VG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2005 - 13 K 5609/03
Fundstelle
openJur 2013, 13863
  • Rkr:

1. Der Belang des Vogelschutzes kann einem privilegierten Bauvorhaben auch dann entgegenstehen, wenn der betroffene Lebensraum geschützter Vogelarten nicht als (faktisches) Vogelschutzgebiet einzustufen oder ausgewiesen ist.

2. Bei der Einzelfallentscheidung, ob dem Bauvorhaben (hier: Windenergieanlage) der Belang des Vogelschutzes entgegensteht, sind die Schutzwürdigkeit der betroffenen Vogelarten und des betroffenen Lebensraumes sowie die Intensität und die Auswirkungen des Eingriffes zu berücksichtigen.

Fundstellen ...Diese Entscheidung wird zitiert ...TenorDie Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Erteilung eines positiven Bauvorbescheides für die Errichtung von zwei Windkraftanlagen, hilfsweise Neubescheidung ihrer Bauvoranfrage und weiter hilfsweise die Feststellung, dass die Zurückstellung der Bauvoranfrage und deren spätere Ablehnung rechtswidrig waren.

Die Kläger stellten am 01.08.2002 einen Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung von zwei Windkraftanlagen Typ MD 77 mit einer Nabenhöhe von 100 m und einer Gesamthöhe von knapp 120 m (Rotorradius 38,5 m) auf den dem Kläger L. gehörenden Grundstücken Flst. Nrn. ... und ..., Gewann „...“ auf Gemarkung D., Stadt K.. Im Rahmen der Anhörung der berührten Stellen nach § 53 Abs. 2 LBO wurde vom staatlichen Forstamt W. mit Stellungnahme vom 20.09.2002 gegen das Bauvorhaben der Einwand erhoben, die Windkraftanlagen müssten einen Mindestabstand von 100 m zum Wald einhalten, was bei dem beantragten Standort nicht der Fall sei. Der Antrag sei auch abzulehnen, um einer Verschandelung der Kulturlandschaft vorzubeugen. Auch das Umweltschutzamt des Landratsamtes M.-Kreis erhob gegen das Bauvorhaben in seiner Stellungnahme vom 07.10.2002 erhebliche Bedenken, weil die beiden geplanten Anlagen in räumlicher Nähe (ca. 3 km Abstand) zum Windpark-Standort „K.-S.“ stehen würden und dieser Abstand nicht ausreichend sei, um ein unbeeinträchtigtes Erleben der landschaftlichen Schönheit zu ermöglichen. Dieser Eingriff in das Landschaftsbild sei weder vermeidbar noch ausgleichbar.

In seiner Sitzung am 10.10.2002 hat der Ausschuss für Bauwesen und Umwelt der Beklagten zudem beschlossen, den Flächennutzungsplan 1989 der Beklagten zu ändern und Vorrangflächen und Ausschlussgebiete für Windkraftanlagen festzulegen.

Daraufhin teilte die Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 16.12.2002 ihre Absicht mit, die Bauvoranfrage abzulehnen.

Am 24.03.2003 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Aufstellung eines Bebauungsplanes „Sondergebiet (SO) Windkraftanlagen“ im Bereich W.-D. und W.-N.. Daraufhin stellte die Beklagte bei ihrem Bauordnungsamt mit Schreiben vom 25.03.2003 einen Antrag gemäß § 15 BauGB auf Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit des Bauvorhabens der Kläger für die Dauer von 12 Monaten, um die Durchführung der Planung nicht unmöglich zu machen bzw. nicht wesentlich zu erschweren.

Diesem Antrag entsprach das Bauordnungsamt der Beklagten mit Zurückstellungsbescheid vom 31.03.2003. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen einer Zurückstellung gemäß § 15 Abs. 1 BauGB seien gegeben, da auch die Voraussetzungen für eine Veränderungssperre erfüllt seien.

Gegen diesen Zurückstellungsbescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 03.04.2003 Widerspruch ein, der vom Regierungspräsidium Stuttgart mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2003 zurückgewiesen wurde.

