OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2011 - VI-2 U (Kart) 3/09
Fundstelle
openJur 2012, 79661
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Januar 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Rechtsstreit in Höhe von 147,00 € nebst Zinsen erledigt ist.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)

I.

Die Klägerin beliefert den Beklagten gemäß Schreiben aus April 2002 (Bl. 215 GA) mit Erdgas zum Tarif "e... Heizen & Mehr". Dieser Tarif wird in zwei Leistungstarifen je nach Nennwärmebelastung angeboten, wobei eine Bestabrechnung erfolgt. Als weiteren Tarif innerhalb der "Allgemeinen Erdgastarife" (so die Bezeichnung in den Tarifblättern der Klägerin) bietet die Klägerin den Tarif "e... Behaglich-Zuhause" an.

Die Klägerin erhöhte den Arbeitspreis mit Wirkung vom 01. Oktober 2004 von 3,40 c/kWh netto auf 3,70 c/kWH netto. Der Beklagte rügte dies nach Erhalt der Rechnung vom 15. Februar 2005 als unbillig. Weitere Preisänderungen durch die Klägerin erfolgten zum 01. Januar 2005 (4,00 c), 01. Oktober 2005 (4,50 c), 01. Januar 2006 (4,90 c), 01. Oktober 2006 (5, 19 c) und 01. Januar 2007 (5,01 c; sämtliche Angaben je kWh netto).

Ausgehend von den Tarifen entstand bis Anfang 2008 ein Rückstand von 813,35 € (vgl. Aufstellung Anlage K 8), den die Klägerin zuzüglich des 1. Abschlages für das Jahr 2008 in Höhe von 147,00 € sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit am 12. Juli 2008 rechtshängig gemacht.

Die Klägerin hat geltend gemacht, mit den Preiserhöhungen habe sie - nicht einmal in vollem Umfange - lediglich die gestiegenen Bezugspreise weiter gegeben. Dies hat der Beklagte bestritten.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 960, 35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2008 verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die umstrittenen Preiserhöhungen entsprächen der Billigkeit, die Klägerin habe die Bezugspreissteigerungen, die nicht durch Einsparungen an anderer Stelle hätten ausgeglichen werden können, substantiiert unter Vorlage von Wirtschaftsprüferberichten dargelegt. Der Beklagte habe diese Bezugspreissteigerungen hingegen nicht in zulässiger Weise bestritten.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er macht geltend, sein Bestreiten sei entgegen der Auffassung des Landgerichts ausreichend gewesen, weil er keinen Einblick in die Unterlagen der Klägerin habe. Er hat daher zunächst beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben. Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 26. Januar 2011 verwiesen.

Die Parteien haben den Rechtsstreit wegen eines Betrages von 147,00 € (1. Abschlag für das Jahr 2008) für erledigt erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (§ 540 Abs. 1 ZPO) sowie die im Berufungsrechtszuge gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Beklagten hat - soweit der Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist - keinen Erfolg.

Der Beklagte schuldet einen Betrag von 813,35 € nebst Zinsen aufgrund eines Erdgasversorgungsvertrages mit der Klägerin. Zutreffend hat das Landgericht den Vertrag als Tarifvertrag eingestuft (dazu 1.), so dass die Klägerin aufgrund des § 4 Abs. 1 S. 1 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV kraft Gesetzes ihre Tarifpreise erhöhen durfte (dazu 2.). Die Tarifanpassungen entsprachen auch der Billigkeit (dazu 3.).

1.

Bei dem Gasversorgungsvertrag zwischen den Parteien handelte es sich im fraglichen Zeitraum um einen Tarifvertrag im Sinne des § 36 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 EnWG, § 1 Abs. 2 AVBGasV, § 1 Abs. 1 GasGVV, nicht um einen Sondervertrag im Sinne des § 115 Abs. 2 EnWG, § 310 Abs. 2 BGB.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt Urteil vom 09.02.2011 - VIII ZR 295/09 - Rdnrn. 22 ff. m.w.N.) ist danach abzugrenzen, ob der vertragsgegenständliche Tarif aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers als Tarif der allgemeinen Grundversorgung oder als Sonderkundentarif erscheint. Dabei kann ein Wechsel auch nachträglich erfolgen.

