Bayerischer VGH, Urteil vom 15.12.2010 - 2 B 09.2419
Fundstelle
openJur 2012, 112821
  • Rkr:
Tenor

I. In Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 23. März 2009 wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2008 verpflichtet, über den Änderungsantrag vom 10. März 2008 zur Nutzungsänderung für die Erweiterung des vorhandenen Spielhallenbetriebs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin ein Fünftel und die Beklagte vier Fünftel.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Geschäftshauses auf dem Grundstück Fl.Nr. 259/11 der Gemarkung M… (F… Ring …) für die Erweiterung des vorhandenen Spielhallenbetriebs.

Zuletzt wurde der Klägerin mit Bescheid vom 4. November 2004 eine Nutzungsänderung für den Betrieb einer Spielothek mit einer Nutzfläche von ca. 202 m² genehmigt. Die Fläche wurde später auf zwei gewerberechtlich selbstständige Spielotheken aufgeteilt. Die Spielhallen befinden sich im Erdgeschoß des Anwesens. Weiter befindet sich im Erdgeschoß unmittelbar anschließend an den Spielhallenbereich eine Gaststätte. Für die Flächen im Obergeschoß wurde mit Bescheid vom 10. Mai 2004 eine Nutzungsänderung für den Betrieb von zwei Videotheken genehmigt.

Die Klägerin beabsichtigt nunmehr die Spielhallennutzung auch auf das Obergeschoß auszudehnen. Nach dem hierzu eingereichten Bauantrag in der Fassung des Tekturantrags vom 10. März 2008 ist vorgesehen, die Gesamtnutzfläche für den Spielhallenbetrieb auf ca. 542 m² zu erweitern. Die Fläche soll auf vier Spielothekeneinheiten (mit jeweils deutlich mehr als 100 m² Nutzfläche) aufgeteilt werden, wobei den Spielotheken 1 und 2 sowohl Flächen im Erdgeschoß wie im Obergeschoß zugeordnet sind. Die Flächen der Spielotheken 3 und 4 liegen dagegen ausschließlich im Erdgeschoß bzw. im Obergeschoß. Die Einheiten sind mit Türen untereinander verbunden, Aufsichtspersonal ist jeweils einmal für das Erdgeschoß und für das Obergeschoß vorgesehen.

Das Vorhabengrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Die Grundstücke in der Umgebung entlang des F… Rings an dessen Nordseite werden ausschließlich gewerblich genutzt. An der Südseite des F… Rings gegenüber dem Grundstück befinden sich ausschließlich Wohngebäude. Beim F… Ring handelt es sich um eine vierspurige breite Einfallstraße, in dessen Mitte in diesem Bereich ein etwa 2 m breiter Grünstreifen verläuft.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2008 lehnte die Beklagte die beantragte Baugenehmigung ab. Das Baugrundstück liege in einem faktischen Gewerbegebiet. Für den Bereich setze ein einfacher Bebauungsplan lediglich Baulinien fest. Die Zulassung des Vorhabens beurteile sich daher nach § 30 i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB und § 8 BauNVO. Bei dem Vorhaben handle es sich, ungeachtet der Aufteilung in vier separate Spielotheken, um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, deren ausnahmsweise Zulassung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht in Betracht komme. Die beantragte Erweiterung würde den Rahmen einer Ausnahme nach § 8 BauNVO sprengen und zu einer nachhaltigen Veränderung des Gebietscharakters führen. Im Übrigen gehe die Beklagte davon aus, dass bereits der genehmigte Bestand, der gleichfalls als kerngebietstypische Vergnügungsstätte zu qualifizieren sei, nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr genehmigungsfähig wäre. Dieser unterliege jedoch dem Bestandsschutz.

Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. März 2009 ab. Das als Sonderbau dem Genehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO unterfallende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung nach § 34 Abs. 2 Halbsatz 2, § 31 Abs. 1 BauBG i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nicht vorlägen. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem faktischen Gewerbegebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 Halbsatz 1 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO. Das Vorhaben sei nicht in entsprechender Anwendung von § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO als Vergnügungsstätte in einem faktischen Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässig. Nach den Umständen des Falls sei davon auszugehen, dass es im Hinblick auf seine Dimensionierung und den mit ihm verbundenen Auswirkungen auf die weitere bauliche Entwicklung in dem Gebiet über den Rahmen des in einem faktischen Gewerbegebiet ausnahmsweise Zulässigen hinausgeht und der Eigenart des Gebiets widerspricht (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO). Mit der geplanten Erweiterung der Spielothekenbetriebs auf das Obergeschoß und der damit verbundenen Erhöhung der gesamten Nutzfläche auf ca. 542 m² würde eine Großspielothek (ein sog. Entertainementcenter) entstehen, der erhebliches städtebauliches Gewicht auch in Bezug auf die Beurteilung der Zulässigkeit von Vorhaben in der Umgebung zukäme. Würden im näheren oder weiteren Umgriff weitere Vergnügungsstätten als im Grundsatz ausnahmsweise zulässige Nutzungen genehmigt – auch der weitere Umgriff um das Vorhabengrundstück sei als faktisches Gewerbegebiet zu werten -, wäre es durchaus vorstellbar, dass im Hinblick auf ein Vorhaben, das zwischen diesen Nutzungen situiert werden solle, bei der Prüfung des Gebietscharakters die vorhandenen Nutzungen und vor allem das klägerische Vorhaben wegen seiner Größe und des ihm zukommenden städtebaulichen Gewichts zur Folge hätten, dass die maßgebliche Umgebung nicht mehr als faktisches Gewerbegebiet, sondern als Gemengelage zu qualifizieren wäre und damit der Gebietscharakter in einer Weise verändert würde, der einen Erhalt der bisherigen Strukturen ohne bauleitplanerische Maßnahmen unmöglich machen würde. Das Vorhaben stehe daher in Widerspruch zur Eigenart des Gebiets.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung beantragt die Klägerin,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. März 2009 und den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 16. Mai 2008 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Änderungsantrag vom 13. März 2008 (in Abänderung des Erstantrags vom 7. Dezember 2007) zur Nutzungsänderung für die Erweiterung des vorhandenen Spielhallenbetriebs auf dem Grundstück Fl.Nr. 259/11 der Gemarkung M…, F… Ring …, zu genehmigen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag neu zu entscheiden.

Die streitgegenständliche Spielhalle sei ausnahmefähig, weil bereits eine Vergnügungsstätte in demselben Gebäude existiere und die zweite Spielhalle nicht zu einer der Eigenart des Gewerbegebietes widersprechenden und damit gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässigen Häufung von Vergnügungsstätten führe. Mit der beantragten Nutzungsänderung der Videothek in eine Spielothek im Obergeschoß würde sich das städtebauliche Gewicht nicht ändern. Angesichts der Tatsache, dass dieses Gebäude – und nur dieses Gebäude – seit jeher genehmigterweise als Spielothek und Videothek sowie Gaststätte genutzt werden dürfe, würden auch keine Bezugsfälle geschaffen. Die Annahme im Ersturteil, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit eine bauliche Entwicklung eingeleitet würde, durch die die Eigenart des Baugebiets beeinträchtigt würde, entbehre jeder sachlichen und rechtlichen Grundlage. Die Gründe, die die Beklagte und das Verwaltungsgericht nennen, seien keine städtebaulichen Gründe, die eine ermessensgerechte Versagung der Ausnahme rechtfertigen könnten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bereits jede einzelne hier beantragte Spielhalle stelle sich als sog. kerngebietstypische Vergnügungsstätte dar. Eine Mehrung der Gesamtspielfläche auf insgesamt ca. 542 m² führe – unabhängig davon, dass dies in einem Gebäude verwirklicht werde – zu negativen Auswirkungen. Eine derartige Mehrung erweitere – gerade aufgrund der Lage am F… Ring – den Einzugsbereich erheblich. Der Spielhallenbetrieb finde zudem nahezu rund um die Uhr statt. Dies führe zu einer Dimension, die einen „trading-down-Effekt“ und schließlich das Kippen des Gebietscharakters befürchten lasse.