Dagegen haben die Kläger am 29.12.2003 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, der Zurückstellungsbescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil darin kein genauer Zeitraum angegeben sei, für den die Entscheidung zurückgestellt werde. Die hier ausgesprochene Zurückstellung „für einen Zeitraum von maximal 12 Monaten“ entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 37 LVwVfG. Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen für eine Zurückstellung gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 BauGB nicht gegeben. Zwar sei von einem ordnungsgemäß bekannt gemachten Aufstellungsbeschluss auszugehen. Es fehle jedoch an einem hinreichend konkretisierten planerischen Konzept für das Plangebiet. Hinzu komme, dass inzwischen der Flächennutzungsplan dahingehend geändert worden sei, dass für die streitgegenständliche Fläche, d. h. den Bereich, der mittels Bebauungsplan überplant werden solle, nun die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB gelte und dort eine Windenergienutzung demnach grundsätzlich nicht mehr zulässig sei. Der beantragte Bauvorbescheid sei gemäß § 35 Abs. 1 BauGB zu erteilen, da dem Bauvorhaben keine öffentlichen Belange entgegenstehen würden. Der Flächennutzungsplan stelle keinen entgegenstehenden Belang i.S.d. § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB dar, da dieser als rechtswidrig anzusehen sei und ihm daher keine Ausschlusswirkung zukomme. Denn auch der Flächennutzungsplan beinhalte kein durchgehendes und schlüssiges Planungskonzept für den gesamten Außenbereich. Ein solches sei jedoch nach der obergerichtlichen Rechtsprechung erforderlich, damit einer ausgewiesenen Konzentrationsfläche die in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB genannte Negativwirkung zukomme. Die im vorliegenden Fall aufgestellten Kriterien für die Auswahl geeigneter Windkraftstandorte seien jedoch nur teilweise nachvollziehbar. Auch sei bei der späteren Planung von diesem teilweise bereits nicht schlüssigen Konzept völlig abgewichen worden. So sei beispielsweise der im Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan noch als Vorrangfläche genannte Bereich, in dem auch die Standorte der geplanten Windkraftanlagen liegen würden, im späteren Flächennutzungsplan stattdessen als Ausschlussfläche dargestellt worden. Der Flächennutzungsplan stelle daher nicht die Umsetzung eines schlüssigen Konzeptes dar. Er sei deshalb als rechtswidrig anzusehen und damit nicht geeignet, eine Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB herbeizuführen. Doch selbst wenn ihm eine solche Ausschlusswirkung zukommen sollte, sei weiter davon auszugehen, dass zumindest im vorliegenden Fall eine Ausnahme von dieser Ausschlusswirkung zu machen sei, da die im Erläuterungsbericht zum Flächennutzungsplan aufgeführten Kriterien für Windkraftflächen am vorgesehenen Standort allesamt eingehalten seien. Die weiteren Belange des § 35 Abs. 3 BauGB würden dem Bauvorhaben ebenfalls nicht entgegenstehen. Insbesondere sei auch das Vorkommen des Rot- und Schwarzmilans im Bereich H. nicht geeignet, dort Windkraftanlagen zu untersagen. Dies folge aus dem von den Klägern eingeholten avifaunistischen Gutachten des Büros Ökologie und Stadtentwicklung (Peter C. Beck) vom 20.07.2004 und der ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 19.08.2004. Danach sei ein Konflikt zwischen der Windkraftnutzung und den dortigen Vogelvorkommen nicht gegeben und könne in diesen Vogelvorkommen folglich auch kein entgegenstehender Belang i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB gesehen werden.

Mit Bescheid vom 29.03.2004 lehnte die Beklagte auch die Erteilung des beantragten Bauvorbescheides ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Erteilung des Bauvorbescheides stehe die vom Gemeinderat der Beklagten am 22.03.2004 beschlossene Veränderungssperre gemäß §§ 14 bis 18 BauGB entgegen, da im Geltungsbereich der Veränderungssperre keine Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB durchgeführt werden dürften. Außerdem könne an den vorgesehenen Standorten eine Bebauungsmöglichkeit auch deshalb nicht geschaffen werden, weil die dort vorhandenen Populationen von Rotmilan und Schwarzmilan, zwei vom Aussterben bedrohte Vogelarten, eine solche Bebauung nicht zulassen würden.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Anwaltsschriftsatz vom 21.04.2004 ebenfalls Widerspruch eingelegt.

