VG Augsburg, Urteil vom 27.10.2009 - Au 1 K 09.947
Fundstelle
openJur 2012, 103995
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 21.08.2009 verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu befristen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu 3/4, der Kläger zu 1/4 zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und Abschiebung aus dem Bundesgebiet.

Der 1982 geborene Kläger ist kamerunischer Staatsangehöriger und reiste erstmals 1989 zu seiner hier lebenden Mutter nach Deutschland ein. Im Bundesgebiet wurde er mehrfach straffällig. Zuletzt wurde er durch Urteil des Amtsgerichts … vom 6. Juni 2003 wegen gemeinschaftlicher versuchter sexueller Nötigung in Tatmehrheit mit gemeinschaftlicher Nötigung in Tatmehrheit mit Nötigung in Tatmehrheit mit Beihilfe zum schweren Menschenhandel, zugleich Menschenhandel und Zuhälterei zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung einer Vorverurteilung verurteilt. Diese Verurteilung nahm die Beklagte zum Anlass, den Kläger mit Bescheid vom 19. Juli 2004 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Die hiergegen eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Am 19. Dezember 2005 wurde der Kläger nach Kamerun abgeschoben.

Durch Schreiben vom 18. Januar 2008 ließ der Kläger die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung beantragen. Es wurde vorgetragen, der Kläger halte sich seit geraumer Zeit illegal in Frankreich auf und arbeite dort auch illegal. Allerdings habe der Kläger am 3. Dezember 2007 die Vaterschaft für das Kind seiner deutschen Verlobten vor der Stadtverwaltung Paris anerkannt. Eine beglaubigte Übersetzung der Anerkennungsurkunde für das noch nicht geborene Kind wurde ebenso vorgelegt wie eine Erklärung der Kindsmutter, wonach eine gemeinsame elterliche Sorge für das Kind beabsichtigt sei. Unter dem 19. März 2008 wurde die Geburtsurkunde für das am 19. Februar 2008 in Paris geborene Kind vorgelegt. Mit Schreiben vom 3. Juli 2008 ließ der Kläger mitteilen, er könne sein "prinzipiell strafloses Verhalten" in Frankreich nicht amtlich bestätigen lassen, weil er sich dort letztlich nur aufgrund der Beziehung zu seiner Verlobten bzw. des gemeinsamen Kindes "quasi geduldet" aufhalten könne. Einen Aufenthaltstitel habe er nicht. Andererseits könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich keine anderen Straftaten zu Schulden habe kommen lassen, weil er anderenfalls neuerlich aus Frankreich ausgewiesen worden wäre.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2008 forderte die Beklagte den Kläger auf, Angaben zur Einreise und zum Aufenthalt in Frankreich zu machen und ein psychiatrisches Gutachtens zur Frage seiner Gemeingefährlichkeit und insbesondere zur Gefahr "vergleichbar abartiger Verhaltensweisen, wie sie der Verurteilung vom 6.6.2003 zugrunde liegen" beizubringen. Des Weiteren verlangte die Beklagte den Nachweis, dass die Abschiebekosten beglichen seien. Hierzu ließ der Kläger mit Schreiben vom 29. Juli 2008 Stellung nehmen. Die Befristung dürfe nicht von der Begleichung der Abschiebekosten abhängig gemacht werden, da der Kläger weitgehend mittellos und der Grund für die beantragte Befristung ein auf Art. 6 GG gestützter Anspruch auf Wiedereinreise in die Bundesrepublik sei. Für die erforderliche Gefahrenprognose im Rahmen der Befristungsentscheidung sei ein Privatgutachten ungeeignet, zumal der Kläger die Kosten für ein solches Gutachten nicht aufbringen könne. Die Beklagte überbewerte die Verurteilung des Klägers. Im Hinblick auf den zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf, die Geburt des Kindes und die grundsätzliche Straflosigkeit des Klägers seit seiner Abschiebung erscheine deshalb eine sofortige Befristung angemessen. Der Kläger müsse darüber hinaus keine Angaben zu seiner illegalen Einreise bzw. seinem illegalen Aufenthalt machen. Seine ausländerrechtliche Mitwirkungspflicht erschöpfe sich in der Pflicht, für ihn günstige Umstände geltend zu machen. Dazu zähle weder die illegale Einreise noch der illegale Aufenthalt in Frankreich.

Am 7. April 2009 teilte die deutsche Botschaft in Paris der Beklagten mit, die französischen Behörden hätten keine Erkenntnisse hinsichtlich des Klägers. Dieser sei dort nicht bekannt.

Mit Schreiben vom 21. April 2009 ließ der Kläger ein kamerunisches Führungszeugnis, Abschriften der vor der deutschen Botschaft in Paris am 1. Dezember 2008 abgegebenen Vaterschaftsanerkennung und der gemeinsamen Sorgeerklärung sowie die Wohnsitzanmeldung des Kindes in … vom 12. Januar 2009 vorlegen.

