OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2012 - I-16 U 55/11
Fundstelle
openJur 2012, 87529
  • Rkr:

I-16 U 55/11

§§ 7, 16 Abs. 3, 19, 21, 22 Abs. 1 GmbHG

1. Bei Verwendung des Mantels einer bewusst für eine spätere Verwendung "auf Vorrat" gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung haften die Gesellschafter nach den Grundsätzen über die Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung auch, wenn sie die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Handelsregister offengelegt haben.

2. Die ursprünglich eingezahlte Stammeinlage ist bei Aktivierung der Vorratsgesellschaft dann nicht mehr vorhanden, wenn der Erwerber des Mantels das ihm während des Notartermins übergebene Kassenkapital in Form der ihm konkret übergebenen Scheine an den Veräußerer sogleich als Kaufpreis zurückgewährt.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 8. März 2011 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstre-ckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig voll-streckbar.

Gründe

I.

Der Kläger, der Insolvenzverwalter über das Vermögen der H… W… mbH ist, nimmt die Beklagte als Gründungsgesellschafter und Rechtsvorgänger des Gesellschafters S… wegen angeblich teilweise ausstehender Stammeinlage in Anspruch.

Die S… H… mbH wurde von der Beklagten mit Gesellschaftsvertrag vom 6. März 2007 als so genannte "Vorratsgesellschaft” mit einem zu erbringenden Stammkapital von 25.000 € gegründet und am 19. März 2007 im Handelsregister eingetragen. Mit notariellem Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 11. April 2007 (Anl. K2, Bl. 11 ff. GA) verkaufte die Beklagte ihre Geschäftsanteile an den Zeugen S… für 27.550 €, die gemäß § 4 dieses Vertrages während der Beurkundung in bar gezahlt wurden. Der Zeuge S…, der im Rahmen einer am gleichen Tag abgehaltenen Gesellschafterversammlung zum neuen Geschäftsführer bestellt wurde, bestätigte in § 1 Abs. 3 des Vertrages, dass er das eingezahlte Stammkapital der Gesellschaft i.H.v. 25.000 € während der Beurkundung in bar erhalten hat. In dieser Gesellschafterversammlung wurde die Firma der Gesellschaft in H… W… mbH geändert und der Sitz der Gesellschaft von K… nach H… verlegt; Gegenstand des Unternehmens ist seit dieser Gesellschafterversammlung der Warenhandel aller Art.

In der Handelsregisteranmeldung vom 11. April 2007 (Anl. B 6, Bl. 68 ff. GA) erklärte der Geschäftsführer S…, "dass es sich im vorliegenden Fall um die Aktivierung einer Vorratsgesellschaft handelt" und dass "auf die Stammeinlagen der Gesamtbetrag der eingezahlten Beträge 25.000 € erreicht und sich die eingezahlten Beträge endgültig zu (seiner) freien Verfügung befinden, Vorbelastungen nicht bestehen, das Vermögen der Gesellschaft in Höhe der derzeit aktuellen Stammkapitalziffer noch vorhanden und abgesehen von evtl. satzungsmäßigen Gründungsaufwand nicht mit Verbindlichkeiten vorbelastet ist".

Über das Vermögen der H… W… mbH (nachfolgend: Schuldnerin) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 9. September 2009 wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter zunächst den Zeugen S… zur Zahlung der angeblich noch offenen Einlageforderung von 25.000 € aufgefordert. Nachdem der Zeuge in der Folgezeit eine Teilzahlung von 1500 € erbrachte, hat der Kläger, nachdem er diesem Zeugen zur Zahlung von 23.500 € eine entsprechende Nachfrist gesetzt und ihm mit Schreiben vom 11. Mai 2010 den Ausschluss angedroht hatte, die Kaduzierung des betreffenden Anteils erklärt.