Am 27.05.2004 genehmigte das Regierungspräsidium Stuttgart die vom Gemeinderat der Beklagten durch Beschluss vom 19.04.2004 festgestellte Änderung des Flächennutzungsplanes (Darstellung von Vorrang- und Ausschlussflächen für Windkraftanlagen) für den gesamten Geltungsbereich. Nach dem geänderten Flächennutzungsplan ist der Bereich, in dem die Baugrundstücke liegen, als „Vogelbrut- und Vogelschutzgebiet“ mit einem Schutzradius von 1000 m ausgewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 07.02.2005 wurde auch der Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 29. 03. 2004 zurückgewiesen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dem Bauvorhaben stünden nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB öffentliche Belange entgegen, weil eine Vorrangfläche für Windkraftanlagen an anderer Stelle ausgewiesen worden sei. Es liege auch kein Ausnahmefall von der Regel des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB vor.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 04.03.2005 haben die Kläger den Ablehnungsbescheid vom 29.03.2004 und den Widerspruchsbescheid vom 07.02.2005 in ihre Klage mit einbezogen und beantragen zuletzt,

den Bescheid der Beklagten vom 29.03.2004 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 07.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den mit Bauvoranfrage vom 20.07.2003 beantragten Bauvorbescheid zur Errichtung von zwei Windkraftanlagen des Typs MD 77 mit einer Nabenhöhe von 100 m und einem Rotorradius von 38,5 m auf den Grundstücken Flurstück Nrn. ... und ... der Gemarkung D. zu erteilen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, über die Bauvoranfrage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

hilfsweise,

festzustellen, dass der Zurückstellungsbescheid der Beklagten vom 31.03.2003 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 26.11.2003 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29. 03. 2004 rechtswidrig waren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie zunächst auf die Ausführungen in den Ausgangs- und Widerspruchsbescheiden. Ergänzend führt sie aus, die Angabe eines 12-Monats-Zeitraums in dem Zurückstellungsbescheid sei sachgemäß, da sich die Dauer des Bebauungsplanverfahrens nicht auf den Monat genau vorausberechnen lasse. Die Angabe sei auch hinreichend bestimmt, um den von der Zurückstellung Betroffenen eine klare Orientierung zu geben und entspreche mit dieser Formulierung auch der Gesetzeslage. Die Beklagte habe das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplanes eingeleitet, um hinsichtlich der Errichtung von Windkraftanlagen eine planerische Feinsteuerung vornehmen zu können. Sie habe insoweit hinreichend konkrete planerische Vorstellungen. Sie plane einen Windpark, um den baulichen Wildwuchs von Windkraftanlagen zu vermeiden und das Landschaftsbild zu erhalten. Dem Bauvorhaben der Kläger stünden außerdem naturschutzrechtliche Belange entgegen, nämlich das Vorkommen von Rotmilan und Schwarzmilan, zwei vom Aussterben bedrohten Vogelarten im Bereich H., an den die Grundstücke der Kläger unmittelbar angrenzen. Dieser öffentliche Belang im Sinne des § 35 BauGB sei zunächst nicht erkannt worden, werde nun aber auch durch das von den Klägern vorgelegte Gutachten des Büros Ökologie und Stadtentwicklung vom 20.07.2004 bestätigt. Daraus ergebe sich, dass das Planungsgebiet Rast- und Nahrungsplatz für Rotmilan und Schwarzmilan sei und es sich dabei um besonders geschützte Tierarten handle, bei denen Schutzmaßnahmen erforderlich seien. Das Gutachten hebe weiter hervor, dass Greifvögel der genannten Art besonders empfindlich gegenüber Windkraftanlagen seien und den betroffenen Lebensraum infolge der Störung durch Windkraftanlagen in der Regel aufgäben. Lediglich für die anderen im Gutachten untersuchten Vogelarten (Feldlerche, Grünspecht und Fitis ) würden Windkraftanlagen keine unmittelbare Gefahr darstellen. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass der betreffende Bereich von den genannten Greifvogelarten nicht nur als Rast- und Nahrungsplatz, sondern darüber hinaus auch als Brutplatz genutzt werde. Denn es sei bereits der Transport von Nistmaterial beobachtet worden. Der Umstand, dass sich die Greifvögel im Bereich der Mülldeponie auch von Ratten ernähren würden, könne deren Vertreibung zugunsten der Förderung regenerativer Energieerzeugung ebenfalls nicht rechtfertigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage bleibt insgesamt ohne Erfolg.