Unter dem 15. Juni 2009 verlangte die Beklagte vom Kläger erneut Angaben zur Einreise und zum Aufenthalt in Frankreich sowie die Beibringung eines psychologisch-psychiatrischen Gutachtens. Sie setzte hierfür eine Frist bis zum 15. August 2009. Mit Schreiben vom selben Tag wandte sie sich an die Verlobte des Klägers und befragte diese zu den Umständen ihres Aufenthalts in Frankreich. Die Verlobte des Klägers teilte daraufhin mit Schreiben vom 12. August 2009 mit, es werde eine intensive und enge Beziehung geführt, die schnellstmöglich in Deutschland weitergeführt werden solle.

Durch Schriftsatz vom14. Juli 2009ließ der KlägerUntätigkeitsklageerheben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung nachträglich auf den Tag nach der Zustellung der gerichtlichen Entscheidung zu befristen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag des Klägers zu entscheiden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, vom Kläger könne die Beibringung eines psychologisch-psychiatrischen Gutachtens nicht verlangt werden, da dies nicht erforderlich sei. Aus den Taten des Klägers und den Feststellungen des Amtsgerichts lasse sich nicht erkennen, dass beim Kläger ein besonderes Maß der Abartigkeit vorliege. Zwar habe sich der Kläger durch seinen illegalen Aufenthalt in Frankreich nicht rechtstreu verhalten, andererseits könne man davon ausgehen, dass er keine über seinen illegalen Aufenthalt und seine illegale Erwerbstätigkeit hinausgehenden Straftaten begangen habe, da sein Aufenthalt in Frankreich anderenfalls beendet worden wäre. Für die Frage der Befristung sei darauf abzustellen, ob vom Kläger nach seiner Rückkehr nach Deutschland Straftaten zu erwarten seien. Dies sei bei einer erlaubten Rückkehr allerdings nicht der Fall. Darüber hinaus sei das Motiv des Klägers für seinen illegalen Aufenthalt, nämlich seine familiäre Situation, zu berücksichtigen. Angaben zu seiner illegalen Einreise und seinem illegalen Aufenthalt könne die Ausländerbehörde vom Kläger nicht verlangen. Bei der Entscheidung müsse zudem berücksichtigt werden, dass die Tochter des Klägers deutsche Staatsangehörige sei, und einen Anspruch auf ein Zusammenleben mit ihrem Vater habe.

MitBescheid vom 21. August 2009lehnte die Beklagte den Antrag auf Befristung der Ausweisungs- und Abschiebungswirkungen ab. Zur Begründung ist ausgeführt, die Befristung der Sperrwirkungen könne nur erfolgen, wenn der mit der Ausweisung und Abschiebung verbundene Zweck erreicht worden sei. Hierfür habe der Kläger keine Nachweise erbracht. Das kamerunische Führungszeugnis sei hierfür ungeeignet, da sich der Kläger keinen nennenswerten Zeitraum in Kamerun aufgehalten habe. Der Kläger habe auch keine weiteren Unterlagen vorgelegt, so dass der Antrag auf Befristung der Ausweisungs- und Abschiebungswirkungen bereits wegen mangelnder Mitwirkung abzulehnen sei. Auch der fortgesetzte Rechtsverstoß des illegalen Aufenthalts in Frankreich spreche dafür, dass vom Kläger weitere Rechtsverstöße drohten. Ein Anspruch auf die Befristung der Ausweisung und Abschiebungswirkung könne auch nicht auf Art. 6 GG gestützt werden. Eine Vaterschaft des Klägers für das Kind werde von der Ausländerbehörde allenfalls anerkannt, wenn der Kläger ein entsprechendes DNA-Gutachten vorlege, welches auch die Vaterschaft seines Zwillingsbruders ausschließe. Zudem seien die Abschiebungskosten bislang nicht beglichen.

Nach Erlass des Ablehnungsbescheids ließ der Kläger am 27. August 2009 seinen Hauptantrag ändern und begehrt nunmehr, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf den 21. August 2009 zu verpflichten. Mit ergänzenden Schriftsätzen vom 27. August 2009, 7. September 2009 und 21. September 2009 ließ der Kläger sein Vorbringen, insbesondere auch zum Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft in Frankreich, wiederholen und vertiefen. Dabei wurde insbesondere vorgetragen, der Kläger und seine Verlobte hätten Ende August 2009 in Frankreich geheiratet. Die Heiratsurkunde wurde am 12. Oktober 2009 nachgereicht.

Der Kläger lässt beantragen:

1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2009 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung des Klägers auf den 21.08.2009 zu befristen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Begründung ihres Bescheids vom 21. August 2009 und ist im Übrigen der Auffassung, dass die Mitwirkungspflicht des Klägers sich auch auf die Angabe von für ihn ungünstigen Umständen erstrecke.