Der Senat hat über die örtlichen Verhältnisse Beweis durch Einnahme eines Augenscheins erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über den Augenschein sowie im Übrigen auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist zum überwiegenden Teil begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin gegen die Ablehnung der beantragten Nutzungsänderung zu Unrecht aus planungsrechtlichen Gründen abgewiesen. Soweit Bauplanungsrecht zu prüfen ist, steht es vielmehr dem Anspruch der Klägerin auf Erteilung der beantragten Genehmigung nicht entgegen. Weil jedoch der Bauantrag bauordnungsrechtlich nicht voll umfänglich geprüft worden ist, war die Beklagte nur zu verpflichten, über den Bauantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Das Bauvorhaben ist planungsrechtlich zulässig (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB).

a. Es ist als Vergnügungsstätte im faktischen Gewerbegebiet (siehe aa.) ausnahmsweise gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO zulässig (siehe bb.); das Vorhaben scheitert nicht an § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (siehe cc.).

aa. Die Eigenart der für das Vorhaben der Klägerin maßgeblichen näheren Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB entspricht einem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO. Als „nähere Umgebung“ in diesem Sinn ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG vom 26.5.1978 Az. IV C 9.77 BVerwGE 55, 369; vom 20.8.1998 Az. 4 B 79/98 BauR 1999, 32). Die Grenzen sind nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (BVerwG vom 28.8.2003 Az. 4 B 74/03 – juris). Bei § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die nähere Umgebung für jedes der Merkmale gesondert zu ermitteln, weil die wechselseitige Prägung unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG vom 6.11. 1997 Az. 4 B 172/97 ZfBR 1998, 164). Bei dem Nutzungsmaß ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart, die bei § 34 Abs. 2 BauGB inmitten steht; meist führt die größere Nähe zu einer stärker prägenden Wirkung (vgl. Hofherr in Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: September 2010, § 34 RdNr. 17 m.w.N.). Bei der für die Prüfung erforderlichen Bestandsaufnahme ist grundsätzlich alles tatsächlich Vorhandene in den Blick zu nehmen.

Unter dem Eindruck der Augenscheinseinnahme ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass das Baugrundstück hinsichtlich der Nutzungsart durch die Bebauung in dem Viertel, das durch den F… Ring und die T…straße gebildet wird, geprägt wird und seinerseits das Erscheinungsbild der Bebauung in diesem Viertel beeinflusst. Dabei ist die Bebauung an der T…straße beidseitig mit einzubeziehen, während die Bebauung südlich des F… Rings nicht mehr heranzuziehen ist. Denn zwischen der Bebauung nördlich des F… Rings und der Bebauung südlich des F… Rings besteht zum einen ein klarer Strukturunterschied. Während es sich bei der Bebauung südlich des F… Rings um zum großen Teil geschlossene Wohnbebauung handelt, die sich als dominante Blockrandbebauung darstellt, ist die Bebauung nördlich des F… Rings deutlich aufgelockert. Zum anderen handelt es sich beim F… Ring um eine dicht befahrene, vierspurige Ein- und Ausfallstraße, die einen 2 m breiten Grünstreifen aufweist. Der F… Ring hat insofern trennende Wirkung.

