OLG Köln, Urteil vom 22.06.2012 - 20 U 27/12
Fundstelle
openJur 2012, 87016
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 11. Januar 2012 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 112/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin hat in der Vergangenheit eine Apotheke betrieben, die auf die Zubereitung von Zytostatika spezialisiert war. Die Beklagte ist ein privater Krankenversicherer; ihre Versicherungsnehmerin, Frau H, bezog von Februar 2007 bis Dezember 2008 von der Klägerin auf entsprechende ärztliche Verordnung Zytostatika-Zubereitungen. Hierfür berechnete die Klägerin insgesamt 66.733,93 €, die von der Versicherungsnehmerin beglichen wurden. Im November 2010 teilte die Klägerin der Versicherungsnehmerin der Beklagten mit, sie habe festgestellt, dass sie ihr versehentlich 30.334,83 € zu wenig berechnet habe. Daraufhin trat die Versicherungsnehmerin ihre etwaigen Leistungsansprüche gegen die Beklagte wegen des Bezugs von Arzneimitteln und Medizinprodukten von der Klägerin an diese ab; die Beklagte erklärte sich der Klägerin gegenüber mit einer unmittelbaren Abrechnung einverstanden.

Die Klägerin begehrt nunmehr von der Beklagten aus abgetretenem Recht Erstattung von 30 % des angeblich noch offen stehenden Betrages. Hierzu hat sie erstinstanzlich vorgetragen: Sie habe versehentlich falsche, mit der Arzneimittelpreisverordnung nicht vereinbare Preise berechnet, weil in ihrem Computersystem fehlerhafte Parameter hinterlegt worden seien, deren Herkunft sie heute weder nachvollziehen noch aufklären könne. Aufgrund der für Arzneimittel geltenden Preisbindung sei sie zur Nachforderung des Differenzbetrages verpflichtet.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.100,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtsanhängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass die vorgenommene Berechnung auf einem Computerfehler beruhe, und den Standpunkt vertreten, eine Nachforderung sei ausgeschlossen. Die Klägerin könne sich allenfalls im Wege der Anfechtung von der - angeblich - fehlerhaften Berechnung lösen; insoweit fehle es aber an einem beachtlichen Irrtum. 

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es sei schon kaum nachvollziehbar, wie es zu der Preisbestimmung der Klägerin gekommen sei. Aber auch wenn ein Eingabefehler im Computersystem zu einem willkürlichen Preis geführt habe, stehe der Klägerin kein weitergehender Anspruch zu. Ein Nachforderungsrecht sei nämlich ausgeschlossen, wenn der Vertragspartner auf eine abschließende Berechnung habe vertrauen dürfen und ihm ein Nachforderung nicht mehr zugemutet werden könne.

Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 13. Januar 2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. Februar 2012 eingelegte und nach Fristverlängerung bis zum 13. April 2012 mit einem am 30. März 2012 eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Klägerin, mit der diese ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Sie macht geltend:

Das Landgericht habe das zwischen ihr und der Versicherungsnehmerin der Beklagten bestehende Vertragsverhältnis zu Unrecht als Kaufvertrag qualifiziert; es handele sich vielmehr um Werklieferungsverträge. Es habe ferner verkannt, dass sie der Versicherungsnehmerin der Beklagten nicht den in der GKV-Hilfstaxe festgelegten Zuschlag berechnet und aufgrund dessen auch nicht ein ihr etwaig eingeräumtes Wahlrecht ausgeübt habe. Bei Übergabe der Rezepte durch die Versicherungsnehmerin sei über Preise nicht gesprochen worden; beide Vertragsparteien seien vielmehr davon ausgegangen, dass der gesetzliche Preis in Rechnung gestellt werden würde.

Falls die Abweichung von der AMPreisV zu einer Nichtigkeit der mit der Versicherungsnehmerin der Beklagten geschlossenen Verträge geführt habe, stehe ihr der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu.

Ihr Nachforderungsrecht sei schließlich auch nicht verwirkt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.100,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und  hält an ihrer Auffassung fest, dass die Klägerin berechtigt gewesen sei, von der Erhebung des Festzuschlags nach § 5 Abs. 2 AMPreisV a.F. bei der Abgabe von Arzneimittelzubereitungen an privat Versicherte abzusehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 398 BGB in Verbindung mit dem zwischen dieser und der Versicherungsnehmerin geschlossenen Versicherungsvertrag auf Ersatz der Aufwendungen für Heilmittel zu.