Wegen der entsprechenden, nach seiner Auffassung noch offenen Einlageforderung hat der Kläger sodann die Beklagte als Gründungsgesellschafterin und Rechtsvorgängerin des Gesellschafters S… auf Zahlung von 23.500 € in Anspruch genommen. Diese hat sich darauf berufen, entsprechend der Eröffnungsbilanz vom 6. März 2007 an diesem Tag zunächst die Mindesteinlage von 12.500 € bar in die Firmenkasse und am 2. April 2007 die zweite Hälfte der Stammeinlage von 12.500 € eingelegt zu haben. Im Notartermin sei dem Erwerber als neuen Geschäftsführer die gesamte Stammeinlage von 25.000 € in bar ausgehändigt worden.

Das Landgericht hat die Geschäftsführerin der Beklagten S… angehört und Herrn S… als Zeugen vernommen. Unter Abweisung eines Teils der geltend gemachten Zinsforderung hat es sodann der Klage stattgegeben und ausgeführt, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus §§ 19, 22 Abs. 1 GmbHG. Der Zeuge S…, Strohmann des Herrn M…, sei mit der Erbringung seiner fälligen Stammeinlagen im Rückstand gewesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Stammkapital dem Zeugen als Geschäftsführer der Schuldnerin nicht zur freien Verfügung gestanden habe. Der Zeuge habe - in Übereinstimmung mit der Darstellung von Frau S… - überzeugend bekundet, dass er von der jetzigen Geschäftsführerin der Beklagten Frau S… im Notartermin 25.000 € in bar erhalten, diese gezählt und anschließend wieder an Frau S… ausgehändigt habe. Hierdurch habe der Stammkapital nicht endgültig zur freien Verfügung gestanden. Es liege auch kein Fall des zulässigen Hin- und Herzahlen gemäß § 19 Abs. 5 GmbHG vor, weil jedenfalls kein vollwertiger, jederzeitig fällig oder durch fristlose Kündigung fällig werdender Rückgewähranspruch gegen den Gesellschaftergeschäftsführer S… bestanden habe. Die Beklagte hafte als Rechtsvorgängerin des Gesellschafters Schmitz gemäß § 22 Abs. 1 GmbHG direkt. Die Haftung der Beklagten sei auch nicht aufgrund von Treu und Glauben zu verneinen, weil deren Geschäftsmodell geradezu darauf angelegt sei, dem Erwerber ohne genügendes Kapital die Aktivierung einer GmbH allein zu den Kosten des Entgeltes der Beklagten (hier 2550 €) zu ermöglichen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, sie habe die übernommene Bareinlage von 25.000 € vollständig in zwei Tranchen eingezahlt und ihre Einlageverpflichtung damit erfüllt. Sie habe am 6. März 2007 12.500 € bar in die Firmenkasse gelegt und diesen Betrag nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister am 28. März 2007 auf ein für die Gesellschaft errichtetes Bankkonto bei der Deutschen Bank eingezahlt. Am 2. April 2007 habe sie die restliche Stammeinlage von 12.500 € in bar wiederum in die Gesellschaftskasse eingelegt und an diesem Tag weiterhin den zwischenzeitlich auf das Bankkonto eingezahlten Betrag von 12.500 € wieder der Kasse zugeführt. Diese Erfüllungswirkung sei nicht durch ein ihr folgendes Hin- und Herzahlen nach § 19 Abs. 5 GmbHG beseitigt worden. Es fehle bereits die hierfür notwendige Voraussetzung einer Vereinbarung der Rückzahlung vor Einzahlung der Einlage; sie habe vor und bei Aufbringung der Stammeinlage am 6. März und 2. April 2007 den späteren Käufer des Geschäftsanteiles Herrn S… nicht gekannt und weder bei Gründung der Gesellschaft noch vor der Einzahlung am 2. April 2007 die Absicht gehabt, sich die eingezahlte Einlage zurückzugewähren, erst recht nicht in der vom Kläger beanstandeten Weise anlässlich der am 11. April 2007 stattgefundenen Beurkundung. Im Übrigen sei eine in der Beurkundung am 11. April 2007 erfolgte Zahlung