VG Sigmaringen, Urteil vom 25.01.2006 - 5 K 1868/04
Fundstelle
openJur 2013, 14192
  • Rkr:

1. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II/XII (SGB 2/12) nach einem verschuldeten Arbeitsplatzverlust steht der Einbürgerung gemäß § 10 Abs 1 S 3 RuStAG nicht entgegen, wenn der Zurechnungszusammenhang durch weitere Entwicklungen, etwa eine nachträglich eintretende Erwerbsunfähigkeit, unterbrochen wird.

2. Der vom Ehegatten zu vertretende Bezug von Leistungen nach dem SGB II/XII (SGB 2/12) kann dem Einbürgerungsbewerber, der den Bezug nicht zu vertreten hat, nicht zugerechnet werden.

Tenor

Das Verfahren der Klägerin wird abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 5 K 95/06 fortgeführt.

Die Entscheidung des Landratsamtes A.-D.-K. vom 26. März 2004 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 1. September 2004 werden aufgehoben, soweit sie den Kläger betreffen. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Kläger, Staatsangehörige von Serbien Montenegro, die aus dem Kosovo stammen, begehren die Erteilung von Einbürgerungszusicherungen.

Die am ... 1942 und am ... 1959 geborenen Kläger zu 1 und 2 sind miteinander verheiratet. Sie reisten am 21.12.1991 in die Bundesrepublik ein und wurden mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27.5.1994 als Asylberechtigte anerkannt; zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Herkunftsstaates vorliegen. Mit Bescheiden vom 09.06.2004 widerrief das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und die Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zugleich stellte es fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die hiergegen gerichteten Klagen (A 1 K 11108/04) nahm die Klägerin zu 2 vollständig und der Kläger zu 1 insoweit zurück, als er sich gegen den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG wandte. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12.1.2005 - A 1 K 11108/04 -verpflichtete das Verwaltungsgericht Sigmaringen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, für den Kläger zu 1 ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf Serbien und Montenegro festzustellen.

Die Kläger zu 1 und 2 sind seit dem 27.9.1994 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.

Die Kläger beziehen abgesehen von kurzen Unterbrechungen in den Jahren 1997 und 1998 seit Mai 1992 ergänzend laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und einmalige Sozialhilfeleistungen.

Der Kläger zu 1 bezieht zudem seit dem 1.12.2001 laufend Arbeitslosenhilfe. Seit 1992 war er insgesamt zwei Jahre und zwei Monate in mehreren Beschäftigungsverhältnissen. Eine Beschäftigung bei der K. M. GmbH wurde dem Kläger zu 1 zum 6.11.1992 wegen schlechter Auftragslage gekündigt. Vom 2.6.1998 bis zum 31.8.1999 war er bei der Firma E. O. in L. als Lagerist beschäftigt. Zur Begründung der Kündigung wurde ausgeführt, dass der Kläger zu 1 die ihm erklärten und gezeigten Tätigkeiten nicht verstanden habe. Er habe die verschiedenen Arbeitsgänge nicht begriffen und daher sehr viel Ware falsch eingelagert, weswegen hohe Kosten entstanden seien. Eine weitere Beschäftigung bei der Sch., H.-S., wurde dem Kläger zu 1 zum 20.11.2001 in der Probezeit gekündigt, da er nach Angaben des Arbeitgebers trotz seiner außerordentlichen Mühe auf Grund seines Alters den Arbeiten nicht gewachsen gewesen sei.

Die Klägerin zu 2 ist seit 1996 bei der Firma B. S. in L. als Gebäudereinigungskraft geringfügig beschäftigt. Einer Aufforderung des Sozialamtes A.-D.-K. vom 18.3.1998, eine Vollzeitbeschäftigung in einem Beschäftigungsprojekt des Landkreises zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Sozialhilfeempfänger in E. anzunehmen, kam die Klägerin zu 2 mit der Begründung nicht nach, dass sie keine Möglichkeit habe, von L. nach E. zu kommen.