Der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung gestellte Hauptantrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. Denn die Kläger haben keinen Rechtsanspruch auf die Erteilung des begehrten (positiven) Bauvorbescheides, weil dem geplanten Vorhaben (Errichtung von zwei Windkraftanlagen) an dem vorgesehenen Standort öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen (§§ 57 Abs. 2, 58 Abs. 1 S. 1 LBO). Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 29.03.2004 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 07.02.2005 sind daher rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Bei dem von den Klägern im Außenbereich (Gemarkung D.) geplanten Bauvorhaben handelt es sich um ein privilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, das nur dann zulässig ist, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die ausreichende Erschließung gesichert ist. Der geplanten Errichtung von zwei Windkraftanlagen an dem vorgesehenen Standort steht jedoch der öffentliche Belang des Vogelschutzes als Unterfall des Naturschutzes gemäß § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB entgegen.

Dabei geht die Kammer einerseits davon aus, dass der Belang des Vogelschutzes einem privilegierten Bauvorhaben nicht erst dann entgegensteht, wenn der betroffene Lebensraum nach seiner Eigenart und Größe sowie nach der Anzahl der dort anzutreffenden geschützten Arten und deren Bestandsgrößen als faktisches Vogelschutzgebiet i.S.d. Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (EWG R 11 409/79; im Weiteren: Vogelschutz-Richtlinie) zu qualifizieren ist und dementsprechend eine herausgehobene Bedeutung für den Vogelschutz hat, die auch eine (spätere) formale Ausweisung als Vogelschutzgebiet rechtfertigen könnte. Denn eine derart enge Interpretation des § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB würde im Widerspruch zu den Zielen und Zwecken der Vogelschutz-Richtlinie stehen (vgl. insbesondere Art. 3 der Vogelschutz-Richtlinie). Andererseits kann einem privilegierten Vorhaben aber auch nicht jegliches Vorkommen geschützter Vogelarten erfolgreich entgegen gehalten werden.

Die Frage des Entgegenstehens des genannten Belanges, die demnach einer generalisierenden Betrachtung nicht zugänglich ist, muss vielmehr in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände beantwortet werden.