Der Tarif "e... Heizen und Mehr", zu dem die Klägerin eine Belieferung des Beklagten seit April 2002 vornimmt, ist danach als Grundversorgungstarif anzusehen. Das Schreiben der Klägerin aus April 2002 verweist nicht auf "Sondertarife" oder "Besondere Bedingungen". Die Tarifblätter der Klägerin (Anlagen K 9 ff.) bezeichnen "e... Heizen & Mehr" als "Allgemeinen Erdgastarif" im Gegensatz zu Sondervertragstarifen für Wärmespeicherstrom und Strom für Elektro-Wärmepumpen. Im Internet wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass es sich bei dem allgemeinen Erdgastarif um den Grund- und Ersatzversorgungstarif handelt (Anlage K 18).

Dass die Klägerin mehrere Grundversorgungstarife anbietet, ist - insoweit abweichend von der früheren Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24.06.2009 - VI-2 U (Kart) 14/08) - nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unerheblich (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2010 - VIII ZR 246/08 Rdnr. 27).

2.

§ 4 Abs. 1 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV gewähren dem Versorgungsunternehmen nach ständiger Rechtsprechung ein einseitiges Preisanpassungsrecht. Zugegebenermaßen ist der Wortlaut in dieser Hinsicht wenig klar (vgl. Markert, ZMR 2010, 834, 837). Vor dem Hintergrund, dass ein Grundversorgungsvertrag im Allgemeinen vom Versorgungsträger nicht gekündigt werden kann, muss ihm aber als Ausgleich ein Preisanpassungsrecht eingeräumt werden. Das kommt - wenn auch nur andeutungsweise - darin zum Ausdruck, dass der Kunde "zu den jeweils geltenden" Bedingungen versorgt wird.

Bedenken gegen diese Auslegung bestehen auch aus europarechtlicher Sicht jedenfalls für den Grundversorgungsvertrag nicht.

Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist nach ihrem Art. 1 Abs. 2 auf Rechtsvorschriften nicht anwendbar. Die Auffassung, bei funktionaler Betrachtung müssten die durch Rechtsvorschrift geregelten Versorgungsbedingungen einer Klauselkontrolle unterzogen werden (vgl. die Nachweise bei BGH, Beschluss vom 09.02.2011 - VIII ZR 162/09 - Rdnr. 25), teilt der Senat nicht. Wie aus Erwägungsgrund 13 zur Richtlinie hervorgeht, sollen Rechtsvorschriften gerade nicht nach diesen Maßstäben überprüft werden.

Auch die Richtlinie 2005/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt steht § 4 Abs. 1 AVBGasV und § 5 Abs. 2 GasGVV nicht entgegen. Zwar ist nach Art. 3 Abs. 3 S. 3 der - bis zum 1. Juli 2004 umzusetzenden (Art. 30 Abs. 1) - Richtlinie ein hoher Verbraucherschutz insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen zu gewährleisten. Dies wird im Anhang A jedoch dahingehend konkretisiert, dass die Informationen über "geltende Preise und Tarife" transparent sein müssen (lit. c)) und bei Änderungen der Vertragsbedingungen, insbesondere "Gebührenerhöhungen" rechtzeitig mitzuteilen ist (vgl. auch BGH, a.a.O., Rdnr. 33).

3.

Die von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen sind billig im Sinne des § 315 BGB.

a) Die Klägerin hat nachgewiesen, dass die von ihr vorgetragenen Bezugspreissteigerungen (Bl. 18 der Klageschrift), welche unstreitig eine Preiserhöhung rechtfertigen, tatsächlich in dem vorgetragenen Umfang erfolgt sind. Des Weiteren hat sie auch nachgewiesen, dass in anderen Kostenpositionen keine Einsparungen erfolgten.

Dem Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass er keinen Einblick in die Kostenstruktur der Klägerin hatte und damit entgegen der Auffassung des Landgerichts die Richtigkeit ihrer Behauptungen mit Nichtwissen bestreiten konnte. Der Senat hat daher über die entsprechenden Behauptungen der Klägerin Beweis durch Vernehmung von Zeugen erhoben. Angesichts der Geringfügigkeit der streitgegenständlichen Beträge bedurfte es einer weitergehenden Beweisaufnahme, insbesondere der Einholung eines Sachverständigengutachtens, nicht. Die damit verbundenen Kosten hätten zu der Höhe der streitigen Forderung der Klägerin in keinem Verhältnis gestanden, § 287 Abs. 2 ZPO.