In der so bestimmten näheren Umgebung befinden sich im Wesentlichen zwei Automobilniederlassungen mit Verkauf, Hallen für Kfz-Reparaturen, eine SB-Waschanlage, zahlreiche Stellplätze zum Verkauf stehender Gebrauchtwagen, Bürogebäude und Produktionshallen einer gewerblichen Niederlassung, weitere gewerbliche Nutzungen (wie z.B. Postdienstleistungsunternehmen, Reinigungsfirma, Textilcenter für den Fachhandel, Firma für Mietberufskleidung, Textillagerverkauf, Fitnesscenter, Tankstelle, Autovermietung, Labor), eine kleinere Parkanlage mit Sporteinrichtungen und wenige Wohngebäude, die teilweise als Firmenwohnungen genutzt werden. Im streitgegenständlichen Anwesen befinden sich zwei Spielhallen, eine Videothek und Gastronomienutzung. Damit liegt ein faktisches Gewerbegebiet vor. Dies ist unter den Beteiligten auch unstreitig. Die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art beurteilt sich deshalb gemäß § 34 Abs. 2 Halbsatz 2 BauGB (allein) nach § 31 Abs. 1 BauGB, § 8 Abs. 3, § 15 BauNVO.

bb. Bei dem Vorhaben handelt es sich um eine Vergnügungsstätte im Sinn des § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO. Wie das Verwaltungsgericht richtig erkannt hat, hindert der Umstand, dass die geplanten Spielotheken als kerngebietstypisch zu qualifizieren sind, eine ausnahmsweise Zulassung nicht. Auch kerngebietstypische Spielhallen können in einem faktischen Gewerbegebiet zugelassen werden. § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO differenziert nicht zwischen kerngebietstypischen und nicht kerngebietstypischen Spielhallen (vgl. BVerwG vom 20.8.1992 Az. 4 C 54/98 NVwZ-RR 1993, 65; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1.4.2010, § 8 BauNVO RdNr. 46; Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Auflage 2003, § 8 RdNr. 52; Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB/BauNVO, 6. Auflage 2010, § 8 BauNVO RdNr. 17). Das faktische Gewerbegebiet hat mit der ausnahmsweisen Zulässigkeit von auch sonst nur im Kerngebiet zulässigen Vergnügungsstätten gleichsam eine Auffangfunktion. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass Gewerbebetriebe unterschiedlich strukturiert und daher im Einzelfall auch kerngebietstypische Vergnügungsstätten in ihnen unbedenklich sein können. Insbesondere im ländlichen Raum ist dies von Bedeutung, da hier meist nur wenig Möglichkeiten für die Unterbringung von kerngebietstypischen Vergnügungsstätten bestehen und ein Gewerbegebiet hier oftmals die einzige Möglichkeit der Unterbringung darstellt (vgl. BayVGH vom 7.10.2010 Az. 2 B 09.1287 – juris).

cc. Die Zulassung des klägerischen Vorhabens scheitert nicht an § 15 Abs. 1 BauNVO. Diese Vorschrift schränkt die Zulässigkeit von Vorhaben, die mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans übereinstimmen bzw. nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit §§ 2 bis 9 BauNVO allgemein zulässig sind oder jedenfalls – wie hier – im Weg einer Ausnahme zugelassen werden können, im Einzelfall ein (vgl. BVerwG vom 25.1.2007 Az. 4 C 1.06, BVerwGE 28, 118; vom 6.10.1989 Az. 4 C 14.87 BVerwGE 82, 343). § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ergänzt die §§ 2 bis 14 BauNVO; das gilt nicht nur für durch einen Bebauungsplan festgesetzte Baugebiete, sondern auch für unbeplante Gebiete, deren Eigenart gemäß § 34 Abs. 2 BauGB einem Plangebiet der BauNVO - hier: Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO – entspricht (vgl. BVerwG vom 16.12.2008 Az. 4 B 68.08 BRS 73 Nr. 82). Dabei vermittelt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO auch einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (vgl. BVerwG vom 13.5.2002 Az. 4 B 86.01 NvwZ 2002, 1384).

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl (siehe (1)), Lage (siehe (2)), Umfang (siehe (3)) oder Zweckbestimmung (siehe (4)) der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Dies ist hier nicht der Fall. Auch bei einer Kombination der Tatbestandsmerkmale ist die angestrebte Nutzung nicht unzulässig (siehe (5)).