Dabei ist zunächst zu prüfen, ob das geplante Vorhaben am vorgesehenen Standort mit dem Belang des Vogelschutzes überhaupt kollidiert und diese Kollision unvermeidbar ist. Ist eine solche unvermeidliche Kollision zu bejahen, ist eine Abwägung zwischen dem privilegierten Vorhaben und dem berührten Belang des Vogelschutzes durchzuführen, da ein berührter öffentlicher Belang einem privilegierten Vorhaben nur dann im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB „entgegensteht“, wenn er das private Interesse an der Durchführung dieses Vorhabens erheblich überwiegt. In diese Abwägung ist sowohl die Privilegierung mit dem gebotenen Gewicht einzustellen (vgl. BVerwGE 68, 311 in NVwZ 1984, 367) als auch der berührte öffentliche Belang entsprechend seiner allgemeinen Bedeutung und konkreten Beeinträchtigung zu gewichten. Bei der Gewichtung des Belanges des Vogelschutzes sind im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung in erster Linie die Schutzwürdigkeit der betroffenen Vogelarten und des betroffenen Lebensraumes sowie die Intensität und die Auswirkungen des Eingriffes zu berücksichtigen. Dabei ist für die Bewertung der Schutzwürdigkeit der betroffenen Vogelarten die Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 09. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels in der durch Verordnung Nr. 1497/2003 vom 18.08.2003 geänderten Fassung (vgl. dort: Anhang A) - im Weiteren: EG-Artenschutzverordnung - maßgebend und können bei der Bewertung der Schutzwürdigkeit des betroffenen Lebensraumes die Maßstäbe der Vogelschutz-Richtlinie (zb Gebietseigenart und -größe, Anzahl der geschützten Arten, Größe der Bestände, etc.) als Orientierung heran gezogen werden. Je schutzwürdiger danach die betroffenen Vogelarten und deren durch das Vorhaben beeinträchtigter Lebensraum ist, umso geringere Anforderungen sind an die Schwere des Eingriffs und an die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des geschützten Bestandes und dessen Lebensraum zu stellen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass dem hier beabsichtigten Bauvorhaben der Belang des Vogelschutzes gemäß § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB entgegensteht.

Nach den vorliegenden Behördenakten, dem von Klägerseite vorgelegten avifaunistischen Gutachten des Büros Ökologie und Stadtentwicklung (Peter C. B.) vom 20.07.2004 einschließlich ergänzender Stellungnahme hierzu vom 19.08.2004 und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung geht die Kammer mit den Sachverständigen R. und B. davon aus, dass im Untersuchungsgebiet H., in dem auch die Standorte der geplanten Windkraftanlagen liegen, neben anderen geschützten Vogelarten auch der Schwarzmilan und der Rotmilan durch Beobachtungen nachgewiesen sind. Nach den von den Sachverständigen dokumentierten Zeugenaussagen und ihren eigenen Beobachtungen ist auch davon auszugehen, dass die genannten Vogelarten dort nicht nur vereinzelt, sondern selbst in kurzen Beobachtungszeiträumen häufiger (bis zu 8 Tiere gleichzeitig; vgl. Stellungnahme des Diplombiologen R. vom 31.03.2004, AS 134) und mit einer Regelmäßigkeit beobachtet werden konnten, dass deren - nicht nur vereinzeltes - Vorkommen im besagten Untersuchungsgebiet als sicher gelten kann (B., Gutachten v. 20.07.2004, Seite 2). Dabei waren sich die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung auch einig, dass das Untersuchungsgebiet jedenfalls als Rast- und Nahrungsplatz für Schwarz- und Rotmilan einzustufen ist, weil dieses im Bereich der Mülldeponie Neunkirchen/D. liegt, welche für die genannten Greifvögel, die sich vorwiegend von Kleinsäugern (wie z. B. auch Ratten) und von Aas ernähren (Schwarzmilan), eine attraktive Nahrungsquelle ist (vgl. B. a.a.O., S. 6). Weiter ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig, dass das Untersuchungsgebiet derzeit jedoch keinen Brutplatz für die genannten Greifvogelarten darstellt, weil solche Brutversuche von den auf der Mülldeponie ebenfalls anzutreffenden Rabenkrähen regelmäßig vereitelt werden (vgl. B., ergänzende Stellungnahme vom 19.08.2004; R., Stellungnahme vom 31.03.2004, S. 2), die im Untersuchungsgebiet festgestellten Schwarz- und Rotmilane ihre Brutplätze demzufolge wahrscheinlich in der weiteren Umgebung (z. B. im Maintal) haben und das Untersuchungsgebiet lediglich zur Nahrungssuche (Mülldeponie) sowie als Zugkorridor auf dem Weg ins Winterquartier aufsuchen (vgl. R. a.a.O. Seite 2 und 3).

