009 erhob der Kläger am 16. Juni 2009 Klage zum Verwaltungsgericht München.

Zur Begründung trug der Kläger mit Schreiben vom 23. August 2009 vor, die Doppelhaushälfte auf dem südlich angrenzenden Grundstück FlNr. 820/22 habe er im Jahr 2003 von einer Bauträgergesellschaft erworben. Anschließend habe er das nördlich angrenzende Grundstück FlNr. 805 direkt von den Alteigentümern erworben. Dieser direkt angrenzende „Spitz“ befinde sich unmittelbar unterhalb der S-Bahn und sei schon immer als Garten der Villa genutzt worden. Er sei mit Bäumen und Sträuchern bewachsen. Der südliche Teil des „Spitzes“ sei durch die Baumaßnahmen völlig zerstört gewesen; dort sei massiv Baumaterial gelagert worden und große Baumaschinen bewegt worden. Nach dem Erwerb habe er kaputte Schaldeckeln, Paletten, Folien, Dichtungsschaum, Metallteile und Bauschutt aller Art entsorgen müssen; beim Ausheben des Pools habe er dann hauptsächlich aufgefülltes Material sowie mehrere Dutzend meterlange Reste der Stahltrosse eines Krans im Erdreich vorgefunden. Das Grundstück FlNr. 805 sei nicht dem Außenbereich zuzuordnen. Die untergeordneten Bauten lägen zwischen seinem Haus und der S-Bahn. Die eine Ecke des Beckens sei ca. 9 m von seinem Haus entfernt, die andere ca. 6 m von der S-Bahn. Auch eine Genehmigung nach § 35 Abs. 2 BauGB sei möglich. Die Landschaftsschutzverordnung erfasse ca. 80 % des Landkreises ...; es gebe viele Befreiungen, viele Bezugsfälle würden geduldet. Er beantrage daher, die Beseitigungsanordnung aufzuheben und gegebenenfalls die Gemeinde und das Landratsamt zur Erteilung der Baugenehmigung zu verpflichten.

Das Landratsamt trat der Klage mit Schreiben vom 16. September 2009 unter Bezugnahme auf die Bescheidsgründe entgegen. Eine Duldung der streitgegenständlichen Bauvorhaben sei wegen der Befürchtung von Bezugsfällen nicht möglich.

Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2010beantragtendie Bevollmächtigten des Klägers,

den Bescheid des Landratsamtes vom ... Mai 2009 aufzuheben,

und trugen zur weiteren Begründung der Klage vor, das streitgegenständliche Grundstück liege nicht im Außenbereich. In den „Buchungsangaben“ zum Grundstück sei als Gebäude ein „Gartenhaus“ ausgewiesen. Die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich sei aufgrund einer echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu bestimmen. Sie könne nicht schematisch gezogen werden. Der Ortsrand sei oftmals durch uneinheitliche Bebauung gekennzeichnet. Insbesondere in ländlichen Orten seien zwischen dem Hauptgebäude und dem Außenbereich Nebenanlagen gelegen, die je nach der Hauptnutzung unterschiedlich ausgestaltet seien. Sowohl die beiden Geräteschuppen als auch das Schwimmbecken nähmen nach der Verkehrsauffassung aufgrund ihrer Lage und untergeordneten Größe an dem Bebauungszusammenhang des klägerischen Hauses auf dem Grundstück FlNr. 820/22 teil, so dass insgesamt von Innenbereich auszugehen sei. Eine Beseitigungsanordnung setze voraus, dass die betroffene Anlage sowohl formell als auch materiell illegal sei. Beides läge nicht vor. Im vorliegenden Fall bestünde für das Schwimmbecken und die Geräteschuppen Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 2 Nr. 1 a BayBO bzw. nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 14 e und Nr. 6 g BayBO. Die Bauvorhaben hätten im Übrigen auch keine bodenrechtliche Relevanz nach § 29 Abs. 1 BauGB. Andernfalls seien sie nach § 34 Abs. 1 BauGB im Innenbereich zulässig; bei Annahme von Außenbereich könne auch eine Baugenehmigung nach § 35 Abs. 2 BauGB erteilt werden. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz verwiesen.

