OLG Köln, Urteil vom 26.05.1997 - 8 U 107/96
Fundstelle
openJur 2012, 76538
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24. September 1996 - 5 O 208/95 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Wert der durch dieses Urteil begründeten Beschwer übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Gründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil das

Landgericht der Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben

hat.

1.

Die Klägerin hat gemäß §§ 985 i.V.m. 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einen

Anspruch auf Räumung des in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks

und insbesondere auf Entfernung der darauf vom Beklagten

errichteten sogenannten "Klagemauer".

Die Eigentümerrechte der Klägerin werden entgegen der Ansicht

des Beklagten nicht durch eine Duldungspflicht beeinträchtigt,

aufgrund deren der Beklagte berechtigt sein könnte, die

"Klagemauer" weiterhin auf dem Grundstück der Klägerin zu

unterhalten.

Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten besteht eine

Duldungspflicht der Klägerin insbesondere nicht aus

verfassungsrechtlichen Gründen. Der Beklagte geht zu Unrecht von

einem Eingriff der Klägerin in seine Grundrechte aus, weil er durch

die Geltendmachung zivilrechtlicher Beseitigungs- und

Unterlassungsansprüche der Grundstückseigentümerin nicht in eigenen

Grundrechten tangiert wird. Vielmehr hat der Beklagte seinerseits

durch die Errichtung der "Klagemauer" und die hierin liegende

unerlaubte Inbesitznahme des klägerischen Grundstücks

widerrechtlich in die Eigentümerrechte der Klägerin eingegriffen.

Auf die Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil, die

der Senat für vollständig zutreffend erachtet, wird insoweit Bezug

genommen. Im einzelnen gilt folgendes:

Der Klägerin ist eine Berufung auf ihre privatrechtliche

Eigentümerposition nicht deshalb verwehrt, weil sie das Grundstück

bislang keiner förmlichen straßenrechtlichen Widmung zugeführt hat.

Selbst wenn nämlich die Klägerin in der Vergangenheit eine -

unstreitig unterbliebene - förmliche Widmung der in ihrer heutigen

Ausgestaltung tatsächlich als öffentliche Verkehrsfläche genutzten

und dem allgemeinen Publikumsverkehr zugänglich gemachten Domplatte

vorgenommen hätte, brauchte sie die vom Beklagten errichtete

"Klagemauer" nicht zu dulden.

Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht in der

angefochtenen Entscheidung ausgeführt, daß die Errichtung bzw.

Unterhaltung der "Klagemauer" in Form einer festen, dauerhaft

erstellten Einrichtung, die das Erscheinungsbild der Domplatte

optisch maßgeblich (mit-)prägt und den ungehinderten

Fußgängerverkehr im Vorfeld des Doms recht großflächig und

keineswegs unmaßgeblich behindert bzw. beeinträchtigt, eine nicht

mehr dem Gemeingebrauch unterfallende, vielmehr eine von der

Erteilung einer Erlaubnis abhängige Sondernutzung gemäß § 18 StrWG

NRW darstellt. Es ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin im Rahmen

des ihr zustehenden Ermessensspielraums zwingend gehalten wäre,

eine derart dauerhaft angelegte Installation des Beklagten zu

dulden. Ein Antrag des Beklagten auf Erteilung einer entsprechenden

Sondernutzungserlaubnis könnte von der Klägerin ermessensfehlerfrei

abgelehnt werden.

Eine Sondernutzungsberechtigung des Beklagten ergibt sich

insbesondere nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen.

Die vom Beklagten angeführten Grundrechte auf freie

Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), künstlerische Freiheit

(Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG)

und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sind

nicht verletzt.

Das Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung findet seine

Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, also auch in

den Eigentumsschutzvorschriften.

Eine Güterabwägung zwischen dem Recht des Beklagten auf freie

Meinungsäußerung einerseits und dem nach Art. 14 GG ebenfalls

verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrecht der Klägerin

andererseits ergibt, daß eine Duldungspflicht der Klägerin nicht

besteht.

Bei der Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung des

Bundesverfassungsgerichts das Recht der Meinungsäußerung

nachrangig, "wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von

höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt

würden; ob solche überwiegenden Interessen anderer vorliegen, ist

aufgrund aller Umstände des Falles zu ermitteln" (vgl. BVerfGE 7,

198 (210 f); 35, 202, (223 f)). Bei der Abwägung kann dahinstehen,

ob der vom Beklagten errichteten "Klagemauer" überhaupt

meinungsäußernder Charakter zukommt oder nicht. Die Klägerin

schränkt nämlich die Meinungsfreiheit des Beklagten jedenfalls

nicht dadurch in unzumutbarer Weise ein, daß sie es ihm verwehrt,

diese "Meinung" in Form der "Klagemauer" gerade auf ihrem

Grundstück zu äußern. Zwar umfaßt Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich

auch die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, wie ein Gedanke

formuliert wird und in welcher Form er zum Ausdruck gebracht werden

soll. Die auf diesen Bereich, also die Form, bezogenen

Einschränkungsmöglichkeiten sind aber größer, als wenn der Inhalt

einer Meinung betroffen ist (vgl. BVerfGE 42, 143 (149 f)). Es ist

nicht davon auszugehen, daß das Recht des Beklagten auf freie

Meinungsäußerung nur dadurch verwirklicht werden kann, daß die

"Klagemauer" gerade auf der im Eigentum der Klägerin stehenden

Domplatte erstellt und unterhalten wird. Daß der Klägerin im

übrigen gerade nicht daran gelegen ist, den Inhalt der "Meinung"

des Beklagten zu beschränken, ergibt sich bereits daraus, daß sie

dem Beklagten unstreitig verschiedene Alternativ-Standorte für die

Aufstellung der "Klagemauer" im Stadtzentrum angeboten hat.

Das Grundrecht des Beklagten auf Versammlungsfreiheit nach Art.

8 Abs. 1 GG ist entgegen der Rechtsansicht des Beklagten nicht

berührt.

Um eine Versammlung handelt es sich, wenn eine Mehrheit von

Menschen zusammenkommt, die den Zweck der Bildung oder Äußerung von

Meinungen verfolgen; dieser gemeinsame Zweck muß die Anwesenden

verbinden (vgl. zur Definition des Versammlungsbegriffs von

Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 4. Auflage, Rdnr. 12 ff zu Art.

8 m.w.N.). Die Vornahme einer dauerhaften, fest mit Grund und Boden

verbundenen Installation, wie sie die vom Beklagten errichtete

"Klagemauer" darstellt, unterfällt diesem Versammlungsbegriff

ersichtlich nicht, geht zumindest über ihn hinaus. Der Umstand, daß

Menschen die "Klagemauer" in Augenschein und zum Anlaß von

Meinungsbildungen nehmen, steht dem nicht entgegen.

Auch wenn man davon ausgeht, daß die vom Beklagten errichtete

"Klagemauer" dem Begriff von "Kunst" im Sinne des Art. 5 GG

unterfällt, ist es dem Beklagten verwehrt, sich auf das Grundrecht

der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG zu berufen. Obwohl die

Freiheit der Kunst nach dem Wortlaut des Grundgesetzes vorbehaltlos

gewährleistet ist, gilt auch dieses Recht nicht schrankenlos. Die

Freiheit der Kunst erstreckt sich nach der Rechtsprechung des

Bundesverfassungsgerichts "von vornherein nicht auf die

eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden

Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung (sei es im Werk-

oder im Wirkbereich der Kunst). Óberdies enthält das Eigentumsrecht

gleichfalls eine Verbürgung von Freiheit; nach den vom Grundgesetz

getroffenen Wertungen steht es nicht prinzipiell hinter der

Freiheit der Kunst zurück" (vgl. BVerfG in NJW 1984, S. 1293

f).

Art. 2 Abs. 1 GG ist bereits im Hinblick auf die Subsidiarität

des Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gegenüber

anderen Freiheitsgrundrechten nicht berührt.

Soweit der Beklagte in der Berufungsverhandlung darauf abgehoben

hat, daß der überkommene Eigentumsbegriff in Zeiten sozialen

Umbruchs und aufgrund einer "Entwicklung hin zum monopolisierten

Eigentum einiger Weniger" eine Einschränkung der damit verbundenen

Rechte in Form verstärkter Pflichten zur Duldung verschiedener

Formen des Gemein- oder auch Sondergebrauchs erfahren müsse,

handelt es sich hierbei um ein rechtspolitisches Anliegen, dem

allenfalls der Gesetzgeber entsprechen könnte. Fest installierte,

dauerhafte Einrichtungen wie die sogenannte "Klagemauer" auf im

Eigentum Dritter stehenden Grundstücken werden jedenfalls aufgrund

der derzeit gültigen Rechtslage weder von einem Recht auf

Gemeingebrauch noch von einem Recht auf Sondernutzung gedeckt. Auch

insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die

zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug.

Sonstige Umstände, die eine Duldungspflicht der Klägerin

begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Weder die vom Beklagten

vorgetragene Bekanntheit der "Klagemauer" weit über die Grenzen

Deutschlands hinaus noch die vom Beklagten ins Feld geführte

positive Resonanz vieler Menschen auf die "Klagemauer" sind hierbei

rechtlich von Bedeutung.

Die Klägerin braucht deshalb im Ergebnis die Anwesenheit des

Beklagten in der dargelegten Weise auf ihrem Grundstück nicht zu

dulden mit der Folge, daß ihr Räumungsbegehren in der angefochtenen

Entscheidung zu Recht für begründet erachtet worden ist.

2.

Auch der auf Unterlassung gerichtete Klageantrag zu b) ist gemäß

§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet. Der Senat ist ebenso wie das

Landgericht in der angefochtenen Entscheidung der Auffassung, daß

die für einen Unterlassungsanspruch als materielle

Anspruchsvoraussetzung erforderliche Wiederholungsgefahr gegeben

ist.

Lediglich zur Klarstellung sei an dieser Stelle darauf

hingewiesen, daß der im angefochtenen Urteil unter Buchstabe b)

tenorierte Unterlassungsanspruch nur den Wiederaufbau der im

anhängigen Verfahren in Rede stehenden Klagemauer in ihrer

ursprünglichen Form umfaßt. Dem Beklagten ist danach verboten, das

klägerische Grundstück in der Weise in Besitz zu nehmen, daß er

eine dauerhafte, sich konkret und körperlich durch Herstellung

einer Verbindung mit auf der Domplatte vorhandenen Gegenständen

zeigende Ingewahrsamnahme der Fläche vornimmt. Die Entscheidung ist

indes nicht vorgreiflich für die möglicherweise von den

Verwaltungsgerichten zu entscheidende Frage, ob der Beklagte sich

etwa mit beweglichen Gegenständen, auf denen ähnliche Papptafeln

wie auf der "Klagemauer" angebracht sind, auf der Domplatte

aufhalten darf oder nicht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10,

713 und 546 Abs. 2 ZPO.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren beträgt 45.000,00

DM. Der Senat orientiert sich bei dieser Festsetzung am Interesse

der Klägerin an der Beseitigung und künftigen Unterlassung der

Beeinträchtigung ihres Grundstücks. Dieses Interesse schätzt der

Senat gemäß § 3 ZPO ebenso wie das Landgericht auf 25.000,00 DM für

den Beseitigungsanspruch und auf 20.000,00 DM für den

Unterlassungsanspruch.

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