Aufgrund der Natur der Krankenversicherung als Passivenversicherung ist der Versicherer dem Versicherungsnehmer nur zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet, die diesem in Bezug auf das versicherte Risiko zur Erfüllung von Verpflichtungen aus berechtigten Ansprüchen Dritter erwachsen sind (BGH NJW 2003, 1596). Voraussetzung des Erstattungsanspruchs ist daher, dass ein schuldrechtlicher Anspruch des Leistungserbringers gegen den Versicherungsnehmer besteht (Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl., § 1 MB/KK Rn. 4; Boetius, Private Krankenversicherung, § 192 VVG Rn. 161). Für dem Grunde oder der Höhe nach unberechtigte Vergütungsforderungen des Leistungserbringers besteht keine Erstattungspflicht des Versicherers (BGH, VersR 1998, 350; Boetius, a.a.O., § 192 VVG Rn. 166).  Die Klägerin hat gegen die Versicherungsnehmerin der Beklagten aber keine, über die bereits geleisteten Zahlungen hinausgehenden vertraglichen Ansprüche.

Der zwischen der Klägerin und der Versicherungsnehmerin der Beklagten geschlossene Vertrag ist ein Werklieferungsvertrag im Sinne von § 651 BGB, da es sich bei den Zytostatika-Zubereitungen um solche handelte, die in der Apotheke aus anderen Stoffen angefertigt wurden. Auf diesen finden grundsätzlich die Vorschriften über den Kaufvertrag Anwendung.

a.

Nach § 433 Abs. 2 BGB ist primär der vereinbarte Kaufpreis zu entrichten. Eine Preisvereinbarung haben die Klägerin und die Versicherungsnehmerin der Beklagten jedoch nicht getroffen. Wie die Klägerin selbst in der Berufungsbegründung vorträgt, ist bei Einreichung der Rezepte über Preise nicht gesprochen worden.

b.

Der Preis der Medikamente ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin auch nicht durch die AMPreisV gesetzlich festgelegt worden. Bei der  AMPreisV handelt es sich nicht um eine staatliche Gebührenordnung, welche die Vergütung des Apothekers mit Wirkung auch gegenüber dem Kunden regelt. Dies ergibt sich bereits aus § 1 AMPreisV, wonach die Verordnung die Preisspannen festlegt. Der Endpreis eines Medikaments kann der AMPreisV nicht entnommen werden. Diese  bestimmt lediglich den Weg zu seiner Ermittlung; denn der Abgabepreis des Medikaments ergibt sich aus dem Abgabepreis der pharmazeutischen Unternehmen sowie dem Großhandelspreis zuzüglich der in §§ 3 ff. AMPreisV festgelegten Apothekenzuschläge. Der Großhandelspreis ist der Höhe nach aber gesetzlich nicht festgelegt. Insoweit schreibt § 78 Abs. 3 AMG lediglich vor, dass die pharmazeutischen Unternehmen einen einheitlichen Abgabepreis sicherstellen müssen. Auf diesen darf der Großhandel für Fertigarzneimittel Zuschläge erheben, deren Höhe durch § 2 AMPreisV begrenzt wird. Die Apotheken dürfen ihrerseits auf die ihnen berechneten Preise nur die in §§ 3 ff. AMPreisV festgelegten Zuschläge erheben. Damit handelt es sich bei der AMPreisV um eine Regelung, die eine Preisbindung des Großhandels und der Apotheken vorschreibt (so auch LG Bielefeld, Urteil vom 07.10.2010, 6 O 53/09, BeckRS 2011, 02455). Die Preisbindung bewirkt aber nicht, dass der gesetzlich oder durch Rechtsverordnung festgelegte Preis zum vertraglichen Preis wird. Etwas anderes lässt sich auch der von der Klägerin in Bezug genommenen Rechtsprechung nicht entnehmen, da es sich hierbei ausschließlich um Entscheidungen handelt, die zum Wettbewerbsrecht ergangen sind.

c.

Fehlt eine Regelung der Parteien über die Höhe des Entgelts, so gilt bei Dienst- und Werkverträgen nach §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB die taxmäßige, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart; bei sonstigen Verträgen sind die §§ 315 ff. BGB heranzuziehen (vgl. auch OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 202, 203). Da § 651 BGB für den Werklieferungsvertrag die Anwendung der kaufrechtlichen Bestimmungen anordnet, war die Bestimmung des Kaufpreises mangels vertraglicher Abrede gemäß §§ 315, 316 BGB der Klägerin überlassen. Soweit demgegenüber die Auffassung vertreten wird, bei einem Werklieferungsvertrag,  der die Lieferung nicht vertretbarer Sachen zum Gegenstand hat, wie dies auch vorliegend  hinsichtlich der speziell für die Versicherungsnehmerin angefertigten Medikamente der Fall ist, gelte für die Bemessung der Vergütung bei Fehlen einer Parteivereinbarung die Vorschrift des § 632 BGB (Peters/Jacoby in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2008, § 651 Rn. 22), folgt der Senat dem nicht (für eine Anwendbarkeit der §§ 315 ff. BGB auch Sprau in: Palandt, BGB, § 651 Rn. 6); denn § 651 BGB erklärt für den Werklieferungsvertrag nur einzelne Vorschriften des Werkvertragsrechts für anwendbar und nennt § 632 BGB dabei nicht. 