des Kaufpreises dem Register bei der Anmeldung offen gelegt worden durch einen Verweis auf den notariellen Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag vom gleichen Tag, in dessen § 4 die Zahlungsweise der Kaufpreisschuld festgehalten worden sei. Entgegen der Ansicht des Landgerichts habe die Stammeinlage an dem Notartermin vom 11. April 2007 der Gesellschaft zur freien Verfügung gestanden, weil die in die mitgeführte Kasse eingelegte vollständige Stammeinlage anlässlich der Beurkundung an diesem Tag als vorhanden dem Geschäftsanteilserwerber Herrn S… vorgezeigt und im Zuge der Beurkundung überlassen worden sei. Soweit das Landgericht gemeint habe, der Erwerber habe aus der mitgeführten Kasse den Kaufpreis durch Übergabe von 25.000 € an Frau S… gezahlt, liege darin zunächst eine von dem neuen Gesellschafter seiner Gesellschaft abverlangte Darlehenshingabe an seine Person, nachdem ihm die Kasse ausgehändigt worden war; sodann habe Herr S… aus freien Stücken das sich selbst gewährte Darlehen zur Tilgung seiner gegenüber der Beklagten bestehenden Kaufpreisschuld genutzt. Auch im Übrigen seien die Vorschriften zur Kaduzierung nicht eingehalten worden; da Herr S… nur als Strohmann für den dahinterstehenden tatsächlichen wirtschaftlichen Gesellschafter Herrn M… agierte, hätte sich der Kläger im Rahmen des nach § 22 Abs. 2 GmbHG ausgestalteten Staffelregresses zunächst an diesen halten müssen. Schmitz habe den Geschäftsanteil an der Gesellschaft für Herrn M… treuhänderisch gehalten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Er trägt vor, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich die Beklagte die (ursprünglich vielleicht einmal eingezahlte) Stammeinlage während der Beurkundung als Kaufpreis von der Schuldnerin zurückgeben lassen. Bei der Veräußerung der Gesellschaftsanteile bzw. der Aktivierung der Gesellschaft sei die Stammeinlage daher nicht (mehr) vorhanden und damit nicht gemäß der Rechtsprechung zu Kapitalaufbringung bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft ordnungsgemäß eingezahlt gewesen. Die Beklagte haftet daher gemäß §§ 22 Abs. 1 GmbHG. Eine teleologische Reduktion dieser Norm zu Gunsten von Händlern mit Vorratsgesellschaften sei nicht geboten, weil das Geschäftsmodell der Beklagten den Entzug der Stammeinlagen zum Zweck der Kaufpreiszahlung sogar ausdrücklich vorsehe, wie seitens der Beklagten im Rahmen der Beweisaufnahme eingeräumt worden sei. Wenn sich aber die Beklagte als Verkäuferin der Gesellschaftsanteile einerseits eine etwaige Einlage zurückgeben lasse, sich dann um die weitere Kapitalaufbringung und -erhaltung schlicht nicht weiter kümmere und diese den Erwerbern überlasse, gehe das - schon im Interesse des Gläubigerschutzes - zu ihren Lasten. Das Geschäftsmodell der Beklagten ziele offenkundig darauf ab, mit geringem Aufwand und gleich bleibendem Kapital möglichst viele (Vorrats-)Gesellschaften gründen zu können. Die Behauptung einer Treuhandabrede zwischen den Herren M… und S… sei verspätet, unerheblich und falsch. Schließlich folge die Haftung der Beklagten auch aus § 16 Abs. 2 GmbHG.

Der Senat hat terminsvorbereitende Hinweise erteilt (Bl. 216 f. GA). Hierzu haben beide Parteien Stellung genommen; die Beklagte hat unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Urkunden und Schriftstücke verwiesen.

II.

A.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat der Klage in dem zugesprochenen Umfang im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

I.

Die Beklagte schuldet allerdings nicht die Zahlung der Stammeinlage.

1.