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat die Kammer auch keine Zweifel daran, dass die genannten Greifvogelarten an dem nachgewiesenen Rast- und Nahrungsplatz „H.“ durch die dort geplanten Windkraftanlagen der Kläger nicht nur beeinträchtigt, sondern existenziell gefährdet würden. Insoweit hat der Gutachter der Kläger B. in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass Greifvögel wie Schwarz- und Rotmilan in der Luft nahezu keine natürlichen Feinde haben und daher auch Windkraftanlagen nicht zwangsläufig als Bedrohung wahrnehmen. Sie sind deshalb stärker als andere Vogelarten gefährdet, Schlagopfer einer Windkraftanlage zu werden. Diese Einschätzung wird durch die hierzu von der Beklagten vorgelegte Bundestagsdrucksache 15/5188 vom 30.03.2005 über die Gefährdung heimischer Greifvögel- und Fledermausarten durch Windkraftanlagen bestätigt, die für den dort ausgewiesenen Erfassungszeitraum gerade beim Rotmilan eine auffallend hohe Zahl von Schlagopfern nennt (vgl. Antwort auf Frage 6) und ausgehend von diesen Zahlen von einem besonders hohen Tötungsrisiko für diese Art durch Windkraftanlagen spricht (vgl. Antwort auf Frage 7 der Anfrage).

Neben diesem speziell für den Rotmilan festzustellenden besonderen Kollisions- und Verlustrisiko, dessen Grad naturgemäß von den jeweiligen Vogelbestandszahlen am konkreten Standort abhängt und daher auch im vorliegenden Fall zahlenmäßig nicht genau quantifiziert werden kann, muss nach derzeitigem Erkenntnisstand weiter als sicher gelten, dass Windkraftanlagen aufgrund ihrer Umwelteinwirkungen (z. B. Schattenwurf, Lärm, etc.) und ihrer Barrierewirkungen (Vertikalstrukturen, Drehbewegungen) ohnehin generell geeignet sind, Vögel zu stören und aus ihren angestammten Stand-, Rast-, Nahrungs- und Brutplätzen zu vertreiben (vgl. B., Gutachten v. 20.07.2004 S. 8; R., Stellungnahme vom 31.03.2004 S. 2). Dieser Erkenntnis trägt auch die Verwaltungsvorschrift Windenergie Rechnung, die vorschreibt, dass Windkraftanlagen in einem Umkreis von 200 m um Brut-, Nahrungs- und Rastplätze besonders geschützter Tierarten nicht errichtet werden sollen.

Die Kammer geht daher davon aus, dass die Errichtung der geplanten Windkraftanlagen an dem beabsichtigten Standort zu einer erheblichen Beeinträchtigung des genannten Rast- und Nahrungsplatzes des Schwarz- und Rotmilans führen würde und auch eine vollständige Aufgabe dieses Rast- und Nahrungsplatzes nicht ausgeschlossen werden kann. Der Verlust eines Nahrungs-, Rast- oder Brutplatzes hat aber gerade bei seltenen und daher streng geschützten Tierarten regelmäßig auch negative Auswirkungen auf deren ohnehin bereits erheblich reduzierte Gesamtpopulation. Doch auch wenn man eine solche Aufgabe des betroffenen Lebensraumes aufgrund des attraktiven Nahrungsangebotes auf der nahe liegenden Mülldeponie für eher unwahrscheinlich erachten würde, müsste - wie von den Sachverständigen plausibel dargelegt - jedenfalls mit gelegentlichen Tötungen dieser Raubvögel durch Rotorschlag gerechnet werden.

Soweit demnach das Bauvorhaben am beabsichtigten Standort den öffentlichen Belang des Vogelschutzes berührt und sich diese Kollision offensichtlich auch nicht durch entsprechende Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen an den Windkraftanlagen ausschließen lässt, sind im Rahmen der weiteren Prüfung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen.

Diese Abwägung ergibt im vorliegenden Fall, dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung des festgestellten Stand- und Nahrungsplatzes für Schwarz- und Rotmilane und des dort vorkommenden Bestandes dieser Greifvögel das private Interesse der Kläger, die Windkraftanlagen gerade in diesem Gebiet errichten zu dürfen, erheblich überwiegt und der beschriebene Belang des Vogelschutzes dem privilegierten Vorhaben daher im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB entgegensteht.