Nachdem die Kläger einen am 3.3.2000 gestellten Einbürgerungsantrag zurückgenommen hatten, beantragten sie am 28.11.2002 erneut ihre Einbürgerung. Im Verlauf des Einbürgerungsverfahrens holte das Landratsamt A.-D.-K. eine Auskunft des Arbeitsamtes U. vom 25.6.2003 ein, in der ausgeführt ist, dass auf Grund des Alters und der Stellensituation eine Vermittlung des Klägers zu 1 derzeit nicht möglich und die Klägerin zu 2 weder arbeitslos noch arbeitssuchend gemeldet sei. Ferner legte der Kläger zu 1 einen Untersuchungsbericht des Gesundheitsamtes U. vom 21.8.1997 vor, nach dem er unter einem Bandscheibenvorfall zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein leidet und nur noch unter bestimmten Bedingungen (Tätigkeit in temperierten Räumen mit Bewegungswechsel und zumindest zeitweiliger sitzender Körperhaltung) erwerbsfähig ist. Auf die an die Klägerin zu 2 gerichtete Aufforderung der Einbürgerungsbehörde, sich um einen Vollzeitarbeitsplatz zu bemühen, legte diese drei Absagen auf Initiativbewerbungen vor.

Mit Bescheid vom 26.3.2004 lehnte das Landratsamt A.-D.-K. die Anträge der Kläger zu 1 und 2 auf Einbürgerung mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einbürgerung lägen nicht vor, weil die Kläger die Inanspruchnahme von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zu vertreten hätten.

Hiergegen legten die Kläger am 23.4.2004 Widerspruch ein, den sie nicht begründeten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1.9.2004, zugestellt am 9.9.2004, wies das Regierungspräsidium T. die Widersprüche der Kläger zurück und führte aus: Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 AuslG oder § 8 StAG, da sie den Bezug von Sozialhilfe zu vertreten hätten. Der Kläger zu 1 habe sich nicht hinreichend intensiv um eine Beschäftigung bemüht, wie die Kürze der Beschäftigungszeiten, die geringe Zahl der Beschäftigungsstellen und die fehlenden Nachweise über eine Arbeitssuche zeigten. Insbesondere hinsichtlich des Verlustes des Arbeitsplatzes als Lagerist müsse von einem fehlenden Engagement und Interesse an der Ausübung der Tätigkeit ausgegangen werden. Der Kläger zu 1 verfüge als Kunstprofessor über genügend intellektuelle Fähigkeiten, so dass nicht nachvollziehbar sei, dass er die Tätigkeit nicht verstanden habe. Der Kläger zu 1 könne sich auch nicht darauf berufen, dass es inzwischen wegen seines Alters und seines Gesundheitszustandes schwerer werde, eine neue Arbeit zu finden. Wenn er sich in früheren Zeiten stärker um einen Arbeitsplatz bemüht oder sich um den Erhalt seines Arbeitsplatzes gekümmert hätte, wäre durch die Einzahlung von Beiträgen in die Arbeitslosen- und Rentenkasse eine Reduzierung des Sozial- bzw. Arbeitslosenbezuges möglich gewesen. Die Klägerin zu 2 habe ebenfalls ihre fehlende Unterhaltsfähigkeit zu vertreten. Zwar verfüge sie über eine geringfügige Beschäftigung als Putzhilfe, darüber hinaus habe sie sich aber nicht ausreichend um eine Vollzeitbeschäftigung bemüht.