Die S… H… mbH wurde von der Beklagten unstreitig als so genannte "Vorratsgesellschaft” gegründet. Die Gründung einer Gesellschaft, die zunächst keinen Geschäftsbetrieb aufnehmen, sondern für den Fall bereitstehen soll, dass sie später gebraucht wird, dient dem Zweck, eine juristische Person auf Vorrat zu schaffen, die erst später bei Bedarf im Wege der so genannten Mantelverwendung unternehmerischer Verwendung zugeführt werden soll. Die Gründer wollen dem späteren Nutzer, insbesondere Erwerber, bei Bedarf sofort für den angegebenen oder jeden beliebigen anderen Zweck eine Kapitalgesellschaft zur Verfügung stellen können, um ihm die mit der Neugründung einer Kapitalgesellschaft verbundenen erheblichen und zeitraubenden Gründungsformalitäten einschließlich etwaiger dabei auftretender Haftungsgefahren zu ersparen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.03.1992 - II ZB 17/91 - BGHZ 117, 323, 330).

2.

Auch gewerbsmäßige Gründer von Vorratsgesellschaften schulden die ordnungsgemäße Erfüllung einer fälligen Einlageverpflichtung nach § 19 Abs. 1 GmbHG (BGH, Urteil vom 09.01.2006 - II ZR 72/05, NJW 2006, 906, 907). Die Einlageverpflichtung wurde ordnungsgemäß erfüllt, indem die Beklagte am 6. März 2007 zunächst die Mindesteinlage von 12.500 € bar in die Firmenkasse gelegt und diesen Betrag nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister am 28. März 2007 auf ein für die Gesellschaft errichtetes Bankkonto bei der Deutschen Bank eingezahlt, am 2. April 2007 die restliche Stammeinlage von 12.500 € in bar wiederum in die Gesellschaftskasse eingelegt und an diesem Tag weiterhin den zwischenzeitlich auf das Bankkonto eingezahlten Betrag von 12.500 € wieder der Kasse zugeführt hat. Hiervon hat der Senat auszugehen, weil der Kläger dem dahingehenden Vorbringen der Beklagten nicht - substantiiert - entgegengetreten ist. Ein substantiiertes Bestreiten war indessen erforderlich, weil der Vortrag der Beklagten belegt wird durch die Eröffnungsbilanz der Schuldnerin auf den 6. März 2007 (Anl. B1, Bl. 61 GA), das Kassenbuch der Schuldnerin (Anl. B2, Bl. 62 GA) und eine Zwischenbilanz der Schuldnerin auf den 2. April 2007 (Anl. B4, Bl. 66 GA).

3.

Die Beklagte schuldet nicht deswegen die erneute Leistung der Stammeinlage, weil der Mantel im April 2007 verwendet wurde. Zwar stellt die Verwendung des Mantels einer "auf Vorrat" gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung wirtschaftlich eine Neugründung dar. Auf diese wirtschaftliche Neugründung durch Ausstattung der Vorratsgesellschaft mit einem Unternehmen und erstmalige Aufnahme ihres Geschäftsbetriebes sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbHG einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden (BGH, Urteil vom 06.03.2012 - II ZR 56/10, juris Rn. 9; Beschl. vom 09.12.2002 - II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 ff). Jedoch besteht die Rechtsfolge nicht in einem auf §§ 5, 7, 19 GmbHG (ggf. iVm § 16 Abs. 3 analog) zu stützenden Anspruch auf Leistung der ausstehenden Stammeinlage, sondern in einer Anwendung der von der Rechtsprechung ursprünglich für die Vor-GmbH erarbeiteten Grundsätze über die Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung (BGH, Urteil vom 06.03.2012 - II ZR 56/10, juris Rn. 19; OLG München, Urt. vom 11. 3. 2010 - 23 U 2814/09, NZG 2010, 544, 546; OLG Schleswig, Urt. vom 07.09.2006 - 5 U 25/06, ZIP 2007, 822, 823, juris Rn. 17 ff.; ThürOLG, Urt. vom 01.09.2004 - 4 U 37/04, ZIP 2004, 2327, 2328, juris Rn. 13 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Auflage 2009, § 3 Rn. 14; Bachmann: Abschied von der "wirtschaftlichen Neugründung"?, NZG 2011, 441) mit der Maßgabe, dass maßgeblicher Stichtag für die Haftung der Gesellschafter die mit der Versicherung entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG und der Anmeldung etwaiger mit der wirtschaftlichen Neugründung einhergehender Satzungsänderungen zu verbindende Offenlegung gegenüber dem Handelsregister ist (BGH, Urteil vom 06.03.2012 - II ZR 56/10, juris Rn. 19).