Maßgeblich hierfür ist zunächst, dass es sich bei den Greifvogelarten Schwarzmilan und Rotmilan um besonders schutz- und erhaltungswürdige Vogelarten im Sinne der EG-Artenschutzverordnung und der Vogelschutz-Richtlinie handelt (vgl. Anhang I Nr. 44 und 45). Damit gehören beide Greifvogelarten auch zu den besonders streng geschützten Arten i.S.d. § 10 Abs. 2 Nr. 11 BNatSchG, die nach den Vorgaben der Vogelschutz-RL in besonderem Maße Schutz vor Belästigungen und einer Verschmutzung oder Beeinträchtigung ihrer Lebensräume genießen (vgl. Art. 4 Vogelschutz-Richtlinie). Dabei geht die Kammer mit den Sachverständigen B. und R. weiter davon aus, dass gerade der von dem beabsichtigten Bauvorhaben stärker betroffene Rotmilan besonders schutzwürdig ist, weil dieser europaweit mit einer verbliebenen Population von ca. 10.000 Exemplaren schwerpunktmäßig (nur noch) in Deutschland anzutreffen ist und die Bundesrepublik infolge dessen auch in besonderem Maße verpflichtet ist, das Überleben und die Vermehrung dieser stark bedrohten Art durch eine möglichst umfassende Erhaltung ihrer Lebensräume sicherzustellen (vgl. Art. 2 und 3 der Vogelschutz-Richtlinie). Dabei stellt Art. 3 der Vogelschutz-Richtlinie klar, dass der Schutz der zu sichernden Bestände (vgl. Art. 2) nicht auf die von den Mitgliedstaaten einzurichtenden Schutzgebiete (vgl. Art. 3 Abs. 2 a i.V.m. Art. 4) beschränkt ist, sondern auch außerhalb solcher formal ausgewiesenen oder faktischen Vogelschutzgebiete i.S.d. Vogelschutz-Richtlinie sicherzustellen ist, wie etwa durch die Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume außerhalb solcher Schutzgebiete (Art. 3 Abs. 2 b der Vogelschutz-Richtlinie). Eine solche Gestaltungsmaßnahme kann u. a. auch darin bestehen, einen schutzwürdigen Lebensraum von einer im Außenbereich grundsätzlich privilegiert zulässigen Bebauung freizuhalten, wenn diese - wie im vorliegenden Fall - geeignet ist, die in der Vogelschutzrichtlinie normierten Schutzziele in Bezug auf eine der dort genannten besonders geschützten Arten zu verletzen.

Die Kammer stuft den hier betroffenen Bereich H. auch als schutzwürdigen Lebensraum im Sinne der oben genannten Grundsätze ein. Denn es kann als sicher gelten, dass im betroffenen Gebiet aufgrund besonderer Umstände (Mülldeponie als Nahrungsquelle; Rastplatz im Vogelzugkorridor) eine Konzentration der genannten Greifvogelarten Rot- und Schwarzmilan feststellbar ist, die über deren allgemeinen Verbreitungsgrad deutlich hinausgeht. Das von den Sachverständigen und anderen Augenzeugen vor Ort beobachteten Vorkommen (bis zu 8 Tiere gleichzeitig) ist auch von seiner Größe ausreichend, um dem hier in Frage stehende Gebiet eine Schutzwürdigkeit im Sinne der Vogelschutzrichtlinie zuzusprechen.