Die Beweisaufnahme hat die Richtigkeit der Behauptungen ergeben. Die Zeugen G... und T..., haben erläutert, wie sie als Beschäftigte der X... im Einzelnen die von der Klägerin geltend gemachten Preisanpassungen des Vorlieferanten überprüft haben. Danach sind dem Zeugen G... die Verträge mit dem (einzigen) Vorlieferanten, die von dem Vorlieferanten geltend gemachten Preisanpassungen und die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Preisanpassung notwendigen Daten vorgelegt worden und von ihm auf die Berechtigung der Preisanpassung überprüft worden. Danach sind die Preiserhöhungen auch in den einzelnen Tarifen gleichmäßig erfolgt. Die Zeugin T... hat des Weiteren auch die übrigen Kosten (vgl. Bl. 202, 218 GA) überprüft und bestätigt, dass insoweit Kostensenkungen nicht eingetreten sind. Abgesehen davon, dass die übrigen Kosten gegenüber den Bezugskosten relativ unbedeutend sind, ist es zwischen 2004 und 2007 in diesem Bereich sogar zu einer Kostensteigerung gekommen. Dies hat auch der Zeuge N... bestätigt. Soweit in diesem Punkt Kostensteigerungen in der Höhe nach auffällig sind, haben die Zeugen dies nachvollziehbar mit den Folgen des Unbundlings begründet.

b) aa)Die Frage, ob bei mehreren beanstandeten Tarifpreiserhöhungen jede Preiserhöhung grundsätzlich für sich an § 315 BGB zu messen ist oder ob sich ihre Billigkeit nach einer Gesamtbetrachtung bestimmt, hat der Bundesgerichtshof bislang noch nicht ausdrücklich entschieden, auch wenn seine Ausführungen in der Entscheidung vom 19. November 2008 (VIII ZR 311/07, BGHZ 178, 362 Tz. 35 eher die Annahme einer Gesamtbetrachtung nahe legen. Ohne diesen Ansatz näher zu begründen, nehmen auch das Oberlandesgericht München in den Entscheidungen vom 1. Oktober 2009 (U (K) 3772/08) und vom 28. Januar 2010 (U (K) 4211/09) sowie das Oberlandesgericht Koblenz im Urteil vom 12. April 2010 12 U 18/08) eine Gesamtbetrachtung vor.

Dagegen messen das Oberlandesgericht Celle (Urteil v. 19.08.2010 - 13 U 82/07 (Kart)), das Oberlandesgericht Nürnberg (Urteil v. 09.12.2008 - 1 U 1105/08) und das Landgericht Köln (Urteile vom 14.08.2009 90 O 41 und 50/07) die Billigkeit jeder Preiserhöhung grundsätzlich gesondert an § 315 BGB. Nach dieser Betrachtungsweise ist eine Preiserhöhung, der nicht ein Bezugskostenanstieg in entsprechender Höhe zugrunde lag, auch dann unbillig, wenn durch eine spätere Korrektur das angemessene Verhältnis zwischen Bezugskosten- und Tariferhöhung wieder hergestellt wird.

Auch nach Auffassung des Senats sprechen die überwiegenden Gründe gegen eine Gesamtbetrachtung. Maßgeblich ist, dass die sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung stellende Frage, auf welchen Zeitraum für die Billigkeitsprüfung abzustellen ist, nicht befriedigend gelöst werden kann. Wird der Gesamtbetrachtung der Zeitraum zugrunde gelegt, in dem die jeweils streitgegenständlichen Preiserhöhungen stattgefunden haben, so kann sie bei Kunden, die sich gegen dieselbe Preiserhöhung wenden, zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, abhängig davon, ob die Kunden sich ausschließlich gegen diese bzw. diese und vorangegangene oder auch gegen die nachfolgenden Erhöhungen zur Wehr setzen. Ist die Tariferhöhung zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht vollständig durch entsprechende Bezugskostensteigerungen bis zu diesem Zeitpunkt abgedeckt, müsste sie als unbillig bewertet werden. Würde aber bei der Billigkeitsprüfung derselben Preiserhöhung auch die nachfolgende Entwicklung der Bezugsund Arbeitspreise im Rahmen einer Gesamtbetrachtung in den Blick genommen, weil auch die späteren Tarifänderungen Gegenstand der gerichtlichen Prüfung sind, kann die Prüfung zum gegenteiligen Ergebnis führen (so bereits OLG Celle, Urteil v. 19.8.2010 - 13 U 82/07 (Kart), Rz. 41).

Bestimmt sich die Billigkeitsprüfung nach einer derartigen Gesamtbetrachtung, sind widersprüchliche Ergebnisse unvermeidbar, weil der zugrunde liegende Zeitraum ausschließlich davon abhängt, ob die Kunden sich nur gegen eine oder gegen mehrere Tarifpreiserhöhungen wenden. Darüber hinaus stellt sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung das weitere Problem, zu welchen Zeitpunkten und in welcher Höhe das Gericht das billige Entgelt konkret zu bemessen hat, wenn die angegriffenen Tarifpreiserhöhungen auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht durch Bezugskostensteigerungen in gleicher Höhe kompensiert werden (OLG Celle, a.a.O.).

Allerdings wird nach Auffassung des Senats eine nur die einzelne Preiserhöhung in den Blick nehmende Billigkeitsprüfung den tatsächlichen Gegebenheiten der Gaswirtschaft ebenfalls nicht gerecht. Zwar betont das Oberlandesgericht Celle, auch dieser Ansatz ermögliche es den Gasversorgern, eine bei der letzten Tarifpreiserhöhung nicht ausgeschöpfte Bezugskostensteigerung bei der anstehenden Tarifpreisänderung weiterzugeben, wodurch den Unsicherheiten bei der Vornahme von Tariferhöhungen hinreichend Rechnung getragen und vermieden werde, dass jede Erhöhung der Bezugskosten unverzüglich an die Kunden weitergereicht werde. Dabei wird aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Gasversorger auch bei der anstehenden aktuellen Tarifänderung, in die er nach Auffassung des Oberlandesgerichts Celle den zu seinen Lasten noch bestehenden Differenzbetrag einspeisen kann, wiederum nicht absehen kann, ob sich der Bezugskostenpreis derart entwickelt, dass dadurch auch die bei der letzten Tarifänderung nicht weitergereichten Bezugskostensteigerungen abgedeckt werden. Bei der Kalkulation der Arbeitspreise können Überschreitungen der prognostizierten Bezugskostensteigerungen nicht sicher ausgeschlossen werden, weil den Gasversorgern die Entwicklung der Bezugskosten nicht exakt bekannt ist und sie keine Kenntnis von den im Geltungszeitraum der Preisanpassung an die einzelnen Kundengruppen tatsächlich abgesetzten Mengen haben. Das mit der Prognose, wie hoch der Anstieg der Bezugskosten ausfallen wird, verbundene Risiko, den Arbeitspreis letztlich in unbilliger Höhe festzusetzen, erhöht sich aber noch, wenn bislang unberücksichtigte zusätzlich zu den für die Zukunft erwarteten Preissteigerungen in den festzusetzenden Arbeitspreis einfließen sollen.

Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Versorgungsunternehmen im Zeitpunkt der Preisanpassung die Entwicklung der Bezugskosten nur prognostizieren aber nicht sicher vorhersehen kann und zur Vermeidung der mit einer rein kalkulationsperiodenbezogenen Betrachtungsweise verbundenen Risiken und Nachteile bei der Preiskalkulation hält der Senat eine kumulierte Betrachtung der jeweils in einem Gaswirtschaftsjahr (vom 1. Oktober 6.00 Uhr bis zum 1.Oktober 6. Uhr des Folgejahres) vorgenommenen Preisänderungen für angemessen. Eine auf das Gaswirtschaftsjahr beschränkte Gesamtbetrachtung entspricht auch dem bei einer Billigkeitsprüfung anzuwendenden Kontrollmaßstab. Danach ist die Entscheidung des Versorgungsunternehmens lediglich auf Unbilligkeit hin zu überprüfen, wobei dem Unternehmen ein Entscheidungsspielraum zukommt (vgl. Grüneberg, in Palandt, BGB, 70. Aufl., § 315 Rdnr. 10). Wird eine einzelne Erhöhung des Arbeitspreises durch den bei ihrer Festsetzung prognostizierten, aber tatsächlich nicht in dem erwarteten Ausmaß eingetretenen Anstieg der Bezugskosten nicht vollständig abgedeckt, ist sie danach dennoch nicht unbillig, wenn in dem Gaswirtschaftsjahr insgesamt ein angemessenes Verhältnis zwischen Tarif- und Bezugskostenerhöhungen erzielt wird.

Durch eine Gesamtbetrachtung des Gaswirtschaftsjahres wird weitgehende Kalkulationssicherheit für die Versorgungswirtschaft erreicht. Zugleich werden die mit einer Gesamtbetrachtung des Zeitraums, in dem die angegriffenen Preiserhöhungen vorgenommen wurden, verbundenen Nachteile und Unwägbarkeiten ausgeschlossen.

bb) Nach dem Vortrag der Klägerin, der durch die Zeugen G... und N... bestätigt worden ist, berechnete ihr Vorlieferant quartalsweise der Klägerin einen neuen Preis. Diese Preisänderungen musste sie wegen des damit verbundenen Aufwandes bei einer Anpassung ihrer Verkaufspreise nicht sofort umsetzen, sondern durfte abwarten, ob sie sich stabilisieren würden. Sie brauchte daher die Anpassung noch nicht sofort oder mit der nächsten Änderung der Preise (vollständig) zu übernehmen, sondern konnte das "Anpassungspotential" in gewissem Umfange zunächst zurückhalten. Allerdings muss die Anpassung sodann spätestens mit dem Beginn des nächsten Gaswirtschaftsjahres (01. Oktober - 30. September) - von geringen Differenzen aus Praktikabilitätsgründen abgesehen - erfolgen. Das Gaswirtschaftsjahr als maßgebliche Einheit bietet sich schon deswegen an, weil der von dem Vorlieferanten zudem berechnete Leistungspreis sich nach der Aussage des Zeugen G... nach der höchsten im Gaswirtschaftsjahr abgegebenen Menge (dann für das gesamte Gaswirtschaftsjahr) berechnet.

Dies bedeutet:

Seit der letzten Erhöhung der Gasverkaufspreise zum 31. Dezember 2003 - der vom Beklagten nicht gerügt worden ist - ist der Einkaufspreis im Gaswirtschaftsjahr 2003/2004 um 0,1158 c (alle Angaben in c/kWh netto) erhöht worden. Zusammen mit der Erhöhung des Gaseinkaufspreises um 0,2053 zum 01. Oktober 2004 rechtfertigte dies die Erhöhung des Verkaufspreises um 0,30 c zum gleichen Datum. Hinsichtlich des "Überhangs" von 0,0211 c durfte die Klägerin die weitere Entwicklung zunächst abwarten. Die weitere Anhebung des Gasverkaufspreises zum 01. Januar 2005 war dadurch gerechtfertigt, dass der Einkaufspreis um 0,3503 c erhöht wurde. Im Verlaufe des Gaswirtschaftsjahres 2004/2005 hatte sich insgesamt ein zunächst nicht weitergegebener Überhang von 0,2002 c angesammelt. Zusammen mit der Erhöhung des Einkaufspreises um 0,5280 c zum 01. Oktober 2005 ergab sich damit rechnerisch eine Erhöhungsmöglichkeit des Verkaufspreises um 0,7282 c, von dem jedoch nur 0,50 c realisiert wurde. Die Differenz von 0,2282 c erscheint dem Senat jedoch nach dem zuvor Gesagten zu groß, als dass die Klägerin damit später noch weitere Preiserhöhungen hätte rechtfertigen können. Die Erhöhung des Verkaufspreises um 0,40 c zum 01. Januar 2006 war durch eine Erhöhung des Einkaufspreises von 0,3942 c gerechtfertigt. Die Absenkung des Verkaufspreises um 0,1176 c zum 01. April 2006 brauchte die Klägerin noch nicht zum Anlass für eine Absenkung des Verkaufspreises nehmen, zumal der Einkaufspreis zum 01. Juli 2006 wieder um 0,0726 c angehoben wurde.

Zum 01. Oktober 2006 durfte die Klägerin den Verkaufspreis um 0,29 c anheben. Zwar konnte sie sich nach dem oben Gesagten nicht darauf berufen, dass aus dem Jahre 2005 noch ein - bis dahin nicht genutztes - Erhöhungspotential von 0,2282 c (gegebenenfalls reduziert um 0,035 c Absenkung der Einkaufspreise April/Juli 2006) vorhanden war. Jedoch war der Einkaufspreis um 0,4015 c angehoben worden. Die Preisabsenkung zum 01. Januar 2007 überstieg mit 0,18 c die Absenkung des Einkaufspreises von 0,1376 c. Die Absenkung des Verkaufspreises zum 01. April 2007 um "nur" 0,39 c erreichte zwar die Absenkung des Einkaufspreises von 0,4512 c; das ist aber nicht zu beanstanden, weil die Erhöhung des Verkaufspreises zum 01. Oktober 2006 im Verhältnis zum Einkaufspreis erheblich zu niedrig und die Absenkung des Verkaufspreises zum 01. Januar 2007 im Verhältnis zum Verkaufspreis erheblich zu hoch ausgefallen war.

4.

Die Entscheidung zu den Zinsen rechtfertigt sich aus § 291, § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Die Forderung auf Zahlung eines Abschlages war ursprünglich gerechtfertigt. Ob die Klägerin diesen Teil früher hätte für erledigt erklären müssen, kann offen bleiben, da dies nicht zu zusätzlichen Kosten geführt hat.

Die Revision wird zugelassen, weil eine gesicherte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Europarechtskonformität von § 4 Abs. 1 AVBGasV bzw. § 5 GasGVV sowie zum Maßstab der Billigkeitsüberprüfung noch nicht besteht.

Schüttpelz Frister Rubel