Mit Beschluss vom 24. September 2009 hat die Kammer dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt.

Zur Ergänzung wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten und der Gerichtsakte (auch in den Verfahren Au 1 K 04.1277, Au 1 E 04.1880 und Au 1 E 05.2005) sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2009.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

1. Mit der Klage verfolgt der Kläger im Hauptantrag die Verpflichtung der Beklagten zur Befristung der Wirkungen der Ausweisung vom 19. Juli 2004 und zur Befristung der Wirkungen der Abschiebung des Klägers am 19. Dezember 2005 jeweils auf den 21. August 2009. Ausweisung und Abschiebung haben jeweils unabhängig voneinander die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge und sind daher gesondert zu befristen (VGH BW vom 24.6.1998 Az. 13 S 1099/96 - <juris> RdNr. 26; Oberhäuser in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, RdNr. 16 zu § 11 AufenthG). Dem gestellten Hilfsantrag auf Bescheidung des Befristungsantrags kommt hingegen keine eigenständige Bedeutung zu, da er in den Hauptanträgen bereits enthalten ist (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 1 zu § 88).

2. Die im Wege der objektiven Klagehäufung erhobenen Antrage sind zulässig. Dabei kann dahinstehen, ob der im Schriftsatz vom 27. August 2009 gestellte Hauptantrag gegenüber dem zunächst gestellten Antrag vom 14. Juli 2009 eine Klageänderung darstellt. Selbst falls dies der Fall sein sollte, wäre die Klageänderung jedenfalls sachdienlich (§ 91 Abs. 1 VwGO).

3. Die Klage ist überwiegend begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung und Befristung der Wirkungen seiner Abschiebung zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Abzuweisen war die Klage allerdings, soweit der Kläger darüber hinaus die Befristung auf den 21. August 2009 begehrte, da die Sache insofern nicht spruchreif ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

a) Der Kläger hat sowohl einen Anspruch auf die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung als auch einen Anspruch auf die Befristung der Wirkungen seiner Abschiebung.

aa) Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche ist vorliegend § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG werden die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf Antrag in der Regel befristet. Mit dieser Befristungsmöglichkeit trägt der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Dementsprechend hat der Betroffene bei Vorliegen eines Regelfalls einen Anspruch auf Befristung. Das Tatbestandsmerkmal der Regelbefristung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung.

Für die rechtshindernde Tatsache des Vorliegens eines Ausnahmefalls als Abweichung von der in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG angeordneten gesetzlichen Regel trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und (Beweis-) bzw. Feststellungslast (BayVGH vom 15.10.2008 Az. 19 ZB 08.1966 - <juris>; vgl. allgemein zur Beweislastverteilung Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 13a zu § 108). Einen Ausnahmetatbestand hat entsprechend allgemeinen Grundsätzen stets derjenige zu beweisen, der sich auf ihn beruft. Nur wenn das Gericht in Ausübung seiner Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) zu dem Ergebnis kommt, dass die Ausländerbehörde zu Recht einen Ausnahmefall angenommen hat, wird die gesetzliche Regel des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durchbrochen und ein Anspruch des Ausländers auf Befristung an der Entstehung gehindert. Nicht der Ausländer, sondern die Ausländerbehörde trägt die Feststellungslast für das Vorliegen eines solchen - atypischen - Geschehensablaufs (BayVGH vom 15.10.2008 a.a.O.).

Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Ausländer bei der Feststellung des Vorliegens eines Regelfalls jeder Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) enthoben wäre. Die Ausländerbehörde kann (zunächst) nur diejenigen Tatsachen berücksichtigen, die ihr aus den Akten oder anderweitig bekannt sind. Handelt es sich hingegen um Umstände, die der alleinigen Kenntnis und Verantwortungssphäre des Ausländers zuzuordnen sind, so hat zunächst der Ausländer selbst solche Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, die geeignet sind, eine entsprechende Schlussfolgerung zu tragen. Der Ausländer kann sich insoweit jedes tauglichen (Beweis-)Mittels bedienen (BayVGH vom 15.10.2008 a.a.O.).

bb) Gemessen daran liegen sowohl im Hinblick auf die Ausweisung als auch im Hinblick auf die Abschiebung die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Befristung vor. Im Falle des Klägers ist jeweils von einem Regelfall i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auszugehen.

(1) Hinsichtlich des Vorliegens eines Regelfalls i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist die Sache sowohl im Hinblick auf die Ausweisung als auch im Hinblick auf die Abschiebung spruchreif. Die Kammer hat die tatsächlich möglichen und rechtlich zulässigen Mittel ausgeschöpft, um den Sachverhalt umfassend aufzuklären.