Die Eignung und Schutzwürdigkeit des Gebiets H. als Lebensraum für die dort festgestellten Schwarz- und Rotmilane lässt sich auch nicht mit dem Argument in Frage stellen, das vorwiegend auf der Mülldeponie anzutreffende Nahrungsangebot (Ratten) sei für die genannten Greifvögel unnatürlich und nicht wünschenswert, weil es sich um keine natürliche oder naturnahe Lebensgrundlage handle. Dieser Argumentation vermag die Kammer bereits deshalb nicht zu folgen, weil es für die Frage der Schutzwürdigkeit eines Lebensraumes von bedrohten Tieren in erster Linie darauf ankommt, ob und in welchem Umfang das betreffende Gebiet von diesen Tieren tatsächlich als Lebensraum angenommen wird. Im vorliegenden Fall ist jedoch unstreitig, dass das betreffende Gebiet H. von den genannten Greifvogelarten als Nahrungs- und Standplatz angenommen worden ist. Ob es sich dabei um einen nach der Definition der Kläger „optimalen“ Nahrungsplatz für diese Greifvogelarten handelt, kann dahinstehen. Denn selbst wenn dies zu verneinen wäre, würde es dieser Umstand allein nicht rechtfertigen, dem Gebiet die Schutzwürdigkeit abzusprechen und die bedrohten Greifvögel, die offensichtlich in der Lage sind, sich auch mit nach menschlichen Maßstäben weniger attraktiven Lebensbedingungen zu arrangieren, in diesem Gebiet schutzlos zu stellen, indem man sie von dort vertreibt oder dem festgestellten erhöhten Tötungsrisiko durch Windkraftanlagen aussetzt. Denn eine solche Schlussfolgerung wäre mit den bereits dargelegten Zielen und Zwecken der Vogelschutz-Richtlinie offensichtlich nicht vereinbar.

Nach alledem geht die Kammer davon aus, dass das Gebiet H. einen geeigneten und auch uneingeschränkt schutzwürdigen Rast- und Nahrungsplatz für die gefährdeten Greifvogelarten Schwarz- und Rotmilan darstellt und die mit dem Bauvorhaben der Kläger einhergehende Beeinträchtigung dieses Lebensraumes mit Rücksicht auf die besondere Schutzwürdigkeit dieser Greifvogelarten, insbesondere des Rotmilans, nicht hingenommen werden kann. Dies bedeutet im Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der uneingeschränkten Erhaltung dieses Lebensraumes für die genannten Greifvögel das private Interesse der Kläger, gerade in diesem Gebiet Windkraftanlagen errichten zu können, erheblich überwiegt.

Bereits aus diesen Gründen ist das Bauvorhaben der Kläger planungsrechtlich unzulässig. Ob diesem weitere öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BauGB entgegenstehen kann daher ebenso offen bleiben wie die in diesem Zusammenhang weiter aufgeworfene Frage der Rechtsgültigkeit der durchgeführten Flächennutzungsplanänderung.

Bei dieser Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Neubescheidung der Bauvoranfrage nicht begründet.

Die weiter hilfsweise gestellten (Fortsetzungs-) Feststellungsanträge sind dagegen bereits unzulässig, weil das hierfür notwendige Feststellungsinteresse fehlt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Soweit die Kläger ein solches Feststellungsinteresse mit der eventuellen Geltendmachung von Schadenersatz- bzw. Amtshaftungsansprüchen begründet haben, reicht dies im vorliegenden Fall für die Annahme eines Feststellungsinteresses nicht aus, weil ein solcher Prozess offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Denn die Geltendmachung von Schadenersatz- und Amtshaftungsansprüchen würde voraussetzen, dass den Klägern durch die ursprünglich angefochtenen Bescheide vom 31.03.2003 (Zurückstellungsbescheid), vom 26.11.2003 (Widerspruchsbescheid) und vom 29.03.2004 (Ablehnung der Bauvoranfrage) ein Vermögensnachteil entstanden ist. Dieser müsste darauf beruhen, dass das ursprünglich planungsrechtlich zulässige Bauvorhaben durch die genannten Bescheide zu Unrecht verzögert worden ist und aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage jetzt nicht mehr realisiert werden kann. An einer solchen Ursächlichkeit fehlt es jedoch im vorliegenden Fall offensichtlich, da das von den Klägern beabsichtigte Bauvorhaben aus den bereits dargelegten Gründen von Anfang an planungsrechtlich unzulässig war.

Die Klage bleibt deshalb insgesamt ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO.