OLG Bamberg, Beschluss vom 12.01.2012 - 6 W 38/11
Fundstelle
openJur 2012, 120620
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Coburg vom 04.11.2011, Az. 23 O 155/11, abgeändert wie folgt:

Dem Antragsteller wird ab Antragstellung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für die erste Instanz bewilligt. Ihm wird zur Wahrnehmung seiner Rechte die Rechtsanwaltssozietät A., xxx, zu den Bedingungen eines im Bezirk des Landgerichts Coburg niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet.

II. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die gemäß § 127 Abs. 2, §§ 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung fehlt es der vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht an der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinn des § 114 ZPO.

1. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist von einer solchen hinreichenden Erfolgsaussicht dann auszugehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei für vertretbar hält; es muss also aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird. Das Prozesskostenhilfeverfahren dient nicht dem Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden (vgl. zum Ganzen z.B. Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl 2012, § 114 Rn. 19 ff. m.w.N.).

2. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Rechtsauffassung ist die in diesem Sinne verstandene Erfolgsaussicht jedoch zu bejahen.

a) Jedenfalls nach derzeitigem Verfahrensstand (der Vertrag zwischen den Parteien liegt nicht vor) nicht zu beanstanden sind die Ausführungen des Landgerichts zur rechtlichen Qualifikation des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags als eines Kaufvertrags mit Montageverpflichtung. Auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss, die auch durch die Beschwerdebegründung nicht entkräftet werden, wird in vollem Umfang Bezug genommen. Für den Verjährungsbeginn ist eine Abnahme im Sinn des § 640 BGB mithin nicht erforderlich, die andernfalls - was die Beschwerdeerwiderung verkennt - eventuell Einfluss auf den Beginn der Verjährung haben könnte.

b) Mit Recht rügt die Antragstellerseite aber, dass das Landgericht sich im angefochtenen Beschluss nicht mit dem unter Beweis gestellten Vortrag auf Seiten 3 - 6 des Entwurfs der Klageschrift zu Verhandlungen zwischen den Parteien auseinandergesetzt hat. Auch der sich mit der Beschwerdebegründung inhaltlich in keiner Weise befassende Nichtabhilfebeschluss vom 12.12.2011 geht über dieses Vorbringen hinweg. Sofern sich die aufgestellten Behauptungen des Antragstellers als wahr erweisen, könnten durchaus Anerkenntnisse im Sinn des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB oder - was wesentlich näher liegt - jedenfalls die Verjährung hemmende Verhandlungen im Sinn des § 203 BGB zu bejahen sein.

c) Nicht beipflichten kann der Senat der rechtlichen Einschätzung des Landgerichts zur Dauer der Verjährungsfrist. Tatsächlich spricht viel dafür, vorliegend einen Fall des § 438 Abs. 1 Nr. 2 b BGB anzunehmen, was zu einer Verjährungsfrist von 5 Jahren führen würde.

Um ein Bauwerk im Sinne dieser Bestimmung handelt es sich bei einer unbeweglichen Sache, die durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellt wird. In Betracht kommen insoweit nicht nur aufstehende Gebäude, sondern auch Produkte des Tiefbaus und des sonstigen Hochbaus, insbesondere auch technische Anlagen, soweit sie nicht nur lose und ohne feste Verbindung mit Grund und Boden aufgestellt werden (vgl. z.B. MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl. 2012, § 438 Rn. 17; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2008, § 634 a Rn. 20). Die Kasuistik dazu, wann von einem Bauwerk auszugehen ist, ist verzweigt und uneinheitlich. Zur entsprechenden Einordnung einer Freiland-Photovoltaikanlage existiert bislang - soweit ersichtlich - keine obergerichtliche oder gar höchstrichterliche Rechtsprechung.

Grundsätzlich gilt, dass der Begriff des Bauwerks weiter ist als der in §§ 93 ff. BGB verwendete des Gebäudes. Da § 438 Abs. 1 BGB - wie § 638 Abs. 1 BGB a.F. auch - dem Interessenausgleich zwischen den Vertragspartnern dient, kann es nicht (allein) auf die sachenrechtliche Zuordnung zum Eigentum am Grundstück ankommen. In den Blick zu nehmen ist vielmehr, dass bei Bauwerken Mängel häufig erst später als bei anderen Vertragsgegenständen erkennbar werden. Eine feste Verbindung ist daher nicht Voraussetzung der Bejahung der Bauwerkseigenschaft (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1998 - VII ZR 109/97 - juris Rn. 13 ff. zu § 638 Abs. 1 BGB a.F.), wenn auch wesentliche Bestandteile im Sinn des § 94 BGB regelmäßig dem Bauwerksbegriff unterfallen werden (vgl. dazu Staudinger/Peters/Jacoby, a.a.O.).

9Wie sich aus dem im selbständigen Beweisverfahren 14 OH 28/10 vor dem Landgericht Coburg eingeholten Sachverständigengutachten ergibt, sind die 606 Module auf einer Unterkonstruktion befestigt, die mit einer Vielzahl von - jeweils ca. 0,90 m tief (vgl. Pos. 14 der Rechnung Anlage K 1) - in das Erdreich gerammten Metallpfosten im Boden verankert ist. Überschlägig handelt es sich pro Reihe um rund 20 Metallpfosten (vgl. die Bilder 2 und 3 auf S. 15 f. des im OH-Verfahren eingeholten Gutachtens), bei 15 Reihen insgesamt mithin um etwa 300 Pfosten, die in den Boden gerammt sind. Auch wenn es an einem Fundament fehlt und diese Pfosten ohne Beschädigung ausgegraben werden können, ist damit eine Verankerung im Erdreich sichergestellt, die in Richtung wesentlicher Grundstücksbestandteil im Sinn des § 94 BGB weist (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 10.02.1978 - V ZR 33/76 - juris). Jedenfalls aber ist die Annahme eines Bauwerks im Sinn des § 438 Abs. 1 Nr. 2 BGB mehr als naheliegend (vgl. z.B. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.08.2009 - 5 U 333/09 - juris). Denn die Anlage kann nicht von dem Grundstück entfernt werden, ohne dass sie komplett zerlegt und die Unterkonstruktion mit nicht unbeträchtlichem Aufwand entfernt würde. Dass zwischen den einzelnen Modulreihen keine unmittelbare bauliche Verbindung besteht, ist insoweit ebenso ohne Belang wie der Umstand, dass die Module mit der Unterkonstruktion "lediglich" verschraubt sind.

Auch die Bejahung der bauwerkstypische Risikolage drängt sich nach Auffassung des Senats auf: Zur Errichtung der Anlage sind mehrere, aufeinander folgende Montageschritte erforderlich, die jeweils eigenständige Risiken in sich bergen. Die Unterkonstruktion ist im Boden zu verankern und anschließend zu montieren, die Module sind hierauf anzubringen, es sind die Verdrahtung und schließlich auch der Anschluss an das Stromnetz vorzunehmen. Der vom Landgericht aufgestellten Hypothese, dies sei in baulicher Hinsicht nicht so komplex, dass Planungs- und Statikmängel erst nach mehreren Jahren hervortreten könnten, kann nicht zugestimmt werden. Unerheblich für die Frage, ob ein Bauwerk vorliegt, sind dabei die konkret vom Antragsteller gerügten Mängel. Auch dass die Photovoltaikanlage gegebenenfalls abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden kann, hindert in keiner Weise die Annahme eines Bauwerks, gilt das doch in gleicher Weise z.B. für eine als Ladengeschäft genutzte Containerkombination (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.1992 - VII ZR 86/90 - juris), für einen Hochseilgarten (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.) oder auch für Säulen (vgl. MünchKomm-BGB/Westermann, a.a.O.), wo die Bauwerkseigenschaft jeweils bejaht wird.

Selbst wenn vorliegend kein bestehendes Bauwerk, sondern im wesentlichen die zur Photovoltaikanlage gehörenden Module gekauft und von der Antragsgegnerin als Verkäuferin eine Aufbauverpflichtung übernommen worden sein sollten, greift § 438 Abs. 1 Nr. 2 b BGB bei für eine Freiland-Photovoltaikanlage gedachten Modulen ein, die entsprechend ihrer üblichen Verwendungsweise für ein Bauwerk - nämlich gerade für eine Freiland-Photovoltaikanlage der streitgegenständlichen Art - verwendet werden. Die Mängel der Module sollen nach dem durch das selbständige Beweisverfahren gestützten Vorbringen des Antragstellers auch die Mangelhaftigkeit des Bauwerks verursacht haben.

Bei Annahme von die Verjährung neu in Gang setzenden oder zumindest hemmenden Umständen und in Anbetracht dessen, dass bei summarischer Prüfung sehr viel für die vom Antragsteller vertretene Rechtsauffassung zur Dauer der Verjährungsfrist spricht, kann aus Sicht des Senats die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht mit Blick auf die Verjährung versagt werden. Durchgreifende anderweitige Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage sind derzeit nicht ersichtlich.

1. Die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen vor. Der Antragsteller ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten des Rechtsstreits ganz oder in Raten aufzubringen. Dem Antrag auf Beiordnung der Sozietät ist zu entsprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.09.2008 - IV ZR 343/07 - juris). Die räumliche Beschränkung der Anwaltsbeiordnung hat ihre Grundlage in § 121 Abs. 3 ZPO.

2. Nachdem die sofortige Beschwerde Erfolg hat, fallen Gerichtsgebühren nicht an. Die Entscheidung zur Erstattung außergerichtlicher Kosten folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. § 574 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Es kann dabei dahinstehen, ob die Bauwerkseigenschaft von Freiland-Photovoltaikanlagen eine Rechtsfrage mit Grundsatzbedeutung darstellt. Denn im Prozesskostenhilfeverfahren ist eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur hinsichtlich solcher Fragen möglich, die die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien oder das Prozesskostenhilfeverfahren selbst betreffen (vgl. dazu z.B. Zöller/Geimer, a.a.O. § 127 Rn. 41 m.w.N.).