Das ihr danach gemäß § 316 BGB zustehende Leistungsbestimmungsrecht hat die Klägerin durch die - erste - Rechnungstellung ausgeübt;  hieran ist sie grundsätzlich gebunden.

d.

Die Klägerin hat die von ihr getroffene Leistungsbestimmung auch nicht wirksam wegen Irrtums angefochten.

Eine Anfechtungserklärung ist bereits nicht vorgetragen.

Im Übrigen liegt auch kein erheblicher Irrtum vor. Nach dem Sachvortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 sind die Rechnungen in der Weise zustande gekommen, dass die Apothekenhelferin den Namen des Medikaments im Computersystem eingegeben hat, welches daraufhin den Apothekeneinkaufspreis ausgeworfen und auf diesen einen im System hinterlegten Abgabezuschlag aufgeschlagen hat. Bei Zugrundelegung dessen war der im System eingepflegte Abgabezuschlag unzutreffend. Derjenige, der auf Grund einer für richtig gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittelt und seiner Erklärung zugrunde legt, trägt aber das Risiko dafür, dass seine Kalkulation zutrifft (Wendtland in: Beck OK BGB, Edition 23, § 119 Rn. 33 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

e.

Die unter etwaigem Verstoß gegen die AMPreisV getroffene Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Versicherungsnehmerin der Beklagten ist auch nicht nach § 134 BGB teilnichtig. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass die Rechtsprechung insbesondere bei Verstößen gegen preisrechtliche Verbotsgesetze lediglich von einer auf die Preisabrede bezogenen Teilnichtigkeit des Rechtsgeschäfts ausgeht, wenn der vereinbarte Preis den gesetzlich zulässigen überschritten hat (vgl. etwa BGH MMR 2010, 427 ff.). Dies beruht auf dem Gedanken, dass es der Schutz des durch den Verstoß benachteiligten Vertragspartners gebietet, den Vertrag im Übrigen, also ohne die Preisabrede, aufrechtzuerhalten (Armbrüster in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., § 134 Rn. 107). Hiermit ist die vorliegende Fallkonstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Klägerin der Versicherungsnehmerin einen zu geringen Preis berechnet hat, nicht vergleichbar.

Selbst wenn eine Teilnichtigkeit aber anzunehmen wäre, folgte hieraus nicht, dass anstelle des von der Klägerin bestimmten Preises derjenige träte, der nach der AM-PreisV zu erheben gewesen wäre. Eine derartige Nachforderung der Klägerin würde nämlich gegen das Verbot des venire contra factum proprium des § 242 BGB verstoßen. Eine Nachforderung wird insbesondere in den Fällen der Tarifunterschreitung als rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn der Kunde das vereinbarte Entgelt für zulässig halten durfte und sein Vertrauen auf den Bestand des vereinbarten Preises in besonderem Maße schutzwürdig erscheint (vgl. Roth/Schubert in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 242 Rn. 254 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, wie das Landgericht im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat. Auf die diesbezüglichen Ausführungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

2.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte wegen einer irrtümlich falschen Ermittlung des Preises auch keinen Anspruch aus §§ 812, 818 Abs. 2 BGB.

Sollte der Sachvortrag der Klägerin dahin zu verstehen sein, dass sie nicht ihre Leistungsbestimmung, sondern vielmehr die auf Abschluss des Vertrages mit der Versicherungsnehmerin der Beklagten gerichtete Willenserklärung angefochten hat, so hätte dies zur Folge, dass das Vertragsverhältnis nach § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an als nichtig anzusehen wäre. In diesem Fall könnte der Klägerin ein Wertersatzanspruch gegen die Versicherungsnehmerin der Beklagten zustehen; ein Leistungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagte - der allein Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist - ergäbe sich hieraus aber nicht.

Entsprechend verhielte es sich, wenn die unter etwaigem Verstoß gegen die AM-PreisV getroffene Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Versicherungsnehmerin der Beklagten nach § 134 BGB insgesamt nichtig wäre.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch bedarf es einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Vielmehr beruht die Entscheidung lediglich auf einer Würdigung der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles.

V.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 9.100,44 €.