(1) Ausnahmsweise zulässige Anlagen können nach ihrer Anzahl der Eigenart des konkreten Baugebiets widersprechen. Eine im Baugebiet lediglich ausnahmsweise zulässige Anlage ist unzulässig, wenn es ansonsten zu einer Häufung solcher Anlagen im Baugebiet käme (Roeser in König/Roeser/Stock, a.a.O., § 15 RdNr. 18). Eine nach § 8 Abs. 3 BauNVO im Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässige Spielothek kann im konkreten Fall der Eigenart des Baugebiets hinsichtlich der Anzahl widersprechen, wenn dort bereits ein solcher Betrieb oder gar eine Mehrzahl vorhanden ist (vgl. für Bordelle BVerwG v. 25.11.1983 Az. 4 C 21.83 - juris). Dies ist hier nicht der Fall.

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach das Vorhaben aus bauplanungsrechtlicher Sicht als eine einheitliche Vergnügungsstätte zu werten ist. Denn es liegt eine bauliche und betriebliche Einheit vor und die Aufteilung in mehrere Spielotheken bezweckt lediglich, die Voraussetzungen für ein Aufstellen der größtmöglichen Anzahl an Spielgeräten nach den Vorgaben der Spielverordnung (SpielV) zu ermöglichen. Da es sich somit um die erste Anlage ihrer Art in dem konkreten Baugebiet handelt, widerspricht die Anlage ihrer Anzahl nach nicht der Eigenart des Baugebiets.

(2) Das Bauvorhaben widerspricht nicht nach seiner Lage, der Eigenart des Baugebiets. Mit der Lage ist der Standort der baulichen Anlage gemeint (Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008, § 15 RdNr. 10.1). Das Vorhaben ist unmittelbar am F… Ring gelegen. Beim F… Ring handelt es sich um eine vierspurige Ein- und Ausfallstraße. Von daher ist das Bauvorhaben – wie auch die meiste sonstige Nutzung des faktischen Gewerbegebiets – darauf angelegt, einen überörtlichen Kundenkreis anzuziehen. Das Baugebiet wird auch durch andere Betriebe, wie die Tankstelle oder die Autovermietung mitgeprägt, die die Nähe zum F… Ring nutzen. Es ist daher nicht ersichtlich, wieso ausgerechnet die Lage der Spielothek geeignet sein sollte, Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets hervorzurufen.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung auf die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 26. August 2009 (Az. 3 S 1057/09 – juris) hingewiesen. Dort spielte auch die räumliche Nähe von Spielotheken zu zentralisierten Ausbildungsstätten eine Rolle. Ein vergleichbares Risiko ist bei der Vergrößerung der Spielothek in dem hier in Rede stehenden Gebiet nicht gegeben. Denn zentralisierte Ausbildungsstätten sind hier nicht vorhanden und die gegenüberliegende Wohnbebauung ist von der Spielothek durch die vierspurige Ein- und Ausfallsstraße getrennt. Im Übrigen dürfte sich insofern nicht die Größe der jeweiligen Spielhalle als problematisch darstellen, sondern vielmehr der Umstand, dass eine Spielhalle in der Nähe zu den genannten sensiblen Nutzungen überhaupt angesiedelt wird (vgl. Kaldewei, BauR 2009, 1227, 1229).