Die Kläger haben am 9.10.2004 Klage erhoben, zu deren Begründung sie ausführen: Der Kläger zu 1 habe Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 Abs. 1 AuslG. Der Umstand, dass er Sozialhilfe beziehe, stehe der Einbürgerung nicht entgegen, da § 85 Abs. 1 Satz 2 AuslG anzuwenden sei. Dessen Voraussetzungen seien gegeben, da der Kläger zu 1 schwer krank und auf absehbare Zeit nicht arbeitsfähig sei. Zudem habe er im April 2004 einen Hinterwandinfarkt gehabt und sei ihm ein Herzkatheder eingepflanzt worden. Auf den Arztbrief des Kardiologen Dr. L., U., vom 14.09.2004 (Blatt 11 der Gerichtsakte) werde verwiesen. Bereits im Juni 2003 habe das Arbeitsamt festgestellt, dass eine Vermittlung des Klägers zu 1 auf Grund seines Alters und der Stellensituation nicht möglich sei. Seither habe sich sein Gesundheitszustand auf Grund der Herzinfarkte noch verschlechtert. Es sei deshalb nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 die andauernde Hilfsbedürftigkeit selbst zu vertreten habe. Es handele sich um eine Verpflichtungsklage, mithin komme es auf die Situation im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung an. Jedenfalls seit 1993 könne der Kläger zu 1 nichts dafür, dass er hilfebedürftig sei. Er habe schon den letzten Arbeitsplatzverlust nicht zu vertreten. Ihm sei innerhalb der Probezeit gekündigt worden, weil sich herausgestellt habe, dass er trotz seiner außerordentlichen Mühe, bedingt durch sein Alter, den Arbeiten nicht gewachsen gewesen sei. Damit sei der Eintritt der letzten Arbeitslosigkeit unverschuldet gewesen. Im Übrigen sei die Kausalität eines eventuellen Verschuldens durch die schweren Erkrankungen unterbrochen worden. Die Klägerin zu 2 sei als Gebäudereinigungskraft geringfügig beschäftigt. Selbst wenn sie eine Vollzeitstelle habe, könne sie kein familienadäquates Einkommen erzielen.

Die Kläger haben ihr ursprünglich auf die Verpflichtung des Beklagten zur Einbürgerung gerichtetes Begehren nach Bestandskraft des Widerrufs der Asylanerkennung auf Verpflichtung zur Ausstellung von Einbürgerungszusicherungen umgestellt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zu 2 ihre Klage zurückgenommen.

Der Kläger zu 1 beantragt,

die ihn betreffenden Teile der Entscheidung des Landratsamtes A.-D.-K. vom 26.3.2004 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums T. vom 1.9.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und führt weiter aus: Es sei nach wie vor davon auszugehen, dass die Kläger ihre frühere und auch die noch andauernde Hilfebedürftigkeit zum maßgeblichen Teil selbst zu vertreten hätten. Der Kläger zu 1 habe sich in den früheren Jahren nicht nachhaltig um adäquate dauerhafte Beschäftigungen oder um den Erhalt seiner Beschäftigungen bemüht. Ein Einbürgerungsbewerber habe es auch zu vertreten, dass ihm in seiner jetzigen Situation kein hinreichender Rentenanspruch zustehe. Es sei nicht verständlich, dass ein Einbürgerungsbewerber mit Hochschulbildung nicht in der Lage gewesen sei, trotz entsprechender Anleitung die leichte Tätigkeit eines Lageristen bei der Firma O. in L. auszuführen.

Eine Auskunft des Gesundheitsamtes A.-D.-K. vom 21.12.2005 bescheinigt dem Kläger zu 1, dass er an mehreren, teilweise schwerwiegenden Krankheiten (Zustand nach Herzhinterwandinfarkt 04/2004, Zustand nach Rekanalisation und Stenteinlage bei Postinfarktangina, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus Typ 2, Wirbelsäulensyndrom) leide, die seine Arbeitsfähigkeit nahezu vollständig aufheben würden. Wegen des weiteren Inhalts der Bescheinigung wird auf Blatt 33 der Gerichtsakte verwiesen.

Dem Gericht liegen die Einbürgerungsakten des Beklagten und die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums T. vor; es hat die Akten der Asylstreitverfahren A 1 K 11108/04 beigezogen. Hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze wird wegen weiterer Einzelheiten hingewiesen.

Gründe

Die Abtrennung der Klage der Klägerin zu 2 erfolgt gemäß § 93 Satz 2 VwGO, nachdem diese in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hat.

Die zulässige Klage des Klägers zu 1 ist begründet. Soweit die Entscheidung des Landratsamtes A.-D.-K. vom 26.3.2004 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums T. vom 1.9.2004 ihn betreffen, sind sie rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten. Der Kläger zu 1 hat Anspruch auf die von ihm mit der Klage begehrte Einbürgerungszusicherung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Aus der zutreffenden Erkenntnis heraus, dass eine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach dem Widerruf der Asylberechtigung und der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG/§ 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr in Betracht kommt (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG), hat der Kläger zu 1 zu Recht seinen Klageantrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Einbürgerungszusicherung beschränkt. Dieses dem allgemeinen Verwaltungsverfahren (vgl. § 38 VwVfG) entlehnte Institut wird in ständiger Praxis im Einbürgerungsverfahren dann angewandt, wenn der Einbürgerungsbewerber - wie hier - noch im Besitz der ausländischen Staatsangehörigkeit ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.3.2004 - 1 C 5.03 -, AuAS 2004, 187; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.1.2005 - 13 S 2549/03 -, InfAuslR 2005, 151 und Urteil vom 6.7.1994 - 13 S 2147/93 -, InfAuslR 1995, 116).