Das Verwaltungsgericht München hatte bereits unter dem 14. April 2010 beschlossen, Beweis zu erheben über die baulichen und örtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück FlNr. 805 sowie in dessen Umgebung durch Einnahme eines Augenscheins, der am 20. Mai 2010 stattfand. Hinsichtlich der dabei getroffenen Feststellungen wird auf die Niederschrift verwiesen.

In der sich an den Augenschein anschließenden mündlichen Verhandlung wiederholte der Klägerbevollmächtigte denAntragaus dem Schriftsatz vom 14. Mai 2010.

Der Beklagtenvertreterbeantragte

Klageabweisung.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegten Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Landratsamtes vom ... Mai 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er war daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.

Es kann offen bleiben, ob die streitgegenständlichen Bauvorhaben nach den vom Klägerbevollmächtigten zitierten Vorschriften verfahrensfrei sind, also keiner Baugenehmigung bedürfen, oder aber genehmigungsfähig sind, da die Beseitigungsanordnungen jedenfalls insoweit an Ermessensfehlern leiden, als der Beklagte ausweislich der Gründe des Bescheids als wesentliches Ermessenskriterium in unzutreffender Weise davon ausgegangen ist, dass die streitgegenständlichen Bauvorhaben im Widerspruch zu planungsrechtlichen Vorschriften stünden, weil die Fläche im Außenbereich liege; das ist, wie der durchgeführte Augenschein ergeben hat, nicht der Fall. Jedenfalls der mit den streitgegenständlichen Bauvorhaben bebaute Teil des klägerischen Grundstücks nimmt am südlich und südöstlich vorliegenden Bebauungszusammenhang teil. Zwar wird die Trennungslinie zwischen dem Bebauungszusammenhang und dem Außenbereich grundsätzlich unmittelbar hinter dem letzten mit den übrigen Häusern im Zusammenhang stehenden (maßgeblichem) Gebäude gezogen; jedoch bewirkt diese unmittelbar an die letzte Bebauung anschließende Grenzziehung nicht, dass damit auch schon die rückwärtigen Flächen mit den auf das Hauptgebäude bezogenen Nutzungen - wie Hof, Hausgarten oder durch Nebenanlagen - ebenfalls bereits zum Außenbereich gehörten. Eine andere Frage ist allerdings, inwieweit solche dem Innenbereich noch zuzurechnenden Flächen einer über derartige „Hilfsfunktionen“ hinausgehenden Bebauung zugänglich sind, vgl. zum Ganzen Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, 5. Auflage, RdNr. 19 zu § 34. Der Bereich, der durch vorhandene Baulichkeiten geprägt ist, umfasst daher auch nicht bebaute, aber „bauakzessorisch“ genutzte Grundstücksteile, z.B. einen - nicht unüblich großen - Hausgarten oder einen - nicht unüblich großen - Bereich, der für Erholungszwecke angelegt ist und genutzt wird (vgl. OVG SH vom 29.7.1999 Az: 1 L 55/98 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Er umfasst ferner Flächen, die mit Nebenanlagen im Sinne der §§ 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 BauNVO bebaut sind. Solche bauakzessorisch genutzte Grundstücksteile gehören zum Innenbereich nach § 34 BauGB (vgl. BayVGH vom 23.5.2007 Az: 2 ZB 07.455 - Juris).

Der so verstandene Bebauungszusammenhang, mithin die Gartenfläche des mit einem Wohnhaus bebauten klägerischen Grundstücks FlNr. 820/22, erstreckt sich hier aufgrund topografischer Besonderheiten auch auf die mit den streitgegenständlichen Bauvorhaben bestandene südliche Fläche des Grundstücks FlNr. 805.

Für die Frage, wo der „hinter dem Haus befindliche“ an den Außenbereich angrenzende Grundstücksbereich, der mit Nebenanlagen nach § 14 Abs. 1 BauNVO bebaut werden darf, endet, sind nicht die katastermäßigen Grenzen der Grundstücke oder das Buchgrundstück maßgeblich, das bedarf einer Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts (vgl. BVerwGE 28, 268; BVerwGE 31, 20). Die Grenze kann nicht geografisch-mathematisch ermittelt werden; insbesondere ist ein Ortsrand oftmals durch eine uneinheitliche Bebauung gekennzeichnet (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger - Söfker, BauGB, § 34 RdNr. 25), so dass dort die Grenze zum Außenbereich oftmals nicht geradlinig, sondern aufgrund der konkreten örtlichen Verhältnisse „vor- und zurückspringen“ kann.

Maßgeblich für diese Abgrenzung sind die Größe und Ausdehnung der Nachbargärten und konkrete örtliche Verhältnisse, die zu einer „natürlichen“ Abgrenzung der beiden Bereiche geeignet sind. Hierbei können auch topografische Verhältnisse wie etwa Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse und dergleichen) eine Rolle spielen.

Wie der Augenschein ergeben hat, steigt das Gelände vom Wohnhaus des Klägers zum Schwimmbecken hin hügelartig an. Auch unmittelbar östlich des Schwimmbeckens befindet sich eine deutliche Geländekante, die zum Teil zu einem Wiesengelände abfällt. Der Höhenunterschied beträgt dort ca. 1,30 m. Diese Geländekante zieht sich ca. 30 m bis 40 m nach Norden; etwa ab der Mitte des Schwimmbeckens ist diese Geländekante mit dichtem Busch- und Baumwerk bestanden. Westlich dieser Baumreihe erstreckt sich der Grundstücksteil mit dem Schwimmbecken und den beiden Hütten. Diese Geländefläche stellt ein Plateau dar, das im Westen unmittelbar hinter den Hütten zu einer Bahnlinie hin ansteigt. Dort beträgt der Höhenunterschied ca. 2 m. Dieses Geländeplateau läuft trapezartig zu. Im Norden hat die mit den streitgegenständlichen Bauvorhaben bebaute Teilfläche - nach Osten hin eingerahmt mit Büschen entlang einer Geländekante und nach Westen hin eingerahmt zur Bahnlinie - eine Breite von ca. 5 m. Dieser Geländebereich hebt sich durch diese Geländestruktur deutlich aus der unmittelbaren Umgebung ab.

Diese Fläche kann daher - bei natürlicher Betrachtungsweise - weder Teil des sich östlich anschließenden Wiesenhanges sein, noch Teil des sich westlich anschließenden Gleiskörpers. Das Grundstück FlNr. 805 bildet daher entweder einen eigenständigen Bereich oder aber es gehört zumindest teilweise zum südlich angrenzenden, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück FlNr. 820/22. Letzteres ist hier, wie der Augenschein ergeben hat, der Fall. Zum einen ist das Gebäude auf FlNr. 820/22 bereits weiter nördlich gebaut, als die Gebäude auf den sich östlich anschließenden Grundstücken, so dass ihm insoweit wohl bereits ein etwas weiter nach Norden reichender Grundstücksbereich als Garten zukommt. Auch die deutliche Nähe der bebauten Fläche des Grundstücks Fl.Nr. 805 zum Wohngebäude des Klägers (nur ca. 10 m entfernt) spricht zusammen mit den topografischen Verhältnissen dafür, diesen Grundstücksteil von FlNr. 805 als zum Hausgarten des Gebäudes auf FlNr. 820/22 gehörig anzusehen. Ohne diese (Teil-)fläche wäre der rückwärtige Garten des klägerischen Grundstücks für ländliche Verhältnisse unüblich klein, zumal er auch noch ansteigt und einen ungewöhnlichen Zuschnitt hat.

Ob das Gelände vom Kläger im Laufe der Errichtung des Schwimmbeckens an der Südseite des Schwimmbeckens leicht aufgeschüttet wurde, spielt dabei keine Rolle, weil die maßgebliche Teilfläche auch ohne Aufschüttung ein natürlicher Bestandteil der Gartenfläche auf Grundstück FlNr. 820/22 ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 10.000,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).