(a) Eine weitere Aufklärung hinsichtlich des strafrechtlich relevanten Verhaltens des Klägers in Frankreich ist nicht möglich. Der Kläger hält sich nach eigenen Angaben illegal in Frankreich auf. Nach der Mitteilung der Deutschen Botschaft in Paris vom 7. April 2009 an die Beklagte ist er den französischen Behörden unbekannt. Es ist nicht ersichtlich, dass sich daran etwas geändert haben könnte. Insofern würde eine entsprechende Anfrage der Kammer bei den französischen Behörden - etwa wegen eines Führungszeugnisses - offensichtlich erfolglos bleiben. Auch die Beklagte hat solche weiteren Ermittlungen nicht angestellt und auch in der mündlichen Verhandlung - trotz entsprechender Frage - nicht angeregt.

(b) Die Kammer konnte entgegen der Ansicht der Beklagten dem Kläger auch nicht aufgeben, nähere Angaben zu seiner illegalen Einreise und zu seinem illegalen Aufenthalt in Frankreich zu machen.

Setzt eine weitere Sachaufklärung die Mitwirkung eines Beteiligten voraus, reicht die Aufklärungspflicht des Gerichts nur soweit, wie auch die Mitwirkungspflicht des Beteiligten reicht. Die Mitwirkungspflicht der Prozessbeteiligten (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) findet ihre Grenze wiederum dort, wo den Beteiligten die verlangte Mitwirkungshandlung unzumutbar ist (Kopp/Schenke a.a.O, RdNr. 5 und 11 zu § 86). Welche Mitwirkungshandlungen dem Beteiligten dabei zumutbar sind, bestimmt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

33Unzumutbar ist die Mitwirkung insbesondere auch dann, wenn sich der Beteiligte durch bestimmte Angaben selbst einer Straftat bezichtigen müsste oder sich konkret der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde. In solchen Fällen begrenzt das auch verfassungsrechtlich verbürgte Schweigerecht in Bezug auf eigene strafbare Handlungen (Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) die Mitwirkungspflicht des Beteiligten. Dieses Schweigerecht ist selbstverständlicher Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung, die auf dem Leitgedanken der Achtung vor der Menschenwürde beruht (BVerfGE 56, 37 <41 ff.>; 38, 105 <113>; BGHSt 14, 358 <364>). Es gilt dabei nicht nur für strafrechtliche und vergleichbare Verfahren. Auch für den Zivilprozess und entsprechende Verfahren ist anerkannt, dass die Wahrheitspflicht der Partei dort ihre Grenzen findet, wo sie gezwungen wäre, eine ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren (vgl. BVerfGE 56, 37 <44>). Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren kann grundsätzlich nichts anderes gelten, zumal die VwGO keinen Schutz vor strafrechtlichen Sanktionen, etwa in Form eines gesetzlichen Beweisverwertungsverbots, bietet.

34Dieser Grundsatz beansprucht auch für ausländerrechtliche Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten Gültigkeit. Insbesondere ergibt sich aus der für das Verwaltungsverfahren geltenden Regelung des § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG keine Selbstbezichtigungspflicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kann von einem Ausländer lediglich verlangt werden, dass er für ihn günstige Umstände geltend macht und belegt. Ganz offensichtlich wird das verfassungsrechtliche Schweigerecht von dieser Regelung nicht eingeschränkt. Dies bedeutet zwar nicht, dass die Ausländerbehörde aus dem Schweigen des Ausländers zu bestimmten Umständen nicht negative Schlüsse ziehen darf. Eine Verpflichtung zur Selbstbezichtigung ergibt sich daraus freilich nicht.

Gemessen daran hätte die Kammer - genauso wenig wie die Beklagte - vom Kläger verlangen dürfen, nähere Angaben zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Frankreich zu machen. Der Kläger hat angegeben, dass die Einreise und der anschließende Aufenthalt in Frankreich illegal waren bzw. sind. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass sich der Kläger durch weitere Angaben selbst einer oder mehrerer Straftaten nach französischem Recht bezichtigen müsste. Da der Bevollmächtigte des Klägers mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, dass dies nicht in Betracht komme, konnten vom Kläger keine weiteren Angaben in diesem Zusammenhang verlangt werden.

(c) Für die Kammer bestand auch kein Anlass, den Kläger psychiatrisch begutachten zu lassen.

Die Beklagte will in den Straftaten des Klägers Anhaltspunkte für eine "Abartigkeit" des Klägers erkannt haben, die befürchten lassen, der Kläger werde weitere schwere Straftaten begehen. Diese subjektive Einschätzung der Beklagten ist für die Kammer jedoch kein Grund, in diese Richtung weitere Ermittlungen anzustellen.