Der Kläger zu 1 hat einen Anspruch auf die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung. Zwar steht die Erteilung einer Zusicherung grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen reduziert sich aber auf eine Pflicht zur Erteilung einer Einbürgerungszusicherung, wenn die Durchsetzung eines Einbürgerungsanspruchs dadurch ermöglicht oder doch wesentlich erleichtert wird, dass der Bewerber zum Zwecke der Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit eine solche Zusicherung erhält (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 6.7.1994, a.a.O.).

Ein in solcher Weise zu sichernder Anspruch des Klägers zu 1 ergibt sich aus § 10 Abs. 1 StAG. Für das Verfahren auf Verpflichtung des Beklagten auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer maßgeblich (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.1.2005, a.a.O.). Im Verlauf des Klageverfahrens sind - mit Wirkung zum 1.1.2005 - die bis dahin maßgeblichen Regelungen der §§ 85, 86 AuslG durch die im Zuwanderungsgesetz enthaltene Neufassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes abgelöst worden (siehe Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950). Da die Neuregelung keine Übergangsvorschrift enthält, die - etwa entsprechend § 40c StAG n.F. oder § 102a AuslG a.F. - für den vor dem 1.1.2005 gestellten Einbürgerungsantrag die Geltung des früheren Rechts vorschreibt, lässt sich der gesetzlichen Neuregelung der Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass auch für bereits eingeleitete Einbürgerungsverfahren bzw. Anträge auf Einbürgerungszusicherung das neu geltende materielle Recht - hier also die §§ 10 und 11 StAG - anzuwenden ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.1.2005, a.a.O.; OVG Saarland, Beschluss vom 5.10.2005 - 3 Q 11/05 -; BayVGH, Urteil vom 14.4.2005 - 5 BV 03.3089 -).

Die Voraussetzungen des § 10 StAG sind - mit Ausnahme des Erfordernisses der Aufgabe oder des Verlustes der bisherigen Staatsangehörigkeit (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) - für den Kläger zu 1 gegeben.

So hat der Kläger zu 1, der im Jahr 1991 in die Bundesrepublik einreiste und seit dem 27.9.1994 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, zunächst seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Er erfüllt auch die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG, da die ihm im Jahr 1994 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis fort gilt (vgl. § 101 AufenthG). Zudem hat er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekannt und die Loyalitätserklärung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgegeben (vgl. Blatt 62 der Gerichtsakte).

Allerdings kann der Kläger zu 1 den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Sozialgesetzbuch bestreiten (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG). So bezieht der Kläger zu 1 abgesehen von kurzen Unterbrechungen in den Jahren 1997 und 1998 seit März 1992 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Ausweislich der von ihm vorgelegten Bescheinigungen der Agentur für Arbeit vom 12.12.2005 und des Landratsamtes A.-D.-K. vom 22.12.2005 wird er für sich, die Klägerin zu 2 und seinen Sohn M. in den Monaten Januar bis Juni 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 605 EUR und 364,32 EUR (Kosten der Unterkunft) beziehen.

Von dem Erfordernis der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhaltes ist nach § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG jedoch abzusehen, wenn der Einbürgerungsbewerber aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bestreiten kann. Das „Vertretenmüssen“ beschränkt sich nicht auf ein vorsätzliches und fahrlässiges Handeln im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB. Erforderlich, aber auch hinreichend ist, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1.7.1997 - 26 A 3613/95 -, InfAuslR 1998, 34, 35). Demgemäß ist etwa der Verlust des Arbeitsplatzes wegen Nichterfüllung des Arbeitsvertrages oder wegen arbeitsvertragswidrigen Verhaltens ein zu vertretender Grund im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG, während der Einbürgerungsbewerber den Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII nicht zu vertreten hat, wenn er wegen seines Alters oder seines Gesundheitszustandes sozial(hilfe)rechtlich nicht erwerbsverpflichtet oder erwerbsfähig ist oder weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale (Alter, Krankheit, Behinderung) aufweist. Dies ist für den Kläger zu 1 der Fall.