Dem steht die von dem Kläger und dem Landgericht herangezogene Entscheidung des OLG Oldenburg (Urt. vom 26.07.2007 - 1 U 8/07, juris) nicht entgegen. Nach den dort getroffenen Feststellungen hatte der Gründungsgesellschafter zu keinem Zeitpunkt seine Einlageverpflichtung erfüllt; der insoweit vom Oberlandesgericht Oldenburg vertretenen Ansicht, die Haftung der Gründungsgesellschafter nach den allgemeinen Regelungen des GmbHG scheitere nicht daran, dass auf die im Zusammenhang mit der Anteilsübertragung erfolgte Aktivierung der Vorrats-GmbH die Vorschriften über die Neugründung entsprechend anzuwenden sind (juris Rn. 71 ff., 75), lässt sich für die hier gegebene abweichende Fallgestaltung nichts entnehmen.

Die von dem Kläger im Schriftsatz vom 19. April 2012 in Bezug genommenen Entscheidungen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.06.2003 - I-14 U 21/03 und Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 19.11.2004 - 11 U 45/04), die auf die Verwertung eines GmbH-Mantels §§ 16 Abs. 3 und 19 GmbH entsprechend anwenden, sind nach Einschätzung des Senats mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Einklang zu bringen.

II.

Der geltend gemachte Anspruch rechtfertigt sich indes aus § 22 Abs. 1 GmbHG iVm den Grundsätzen über die Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung.

1.

Eine Haftung nach § 22 Abs. 1 GmbHG setzt eine wirksame Kaduzierung des Gesellschaftsanteils nach § 21 GmbHG voraus (Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., 2010, § 22 Rn 3). Die Voraussetzungen des § 21 GmbHG sind erfüllt. Der Alleingesellschafter S… war mit der Zahlung der von dem Kläger angeforderten, von § 21 GmbHG erfassten Bareinlage (zuletzt 23.500 €) in Verzug; die bei einer Kaduzierung einzuhaltenden Formalien hat der Kläger gewahrt.

a)

§ 21 GmbH ist anwendbar u.a. im Rahmen der Vorbelastungshaftung (Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, aaO, § 21 Rn 3 und § 11 Rn. 64).

Wie ausgeführt, sind bei der Verwendung des Mantels einer zunächst "auf Vorrat" gegründeten Gesellschaft mit beschränkter Haftung materiellrechtlich die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbHG entsprechend anzuwenden, so dass die Gesellschafter den Gläubigern nach Maßgabe der für die Vor-GmbH entwickelten Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung haften (BGH, Urteil vom 06.03.2012- II ZR 56/10, juris Rn. 19; BGH, Beschl. vom 09.12.2002 - II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, juris; BGH, Beschl. vom 07.07.2003 - II ZB 4/02 - BGHZ 155, 318, juris; OLG München, Urt. vom 11.03.2010 - 23 U 2814/09, NZG 2010, 544, 546; OLG Jena, Urt. v. 27.09.2006 - 6 W 287/06 - ZIP 2007, 124, 125, juris Rn. 18; Hueck/Fastrich in: Baumbach/Hueck, aaO, § 3 Rn. 13; Lutter/Hommelhoff, aaO, § 3 Rn. 14). Dies bedeutet, dass der Zeuge S… entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht (generell) die Leistung der Stammeinlage schuldete, sondern er lediglich die Differenz zwischen dem satzungsmäßigen Stammkapital und dem (noch) vorhandenen Vermögen der GmbH auszugleichen hatte.