38Wie dargelegt werden die Mitwirkungspflicht der Beteiligten und damit korrespondierend auch die Aufklärungspflicht des Gerichts durch die Zumutbarkeit der in Frage kommenden Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung für den Beteiligten beschränkt. Maßgeblich ist insofern auch, ob es für das Vorliegen der aufzuklärenden Tatsache bereits tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Liegen gewichtige Anhaltspunkte vor und wird die entsprechende Tatsache vom Beteiligten dennoch bestritten, spricht dies für die Zumutbarkeit der entsprechenden Maßnahme zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts. Umgekehrt ist eine belastende Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung regelmäßig unzumutbar, wenn es keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer streitigen Tatsache gibt (vgl. Kopp/Schenke a.a.O., RdNr. 6 zu § 86 m.w.N.). Für das Gericht besteht daher - genauso wie für die Behörde im Verwaltungsverfahren - weder eine Verpflichtung noch einer Berechtigung zur Aufklärung "ins Blaue hinein", insbesondere, wenn die entsprechenden Maßnahmen zu Sachverhaltsaufklärung für einen Beteiligten mit nicht unerheblichen Belastungen verbunden wären.

So liegt der Fall hier. Für das Vorliegen einer psychiatrisch relevanten "Abartigkeit" des Klägers gibt es keinerlei Anzeichen. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich nicht, dass der Kläger jemals in psychiatrischer Behandlung gewesen wäre. Insbesondere bieten auch die Ausführungen im zur Ausweisung führenden Urteil keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger unter einer seelischen oder psychischen Abartigkeit etwa im Sinne von §§ 20, 21 StGB leiden würde. Das Amtsgericht hat sich in seinem Urteil (S. 5 - 11 und S. 46 ff.) intensiv mit der Person des Klägers auseinandergesetzt, ohne das Vorliegen einer psychiatrischen Störung auch nur ansatzweise zu thematisieren. Weder Staatsanwaltschaft noch Gericht sahen offenbar einen Anhaltspunkt für eine psychiatrische Störung beim Kläger. Dass die rein subjektive und weder kriminologisch noch medizinisch unterfütterte Vermutung der Beklagten diese Einschätzung nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen vermag, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Auf der anderen Seite würde die Erstellung eines aussagekräftigen psychiatrischen Gutachtens den Kläger nicht unerheblich belasten. Angesichts des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte für eine psychische Störung beim Kläger, war daher von der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens abzusehen.

Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass es - entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht der Beklagten - der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens auch nicht bedarf, soweit damit aufgeklärt werden soll, ob vom Kläger eine Wiederholungsgefahr ausgeht. Die Beurteilung, ob vom Kläger künftig (k)eine Wiederholungsgefahr ausgehe, ist keine dem Beweis zugängliche Tatsche. Die Frage, ob von dem Kläger eine Wiederholungsgefahr ausgeht, erfordert vielmehr eine grundsätzlich der tatrichterlichen Tätigkeit zuzuordnende Prognose. Ein Sachverständigengutachten kann nicht an die Stelle dieser richterlichen Prognose treten (vgl. BVerfG vom 23.9.1991, NJW 1992, 2344; näher auch BayVGH vom 20.3.2008 Az. 10 BV 07.1856 - <juris> RdNr. 24).

(d) Weitere Maßnahmen zu Sachaufklärung sind für die Kammer nicht ersichtlich. Auch die Beteiligten haben - trotz entsprechender Aufforderung durch die Kammer in der mündlichen Verhandlung - keine weitere Aufklärung beantragt oder angeregt. Im Hinblick auf die Frage, ob die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung zu befristen sind, ist die Sache daher spruchreif. Damit steht zugleich fest, dass die Beklagte die Befristung nicht unter Hinweis auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers ablehnen durfte.

(2) Bei Zugrundelegung des von der Kammer ermittelten Sachverhalts ist die Beklagte verpflichtet, sowohl die Wirkungen der Ausweisung als auch die Wirkungen der Abschiebung des Klägers zu befristen, weil sich der Fall des Klägers jeweils als Regelfall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG darstellt.

(a) Ob im Hinblick auf die Befristung der Wirkungen der in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Maßnahmen ein Regelfall anzunehmen ist, bestimmt sich dabei maßgeblich anhand des gesetzlichen Zwecks der jeweiligen Sperrwirkung.

Die Sperrwirkung der Ausweisung verfolgt den Zweck, die Allgemeinheit vor dem Ausländer zu schützen (Spezialprävention) und andere Ausländer von der Verwirklichung von Ausweisungsgründen abzuschrecken (Generalprävention). Die Abschiebung dient lediglich der Durchsetzung der Ausreisepflicht, ihre Sperrwirkung soll als weitergehende Sanktion den Ausländer und auch andere Ausländer zur Beachtung aufenthaltsrechtlicher Regelungen, insbesondere der Ausreispflicht anhalten (näher VGH BW vom 24.6.1998 a.a.O., RdNr. 27 f.; Oberhäuser, a.a.O., RdNr. 20 zu § 11 AufenthG m.w.N.). Mit der Regelvermutung bringt der Gesetzgeber dabei zum Ausdruck, dass davon auszugehen ist, dass diese Zwecke nach Ablauf einer gewissen Zeit erreicht sind. Namentlich in Fällen der Ausweisung aus Anlass von Straftaten besteht nach einer angemessenen Zeit ordnungsgemäßer Führung regelmäßig kein Anlass mehr, dem Ausländer allein wegen der Ausweisung den Aufenthalt zu verwehren. Ist beispielsweise die Wiederholungsgefahr entfallen, derentwegen der Ausländer ausgewiesen wurde, so sind grundsätzlich auch die Ausweisungswirkungen zu befristen (vgl. BVerwG vom 7.12.1999 Az. 1 C 13/99, NVwZ 2000, 688; BVerwG vom 11.8.2000 Az. 1 C 5.00, InfAuslR 2000, 483).

Dem Regel-Ausnahmeverhältnis entsprechend sind an das Vorliegen eines Ausnahmefalls strenge Anforderungen zu stellen. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung darf nur in atypischen Fällen versagt werden (vgl. BVerwG vom 11.8.2000 a.a.O.). Ein Ausnahmefall kann daher nur angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag erkennbar ist, dass die jeweiligen Zwecke auch nach einer gegebenenfalls langen Frist nicht zu erreichen sind.

Selbst falls eine solche für den Betroffenen negative Prognose getroffen wird, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob nicht die (grundrechtlich geschützten) Interessen des Ausländers an einer Rückkehr ins Bundesgebiet die mit der Sperrwirkung der Ausweisung bzw. Abschiebung verfolgten öffentlichen Interessen überwiegen. Nur wenn sich ergibt, dass die Zwecke der Sperrwirkung der Ausweisung bzw. Abschiebung auch nach einer gegebenenfalls langen Frist nicht erreicht werden können und die Interessen des Ausländers an einer Rückkehr in das Bundesgebiet nicht schwerer wiegen als die öffentlichen Interessen, kann von einem Ausnahmefall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausgegangen werden.

(b) Gemessen daran liegt im Hinblick auf die Befristung der Wirkung der Ausweisung des Klägers ein Regelfall vor. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die general- und spezialpräventiven Zwecke der Ausweisung auch nach Ablauf einer gegebenenfalls längeren Frist nicht erreicht werden können. Selbst wenn man unterstellen wollte, vom Kläger gehe noch eine Wiederholungsgefahr aus, würden die Interessen des Klägers an einer Rückkehr die öffentlichen Interessen an einer dauerhaften Fernhaltung aus dem Bundesgebiet überwiegen.

Zunächst spricht der grundrechtlich gebotene Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) vorliegend ganz erheblich für die Annahme eines Regelfalls.

Der Kläger ist sorgeberechtigter Vater eines deutschen Kindes. Die Kammer hat derzeit keine durchgreifenden Zweifel daran, dass es sich beim Kläger tatsächlich um den Vater des Kindes handelt. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger bereits vor seiner Ausweisung und Abschiebung aus dem Bundesgebiet eine Beziehung zu der Mutter des Kindes unterhielt. Die Angaben der Beteiligten zur Vaterschaft des Klägers sind insofern im Wesentlichen widerspruchsfrei. Darüber hinaus weist die Kammer darauf hin, dass die Vaterschaft und das Sorgerecht des Klägers aufgrund der wirksamen Vaterschaftsanerkennung und Sorgeerklärung vor der Deutschen Botschaft in Paris vom 12. Januar 2009 von Gesetzes wegen feststehen. Die Vaterschaftsanerkennung und die Sorgeerklärung konnten formell wirksam gegenüber der Deutschen Botschaft in Paris abgegeben werden (vgl. §§ 1597 Abs. 1, 1626 d Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 2, 10 KonsG). Die Kammer folgt dabei vorliegend der Auffassung, dass jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 die förmliche Anfechtung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde (§ 1599 Abs. 1, § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 BGB) Voraussetzung für die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung ist. Der Ausländerbehörde ist es ohne diese förmliche Anfechtung daher nicht gestattet, der Vaterschaftsanerkennung die rechtliche Wirksamkeit abzusprechen (vgl. zum Ganzen auch OVG Hamburg vom 24.10.2008 Az. 5 BS 196/08 - <juris> RdNr. 13). Insofern muss auch im vorliegenden Verfahren davon ausgegangen werden, dass der Kläger der Vater des Kindes ist.

Schließlich ist der Kläger mittlerweile mit der deutschen Mutter des Kindes verheiratet. Seine als Zeugin vernommene Ehefrau hat gegenüber der Kammer glaubhaft angegeben, dass ein unter den gegebenen Umständen vergleichsweise intensiver Kontakt bestehe und ein gemeinsames Leben in der Bundesrepublik angestrebt werde. Die Kammer hat daher keinen Zweifel an der Absicht des Klägers, eine familiäre- bzw. eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herzustellen bzw. fortzuführen.

Angesichts dieser engen familiären Bindungen sind an die Annahme eines Ausnahmenfalls im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG besondere, über die bereits hohe gesetzliche Schwelle hinausgehende Anforderungen zu stellen.

Eine Ausnahme vom Regelfall hätte demnach nur angenommen werden können, wenn eine Gefahrenprognose ergeben hätte, dass vom Kläger offensichtlich noch immer die Gefahr schwerwiegender Straftaten ausgeht. Aufgrund der Feststellungen der Kammer lässt sich eine solche konkrete Wiederholungsgefahr allerdings nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen.

Die Beklagte stützt sich bei ihrer Beurteilung lediglich auf die Würdigung der Straftaten des Klägers. Daraus allein lässt sich nach Auffassung der Kammer aber keine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger im Bundesgebiet wiederholt massiv straffällig geworden ist und seine Ausweisung durch die Beklagte zu Recht erfolgt ist. Insbesondere der Umstand, dass seit der Abschiebung des Klägers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fast vier Jahre, seit der letzten relevanten Tat sogar über sieben Jahre verstrichen sind, verbietet es aber, von der damaligen Gefährlichkeit des Klägers ohne weiteres auf eine Wiederholungsgefahr zu schließen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger zum Zeitpunkt der letzten Tat Heranwachsender war, auf den das Amtsgericht aufgrund seines persönlichen Reifegrades noch Jugendstrafrecht angewandt hat. Die Annahme, dass der Kläger während und nach der erstmaligen Verbüßung einer Haftstrafe charakterlich gereift ist, kann nicht von vorneherein ausgeschlossen werden.

Auch aus der illegalen Einreise nach Frankreich und dem anschließenden illegalen Aufenthalt sowie der illegalen Beschäftigung des Klägers in Frankreich ist nicht ohne weiteres zu folgern, vom Kläger gehe weiterhin eine erhebliche Gefahr aus. Eine illegale Wiedereinreise kann nicht gleichsam zwingend die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen. Vielmehr sind in jedem Fall die Umstände des Einzelfalls und mögliche billigenswerte Motive des Betroffenen zu würdigen (Hailbronner, AuslR, Stand August 2009, RdNr. 16 zu § 11 AufenthG; Oberhäuser a.a.O., RdNr. 26 zu § 11 AufenthG jeweils m.w.N.). Dient die Wiedereinreise und ein anschließender illegaler Aufenthalt der Wahrung einer schützenswerten familiären Gemeinschaft, lässt sich daraus nicht zwangsläufig eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf eine allgemeine, nicht ausländerrechtliche Delinquenz folgern. Insofern spricht allenfalls die erstmalige Einreise des Klägers nach Frankreich für eine rechtsfeindliche Gesinnung. Die Ehefrau des Klägers hat glaubhaft angegeben, die Einreise sei im April 2007 erfolgt. Kurze Zeit später sei sie bereits schwanger gewesen. Daher kann zugunsten des Klägers angenommen werden, dass der weitere Aufenthalt in Frankreich und seine illegale Beschäftigung zumindest auch der Unterstützung seiner damaligen Verlobten, ab Februar 2008 auch der Wahrung der familiären Gemeinschaft mit seiner Tochter dienten. Danach spricht manches dafür, dass vergleichbare Straftaten vom Kläger im Falle eines legalen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht zu erwarten sind.

Auch die Weigerung des Klägers, an der weiteren Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, kann nicht zwangsläufig als Beleg herangezogen werden, vom Kläger gehe weiterhin die Gefahr schwerwiegender Straftaten aus. Grundsätzlich kann die Ausländerbehörde aus der beharrlichen Weigerung des Ausländers, entscheidungserhebliche Umstände mitzuteilen, negative Schlüsse für den Ausländer ziehen (vgl. zum Ganzen Funke/Kaiser in GK-AufenthG, Stand März 2008, RdNr. 17 zu § 82). Allerdings dürfen nur solche Schlüsse gezogen werden, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles vernünftigerweise naheliegen. Gemessen daran kann dem Kläger vorliegend allenfalls das unterstellt werden, was er ohnehin einräumt, nämlich, dass er illegal nach Frankreich eingereist ist, sich illegal dort aufhält und einer illegalen Beschäftigung nachgeht. Ein weitergehender Schluss dahingehend, der Kläger wolle durch die Weigerung, ein französisches Führungszeugnis vorzulegen, die Offenbarung weiterer Straftaten verhindern, ist hingegen weder naheliegend noch zulässig. Der Kläger hat die Weigerung plausibel damit erklärt, dass er aufgrund seines illegalen Aufenthalts den französischen Behörden unbekannt ist und er deshalb kein Führungszeugnis beibringen kann. Diese Angaben werden von der Mitteilung der Deutschen Botschaft in Paris vom 7. April 2009 bestätigt. Daraus kann und darf jedoch nicht geschlossen werden, der Kläger wolle weitere Straftaten verheimlichen. Zum einen hätten die französischen Behörden im Falle der Verurteilung des Klägers (etwa unter anderem Namen) mit hoher Wahrscheinlichkeit aufenthaltsrechtliche Konsequenzen gezogen. Zum anderen verbietet es die ebenfalls durch das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich abgesicherte Unschuldsvermutung, dem Kläger ohne irgendwelche Anhaltspunkte weitere Straftaten zu unterstellen.

Nach alledem kann die Kammer im Falle des Klägers keine hinreichend konkrete Gefahr der künftigen Begehung schwerwiegender Straftaten erkennen. Die verbleibenden Bedenken hinsichtlich seiner Rechtstreue vermögen hingegen die gewichtigen familiären Interessen des Klägers nicht aufzuwiegen. Insofern liegt im Hinblick auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ein Regelfall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

(b) Auch im Hinblick auf die Befristung der Wirkungen der Abschiebung liegt eine Regelfall vor.

Für die Annahme eines Regelfalls spricht bereits, dass der Kläger aus der Strafhaft heraus abgeschoben wurde und infolgedessen zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, seiner Ausreisepflicht freiwillig nachzukommen. Der mit der Sperrwirkung der Abschiebung verfolgte Zweck, den Betroffenen und andere Ausländer zu einer freiwilligen Ausreise anzuhalten, kann in solchen Fällen offensichtlich nicht erreicht werden, da dem Betroffenen ein rechtmäßiges Alternativverhalten tatsächlich unmöglich ist.

Weitere Umstände, die gleichwohl die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann ein Ausnahmefall nach Auffassung der Kammer nicht allein deshalb angenommen werden, weil ein abgeschobener Ausländer die im Zusammenhang mit der Abschiebung entstandenen Kosten noch nicht beglichen hat, wenn dieser, wie der Kläger, in Deutschland lebende deutsche Familienangehörige hat. Die fiskalischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland können in solchen Fällen die verfassungsrechtlich geschützten Interessen an der Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung familiärer Bindungen nicht aufwiegen. Die ausstehende Begleichung der Abschiebekosten kann im Fall des Klägers daher nicht rechtfertigen, ihn dauerhaft aus Deutschland fernzuhalten (ebenso Oberhäuser a.a.O., RdNr. 26 zu § 11 AufenthG m.w.N.; OVG Hamburg vom 6.5.1993 Bf VII 10/93 - <juris> RdNr. 62; VG Wiesbaden vom 17.12.2008 Az. 4 K 1128/08.WI - <juris> RdNr. 17).

cc) Nach alledem steht dem Kläger sowohl ein Anspruch auf die Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung als auch ein Anspruch auf die Befristung der Wirkungen seiner Abschiebung zu.

b) Keinen Erfolg hat die Klage, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, die Wirkungen der Ausweisung und die Wirkungen der Abschiebungen jeweils auf den 21. August 2009 zu befristen. Weder im Hinblick auf die Ausweisung noch im Hinblick auf die Abschiebung ist die Sache insofern spruchreif. Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen hinsichtlich der Fristlänge bei beiden Befristungsentscheidungen noch nicht ausgeübt. Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt jeweils nicht vor.

Einer Ermessenreduzierung auf Null stehen im Hinblick auf die Befristung der Wirkungen der Ausweisung die massive Straffälligkeit des Klägers und seine nicht gänzlich unerheblichen Rechtsverstöße nach seiner Abschiebung entgegen. Hinsichtlich der Befristung der Wirkungen der Abschiebung hindert insbesondere die illegale Einreise des Klägers nach Frankreich eine Ermessensreduzierung auf Null. Insoweit wäre es noch Sache des Klägers, gegenüber der Beklagten gegebenenfalls seine Bereitschaft zur Beendigung seines illegalen Aufenthalts bei einer entsprechenden Rückkehrperspektive zu dokumentieren.

Insoweit war die Klage daher abzuweisen. Die Kammer weist jedoch vorsorglich darauf hin, dass angesichts des Zeitablaufs seit der Abschiebung und der erheblichen familiären Bindungen des Klägers ins Bundesgebiet der Ermessenspielraum der Beklagten ganz erheblich zu Gunsten des Klägers eingeschränkt ist.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im Hinblick darauf, dass die Frage, ob ein Regelfall im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vorliegt, den Schwerpunkt des Rechtsstreits bildete und der Kläger insofern erfolgreich war, erschien die Aufteilung der Kosten im aus dem Tenor ersichtlichen Verhältnis angemessen.

III.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

 

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer geht dabei davon aus, dass die Ansprüche auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung und auf Befristung der Wirkungen der Abschiebung mit der Wiedereinreise des Klägers auf dasselbe Ziel gerichtet sind und daher trotz des Vorliegens zweier Ansprüche der Ansatz des Auffangstreitwerts angemessen ist.

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