Nach der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Alb-Donau-Kreises vom 21.12.2005 leidet der Kläger unter mehreren, teilweise schwerwiegenden Krankheiten (Zustand nach Herzhinterwandinfarkt 04/2004, Zustand nach Rekanalisation und Stenteinlage bei Postinfarktangina, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus Typ 2, Wirbelsäulensyndrom). Diese Gesundheitsbeschwerden äußern sich in Angina pectoris-Beschwerden, Rückenschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und allgemeiner Schwäche. Hieraus folgert das Gesundheitsamt, dass der Kläger zu 1 allenfalls eine Halbtagstätigkeit ohne jede körperliche Anstrengung oder Zwangshaltung ausführen könnte, bei der ein längeres Sitzen und Bewegungswechsel möglich sein müssten und zudem mit Fehlzeiten wegen des angegriffenen Gesundheitszustandes zu rechnen sei; es kämen lediglich eine Tätigkeit als Pförtner oder eine andere ähnliche Tätigkeit in Frage. Mit dem Gesundheitsamt geht auch die Kammer davon aus, dass ein solcher Arbeitsplatz für den kurz vor dem Rentenalter stehenden Kläger als Migranten nicht zur Verfügung steht, nachdem schon das Arbeitsamt U. vor dem Herzhinterwandinfarkt des Klägers zu 1 am 25.6.2003 ausgeführt hat, dass eine Vermittlung des Klägers zu 1 auf Grund seines Alters und der Stellensituation nicht möglich sei. Damit ist zunächst ein vom Kläger nicht zu vertretender Grund für die Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGBII/SGB XII gegeben.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kann ein solcher Grund auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der Kläger zu 1 den im Jahr 1999 innegehabten Arbeitsplatz als Lagerist bei der Firma E. O. in L. verloren hat. Dabei bedarf es keiner abschließenden Beurteilung, ob der Kläger zu 1 den Verlust dieses Arbeitsplatzes zu vertreten hat, nachdem dieser (allerdings erstmals) in der mündlichen Verhandlung vor Gericht die Darstellung des Kündigungsgrundes in dem Kündigungsschreiben vom 23.7.1999 bestritten hat. Denn der Zurechnungszusammenhang eines verschuldeten Arbeitsplatzverlustes kann durch weitere Entwicklungen, etwa eine nachträglich eintretende Erwerbsunfähigkeit, unterbrochen werden, während jedoch allein die mit zunehmenden Alter und Langzeitarbeitslosigkeit sinkenden Arbeitsmarktchancen nicht ausreichen, um das Fortwirken der Folgen eines vom Einbürgerungsbewerber zu vertretenden Arbeitsplatzverlustes aufzuheben. Eine zeitlich nicht begrenzte „Ewigkeitswirkung“ eines einmal begründeten Zurechnungszusammenhangs ist nicht erforderlich, um dem Sinn des § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG, dessen Erfordernis der eigenständigen wirtschaftlichen Sicherung des Lebensunterhalts zukunftsgerichtet ist (vgl. Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht [GK-StAR], § 10 StAG RdNr. 230), zu entsprechen. Denn der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG bewusst für den Einbürgerungsanspruch nach langjährigem rechtmäßigen Aufenthalt fiskalischen Interessen geringeres Gewicht beigemessen als bei den vorgelagerten aufenthaltsrechtlichen (Ermessens)Entscheidungen (vgl. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 27 Abs. 3, 28 Abs. 1 Satz 2, 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG) und damit die Konsequenz daraus gezogen, dass eine Integration als Folge eines langjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes bereits stattgefunden hat und für eine Einbürgerung hinreichend abgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.10.1995 - 1 B 34.95 -, InfAuslR 1996, 54 unter Hinweis auf BT-Drs. 11/6321, 47; GK-StAR, § 10 StAG RdNr. 239 ff.).

Bei dem Kläger zu 1 sind zusätzliche Ereignisse gegeben, die den Zurechnungszusammenhang des (möglicherweise verschuldeten) Arbeitsplatzverlustes bei der Firma O. aufheben. Zum einen war er anschließend noch einmal in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma xxx, H.-S., das ihm ausweislich des Schreibens des Arbeitgebers während der Probezeit nur deswegen gekündigt werden musste, weil er „trotz seiner außerordentlichen Mühe“ wegen seines Alters den Arbeiten als Fahrer und Hausmeister nicht mehr gewachsen war (vgl. auch GK-StAR, § 10 StAG RdNr. 249, wonach bereits überobligatorische Bemühungen um einen neuen, nicht notwendig qualifikationsgerechten Arbeitsplatz für die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs ausreichen, während der Kläger zu 1 hier sogar ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen war). Zum anderen hat die massive gesundheitliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers zu 1 nach seinem im Jahr 2004 erlittenen Hinterwandinfarkt ausweislich der Stellungnahme des Gesundheitsamtes des A.-D.-K. dazu geführt, dass der Kläger zu 1 praktisch keinen Arbeitsplatz mehr erhalten kann. Damit liegen aber im Fall des Klägers zu 1 Besonderheiten vor, die hier ein Fortbestehen des Zurechnungszusammenhangs des Arbeitsplatzverlustes im Jahr 1999 ausschließen. Die Situation des Klägers zu 1 unterscheidet sich demnach von der vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 1.7.1997, a.a.O., zu entscheidenden Konstellation eines Einbürgerungsbewerbers, dessen im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG zu vertretende Hilfebedürftigkeit auch nach acht Jahren unabhängig vom Grad der Arbeitsbemühungen fortwirkt. Denn in jenem Fall stand der Einbürgerungsbewerber weder zwischenzeitlich in einem Arbeitsverhältnis noch hatte sich dessen gesundheitliche Konstitution entscheidend verschlechtert. Auch in dem vom Verwaltungsgericht Karlsruhe entschiedenen Fall (Urteil vom 14.9.2005 - 11 K 1322/04 -), auf den der Beklagte hinweist, konnte eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Einbürgerungsbewerbers, die praktisch dazu geführt hätte, dass er auf dem Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln ist, nicht festgestellt werden.

Soweit der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung weiter geltend gemacht hat, dass dem Kläger zu 1 das Verhalten seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2, die ihre mangelnde Leistungsfähigkeit im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zu vertreten haben dürfte (vgl. den Prozesskostenhilfebeschluss der Kammer vom 13.1.2006), „wie bei einer Bedarfsgemeinschaft“ zuzurechnen sei, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Das Staatsangehörigkeitsrecht enthält keine Regelung, nach der der von einem Familienangehörigen zu vertretende Bezug von Leistungen nach den SGBII/XII dem Familienangehörigen zuzurechnen ist, der diesen Bezug nicht zu vertreten hat. Vielmehr stellt das Staatsangehörigkeitsrecht jeweils darauf ab, ob gesondert für jeden Einbürgerungsbewerber einer Familie die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind oder nicht (vgl. etwa auch die Vorschrift über die Miteinbürgerung in § 10 Abs. 2 StAG nach „Maßgabe des Absatzes 1“).

Die weiteren Voraussetzungen für eine Einbürgerung des Klägers zu 1 sind gegeben. Er ist nicht wegen einer Straftat verurteilt worden (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Versagungsgründe nach § 11 StAG liegen nicht vor; insbesondere verfügt der Kläger zu 1 über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm durch befriedigende schriftliche und mündliche Leistungen im Zeugnis Deutsch - Mittelstufe - der Inlingua Sprachenschule U. bescheinigt wurden. Auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht konnte sich der Kläger in deutscher Sprache noch gut verständigen.

Mit Ausnahme der nicht hinnehmbaren Mehrstaatigkeit liegen danach alle Voraussetzungen des Einbürgerungsanspruchs nach § 10 Abs. 1 StAG vor, so dass der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Einbürgerungszusicherung hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Über die Kosten des Verfahrens der Klägerin zu 2 wird in dem abgetrennten Verfahren 5 K 95/06 entschieden. Das Gericht sieht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, das Urteil hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären und sieht sich nicht veranlasst, die Berufung gemäß § 124a VwGO zuzulassen.