Daran vermag die in der Handelsregisteranmeldung vom 11. April 2007 (Anl. B 6, Bl. 68 ff. GA) erfolgte Erklärung des Geschäftsführers S…, "dass es sich im vorliegenden Fall um die Aktivierung einer Vorratsgesellschaft handelt", nichts zu ändern. Die Haftung der Gesellschafter im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung unterscheidet sich nach der Entscheidung des BGH vom 06.03.2012 nicht mehr danach, ob die wirtschaftliche Neugründung gegenüber dem Handelsregister offengelegt wurde oder ob dies unterblieben ist. In beiden Fällen haften die Gesellschafter für sämtliche bestehenden Verluste der Gesellschaft sowie für die Auffüllung des Stammkapitals (Unterbilanzhaftung). Anknüpfungspunkt hierfür ist entweder der Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Handelsregister oder - sofern diese Offenlegung unterblieben ist - der Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung nach außen durch die Anmeldung einer Satzungsänderung oder die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit in Erscheinung tritt (Zöllter-Petzoldt: Aufatmen bei der wirtschaftlichen Neugründung, NJW-Spezial 2012, 335; Tavakoli, Begrenzung der Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer GmbH, NJW 2012, 1855, 1856 unter 4. "Unterbilanzhaftung nach erfolgter Offenlegung"; vgl. auch Bachmann: Die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und die Folgen ihrer Versäumung, NZG 2012, 579, 580: "Damit verliert die Offenlegung der Mantelbelebung ihre haftungsrechtliche Zäsurwirkung."). Dies allein entspricht auch dem Sinn und Zweck der entsprechenden Anwendung der Gründungsregeln bei wirtschaftlicher Neugründung, nämlich die Kapitaldeckung bei (Wieder-)Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit sicherzustellen.

b)

Die satzungsmäßige, ursprünglich eingezahlte Stammeinlage von 25.000 € war bei Aktivierung der Vorratsgesellschaft am 11. April 2007 nicht mehr vorhanden. Nach den übereinstimmenden Bekundungen der als Partei angehörten Geschäftsführerin der Beklagten Frau S… und des Zeugen S… hat dieser das ihm während des Notartermins übergebene Kassenkapital von 25.000 € in Form der ihm konkret übergebenen 500 €-Scheine an Frau S… als Kaufpreis für die Gesellschaftsanteile zurückgewährt. Damit stand der Schuldnerin bei der Aktivierung der Vorrats-GmbH das Stammkapital nicht mehr zur Verfügung. Obgleich es hierauf aus Sicht des Senats nicht entscheidend ankommt, steht für den Senat außer Zweifel, dass diese Vorgehensweise von der Beklagten bereits bei Beginn des Notartermins beabsichtigt und zwischen ihr und dem Hintermann des Zeugen S…, Herrn M…, so abgesprochen war. Denn weder der Zeuge S… noch die Geschäftsführerin der Beklagten Frau S… haben bekundet, dass eine solche Vorgehensweise erst im Notartermin zwischen den dort anwesenden Personen abgesprochen wurde; im Gegenteil hat Frau S… bekundet, "grundsätzlich" den Erwerber dazu anzuhalten, ihr das Geld als Kaufpreis zurückzugeben, um der Gefahr des Falschgeldes zu entgehen.