(3) Nach dem Umfang kann eine Anlage der Eigenart des Baugebiets widersprechen, wenn sie im Verhältnis zu den Anlagen ihrer Umgebung größenmäßig aus dem Rahmen fällt (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O. RdNr. 10.2). Dies ist hier in quantitativer Hinsicht zu verneinen. Für den Senat ist nicht erkennbar, inwiefern die Größe des Vorhabens von insgesamt 542 m² hinsichtlich des Umfangs der Eigenart des Baugebiets widersprechen sollte. Bereits innerhalb des Gevierts, das durch die T…straße und den F… Ring gebildet wird, dürften schätzungsweise 50.000 m² Gewerbefläche vorhanden sein. Insofern kann von einer augenscheinlichen Unangemessenheit nicht gesprochen werden. Das Bauvorhaben widerspricht auch qualitativ nach seinem Umfang – indem im konkreten Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen würde - nicht der Eigenart eines faktischen Gewerbegebiets (dazu auch unten (5)). Auch wenn nicht verkannt wird, dass eine Spielhalle der vorliegenden Größe einen größeren Einzugsbereich besitzt und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar ist, so ist für den Senat im vorliegenden Einzelfall nicht nachvollziehbar, wieso die Zulassung des Vorhabens hinsichtlich des Gebietscharakters städtebaulich bedenklich sein sollte. Da auch die anderen Gewerbebetriebe ein überregionales Einzugsgebiet haben, stellt die Spielhalle in dem beantragten Umfang keinen Fremdkörper dar. Insgesamt kommt dem Bauvorhaben eine untergeordnete Bedeutung zu. Es besteht auch nicht die Gefahr, dass sich ein städtebaulich selbstständig bewertbarer Teil des faktischen Gewerbegebiets in ein „Vergnügungsviertel“ umwandelt. Die Vergnügungsstätte hat nicht das städtebauliche Gewicht eines „Entertainement-Centers“ (vgl. BayVGH vom 6.7.2005 Az. 1 B 01.1513 – juris).

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gebiet in den Abend- und Nachtstunden eine Prägung durch die Spielothek erfährt, die dem Gebietscharakter widerspricht. Zwar wird in den Abend- und Nachtstunden in den Gewerbegebieten üblicherweise nicht gearbeitet. In dem Gebäude befindet sich jedoch auch eine Gaststätte, die wie der Betrieb in den Spielotheken jedenfalls auch in den Abendstunden geöffnet haben wird. Auch durch die in der Umgebung weiter vorhandene Nutzung, die ebenso in den Abend- und Nachtstunden stattfindet, wie z.B. die Tankstelle, wird verhindert, dass das Gebiet als Sondergebiet für Spielotheken anzusehen ist.

(4) Schließlich widerspricht auch nicht die Zweckbestimmung der Anlage der Eigenart des faktischen Gewerbegebiets. Zwar ist es zutreffend, dass in Gewerbegebieten in erster Linie gearbeitet wird (vgl. VGH Baden-Württemberg a.a.O.). Ausnahmsweise sind jedoch auch Vergnügungsstätten zulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass mit der Spielothek ein ins Auge fallender, nahezu rund um die Uhr zu nutzender Zweckbau zugelassen würde, der sich im vorliegenden Fall nach seiner Eigenart nicht mehr in die Vielfalt der produzierenden und artverwandten Nutzungen, wie sie dem Leitbild des Gewerbegebiets entsprechen, einfügen würde.

(5) Auch wenn eine Nutzung bei Prüfung einzelner Tatbestandsmerkmale noch vertretbar wäre, können mehrere Merkmale zusammen zur qualitativen Unzulässigkeit des Vorhabens führen (vgl. dazu BVerwG vom 5.8.1983 Az. 4 C 96.79 BVerwGE 67, 334). Dies ist hier nicht der Fall. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist ein Umkippen des Viertels etwa in eine Gemengelage nicht zu befürchten. Insbesondere ist im vorliegenden Fall auch kein „trading-down-Effekt“ zu erkennen. Ein „trading-down-Effekt“ liegt vor, wenn es auf Grund der Verdrängung des traditionellen Einzelhandels und eines Rückgangs der gewachsenen Angebots- und Nutzungsvielfalt durch Spielhallen zu einem Qualitätsverlust von Einkaufsstraßen und -zonen kommt (vgl. Brandenburg/Brunner, BauR 2011, 1851, 1857; Kaldewei, BauR 2009, 1227, 1228). Die Frage des „trading-down-Effekts“ stellt sich erst bei einer Überschreitung des vorgegebenen Rahmens nach § 34 Abs. 1 BauGB (vgl. BVerwG vom 15.12.1994 Az. 4 C 13/93NVwZ 1995, 698), bei Vorhaben in Plangebieten nach § 1 Abs. 2 BauNVO oder nach § 34 Abs. 2 BauGB, sowie bei der Bauleitplanung (vgl. BVerwG vom 4.9.2008 Az. 4 BN 9/08 BRS 73 Nr. 26). Das Gebiet verlöre hier jedoch mit der Zulassung der streitgegenständlicher Nutzung nicht seinen Charakter.

Der Senat folgt dabei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach sich die Frage, ab wann von einem „trading-down-Effekt“ auszugehen ist, nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf die Umstände des konkreten Einzelfalls beantworten lässt (vgl. BVerwG vom 4.9.2008 a.a.O.). Ob ein „trading-down-Effekt“ zu befürchten ist, beurteilt sich nicht nach quantitativen Faktoren. Auch wenn – wie hier – lediglich eine Spielhalle mit einem Umfang von 542 m² geplant ist, könnte sich die Vergnügungsstätte so negativ auf ihre Umgebung auswirken, dass sie der Eigenart des Baugebiets widerspricht.

In dem hier vorliegenden Fall eines faktischen Gewerbegebiets ist ein „trading-down-Effekt“ nicht zu befürchten. Die gesamte Eigenart des faktischen Gewerbegebiets, welches u.a. einen Textillagerverkauf, eine Tankstelle, Autovermietung und Gastronomie umfasst, zeigt, dass schon aufgrund des Warenangebots das gesamte faktische Plangebiet auf einen übergeordneten Einzugsbereich abzielt und nicht der Versorgung bzw. Entspannung und Freizeit in einem begrenzten Stadtteil dient. Wie sich im Augenscheinstermin bestätigt hat, zielen die im Gebiet ansässigen Gewerbebetriebe, wie z.B. die Firma für Mietberufskleidung, auf Geschäftskunden ab, für die die Attraktivität der Umgebung keine Rolle spielt. Gleiches gilt für die vorhandenen Autovermietungen. Auch für die Endkunden, die im vorliegenden Fall die Angebote des faktischen Gewerbegebiets, z.B. Tankstelle oder Textillagerverkauf, nutzen, ist die Attraktivität des Gebiets unerheblich. Es handelt sich diesbezüglich um Geschäfte zur funktionalen Bedarfsdeckung, bei denen die Attraktivität des Einkaufsbereichs oder das Einkaufserlebnis eine zu vernachlässigende Nebenrolle spielen. Der Senat verkennt nicht, dass ausnahmsweise auch im faktischen Gewerbegebiet ein „trading-down-Effekt“ zu bejahen sein kann. So mag es extreme Ausnahmefälle geben, in denen z.B. hochwertige Gewerbebetriebe, etwa aus dem Bereich der Spitzentechnologie, durch einen Spielhallenbetrieb unter anderem wegen der Intensität des Zu- und Abgangsverkehrs (vgl. dazu allgemein BVerwG vom 28.2.2008 Az. 4 B 60/07 NVwZ 2008, 786; OVG Nordrhein-Westfalen vom 7.10.1993 Az. 10 A 333/90 – juris) gestört werden. Dieser Aspekt ist hier jedoch zu vernachlässigen, da das Bauvorhaben an einer der meist befahrenen Straßen Münchens liegt.

Im vorliegenden Fall ist ansonsten nicht zu erkennen, welcher Gewerbebetrieb aus städtebaulichen Gründen vor der Ansiedlung einer Spielhalle geschützt werden müsste. Die soziale Wertigkeit des betroffenen Gebiets (vgl. zu diesem Aspekt bei einem Kerngebiet OVG Hamburg vom 12.12.2007 Az. 2 E 4/04.N BRS 73 Nr. 25 als Vorinstanz zu BVerwG vom 4.9.2008 a.a.O.) trägt hier den städtebaulichen Erfahrungssatz vom „trading-down-Effekt“ nicht. Denn die in dem Gebiet vorhandenen Nutzungen (s. oben 1. a, aa) sind von ihrer sozialen Wertigkeit als durchschnittlich zu betrachten. Das Gebiet hat auch keine entscheidende Aufwertung dadurch erfahren, dass der im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung noch vorhandene Bordellbetrieb eingestellt wurde. In dem betroffenen Gebiet sind keine Nutzungen vorhanden, denen eine Spielhallennutzung widersprechen würde. Insbesondere auf die Gewerbebetriebe, die neben dem streitgegenständlichen Betrieb entlang des F… Rings liegen, hat das Vorhaben der Klägerin keine Auswirkungen. Denn für das Geschäft einer Tankstelle oder eines Autoservices bzw. einer Autovermietung ist es unerheblich, ob die Klägerin eine Spielhalle betreibt oder nicht.

Es mag zutreffen, dass die Anträge auf Zulassung großflächiger Spielhallen in faktischen wie festgesetzten Gewerbegebieten im Stadtgebiet der Beklagten deutlich zunehmen und dabei das Überangebot an Gewerbeflächen und die gegenüber Kerngebieten regelmäßig deutlich niedrigeren Mietpreise eine wesentliche Rolle spielen dürften. Jedoch sind, wie der Augenschein ergeben hat, in diesem faktischen Gewerbegebiet keine kleinen Läden oder Kleingewerbebetreibende vorhanden, die durch eine gewinnträchtigere Spielhallennutzung verdrängt werden könnten. Es ist von daher eine Umwandlung des Gebietscharakters in eine Gemengelage oder gar ein Vergnügungsviertel nicht zu befürchten.

b. Die Klägerin hat zudem einen Anspruch auf die ausnahmsweise Zulassung des ausnahmefähigen Vorhabens.

Bei der Entscheidung über eine ausnahmsweise Zulassung eines Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 Halbsatz 2, § 31 Abs. 1 BauGB handelt es sich zwar um eine Ermessensentscheidung. Das Ermessen ist aber dem Zweck der Ermächtigung entsprechend auszuüben (Art. 40 BayVwVfG). Als Ermessenserwägungen kommen nur städtebauliche Gründe in Betracht. Liegen die Rechtsvoraussetzungen für die Gewährung einer Ausnahme vor, dann erfordern das vom Gesetzgeber mit den Ausnahmeregelungen des § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Ausnahmekatalogen der Baunutzungsverordnung verfolgte Ziel der städtebaulichen Flexibilität und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in aller Regel, dass die Ausnahme gewährt wird (vgl. BVerwG vom 19.9.2002 BVerwGE 117, 50). Bei einem ausnahmefähigen Vorhaben ist deshalb die Ablehnung der ausnahmsweisen Zulassung nur dann ermessensgerecht, wenn besondere, nicht bereits von § 15 Abs. 1 BauNVO erfasste städtebauliche Gründe (vgl. BVerwG vom 17.12.1998 BVerwGE 108, 190; Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, a.a.O., § 31 BauGB RdNr. 28) dem Vorhaben entgegenstehen. Andernfalls ist das Ermessen zu Gunsten des Bauherrn auf Null reduziert (vgl. BayVGH vom 6.7.2005 a.a.O.). Städtebauliche Gründe, die eine ermessensgerechte Versagung der Ausnahme rechtfertigen könnten, sind aber weder substanziiert vorgetragen worden noch zu ersehen. Wie oben dargelegt, ist im vorliegenden Fall insbesondere der „trading-down-Effekt“ kein städtebaulicher Grund.

Das Vorhaben ist somit städtebaulich zulässig. Da auch die Erschließung gesichert ist, ist es planungsrechtlich zulässig (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).

2. Da jedoch die bauordnungsrechtliche Prüfung noch nicht vollständig durchgeführt worden ist und somit nicht abschließend festgestellt werden kann, ob das Vorhaben gegen andere Vorschriften des Genehmigungsmaßstabs (Art. 60, 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO) verstößt, war die Beklagte nur zu verpflichten, über den Bauantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; die Beklagte ist zum überwiegenden Teil unterlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 23. März 2009 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 164.400 Euro festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 9.1.5 des Streitwertkatalogs – DVBl 2004, 1525).