Ein wirksames Hin- und Herzahlen nach § 19 Abs. 5 GmbHG scheitert zum einen an der fehlenden Offenlegung (§ 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG n.F.), die eine Voraussetzung für die Erfüllung der Einlageschuld ist (BGH, Urt. vom 20.07.2009 - II ZR 273/07, BGHZ 182, 103, juris Rn. 25). Auf ein Hin- und Herzahlen wies der Zeuge S… in seiner Handelsregisteranmeldung nicht hin. Selbst wenn man den dortigen Verweis auf den notariellen Geschäftsanteilskauf- und Abtretungsvertrag grundsätzlich ausreichen lassen wollte, ergibt sich aus dessen § 4 nicht, dass der Erwerber den dort ausgewiesenen Kaufpreis durch Rückgewähr der ihm an diesem Tag übergebenen Stammeinlage bestritten und ihm die Stammeinlage nunmehr nicht mehr zur Verfügung steht. Zudem war der Rückforderungsanspruch nicht jederzeit fällig. Der sofortigen Fälligkeit (§ 19 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 GmbHG n.F.) gleichwertig ist nur die Befugnis, den Rückgewähranspruch ohne Einschränkungen jederzeit fällig stellen zu können. Das setzt voraus, dass die Gesellschaft den vermeintlichen Darlehnsvertrag nicht nur bei einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse im Regelfall (§ 490 Abs. 1 BGB) oder aus wichtigem Grund nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen (§ 314 Abs. 1 BGB), sondern jederzeit ohne Einschränkung kündigen kann (BGH aaO Rn. 28). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

c)

Dass die Schuldnerin bei Aktivierung des Vorratsmantels im April 2007 über weiteres Vermögen (als die - weitergegebene - Stammeinlage) verfügte, hat die Beklagte trotz Hinweises des Senats nicht vorgetragen; hierfür ist auch nichts ersichtlich. Weder aus der Eröffnungsbilanz auf den 6. März 2007 (Anl. B1, Bl. 61 GA) noch aus der Zwischenbilanz vom 2. April 2007 (Anl. B4, Bl. 66 GA) ergibt sich irgendetwas dafür, dass die Schuldnerin über weiteres Vermögen verfügte; dies wäre bei der erstmaligen Aktivierung einer Vorratsgesellschaft auch fern liegend.

d)

Die Formalien für eine Kaduzierung sind unstreitig erfüllt.

2.

Nach der, wie ausgeführt, wirksamen Kaduzierung haftet der Gesellschaft bzw., wie hier, ihrem Insolvenzverwalter auch der letzte Rechtsvorgänger des ausgeschlossenen Gesellschafters für eine von diesem nicht erfüllte Einlagenverpflichtung, § 22 Abs. 1 GmbHG. Auf § 22 Abs. 2 GmbH-Gesetz kommt es hingegen nicht an, da der Kläger die Beklagte als direkte Rechtsvorgängerin des Zeugen S… in Anspruch nimmt und keinen Staffelregress durchführt. Deswegen kommt es auch nicht darauf an, ob der Zeuge S… den Geschäftsanteil an der Gesellschaft für Herrn M… treuhänderisch hielt.

Dahinstehen kann nach alledem, ob sich der geltend gemachte Anspruch auch aus § 16 Abs. 2 GmbHG ergibt. Die Kaduzierung schließt zwar die Geltendmachung des Anspruchs nach § 16 Abs. 2 GmbHG nicht aus. Es handelt sich indes, soweit sich die Ansprüche decken, um Anspruchskonkurrenz. Auch nach Kaduzierung besteht diese gesamtschuldnerische Haftung aus § 22 GmbHG fort (vgl. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, aaO, § 22 Rn 2).

3.

Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Die binnen der maßgeblichen dreijährigen Frist erhobene Klage hat die Verjährung rechtzeitig gehemmt. Bei dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Stammeinlage wegen offener Einlageforderung und dem Anspruch aus § 22 Abs. 1 GmbHG iVm den Grundsätzen über die Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung handelt es sich um den gleichen Streitgegenstand, weil Antrag und Lebenssachverhalt identisch sind. In beiden Fällen wird der Anspruch auf die Verletzung der Kapitalaufbringungsvorschriften bei der wirtschaftlichen Neugründung der Schuldnerin gestützt (vgl. BGH, Urteil vom 06.03.2012- II ZR 56/10, juris Rn. 40).

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 711 Satz 2 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 23.500 €.

Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

D… B… W…

Zitate30
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte